BT-Drucksache 16/5903

Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5903
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina
Bunge, Diana Golze, Katja Kipping, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ergebnisse der aktuellen Studie der OECD zum Leistungsniveau der
Deutschen Rentenversicherung sind besorgniserregend. Insgesamt liegt das
Sicherungsniveau im Alter in Deutschland auf extrem niedrigem Niveau. Hier
zeigen die Reformen der letzten Jahre ihre dramatischsten Auswirkungen. Der
Alarmruf der OECD, „Deutschland sollte der Rentenentwicklung für Gering-
verdiener besondere Aufmerksamkeit schenken und einem Anstieg der Alters-
armut vorbeugen“ darf nicht unerhört bleiben. Dass Deutschland für Geringver-
dienerinnen und Geringverdiener mit einem Rentenniveau von unter 40 Prozent
nur wenig mehr als die Hälfte des OECD-Durchschnitts zu bieten hat, ist für ein
so reiches Land nicht akzeptabel. Die OECD betont, dass der Nachhaltigkeits-
faktor sowie der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung „das Niveau in der
gesetzlichen Rente in Zukunft noch weiter senken“ dürfte. Die Situation spitzt
sich dramatisch zu.

Trotz dieser alarmierenden Zahlen der OECD hält die Bundesregierung an
dem von ihr begonnenen Reformweg fest, der (mit der so genannten Riester-
Reform) die Lebensstandard sichernde Zielsetzung der gesetzlichen Renten-
versicherung ohne Not aufgegeben hat. Mit dem so genannten Riester-Faktor
sowie dem seit 2005 bei der Rentenanpassung zu berücksichtigenden Nach-
haltigkeitsfaktor wird die Entwicklung der Renten zunehmend von der Lohn-
entwicklung abgekoppelt. Das Rentenniveau soll infolge der Anwendung der
beiden Dämpfungsfaktoren deutlich sinken. Die Renten-Reformen werden über
die kommenden zwei Jahrzehnte für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zu einer gesetzlichen Rente nahe bei oder sogar unterhalb des Fürsorge-
niveaus führen. Die Koalition aus CDU, CSU und SPD hat die Gefahr der
Altersarmut nochmals verschärft durch die Einführung des Nachholfaktors und
der Rente ab 67.

Die Aufgabe des Leistungsziels in der Rente zugunsten der Beitragssatz-

stabilität unterwirft die Rentenversicherung kurzsichtigen politischen Vorgaben
und provoziert Altersarmut. Der Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik zielt
auf eine Absenkung der Beitragszahlungen für die Unternehmen und erhöht
die Kosten der Altersvorsorge für die Versicherten. Gerade die jüngeren Gene-
rationen werden durch den Zwang zu mehr privater Vorsorge die Lasten dieser
Politik tragen, so dass vorrangig die private Versicherungswirtschaft profitiert.

Drucksache 16/5903 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Dämpfungsfaktoren der gegenwärtigen Rentenanpassungsformel aufzu-
heben und bei der Bestimmung des aktuellen Rentenwerts zurückzukehren
zur Anpassung der Renten entsprechend der Entwicklung der Nettoarbeits-
entgelte der Aktiven,

2. die Deckelung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung auf-
zuheben und als rentenpolitisches Sicherungsziel für so genannte Standard-
erwerbsbiogafien – 45 Versicherungsjahre zu Durchschnittsentgelt – ein
Sicherungsniveau vor Steuern in Höhe von 53 Prozent festzuschreiben. Bei
der Feststellung des Sicherungsniveaus vor Steuern ist auf die rechnerische
Kürzung der Entgelte der Aktiven um geförderte Altersvorsorgeaufwendun-
gen zu verzichten,

3. die bislang durch die Dämpfungsfaktoren und gesetzlichen Null-Runden
bewirkte Rentenniveausenkung über einen anpassungserhöhenden Rück-
holfaktor umgehend wieder auszugleichen.

Berlin, den 3. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung
Infolge der rot-grünen Rentenpolitik kann die gesetzliche Rente in Zukunft den
Lebensstandard der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter und bei
voller Erwerbsminderung nicht mehr sichern. Die weitgehend überwunden ge-
glaubte Altersarmut wird dadurch in den kommenden Jahrzehnten wieder stark
an Bedeutung zunehmen, wie die jüngste OECD-Studie bestätigt.

