BT-Drucksache 16/5852

Gemeinsames Sorgerecht nicht verheirateter Eltern

Vom 27. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5852
16. Wahlperiode 27. 06. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten der Abgeordneten Ekin Deligöz, Volker Beck (Köln),
Grietje Bettin, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann,
Priska Hinz (Herborn), Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsames Sorgerecht nicht verheirateter Eltern

Eltern, die bei der Geburt ihres Kindes nicht miteinander verheiratet sind, haben
gemäß § 1626a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Möglichkeit, die
elterliche Sorge gemeinsam auszuüben, wenn beide eine Sorgeerklärung abge-
ben oder sie einander heiraten.

Die derzeitige Sorgerechtsgestaltung erfordert die übereinstimmende Sorge-
erklärung beider Elternteile, um sicherzustellen, dass die gemeinsame Sorge
nicht gegen den Willen eines Elternteils eintreten kann. Ohne Einverständnis
der Mutter gibt es also derzeit kein Sorgerecht für den nicht mit ihr verheirateten
Vater.

Im Jahr 2003 erklärte das Bundesverfassungsgericht auf die Klage eines nicht-
verheirateten Vaters, der sich in seinem Elternrecht verletzt sah, in seinem Urteil
vom 29. Januar 2003 diese Regelung im Wesentlichen für verfassungsgemäß
(1 BvL 20/99 – 1 BvR 933/01). Der Gesetzgeber durfte demnach davon aus-
gehen, dass eine gegen den Willen eines Elternteils erzwungene gemeinsame
Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden sei.
Sie würde die Gefahr in sich bergen, dass von vornherein Konflikte auf dem
Rücken des Kindes ausgetragen würden. Das Kindeswohl verlange es, dass das
Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich han-
deln kann. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die
nichteheliche Kinder hineingeboren werden, sei es verfassungsgemäß, das
nichteheliche Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter
zuzuordnen.

Der Gesetzgeber könne, so das Bundesverfassungsgericht, davon ausgehen,
dass in Fällen, in denen die Eltern mit dem Kind zusammenleben und beide ihre
Kooperationsbereitschaft schon durch gemeinsame tatsächliche Sorge für das
Kind zum Ausdruck gebracht haben, die Eltern die nunmehr gesetzlich be-
stehende Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgetragung in der Regel nutzen und
ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen auch rechtlich absichern. Für
Fälle, in denen sich die Mutter dennoch weigere, eine gemeinsame Sorge-

erklärung abzugeben, sei die Einschätzung vertretbar, dies sei Ausdruck eines
Konfliktes zwischen den Eltern, der sich bei einem Streit auch über die gemein-
same Sorge nachteilig auf das Kind auswirke. Der Gesetzgeber habe davon aus-
gehen dürfen, dass eine Mutter gerade bei Zusammenleben mit dem Vater sich
nur dann dessen Wunsch nach gemeinsamer Sorge verweigere, wenn sie dafür
schwerwiegende Gründe habe, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen
werden.

Drucksache 16/5852 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete jedoch den Gesetzgeber ausdrück-
lich, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annah-
men auch vor der Wirklichkeit Bestand haben. Stelle sich heraus, dass dies
regelmäßig nicht der Fall sei, werde er dafür sorgen müssen, dass Vätern nicht-
ehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie zusammenleben,
ein Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet wird, der ihrem Elternrecht aus
Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) unter Berücksichtigung des Kindes-
wohls ausreichend Rechnung trägt.

Über die anders gelagerte Frage fehlender Sorgerechtsmöglichkeiten für Verant-
wortungsgemeinschaften leiblicher und nichtleiblicher Elternteile (z. B. Regen-
bogenfamilien) wird an anderer Stelle nachzudenken sein.

Vor dem Hintergrund der genannten Verpflichtung des Bundesverfassungs-
gerichts fragen wir die Bundesregierung:

1. Wie viele Kinder wurden seit 1998 (bitte aufschlüsseln nach Kalenderjahr
und getrennt nach alten und neuen Bundesländern) geboren, deren Eltern
nicht miteinander verheiratet waren?

Wie viele von diesen Eltern haben nach der Geburt des ersten gemeinsamen
Kindes geheiratet?

2. In wie vielen nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben die Eltern mit ih-
rem gemeinsamen Kind/mit ihren gemeinsamen Kindern in einem Haushalt?

a) Wie haben sich diese nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern
seit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes 1998 quantitativ
entwickelt?

b) Wie viele dieser Eltern haben schon vor Geburt des ersten gemeinsamen
Kindes zusammengelebt (bitte aufschlüsseln nach Kalenderjahr und ge-
trennt nach alten und neuen Bundesländern)?

c) Wie viele dieser Eltern haben jeweils ein halbes Jahr, ein Jahr und mehrere
Jahre nach der Geburt des Kindes einen gemeinsamen Haushalt geführt
(bitte aufschlüsseln nach Kalenderjahr und getrennt nach alten und neuen
Bundesländern)?

