BT-Drucksache 16/6459

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/5525, 16/6455- Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz 2011 - ZensVorbG 2011)

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6459
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Christian Ahrendt, Dr. Max Stadler, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/5525, 16/6455 –

Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus
einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011
(Zensusvorbereitungsgesetz 2011 – ZensVorbG 2011)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag anerkennt die Notwendigkeit einer neuen Volks-
zählung. Die letzten Volkszählungen fanden 1987 bzw. in der DDR 1981 statt.
Seitdem haben sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen erheblich geändert. Die fortgeschriebenen Volkszählungszahlen und die
darauf aufbauenden Statistiken sind mit zunehmendem zeitlichem Abstand im-

mer ungenauer geworden. Genaue Zahlen sind jedoch für ein planmäßiges und
nachvollziehbares staatliches Handeln unverzichtbar. Das gilt namentlich für
den Finanzausgleich und für Planungsentscheidungen, zum Beispiel im Zusam-
menhang mit dem Bau neuer Schulen, Krankenhäuser und Einrichtungen für
ältere Menschen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Entscheidung für einen registergestützten
Zensus. Bei dieser Art der Erhebung von Daten auf der Grundlage von Verwal-

Drucksache 16/6459 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

tungsregistern werden der Datenschutz und das Statistikgeheimnis besser ge-
wahrt als bei einer herkömmlichen Volkszählung in Form einer Vollerhebung.
Hinzu kommt die Entlastung der Bevölkerung von Auskunftspflichten und eine
erhebliche Kostenreduzierung gegenüber einer Totalerhebung, da nur ein Teil
der Einwohner befragt wird.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich das Verfahren auf wenige Merkmale
und wenige Register beschränkt und insbesondere ohne ein Personenkenn-
zeichen auskommt. Auf diese Weise trägt der Gesetzentwurf dem Volkszäh-
lungsurteil von 1983 Rechnung. Seinerzeit hatte das Bundesverfassungsgericht
den Gesetzgeber aufgefordert, sich bei künftigen Entscheidungen über derartige
Erhebungen „mit dem dann erreichten Stand der Methodendiskussion“ ausein-
anderzusetzen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang die herkömm-
lichen Methoden der Informationserhebung und -verarbeitung beibehalten wer-
den können (BVerfGE 65, S. 1 ff., S. 55). Zugleich hatte es festgestellt, dass die
Übernahme von Daten aus bereits vorhandenen Registern der Verwaltung nicht
dazu führen dürfe, „den Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren
und zu katalogisieren“ (a. a. O. S. 57). Dem ebenfalls im Volkszählungsurteil
von 1983 aufgestellten Gebot der strikten Trennung von statistischer Erhebung
und Verwaltungsvollzug soll dadurch Rechnung getragen werden, dass auch bei
auftauchenden Unstimmigkeiten keine Einzeldaten aus dem Bereich der statis-
tischen Ämter an die Meldebehörden gegeben werden dürfen. Vielmehr sieht
das Gesetz vor, dass nur „Anschriftenbereiche“, zu denen Anhaltspunkte auf un-
vollständige oder fehlerhafte Daten vorliegen, übermittelt werden. Ein Abgleich
oder Nachforschungen der Meldebehörden vor Ort sind ausgeschlossen. Der
Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang den Verzicht auf die
vom Bundesrat geforderte Möglichkeit, Einzelprüfungen durchzuführen, um die
Richtigkeit der Meldedaten zu gewährleisten. Eine solche Möglichkeit wäre im
Hinblick auf das Trennungsgebot datenschutzrechtlich bedenklich. Einzelprü-
fungen sind darüber hinaus auch statistikfachlich nicht erforderlich, worauf die
Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates
zu Recht hinweist.

Der Deutsche Bundestag nimmt die gegen die im Gesetzentwurf vorgesehene so
genannte Georeferenzierung der Gebäude im Adress- und Gebäuderegister vor-
gebrachten datenschutzrechtlichen Bedenken ernst. Der Gesetzentwurf sieht
vor, dass in das Adress- und Gebäuderegister auch Koordinatenwerte einschließ-
lich Qualitätskennzeichen (Gebäudekoordinaten) aufgenommen werden kön-
nen. Auf diese Weise sollen die Voraussetzungen für eine kleinräumige Aus-
wertung geschaffen werden. Hierin sehen Sachverständige die Gefahr einer
Personenbeziehbarkeit bzw. individuellen Profilbildung sowie die Gefahr der
Nutzung der Daten zu Score- und Ratingverfahren. Insofern ergibt sich die
Notwendigkeit, die Interessen der Nutzer amtlicher Statistiken an detaillierten
statistischen Informationen einerseits und das grundrechtlich geschützte Recht
des Einzelnen auf Privatheit und Anonymität andererseits zu einem gerechten
Ausgleich zu führen.

