BT-Drucksache 16/6036

Keine Ausweitung der Inlandseinsätze der Bundeswehr

Vom 6. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6036
16. Wahlperiode 06. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel,
Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Jan Korte, Katrin Kunert, Michael Leutert,
Wolfgang Neskovic, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Ausweitung der Inlandseinsätze der Bundeswehr

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Trennung der Zuständigkeiten von Militär und Polizei gehört zu den
wichtigsten Lehren aus der deutschen Geschichte. Ordnungspolitische Auf-
gaben dürfen im Inland nicht vom Militär ausgeübt werden. Dies wurde im
Grundsatz zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entschei-
dung vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz bekräftigt. Trotzdem
ist die Bundesregierung auch nach diesem Urteil bestrebt, die Möglichkeiten
für den Einsatz der Bundeswehr im Inland in Friedenszeiten zu erweitern und
dem Militär polizeiliche Aufgaben zuzuweisen.

2. Die Bundesregierung missachtet in zunehmendem Maße die Einschrän-
kungen für den Einsatz der Bundeswehr, die sich aus Artikel 35 des Grund-
gesetzes (GG) ergeben. Einsätze im Rahmen der Amtshilfe scheinen bei
Großveranstaltungen zur Regel zu werden. Der Begriff der „Hilfe bei einer
Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ wird
von der Bundesregierung mitunter als Vorwand benutzt, um Inlandseinsätze
der Bundeswehr, z. B. im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft im Sommer
2006 oder des G8-Gipfels im Juni 2007, zu rechtfertigen. Darüber hinaus
veranlasst sie Einsätze, die vom Grundgesetz nicht geregelt sind, zum Bei-
spiel die Unterstützung von Privatveranstaltungen wie der Münchner Sicher-
heitskonferenz. Die Bundesregierung scheint mit diesen Einsätzen auch das
Ziel zu verfolgen, die Bevölkerung an Inlandseinsätze der Bundeswehr zu ge-
wöhnen.

3. Obwohl das Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 klargestellt hat,
dass der Abschuss eines mit unschuldigen Passagieren besetzten Flugzeuges,
das womöglich als Waffe eines Terroranschlags dient, die durch das Grund-
gesetz geschützte Menschenwürde verletzen würde, unternimmt die Bundes-

regierung kontinuierlich Vorstöße, den Verteidigungsbegriff des Grundgeset-
zes neu zu definieren, um eventuelle Terroranschläge zum Anlass nehmen zu
können, den Spannungs- bzw. Verteidigungsfall auszurufen. Im Zuge dessen
droht auch eine weitere schleichende Aushöhlung des Prinzips der Subsi-
diarität, wenn darauf hingearbeitet wird, der Bundeswehr zur Bewältigung
polizeilicher Aufgaben die Nutzung schweren Kriegsgeräts zu erlauben.

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4. Eine Sicherheitslücke, die durch die Bundeswehr geschlossen werden
müsste, existiert nicht. Eine Ausweitung der Befugnisse und Kompetenzen
der Bundeswehr im Inland wäre nicht geeignet, die Sicherheit und den Schutz
der Bevölkerung zu verbessern.

5. Zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben wie Objektschutz und Terrorab-
wehr im Inland ist die Bundeswehr weder befähigt noch befugt. Die Sicher-
heit im Inland wird durch die Polizei gewährleistet.

6. Der zivile Katastrophenschutz darf nicht einer militärischen Logik unterwor-
fen werden. Die maßgebliche Zuständigkeit ziviler Organisationen und Be-
hörden für Aufgaben des Katastrophenschutzes hat sich bewährt. Tendenzen,
die darauf hinauslaufen, die Bundeswehr als festen oder gar führenden Be-
standteil des zivilen Katastrophenschutzes zu installieren, sind nicht zweck-
dienlich. Zudem droht die Einplanung militärischer Instrumente den Ausbau
und Aufbau ziviler Kapazitäten zu verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. an der im Grundgesetz festgelegten Trennung der Aufgaben von Bundeswehr
und Polizei festzuhalten und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom
15. Februar 2006 sowie dessen Leitsätze zu respektieren und zu beherzigen;

