BT-Drucksache 16/5960

Die Existenz von Kindern und Schlechterstellung für Kinder beim Kindesunterhalt vermeiden

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5960
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Markus Löning, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Gisela Piltz, Jörg
Rohde, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Die Existenz von Kindern sichern und Schlechterstellungen für Kinder
beim Kindesunterhalt vermeiden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Kinder und Jugendliche sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Es ist Aufgabe
und Verantwortung der Erwachsenen, ihnen ein beschütztes Aufwachsen und
eine Lebensperspektive zu ermöglichen. An dieser Prämisse muss sich das
Handeln aller Verantwortlichen auch in der Politik ausrichten. Kinderarmut ist
aber kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Dies bedeutet
für diejenigen, die in der Politik Verantwortung tragen, dass Armut nicht ver-
mehrt werden darf und dass Familien und Kinder nicht schlechter gestellt wer-
den dürfen, auch nicht im Familienrecht.

2006 lebten in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 2,5 Millionen Kinder
und Jugendliche bis zu einem Alter von 18 Jahren in Haushalten, die über weni-
ger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens verfügen. Die Zahl der Kinder
unter 15 Jahren, deren Eltern Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB II) erhalten, ist 2006 um 10 Prozent gestiegen. Kinder und
Jugendliche sind arm, weil die Familien, in denen sie leben, arm sind. Dabei ist
das Armutsrisiko in Alleinerziehenden-Haushalten am größten. Oft fehlen die
personalen, sozialen und familiären Ressourcen, um mit diesen Problemen
aktiv umzugehen. Es ist daher gerade bei sozial benachteiligten Familien wich-

tig, die Elternkompetenz zu stärken, damit sie ihre Kinder bei allen Sorgen und
Problemen nicht aus den Augen verlieren. Die soziale Lage der Eltern darf
nicht über den Bildungsweg der Kinder und Jugendlichen entscheiden. Alle
Kinder und Jugendlichen müssen unabhängig von dem Beziehungsgefüge zwi-
schen den Eltern die gleichen Chancen bekommen. Leitlinie bei einer Optimie-
rung der Qualität in Bildung, Betreuung und Erziehung muss die bestmögliche
individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen sein.

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Familien bedürfen einer besonderen Förderung, um bisherige Benachteiligun-
gen auszuräumen. Familienpolitische Leistungen sind eine Investition in die
Zukunft. Politische und gesetzgeberische Maßnahmen müssen daher Eltern un-
terstützen und damit die jüngere Generation fördern. Dies gilt insbesondere
dann, wenn Elternteile auf Unterhaltszahlungen für ihre Kinder angewiesen
sind. Die Zahlungsmoral von Unterhaltsverpflichteten ist dabei noch immer
verbesserungswürdig. In Fällen unregelmäßiger und ausbleibender Unterhalts-
zahlungen hat ein Kind eines alleinerziehenden Elternteils Anspruch auf Leis-
tungen des Staates nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Unterhaltsvor-
schuss wird maximal 72 Monate bis zum Höchstalter von 12 Jahren des Kindes
gezahlt. Später auftretende Zerwürfnisse wie Trennung und Scheidung werden
nicht berücksichtigt. Insgesamt wurde im Jahr 2005 bundesweit in 247 367 Fäl-
len Unterhaltsvorschuss an nichteheliche Kinder, in 78 631 Fällen an Kinder
aus geschiedenen Ehen und in 156 666 Fällen an Kinder dauernd getrennt le-
bender Eltern gezahlt. Die Gesamthöhe des seitens von Bund, Ländern und
Kommunen gezahlten Unterhaltsvorschusses bewegte sich zwischen 2000 und
2004 zwischen 679 372 333 Euro und 792 731 890 Euro.