3. Wie viele der nicht miteinander verheirateten aber zusammenlebenden Eltern
haben seit 1998 (bitte aufschlüsseln nach Kalenderjahr und getrennt nach
alten und neuen Bundesländern) durch Abgabe einer Sorgeerklärung das
gemeinsame elterliche Sorgerecht erhalten?

4. Wie viele der nicht miteinander verheirateten aber zusammenlebenden Eltern
haben seit 1998 (bitte aufschlüsseln nach Kalenderjahr und getrennt nach alten
und neuen Bundesländern) keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben?

a) Wie viele von diesen haben nach der Geburt des ersten gemeinsamen
Kindes weniger als sechs Monate einen gemeinsamen Haushalt geführt?

b) Wie viele von diesen haben nach der Geburt des ersten gemeinsamen
Kindes länger als sechs Monate einen gemeinsamen Haushalt geführt?

5. Wie viele nicht miteinander verheiratete Eltern, die vor der Geburt des ersten
gemeinsamen Kindes zusammengelebt haben und vor der Geburt des ersten
gemeinsamen Kindes wieder zwei getrennte Wohnsitze angemeldet haben,
haben seit 1998 durch Abgabe einer Sorgeerklärung das gemeinsame elter-
liche Sorgerecht erhalten?

a) Wie viele von diesen haben weniger als sechs Monate einen gemeinsamen
Haushalt geführt?
b) Wie viele von diesen haben länger als sechs Monate einen gemeinsamen
Haushalt geführt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5852

6. Wie viele Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind und auch nie zusam-
mengelebt haben, haben durch Abgabe einer Sorgeerklärung das gemein-
same elterliche Sorgerecht erhalten?

7. Wie hoch ist der Anteil der Fälle, in denen bei Geburt des nichtehelichen
Kindes noch nicht geklärt war, wer der Vater des Kindes ist und wie hat sich
dieser Anteil seit 1997 entwickelt?

Wie hoch ist der Anteil der Fälle, in denen die Vaterschaft erst nach der
Geburt anerkannt wurde (bitte Zahlen aus den Jahren nach 1997 nennen)?

Zu welchem Zeitpunkt erfolgte in der überwiegenden Zahl der Fälle die
Anerkennung der Vaterschaft, soweit sie nicht schon vor der Geburt des
Kindes erfolgt war?

8. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung nach dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts vom 29. Januar 2003 unternommen, um die tatsäch-
liche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob die Annahmen des Bun-
desverfassungsgerichts zur Urteilsbegründung auch vor der Wirklichkeit
Bestand haben?

9. Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, wie die
kommunalen Jugendämter nicht miteinander verheiratete Eltern über die
Möglichkeit der Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung informieren
und diese ggf. hinsichtlich der Sorgerechte und -pflichten beraten?

10. Welche Erkenntnisse und Informationen liegen der Bundesregierung vor,
aus welchen Motiven nicht miteinander verheiratete Elternteile die gemein-
same Sorge ablehnen?

Wann werden die Ergebnisse der Fragebogenaktion des Bundesminis-
teriums der Justiz vom Juli 2006 vorliegen?

11. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, wo Elternteile gegen den
jeweils anderen Elternteil die Einleitung eines Strafverfahrens wegen des
Vorwurfs der Gewaltanwendung oder sexueller Übergriffe in Gang
gebracht haben?

Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, wo Elternteile gegen den
jeweils anderen Elternteil die Einleitung eines Strafverfahrens wegen des
Vorwurfs der Gewaltanwendung oder sexueller Übergriffe gegenüber dem
gemeinsamen Kind beantragt oder in Gang gebracht haben?

12. Sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die Verweigerung der Sorge-
erklärung durch ein Elternteil gesetzlichen Änderungsbedarf und liegen ihr
rechtstatsächliche Erkenntnisse dazu vor, warum Elternteile die Abgabe der
Sorgeerklärung gemäß § 1626a BGB verweigern?

13. Inwiefern rechtfertigt sich nach Auffassung der Bundesregierung die
unterschiedliche rechtliche Situation von Kindern nicht verheirateter und
getrennt lebender Eltern gegenüber der Situation von Kindern geschiedener
Eltern, wenn in beiden Fallgruppen die Eltern vor der Trennung bzw.
Scheidung länger als ein halbes Jahr mit dem gemeinsamen Kind/den
gemeinsamen Kindern zusammengelebt haben, die nicht verheirateten
Eltern jedoch keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben?

14. Wie bewertet die Bundesregierung in rechtlicher und rechtstatsächlicher
Hinsicht die Auffassung dass die Regelung des § 1626a BGB in unzuläs-
siger Weise auf Unverzichtbarkeit des Mutterwillens verweise, nicht aber
auf den Vorrang des Kindeswohls (Fink, Sandra, Das Jugendamt – Zeit-
schrift für Jugendhilfe und Familienrecht, Heft 11/2005)?

Drucksache 16/5852 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
15. Wie regeln die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Zuordnung des
Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern, und können ggf. Er-
fahrungen aus anderen Ländern für die Diskussion in der Bundesrepublik
Deutschland fruchtbar gemacht werden?

Berlin, den 27. Juni 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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