Mit der „Riester-Reform“ von 2001 vollzog die damalige Bundesregierung
einen Paradigmenwechsel bei der gesetzlichen Rente: Weg vom Ziel der
Lebensstandardsicherung, hin zum Ziel der Beitragssatzdeckelung. Bis dahin
galt: Wer erwerbslebenslang der sozialen Rentenversicherung angehört hat
(unterstellt werden bei dieser Annahme 45 Versicherungsjahre), der sollte im
Alter ein Nettorentenniveau erreichen, das etwa 70 Prozent seiner – auf den
aktuellen Stand hochgerechneten – durchschnittlichen Erwerbseinkommens-
position entsprach. Seither ist dagegen festgeschrieben, dass der Beitragssatz
zur allgemeinen Rentenversicherung bis zum Jahre 2030 die Marke von 22 Pro-
zent nicht überschreiten darf. Vor dem Hintergrund der demografischen Ent-
wicklung und der damit einhergehenden Verschiebung des zahlenmäßigen Ver-
hältnisses von Beitragszahlern zu Rentnern dient die Beitragssatzdeckelung
vorgeblich der Entlastung der jüngeren Generation; sie dürfe durch ungebremst
steigende Beiträge nicht überfordert werden – so die immer wieder vorgetra-
gene Behauptung.

Um das Beitragssatzziel gewährleisten zu können, werden auf der Leistungs-
seite mittels der beiden Dämpfungsfaktoren massive Kürzungen auf den Weg
gebracht. Das ohne rechnerische Kürzung der Entgelte der Aktiven um ge-
förderte Altersvorsorgeaufwendungen („Riester-Trick“) berechnete Netto-
rentenniveau wird hiernach im Wege einer kontinuierlichen Abkoppelung der
Renten- von der Lohnentwicklung von ursprünglich rd. 70 Prozent auf nur noch
rd. 55 Prozent im Jahr 2030 sinken; das seit dem Alterseinkünftegesetz als
Vergleichsgröße heranzuziehende Sicherungsniveau vor Steuern wird von
rd. 53 Prozent auf nur noch rd. 41 Prozent sinken. Dies ist keine durch den

demografischen Wandel aufgezwungene, also alternativlose Entwicklung, son-
dern politisch gewollt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5903

Als Ersatz für die Leistungskürzungen durch die „Riester-Reform“ wurde die
staatlich geförderte private Altersvorsorge geschaffen („Riester-Rente“). Ab
dem Jahre 2008 können und sollen alle Versicherten kontinuierlich 4 Prozent
ihres Bruttoentgelts als Prämie für private oder betriebliche Altersvorsorge
anlegen; nur so bestehe – bei entsprechender Verzinsung – die Aussicht auf
ein auch künftig Lebensstandard sicherndes Alterseinkommen. Zur Prämie für
die „Riester-Rente“ werden staatliche Fördermittel bereitgestellt, so dass sich
die saldierte Zusatzbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf
im Schnitt knapp 3 Prozent des Bruttoentgelts beläuft. Für die 2004 beschlos-
sene weitere Rentenniveausenkung durch die „Schmidt-Reform“ (Nachhaltig-
keitsfaktor) wurde allerdings keine entsprechende Erhöhung der staatlichen
Fördermittel vorgesehen. Um diese Lücke zu schließen, sind somit noch einmal
rd. 3 Prozent nunmehr alleine von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
aufzubringen; bezogen auf das Jahr 2030 entspricht dies einer Belastung der
Versicherten von insgesamt 17 Prozent – 11 Prozent Arbeitnehmeranteil zur
gesetzlichen Rentenversicherung und zusätzlich 6 Prozent für private Alters-
vorsorge. Von einer wirtschaftlichen Entlastung der jüngeren Generation kann
folglich keine Rede sein.

Mit einem paritätischen Beitragssatz von rd. 28 Prozent im Jahr 2030 wäre
weiterhin ein Lebensstandard sicherndes Alterseinkommen finanzierbar – und
zwar auch ohne die Anhebung der Renteneintrittsgrenze auf 67 Jahre. Seit den
rot-grünen Reformen zielt die Rentenpolitik vorrangig auf die Privatisierung
sozialer Risiken und ihrer Kosten. Gewinner sind Arbeitgeber und private
Finanzdienstleister. Den (jüngeren) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
– also den künftigen Rentnerinnen und Rentnern – wird dies als „generatio-
nengerechte Entlastung“ angepriesen; sie müssten 2030 nur 11 Prozent statt
14 Prozent Rentenbeitrag zahlen. Dass sie bereits ab 2008 mit rd. 16 Prozent
(10 Prozent Rente und 6 Prozent Privatvorsorge) für einen gesicherten Lebens-
abend insgesamt mehr aufzuwenden haben als die vorgeblich „unzumutbaren“
14 Prozent, die im Jahr 2030 für eine sichere Rente fällig wären, wird bei den
öffentlichen Kampagnen zu Gunsten der privaten Altersvorsorge und zu Lasten
der sozialen Rentenversicherung bislang erfolgreich vertuscht.

Nur bei Rückkehr zu einer den Lebensstandard sichernden gesetzlichen Rente
können die Einbeziehung weiterer Personengruppen in die Versicherungs-
pflicht (Erwerbstätigenversicherung) und die Schließung von Sicherungslücken
den ihnen zugedachten Beitrag zur wirksamen Vermeidung von Altersarmut
auch tatsächlich leisten.

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