BT-Drucksache 16/5849

Praktische Probleme im Leistungsteil bei der Reform der Gesetzlichen Unfallversicherung

Vom 27. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5849
16. Wahlperiode 27. 06. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Diana Golze,
Katja Kipping, Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth und der Fraktion DIE LINKE.

Praktische Probleme im Leistungsteil bei der Reform
der Gesetzlichen Unfallversicherung

Die von der Bundesregierung angestrebte Reform der Gesetzlichen Unfallver-
sicherung stößt auf breite Ablehnung. Von den Gewerkschaften über die Arbeit-
geberverbände bis zu Sozialverbänden und den anderen Parteien wird insbeson-
dere die Zielgenauigkeit aber auch die Praktikabilität des neuen Leistungsrechts
in Frage gestellt. Selbst bei den Rechenbeispielen der Bundesregierung sowie
den Äußerungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) sind
Schlechterstellungen aufgeführt und es können viele der Kritikpunkte nicht
ausgeräumt werden. Insgesamt verfehlt das Leistungsrecht das angestrebte Ziel,
gerechter und zielgenauer zu werden, insbesondere wenn die Bundesregierung
gleichzeitig verkündet, es solle keine Leistungskürzungen geben. Die aufgrund
der Eile bereits jetzt schon absehbaren fachlichen Mängel machen deutlich, dass
das Reformergebnis unklar ist und die Auswirkungen kaum abzuschätzen. Auch
da es objektiv keine Reformnotwendigkeit gibt, die Beitragssätze sind seit
Jahren stabil oder sinken sogar, veranschaulicht, dass hier keine Eile geboten ist.
Wenn die Bundesregierung an ihrem Vorhaben festhält, eine Reform der Gesetz-
lichen Unfallversicherung, insbesondere des Leistungsrechts umsetzen zu
wollen, wäre eine eingehende Prüfung sowie eine Garantie, dass keine Gruppe
schlechter gestellt wird, zwingend notwendig. Durch die Einführung unklarer
Rechtsbegriffe im Leistungsrecht riskiert die Bundesregierung nicht nur eine
Widerspruchsflut, sondern macht eine Einschätzung der eigentlich gewollten
Reformschritte nahezu unmöglich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Soll zukünftig der Gesundheitsschadensausgleich als Schmerzensgeld ein-
gestuft werden und ist in den bisherigen Entwürfen sichergestellt, dass
zumindest der Gesundheitsschadensausgleich bei Sozialleistungen anrech-
nungsfrei bleibt?

Falls nein, wird die Bundesregierung dahingehend eine Nachbesserung in
den Referentenentwurf einarbeiten?
2. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass durch die abschließende Auf-
zählung der für die berufliche Rehabilitation möglichen Maßnahmen eine
unnötige Beschränkung der Reha-Möglichkeiten festgeschrieben wird?

3. Sieht die Bundesregierung gewährleistet, dass auch zukünftig ein Studium im
Sinne der beruflichen Reha gewährleistet ist?

Durch welche Vorgaben sieht sie dies gewährleistet?

Drucksache 16/5849 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Anhand welcher objektivierbaren Kriterien soll nach den Plänen der
Bundesregierung das erzielbare Einkommen sowie der Erwerbsschaden als
Ganzes berechnet werden?

5. Wie soll der tatsächliche Erwerbsschaden ermittelt werden, wenn für die
Person in dem für sie maßgeblichen Arbeitsmarkt kein Arbeitsplatz zur Ver-
fügung steht?

6. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Zielvorgabe bei der Orga-
nisationsreform binnen 5 Jahren 20 Prozent Verwaltungsausgaben einzu-
sparen, unter der Vorgabe gleichzeitig ein neues Leistungsrecht neben dem
alten aufzubauen und zu betreiben und dem damit zusammenhängende Ver-
waltungsaufwand bei der Berechnung des tatsächlichen Erwerbsschadens,
realistisch ist?

7. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass nach den bisher bekannt gewor-
denen Modellrechnungen zum Schadensausgleich auch viele Fallkonstella-
tionen denkbar sind, die zu einer Schlechterstellung gegenüber dem bishe-
rigen Recht führen?

8. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass geringfügige Schlechterstel-
lungen bei Personen mit einem geringen Gesundheitsschaden insgesamt für
die Unfallversicherung umfassende finanzielle Entlastungen bewirken, da
diese Fälle den weit überwiegenden Teil aller Geschädigten ausmachen?

9. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass nach bisherigem Recht eine Per-
son mit einem Bruttoeinkommen von 2 000 Euro vor dem Unfall, danach
bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent sowie einem Er-
werbschaden von 10 Prozent ein monatliches Einkommen von 2 200 Euro
hat, während das Einkommen nach den bekannten Änderungsplänen auf
1 800 Euro sinken würde?

10. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass nach geplantem Recht eine Per-
son, die vor dem Unfall 1 344 Euro verdient hat, danach ihren alten Beruf
aber nicht wieder ausüben kann, die jedoch zur Laborassistentin umgeschult
wurde und in 50 km Entfernung eine Stelle angeboten bekommt, die mit
1 236 Euro entlohnt wird, diese Stelle jedoch ausschlägt und stattdessen für
400 Euro als Bäckereiverkäuferin arbeitet und, bei einem Grad der Schä-
digungsfolgen von 30 Prozent, lediglich 50 Euro Gesundheitsschadensaus-
gleich bekommt, schlechter gestellt ist, als nach geltendem Recht?

Stimmt die Bundesregierung zu, dass diese Person auch dann schlechter
gestellt gewesen wäre, wenn sie die angebotene Stelle angenommen hätte?

11. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die Umstellung auf den Grad der
Schädigungsfolgen (GdS), bei welchem ein früherer Grad der Erwerbs-
minderung von 20 Prozent mit dann 30 Prozent eingestuft werden soll, die
Differenzierungsmöglichkeiten bei schwereren Schäden unnötigerweise
einschränkt, da lediglich 7 statt bisher 8 weitere Schädigungsstufen vor-
liegen?

Ist die Bundesregierung der Auffassung, damit eine differenzierte Betrach-
tungsweise hinreichend zu ermöglichen?

12. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Personen mit einem Grad der
Schädigungsfolgen von 30 Prozent und ohne Einkommensverlust nach
zukünftigem Recht tendenziell schlechter gestellt werden als nach gelten-
dem Recht?

13. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Personen mit einem Erwerbs-
schaden von 10 Prozent oder weniger nach zukünftigem Recht tendenziell

schlechter gestellt werden als nach geltendem Recht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5849

14. Ist diese Schlechterstellung bei geringem Einkommensverlust der Grund,
warum das BMAS in seiner Beispielrechnung meist auf Einkommensver-
luste von 30 oder mehr Prozent abstellt?

15. Stimmt die Bundesregierung zu, dass diejenigen mit geringem GdS sowie
geringem Einkommensverlust in Zukunft in aller Regel weniger Einkom-
men haben werden, als dies vor dem Unfall oder nach geltendem Recht der
Fall gewesen wäre?

16. Findet es die Bundesregierung gerechtfertigt, bestehende Mängel in den
Unfallleistungen dadurch auszugleichen, dass insbesondere die Gering-
geschädigten deutlich schlechter gestellt werden, um bei den schwerer
Geschädigten eine vergleichsweise geringe Besserstellung zu finanzieren?

17. Stimmt die Bundesregierung zu, dass sie sich widerspricht, wenn sie einer-
seits sagt, Schwerverletzte werden nach dem neuen Recht regelmäßig bes-
ser gestellt als heute und andererseits sagt, dies wäre nicht der Fall, wenn
die Einkommenseinbußen relativ niedrig sind?

Würde die Bundesregierung zustimmen, dass die Aussage „die Besser-
stellung Schwerverletzter tritt nicht in allen Fällen ein“ den von ihr etwas
umständlicher beschriebenen Sachverhalt deutlicher und prägnanter dar-
stellt?

18. Wie verteilen sich die Fallzahlen bei der Gesetzlichen Unfallversicherung
auf die unterschiedlichen Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit und
wie würden sich diese auf die Grade der Schadensfolge verteilen (nominal
und relativ)?

19. Wie hoch sind die durchschnittlichen Entschädigungen in den einzelnen
Stufen der Minderung der Erwerbsfähigkeit und auf welche Summen belau-
fen sich die Ausgaben in den einzelnen Stufen?

Wie würde sich dies bei den neuen Stufen der Grade der Schädigungsfolgen
verhalten?

20. Wie sollte nach Auffassung der Bundesregierung zukünftig verfahren
werden, wenn bei einer Person Leistungen nach neuem und alten Recht
aufeinandertreffen (insbesondere die Verfahrensweise bei Anträgen auf
Verschlechterung, summierte Leistungen aus zwei Unfällen mit Beispielen
sowie prinzipiell die Frage der finanziellen Schlechterstellung)?

21. Sieht es die Bundesregierung gewährleistet, dass beim Aufeinandertreffen
von altem und neuem Recht zumindest eine Gleichstellung gewährleistet ist
oder würde sie sogar sagen, dass im Ergebnis grundsätzlich eine Besser-
stellung erfolgt?

Berlin, den 27. Juni 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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