2. anzuerkennen, dass die Kernaufgabe der Bundeswehr die Landesvertei-
digung ist und der Begriff Landesverteidigung nicht Verbrechensbekämp-
fung, Strafverfolgung und Objektschutz umfasst;

3. die Bundeswehr nicht bei Großveranstaltungen einzusetzen, ihre Bereitstel-
lung zu Maßnahmen der Amtshilfe den Vorgaben des Artikels 35 Abs. 2 GG
entsprechend auf Fälle zu beschränken, in denen ein Land „Hilfe bei einer
Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ anfor-
dert und dabei auf den Einsatz typisch militärischer Bewaffnung zu verzich-
ten;

4. zu bekräftigen, dass der Katastrophenschutz nach Artikel 35 GG in der Zu-
ständigkeit der Länder bleibt;

5. die Handlungsfähigkeit der Bundesländer bei der Bewältigung von Katastro-
phen und Unglücksfällen wo erforderlich zu stärken, ohne hierbei Rückgriffe
auf das Militär vorzunehmen;

6. die Kapazitäten der Bundeswehr für einen möglichen Einsatz im Inneren
bzw. zur Übernahme von Polizeiaufgaben zurückzubilden und die frei wer-
denden Kapazitäten in den Aufbau ziviler Fähigkeiten zu investieren.

Berlin, den 4. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Immer wieder in der deutschen Geschichte hat das Militär polizeiliche Aufgaben
wahrgenommen, um demokratiefeindliche Ziele zu befördern. „Gegen Demo-
kraten helfen nur Soldaten“ war die Parole der monarchistischen Heere, die
1848/1849 gegen die republikanischen und freiheitlichen Bewegungen vorgin-
gen. Im wilhelminischen Kaiserreich wurde das Heer gegen streikende Arbei-

tende eingesetzt. Auch in der Weimarer Republik wurde das Militär im Innern
als politisches Mittel eingesetzt, um reaktionäre Kräfte zu stärken. Das wurde

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besonders deutlich beim Kapp-Putsch, aber auch bei der im Auftrag der Reichs-
regierung mit militärischem Zwang vorgenommenen Absetzung der demokra-
tisch gewählten SPD/KPD-Koalitionsregierungen in Sachsen und Thüringen im
Jahr 1923. Im Dritten Reich bildeten militärische Verbände, insbesondere die
SS, in Zusammenarbeit mit der Polizei unter Führung des Reichsführers SS
Heinrich Himmler, einen im In- wie Ausland wirkenden Terrorapparat.

Als Reaktion auf diese Erfahrungen wurde im Grundgesetz die strikte Trennung
polizeilicher und militärischer Zuständigkeiten festgeschrieben.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Begründung seiner Verwerfung des
Luftsicherheitsgesetzes vom 15. Februar 2006 noch einmal diese strikte
Trennung bestätigt und eine enge Auslegung der Ausnahmefälle nach Artikel 35
und Artikel 87a GG und eine strikte Achtung des Artikels 1 Abs. 1 GG ange-
mahnt. In der Begründung wurde im Wesentlichen auf zwei Punkte hinge-
wiesen: Ein „Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen“ sei der
Bundeswehr auch im Falle eines überregionalen Katastrophenfalls im Sinne von
Artikel 35 Abs. 3 GG nicht erlaubt. Außerdem laufe der Abschuss eines mit Un-
schuldigen besetzten Flugzeuges darauf hinaus, die Würde der Betroffenen zu
missachten. Es sei unter Geltung des Artikels 1 Abs. 1 GG „schlechterdings un-
vorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige
Menschen, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luft-
fahrzeuges in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden […] vorsätzlich zu tö-
ten“.

