BT-Drucksache 16/5882

EU-Regierungskonferenz schnell zum Erfolg führen

Vom 3. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5882
16. Wahlperiode 03. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Markus Löning, Dr. Werner Hoyer, Michael Link (Heilbronn),
Florian Toncar, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr
(Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Dr. Wolfgang Gerhardt,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Michael
Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank
Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max
Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

EU-Regierungskonferenz schnell zum Erfolg führen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die europäische Idee hat in Deutschland immer breite Unterstützung gefunden.
Völkerverständigung und das friedliche Miteinander nach Jahrhunderten von
Kriegen und der Zerstörungswut von zwei Weltkriegen, der Aufbau von Wohl-
stand für breiteste Bevölkerungsschichten, der allgemeine Zugang zu Bildung
und die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs, Rechtsstaatlichkeit, die Gewährleis-
tung der Menschenrechte für alle, Demokratie und freie Marktwirtschaft: es sind
liberale Werte, die die Grundlage der Europäischen Union bilden. Bei Abschluss
der Römischen Verträge vor 50 Jahren war die europäische Idee eine Zukunfts-
vision, inzwischen ist sie Lebensrealität für fast alle Bürger der EU.

Die Europäische Union muss nach innen und außen für ihre Bürger handlungs-
fähig sein. Nur gemeinsam können wir die Herausforderungen im globalen wirt-
schaftlichen und wissenschaftlichen Wettbewerb und in der Auseinandersetzung

um Freiheit und demokratische Werte bestehen. Nur gemeinsam können wir
einen entscheidenden Beitrag leisten, damit Umwelt, Natur und Ressourcen in
der Welt für kommende Generationen erhalten und entwickelt werden. Die EU
soll nach liberalen Grundsätzen gestaltet sein, um den Rahmen zu schaffen, dass
ihre Bürger Lebenschancen ergreifen und ihr Leben frei und eigenverantwort-
lich gestalten können. Die EU soll zu einer Union der Erfolge für die Bürger
werden.

Drucksache 16/5882 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Verfassungsvertragsentwurf sah eine Reihe von Verbesserungen vor. Eine
Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat und damit mehr Handlungs-
fähigkeit, die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments sowie das euro-
päische Volksbegehren und damit mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung, den
gemeinsamen Außenminister und damit mehr Verantwortung in der Welt sowie
europäische Grundrechte und damit mehr Rechte für die Bürger waren die Sub-
stanz.

Dass die deutsche Ratspräsidentschaft nach Jahren des Stillstandes in Europa
erreicht hat, dass die Verhandlungen um die neuen europäischen Grundlagen mit
einem inhaltlichen Mandat noch im Juli diesen Jahres wieder aufgenommen
werden und bis 2009 europaweit ratifiziert werden sollen, ist deshalb ein echter
Fortschritt.

Jetzt muss dafür Sorge getragen werden, dass die Verhandlungen zügig zu einem
Abschluss gebracht werden. Die EU muss sich endlich wieder auf eine Politik
für ihre Bürger konzentrieren.

Trotz des anzuerkennenden Einsatzes der Bundesregierung ist das vorgelegte
Mandat für die Regierungskonferenz leider nur ein Kompromiss auf niedrigem
Niveau. Angesichts der Bedeutung des Prozesses für die weitere Ausgestaltung
der EU und die damit verbundene Kompetenzübertragung von der nationalen
auf die europäische Ebene muss sich der Deutsche Bundestag ernsthaft mit dem
Erreichten auseinandersetzen. Mit der Zustimmung zum Mandat der Regie-
rungskonferenz signalisiert der Bundestag sein Einverständnis mit dem Erreich-
ten. Die neuen Grundlagen der europäischen Zusammenarbeit werden in weite
Bereiche der Menschen in unserem Land eingreifen und den politischen Wil-
lensbildungsprozess auf nationaler und europäischer Ebene auf neue Grund-
lagen stellen.

Viele Errungenschaften werden Europa besser machen. Dazu gehört auf lange
Sicht die doppelte Mehrheit, die vertiefte Zusammenarbeit im Bereich Innen-
und Justizpolitik, die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, die Stärkung
des Europaparlaments sowie neue Grundlagen einer gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik.

Die Einigung auf ein Mandat für die Regierungskonferenz ist aber nur gelungen,
weil einigen Ländern Ausstiegsklauseln für bestimmte Politikbereiche einge-
räumt wurden. So wird die europäische Grundrechtecharta in Großbritannien,
möglicherweise auch in Polen und Irland, keine Geltung haben. Wesentliche
Abwehrrechte gegenüber staatlichem Handeln mit europäischem Hintergrund
zum Beispiel im Bereich der Terrorismusbekämpfung und der Freiheitsrechte
oder bei der Diskriminierung von Homosexuellen werden für einen Teil der
Europäerinnen und Europäer nicht einklagbar sein. Soziale Grundrechte im Be-
reich Arbeitsrecht oder bei den Sozialsystemen dagegen können stärkeren Ein-
fluss auf die Rechtssysteme der restlichen Mitgliedstaaten ausüben als vorher.
Es entsteht ein Europa der unterschiedlichen Qualitäten.

