BT-Drucksache 16/585

Opferentschädigung bei Terrorakten im Ausland sicherstellen

Vom 8. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/585
16. Wahlperiode 08. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Mechthild Dyckmans,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael
Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhard
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Opferentschädigung bei Terrorakten im Ausland sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Terroranschläge u. a. auf Djerba, auf Bali, in Madrid und London haben ge-
zeigt, dass die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wichtiger ist denn
je. Die Gefahr eines Anschlags ist allgegenwärtig. Bei allen Überlegungen im
Kampf gegen den Terrorismus dürfen auf keinen Fall die Opfer dieser An-
schläge vergessen werden. Die Gefahr, dass deutsche Staatsbürger Opfer eines
Terroranschlags im Ausland werden, ist nach wie vor groß. Die auf Djerba durch
den Anschlag getöteten und verletzten deutschen Touristen sind die Opfer eines
Anschlags, der sich auch gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet hat.
Es muss daher die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland sein, diesen Opfern
entsprechende Hilfe und Unterstützung zur Seite zu stellen.

Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) sieht
einen Anspruch auf Leistungen bisher nur in solchen Fällen vor, in denen die
Gewalttat, durch die das Opfer geschädigt wurde, im Inland geschieht, nicht je-
doch bei Schädigungsfällen im Ausland. Es macht aber für das Opfer tatsächlich
keinen Unterschied, ob es sich im Schwarzwald, in Dresden oder auf Rhodos

oder in Miami aufhält. Rechtlich macht es sehr wohl einen Unterschied.

Der Rahmenbeschluss des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Op-
fers im Strafverfahren, sieht gemäß Artikel 9 vor, dass die Mitgliedstaaten ge-
währleisten, dass die Opfer einer Straftat ein Recht darauf haben, innerhalb einer
angemessenen Frist eine Entscheidung über die Entschädigung durch den Täter,
also keine Unterstützung durch den Staat, im Verlauf des Strafverfahrens zu

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erwirken, es sei denn, im jeweiligen Staat existiert eine anderweitige Regelung.
Letzteres ist in Deutschland nicht der Fall. Deutschland hat den Rahmenbe-
schluss 2004 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im
Strafverfahren umgesetzt. Damit wurde u. a. eine Verbesserung der Durchset-
zung von Schadensersatzansprüchen der Geschädigten erreicht. Soweit das Op-
fer im Strafprozess einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend macht, kann
das Gericht von einer Entscheidung nur absehen, wenn der Antrag unzulässig ist
oder soweit er unbegründet erscheint. Damit wird das Adhäsionsverfahren für
diese Fälle obligatorisch, sofern es das Opfer wünscht.

Zu weitergehenden Schritten, mit denen auch der Staat gegenüber dem Opfer zur
Zahlung einer Entschädigung verpflichtet wird, verpflichtet der Rahmenbe-
schluss die Mitgliedstaaten jedoch nicht.

Die Anschläge der letzten Jahre offenbaren deutlich den Handlungsbedarf des
Gesetzgebers. Nach dem terroristischen Anschlag auf die Synagoge auf Djerba
hat ein kleiner Junge, der bei der Explosion schwerste Verbrennungen erlitten
hat, den Reiseveranstalter auf Schmerzensgeld verklagt. Das Landgericht Han-
nover hat die Klage abgewiesen. Das Gericht erkannte in seinem Urteil vom
27. Oktober 2004 keine Pflichtverletzung des Reiseveranstalters. Das seit dem
11. September 2001 erhöhte Risiko habe sich verwirklicht, als westlicher Tourist
Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden, so das Gericht.

In Österreich hingegen bestehen die Regelungen des Verbrechensopfergesetzes
(VOG). Danach erhalten österreichische Staatsangehörige Unterstützung bei der
rechtlichen Verfolgung ihrer Ansprüche und daneben unter Umständen eine Ent-
schädigung, unabhängig davon, wo die Straftat erfolgte bzw. die Opfersituation
entstand.

Der Hinweis auf Hilfsfonds (Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten
und für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe) reicht nicht aus. Dabei handelt
es sich nicht um einen Fonds im eigentlichen Sinne, sondern um Haushaltsmit-
tel, die verfallen, wenn sie bis zum Jahresende nicht in Anspruch genommen
werden. Härteleistungen können sowohl an Opfer terroristischer Anschläge in
Deutschland als auch an deutsche Staatsangehörige und an Ausländer mit Auf-
enthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gezahlt werden,
die im Ausland Opfer einer terroristischen Straftat werden. Die Einstellung von
außerplanmäßigen Haushaltsmitteln in einem Fonds ist aber stets von der Initi-
ative des Haushaltsgesetzgebers abhängig. Die Opfer brauchen jedoch vielmehr
einen einklagbaren Rechtsanspruch, der sich klar und eindeutig aus dem Gesetz
ergibt.

Am 30. April 2004 hat der Rat der Europäischen Union die Richtlinie zur Ent-
schädigung der Opfer von Straftaten vom 26. April 2004 angenommen. Mit der
Richtlinie wird ein System der Zusammenarbeit eingeführt, damit Opfer von
Straftaten in grenzüberschreitenden Fällen leichteren Zugang zu einer „gerech-
ten und angemessenen“ Entschädigung erhalten. Dies soll insbesondere für die
Fälle gelten, in denen die Straftat in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohn-
sitz-Mitgliedstaat des Opfers begangen wurde. Dieses System stützt sich auf die
Regelungen der Mitgliedstaaten für die Entschädigung der Opfer von in ihrem
Hoheitsgebiet vorsätzlich begangenen Gewalttaten. Da die Richtlinie keine kon-
kreten und verbindlichen inhaltlichen Vorgaben macht, gilt sie in Deutschland
mit dem OEG bereits als im nationalen Recht verankert. Dem Gesetzgeber ver-
bleibt daher nach wie vor die Aufgabe, das OEG so zu ändern, dass ein Aus-
landsbezug hergestellt wird, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union.

Die geltende gesetzliche Regelung bedarf daher dringend einer Änderung. Das
OEG muss so erweitert werden, dass auch deutsche Staatsangehörige, Bürger
eines anderen EU-Mitgliedstaates sowie Ausländer, die einen gesicherten Auf-

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enthaltstitel haben, eine Entschädigung erhalten, wenn sie Opfer einer Gewalttat
im Ausland werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der Anspruch aus dem Gesetz über
die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten auch auf diejenigen Fälle er-
weitert wird, in denen deutsche Staatsangehörige, Bürger anderer EU-Mit-
gliedstaaten gemäß § 1 Abs. 4 OEG sowie Ausländer mit einem gesicherten
Aufenthaltsstatus in Deutschland Opfer von Gewalttaten im Ausland gewor-
den sind. Der Anspruch sollte dabei grundsätzlich denselben Umfang haben,
wie er bei den bisher geregelten Fällen für inländische Straftaten gilt und so
eine „sekundäre Viktimisierung“, also Fälle, in denen die Versorgung durch
die Kranken- oder Rentenkasse nicht oder nur unzureichend greift, vermei-
den. Dabei ist darauf zu achten, dass Doppelleistungen ausgeschlossen wer-
den, soweit auch Ansprüche gegen einen anderen Staat bestehen;

2. zu prüfen, inwieweit Opfer von Terroranschlägen durch die Bundesregierung
oder deutsche Botschaften besser unterstützt werden können, wenn diese
rechtliche Ansprüche im Ausland verfolgen.

Berlin, den 7. Februar 2006

Jörg van Essen
Dr. Max Stadler
Mechthild Dyckmans
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Michael Link (Heilbronn)
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhard Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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