BT-Drucksache 16/6430

Kinderarmut bekämpfen - Kinderzuschlag ausbauen

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6430
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Antrag
der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Katja Kipping,
Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Kinderarmut bekämpfen – Kinderzuschlag ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bekämpfung der Armut von Kindern und Jugendlichen zählt zu den zentra-
len gesellschaftlichen Aufgaben der Gegenwart. Jedes Kind muss unabhängig
vom Status der Eltern langfristig einen Anspruch auf eine existenz- und teil-
habesichernde Grundsicherung haben. Der Kinderzuschlag ist in seiner der-
zeitigen Ausgestaltung als Instrument zur Verhinderung von Kinderarmut
ungeeignet. Notwendig wäre neben einer deutlichen Leistungsausweitung die
Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten. Selbst die Bundesregie-
rung sieht das ähnlich (vgl. Kinderzuschlag für mehr Familien, Frankfurter
Rundschau vom 18. August 2007), blieb aber bis dato untätig. Indessen erreicht
die Kinderarmut in Deutschland neue Höchstwerte. Nach Angaben des Bun-
desverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) leben inzwischen
2,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Familien, die Arbeits-
losengeld II beziehen (vgl. Kinderarmut in Deutschland nimmt zu, Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 28. August 2007). Für rund fünf Millionen Heran-
wachsende stehen dem DKSB zufolge monatlich weniger als 250 Euro für den
Lebensunterhalt zur Verfügung (vgl. Märkische Oderzeitung vom 28. August
2007). Dieser dramatische Anstieg der Kinderarmut verlangt nach schneller
Abhilfe. Kurz- und mittelfristig muss durch die Ausweitung des Kinderzu-
schlags der Anspruch auf ein Leben ohne Armut umgesetzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Gewährung des Kindergeldzuschlages
wie folgt sicherstellt:

1. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren werden in Zukunft nicht mehr als Teil
der für den Bezug von Regelleistungen nach dem Zweiten und dem Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII) maßgeblichen Bedarfsgemein-
schaften gewertet. Eine eigenständige soziale Sicherung für Kinder von Eltern

mit geringem Einkommen wird geschaffen.

2. Das Bundeskindergeldgesetz wird für Kinder von Eltern mit geringem bzw.
keinem Einkommen so ausgestaltet, dass der Kinderzuschlag zu einer ergän-
zenden bedarfsorientierten Leistung ausgebaut wird. Als soziokulturelles
Existenzminimum ist von einem Betrag in Höhe von mindestens 420 Euro
auszugehen. Der Kinderzuschlag steht künftig auch Kindern von Emp-
fängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe zur

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Verfügung. Er ersetzt die kindbezogenen Regelleistungen in SGB II und
SGBX II. Entsprechend sind die Regelungen des Bundeskindergeldgesetzes
sowie der SGB II und SGB XII anzupassen.

3. Die bisher in § 6a des Bundeskindergeldgesetzes enthaltene Mindestein-
kommensgrenze, die die Abgrenzung zum Leistungsbezug nach SGB II
ermöglichen sollte, entfällt.

4. Bei der Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag und der Ermittlung sei-
ner individuellen Höhe ist künftig ausschließlich eine Obergrenze in Form
eines pauschalierten Höchsteinkommens der Eltern zu berücksichtigen. Das
pauschalierte Höchsteinkommen entspricht dem soziokulturellen Existenz-
minimum der Familie. Dieses besteht mindestens aus der Summe der pau-
schalierten Leistungen zum Lebensunterhalt sowie den angemessenen Kos-
ten für Unterkunft und Heizung, den Erwerbstätigenfreibeträgen des SGB II,
den zur Erzielung des Einkommens notwendigen Aufwendungen und dem
Existenzminimum des Kindes.

5. Die Befristung der Bezugsdauer des Kinderzuschlages auf höchstens 36 Mo-
nate wird aufgehoben.

Berlin, den 18. September 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Das Existenzminimum von Kindern abzusichern, ist eine gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe. Die Berechnung des Kinderzuschlages unter Berücksichtigung
einer Mindest- und Höchsteinkommensgrenze ist nicht nur – nach Aussagen
der Bundesagentur für Arbeit – in der Praxis hoch kompliziert und nicht prak-
tikabel, sondern verknüpft den Leistungsbezug des Kindes unmittelbar mit der
Situation der Eltern. Die Eltern sehen sich häufig mit dem Problem konfron-
tiert, dass schwankende Einkünfte eine monatliche Neuberechnung erfordern
und die Familie zwischen Leistungsbezug nach SGB II und Kinderzuschlag
wechselt. Die komplizierte Berechnung und der schmale Korridor zwischen
Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen führen zu Ablehnungsquoten für den
Kinderzuschlag von bis zu 83 Prozent. Auch dies spricht dafür, den Kinderzu-
schlag zu einer kindbezogenen Leistung auszubauen und die Kinder zumindest
für die Gewährung der Regelleistungen aus der Bedarfsgemeinschaft herauszu-
lösen.

Die Gewährung des Kinderzuschlages auch für Arbeitslosengeld II- und Sozial-
hilfebeziehende befreit Kinder aus der Abhängigkeit von Sozialtransfers und von
der daraus resultierenden gesellschaftlichen Stigmatisierung. Das Risiko des
„Vererbens“ von Armut der Eltern auf ihre Kinder sinkt.

Die Reform des Kinderzuschlages eröffnet kurzfristig die Chance, Kinder aus
dem familienbedingten Armutsrisiko zu befreien. Gleichzeitig ist sie ein Schritt
in Richtung einer eigenständigen sozialen Grundsicherung für Kinder. Diese
stellt sicher, dass alle Kinder, unabhängig vom sozialen Status ihrer Eltern, glei-
che Entwicklungschancen erhalten.

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