Umso bedenklicher sind die kontinuierlichen Bemühungen der Bundesregie-
rung und insbesondere des Bundesministers des Innern, die Befugnisse und
Kompetenzen der Bundeswehr im Inland auszuweiten. Die vom Bundesminister
des Innern vorgeschlagene Ergänzung des Artikels 35 GG würde den präventi-
ven Einsatz schweren militärischen Geräts im Inland zur Abwehr etwaiger ter-
roristischer Anschläge legalisieren. Artikel 87a GG möchte der Bundesminister
des Innern erweitert wissen um das Recht der Bundeswehr, „zur unmittelbaren
Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens“ tätig
zu werden. Beide Vorstöße zielen auf militärische Inlandseinsätze außerhalb des
Rahmens der Landesverteidigung und würden einer gefährlichen Militarisie-
rung der Innenpolitik Vorschub leisten. Die Gleichsetzung eines terroristischen
Anschlages mit dem Angriff eines ausländischen Staates ist rechtlich und sach-
lich unangemessen.

Die Absicht des Bundesministers des Innern, Bundeswehrsoldaten für polizei-
liche Aufgaben wie Objektschutz einzusetzen, ist ebenfalls sowohl unter recht-
lichen als auch sachlichen Erwägungen abzulehnen. Auch Vertreter der Polizei
lehnen solche Überlegungen ab. Hinweise darauf, dass die Bundeswehr in den
Einsatzgebieten bereits polizeiliche Aufgaben wahrnehme, gehen an der Sache
vorbei. Die Situation auf dem Balkan und in Afghanistan kann nicht ernstlich
mit den Zuständen in den deutschen Bundesländern verglichen werden.

Im Lichte dieser Bestrebungen der Bundesregierung müssen auch jene Inlands-
einsätze der Bundeswehr, die sich auf Artikel 35 GG berufen, geprüft werden.
Längst nicht alle dieser Einsätze waren zwingend erforderlich. Das gilt vor
allem für die im Rahmen der Amtshilfe erfolgten Unterstützungshandlungen. So
konnte die Bundesregierung nicht plausibel machen, warum der Einsatz von
2 000 Soldaten zur Fußball-Weltmeisterschaft unverzichtbar gewesen sein
sollte. Das Gleiche gilt für den Bundeswehreinsatz zum G8-Gipfel. Der Einsatz
von 400 Soldaten anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz war gar nicht
erst als Amtshilfe im Sinne des Grundgesetzes deklariert, sondern eine Gefällig-
keit, die dem Veranstalter der Konferenz erwiesen wurde. Solche unnötigen Ein-
sätze begünstigen die weitere Gewöhnung der Gesellschaft an den Einsatz mili-

tärischer Instrumente und militärischen Personals im Inneren.

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Die Bundesregierung verstärkt in der jüngsten Vergangenheit die Bemühungen,
die Bundeswehr in Konzepte des Katastrophenschutzes einzubinden. Dies wird
in der Vielzahl von „Amtshilfe“-Einsätzen deutlich und noch mehr im Konzept
der zivil-militärischen Zusammenarbeit und der Einrichtung entsprechender
Landes- und kommunaler bzw. regionaler Verbindungskommandos. Die Bun-
deswehr droht, sich schleichend als Vorprüfinstanz für den Handlungsspielraum
der zivilen Behörden zu etablieren. Insgesamt fördert dies die Militarisierung
innenpolitischer Problemlösungsprozesse und -mechanismen.

Eine nüchterne Bilanzierung und Bewertung der vorhandenen Kapazitäten steht
derzeit aus. So kann das Technische Hilfswerk fast 80 000 Menschen mobilisie-
ren. Die Berufs- und Betriebsfeuerwehren verfügen über mehr als 50 000 Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter. Mehr als 1 Million Mitglieder der freiwilligen
Feuerwehr können in die Planungen miteinbezogen werden. Dazu kommen etwa
500 000 Helferinnen und Helfer aus den Rettungsdiensten. THW und Feuer-
wehr verfügen jeweils über ABC-Berge-, Spür- und Dekontaminationsfahr-
zeuge und -einrichtungen. Angesichts dieser verfügbaren Kapazitäten wird
deutlich, dass das Bundesministerium der Verteidigung mit seinem Beitrag eher
das Ziel verfolgt, die Bevölkerung an den Einsatz des Militärs im Inneren zu ge-
wöhnen.

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