Zur Erhöhung der Zahlungsmoral des Unterhaltsverpflichteten – so die Antwort
auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP (Bundestagsdrucksache 15/5891) –
plane die Bundesregierung eine Reform des Unterhaltsrechts; die empirisch be-
legte Erkenntnis, dass die Bereitschaft Unterhaltspflichtiger, Kindesunterhalt
zu leisten, signifikant höher sei als die Zahlungswilligkeit beispielsweise in
Bezug auf den Ehegattenunterhalt werde im Rahmen der Reform des Unter-
haltsrechts gezielt umgesetzt. Durch die Harmonisierung von Unterhalts- und
Steuerrecht entstehe eine höhere Transparenz, und die Zahlungsmoral werde
gestärkt. Ein entsprechender Gesetzentwurf zur Änderung des Unterhaltsrechts
wurde am 15. Juni 2006 in den Deutschen Bundestag eingebracht. Die Fraktion
der FDP legte mit dem Antrag „Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern sozial
und verantwortungsbewusst den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an-
passen“ (Bundestagsdrucksache 16/891) einen eigenen umfassenden Vorschlag
vor. Ursprünglich sollte die Reform des Unterhaltsrechts am 1. Juli 2007 in
Kraft treten. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL
9/04) zur unterschiedlichen Regelung der Unterhaltsansprüche bei Pflege oder
Erziehung von Kindern (Betreuungsunterhalt) wurde die parlamentarische Be-
ratung ausgesetzt. Die Verzögerungen hatten zur Folge, dass die Düsseldorfer
Tabelle, nach der 2005 die Sätze um 2,5 Prozent angehoben wurden, turnus-
mäßig aktualisiert werden musste. Vor dem Hintergrund einer Angleichung der
Unterhaltszahlungen im Osten und Westen Deutschlands bedeutete dies zum
1. Juli 2007 eine Absenkung der Unterhaltssätze im Westen. Der „Verband
alleinerziehender Mütter und Väter“ (VAMV) geht davon aus, dass mehr als
zwei Millionen Kinder an der Armutsgrenze von dieser Entscheidung betroffen
sind. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Unterhaltsrechtsreform künftig beim
Mindestunterhalt für Kinder an das steuerliche Existenzminimum nach § 32
Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angeknüpft werden soll.
Angesichts dessen, dass sich auch die Vorschriften über die Anrechnung des
Kindergeldes ändern sollen, geht der VAMV von einem sinkenden Kindesun-
terhalt vor allem in den unteren Einkommensgruppen der alten Bundesländer
von bis zu 37 Euro pro Kind und Monat aus.

Diese Entwicklung steht in diametralem Gegensatz zu anderen Maßnahmen der
Bundesregierung, die erkennbar als Ziel haben, die Familie und die Kinder zu
stärken. Dies gilt etwa für den Ausbau des Kinderbetreuungsangebotes und die
geplante Ausweitung der Zahlung des Kinderzuschlags von bisher 124 000 auf
530 000 Kinder. Es ist auch nur schwer erkennbar, wie diese Entwicklungen
mit der Diskussion über eine Stärkung des Kindeswohls, eine mögliche Ver-

ankerung von Kinderrechten in der Verfassung und dem Wunsch von Bundes-
präsident und Kinderkommission, Deutschland zu einem noch kinderfreund-

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licheren Land zu machen und Kinderinteressen und das Kindeswohl in den
Mittelpunkt aller kinderpolitischen Maßnahmen zu stellen, in Einklang ge-
bracht werden können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

● das Unterhaltsvorschussgesetz in einem ersten Schritt dahingehend zu än-
dern, dass

– Unterhaltsvorschuss bis zum Erreichen der Volljährigkeit eines Kindes
gewährt wird, um das Kindeswohl auch bei später auftretenden Zerwürf-
nissen wie Trennung und Scheidung besser berücksichtigen zu können,

– im Gegenzug dazu die Bezugsdauer auf 36 Monate zu verkürzen, um der
Zielsetzung des Unterhaltsvorschusses als vorübergehende Hilfe in einer
Phase der Neuordnung der eigenen Verhältnisse des alleinerziehenden
Elternteils und der Durchsetzung der Unterhaltsansprüche bzw. der Sozial-
hilfeansprüche Rechnung zu tragen,

– das Verfahren zur Gewährung von Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert
wird, um den Betroffenen schnell und unkompliziert die erforderliche
Unterstützung zukommen lassen zu können;

● im Rahmen einer Neugestaltung der Familienförderung Vorschläge für eine
bedarfsorientierte, transparente und unbürokratische Förderung von Fami-
lien unter besonderer Berücksichtigung der Alleinerziehenden vorzulegen
und unter Berücksichtigung der bürokratischen Schwächen den Kinderzu-
schlag sinnvoll fortzuentwickeln;

● im Sinne der bestmöglichen Förderung jedes einzelnen Kindes, gleicher
Startchancen und einer Wahlfreiheit beider Eltern auf einen zügigen Ausbau
eines qualitativ hochwertigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsange-
bots in den Ländern hinzuwirken;

● ein in sich stimmiges Konzept der Familienförderung im Rahmen von
Sozial-, Sozialversicherungs-, Steuer- und Familienrecht im Sinne eines
Bürgergeldes vorzulegen, das insbesondere auch die Existenz von Kindern
sichert, und im Zusammenhang mit einer großen Steuerreform die steuer-
liche Förderung von Familien deutlich zu vereinfachen und transparenter zu
gestalten;

● aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Wohle der Kinder schnellstmög-
lich einen verfassungskonformen Gesetzentwurf zur Reform des Unterhalts-
rechts vorzulegen, in dem die Regelung des Mindestbedarfs der Kinder so
gefasst wird, dass eine finanzielle Schlechterstellung von minderjährigen
Kindern nach Inkrafttreten der neuen Regelungen ausgeschlossen ist;

● sich im Sinne der Sicherung der Existenz künftiger Generationen für eine
generationengerechte Politik für die Kinder einzusetzen, denn die Gestal-
tungsspielräume der heutigen und künftigen Generationen müssen in einem
ausgewogenen Verhältnis stehen.

Berlin, den 4. Juli 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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