Die doppelte Mehrheit, die den Kern der Bemühungen um mehr Handlungs-
fähigkeit darstellte und erstmals in der Geschichte der Europäischen Union nicht
nur Staaten als Akteure, sondern auch deren Bürger in die Stimmengewichtung
einbezogen hätte, ist mindestens bis zum Jahr 2014 verschoben. Die Annähe-
rung an das demokratische Prinzip „one person, one vote“ wurde auf lange Zeit
verschoben. Vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Ausweitung der Mehrheits-
entscheidungen im Rat spielt die ungleiche Stimmengewichtung in den nächsten
Jahren eine wichtige Rolle. Auf der anderen Seite ist die Ausweitung der Mehr-
heitsentscheidungen durch eine Vielzahl von Vetomöglichkeiten an anderer
Stelle wieder relativiert worden. So ist die Schwelle für die Blockadeposition bei
Mehrheitsentscheidungen zeitlich unbeschränkt heruntergesetzt worden und ab

2017 voll wirksam. In anderen Bereichen können Schritte zum weiteren Ausbau

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5882

des Binnenmarktes bereits bei Widerstand eines Mitgliedslandes verhindert wer-
den.

Der im Verfassungsentwurf noch als eines der Hauptziele der EU formulierte
freie und unverfälschte Wettbewerb, ist nur noch als Protokollnotiz zu finden.
Bereits in der „Berliner Erklärung“ fehlte jedes Bekenntnis zur Marktwirt-
schaft. Die starke Position der Europäischen Kommission im Bereich des Bei-
hilfe- und Wettbewerbsrechts muss aber auch in Zukunft gewährleistet sein.
Die Europäische Union ist mehr als eine Freihandelszone, der gemeinsame
Markt ist aber eines ihrer wesentlichen Erfolgsmerkmale. Die Öffnung der
Grenzen, die Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs und das Aufbrechen von
(staatlichen) Monopolen haben zu mehr Wohlstand für Europas Bürgerinnen
und Bürger geführt. Wer dies vergisst, legt die Axt an die Wurzel der Euro-
päischen Integration.

Die nationalen Parlamente werden nicht so gestärkt, wie im Verfassungsvertrag
vorgesehen. Zwar wurde die Frist für die Subsidiaritätseinrede auf acht Wochen
erhöht, gleichzeitig wurde aber auch das Quorum der Parlamente, die eine Ein-
rede erheben müssen, damit die Kommission einen vorgelegten Vorschlag noch
einmal überarbeitet, von einem Drittel auf über die Hälfte erhöht. Eine wirksame
Subsidiaritätseinrede der nationalen Parlamente ist somit kaum noch möglich.
Gerade Mitgliedstaaten, in denen die nationalen Parlamente keinen so großen
Einfluss auf die eigenen Regierungen in Bezug auf Europa haben wie der Deut-
sche Bundestag, werden dadurch geschwächt.

Das ausgehandelte Mandat ist ein Minus zum ursprünglichen Verfassungsent-
wurf. Der Deutsche Bundestag hätte deutlichere Schritte für eine Vertiefung der
Union gewünscht. Er erkennt aber auch die Schwierigkeit um eine Einigung und
die Notwendigkeit, Kompromisse zu schließen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Zuge der
Regierungskonferenz,

1. zügig auf ein Ergebnis hin zu verhandeln, damit der Reformvertrag spätes-
tens bei der Europawahl im Mai 2009 in Kraft ist;

2. sich eng an das vom Europäischen Rat beschlossene Verhandlungsmandat zu
halten und keinerlei weitere Zugeständnisse zu machen, die einer Vertiefung
der EU zuwiderlaufen;

3. sich dafür einzusetzen, dass die Position der Kommission im Bereich von
Wettbewerbskontrolle und Binnenmarkt unangetastet bleibt;

4. den Bundestag und die zuständigen Ausschüsse fortlaufend ausführlich über
den Stand der Regierungskonferenz und die Willensbildung der Bundesregie-
rung zu allen Einzelfragen zu unterrichten;

5. die Stellungnahmen von Europäischer Zentralbank, Kommission und Euro-
päischem Parlament vollständig dem Bundestag vorzulegen;

6. sich erneut um das Einvernehmen mit dem Bundestag zu bemühen, falls wäh-
rend der Regierungskonferenz vom vorgelegten Mandat abgewichen wird.

Berlin, den 3. Juli 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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