Der Deutsche Bundestag betont die Notwendigkeit einer einheitlichen Vorge-
hensweise bei Vorbereitung und Durchführung des Zensus in Bund, Ländern
und Gemeinden. Nur wenn der Zensus in allen Bundesländern nach einheit-
lichem Verfahren und in gleicher Qualität durchgeführt wird, werden belastbare
und vor allem gerichtsfeste Ergebnisse zu erzielen sein. Dies ist unverzichtbar,
da der Zensus – wie schon die Volkszählung 1987 – zu erheblichen Veränderun-
gen beim Länderfinanzausgleich und beim kommunalen Finanzausgleich führen
wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass eine Reihe von Gemeinden die Er-
gebnisse des Zensus 2011 angreifen werden. Auch bei der Volkszählung 1987
gab es eine Vielzahl von Widersprüchen und Klagen der Gemeinden, die aller-

dings in nahezu allen Fällen wegen des Nachweises der Einheitlichkeit des Zähl-
verfahrens abgewiesen wurden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6459

Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass auch der vorliegende Gesetzentwurf die
Frage eines möglichen Verstoßes gegen das Verbot der Übertragung von Auf-
gaben auf die Gemeinden gemäß Artikel 84 Abs. 1 Satz 7 des Grundgesetzes
aufgeworfen hat. So wurde vorgebracht, der Gesetzentwurf verstoße gegen das
Aufgabenübertragungsverbot, da bestimmte Aufgaben von den nach Landes-
recht für das Meldewesen zuständigen Stellen (Meldebehörden) wahrzunehmen
seien. In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates stellte sich
die Bundesregierung auf den Standpunkt, dass kein Verstoß gegen das Aufga-
benübertragungsverbot vorliege. Zwar würden bestimmte Pflichten für die nach
Landesrecht für das Meldewesen zuständigen Stellen (Meldebehörden) aufge-
stellt, doch sei die Frage, ob die Länder den Gemeinden die Aufgabe Meldebe-
hörde durch Landesrecht zuweisen, gerade nicht bundesrechtlich vorgegeben;
sie erfolge allein durch Landesrecht. Die Regelung knüpfe lediglich an die lan-
desrechtliche Aufgabenverteilung an. Insofern finde die Aufgabenübertragung
durch den jeweiligen Landesgesetzgeber, nicht aber durch den Bundesgesetzge-
ber statt. Diese erneute Diskussion zeigt, dass das mit der Föderalismusreform
eingeführte Aufgabenübertragungsverbot immer wieder zu Auslegungsfragen
führt und sich ganz offensichtlich in der Praxis nicht bewährt. Es ist deshalb
durch eine Konnexitätsregelung abzulösen, die sicherstellt, dass der Gesetz- und
Verordnungsgeber Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen hat,
wenn er die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes zur Erfüllung bestimmter Aufgaben verpflichtet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im weiteren Verlauf der Zensusvorbereitung das Zensusvorbereitungsgesetz
2011 fortlaufend daraufhin zu evaluieren, inwieweit es geeignet ist, das Ziel,
Statistik und Verwaltung strikt zu trennen, zu erreichen;

2. im Entwurf eines Zensusanordnungsgesetzes das System der so genannten
Georeferenzierung so zu regeln, dass eine Verwendung der georeferenzierten
statistischen Ergebnisse für Zwecke der individuellen Profilbildung und ihrer
Nutzung zu Score- und Ratingverfahren ausgeschlossen und ein vernünftiger
Ausgleich zwischen den Interessen der Nutzer amtlicher Statistiken an mög-
lichst detaillierten statistischen Informationen und dem grundrechtlich ge-
schützten Recht des Einzelnen auf Privatheit und Anonymität herbeigeführt
wird;

3. die Verwaltungspraxis fortlaufend auf ihre Einheitlichkeit hin zu beobachten
und erforderlichenfalls im Entwurf eines Zensusanordnungsgesetzes Rege-
lungen vorzusehen, die die Einheitlichkeit der Durchführung des Zensus
sicherstellen;

4. einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den das grundgesetzliche Verbot der
Übertragung von Aufgaben durch Bundesgesetz auf Gemeinden und Ge-
meindeverbände durch eine Konnexitätsregelung ersetzt wird, die sicher-
stellt, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber Bestimmungen über die
Deckung der Kosten zu treffen hat, wenn er die Gemeinden oder Gemeinde-
verbände durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zur Erfüllung be-
stimmter Aufgaben verpflichtet.

Berlin, den 19. September 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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