BT-Drucksache 16/5780

zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Kai Boris Gehring, Marieluise Beck (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/1554, 16/4818- Jugendliche in Deutschland: Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationengerechtigkeit

Vom 20. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5780
16. Wahlperiode 20. 06. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, Krista Sager,
Grietje Bettin, Priska Hinz (Herborn), Katrin Göring-Eckardt, Ute Koczy und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten
Kai Boris Gehring, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 16/1554, 16/4818 –

Jugendliche in Deutschland:
Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationengerechtigkeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung muss die Teilhabechancen junger Menschen durch kon-
krete Initiativen und Maßnahmen umgehend stärken. Jugendliche dürfen in
keinem Politikfeld zur „vergessenen Generation“ werden. Es ist Aufgabe von
Politik und Gesellschaft, alle Jugendlichen optimal zu fördern und ihnen damit
soziale, kulturelle, politische und ökonomische Teilhabechancen zu eröffnen.
Dies gelingt besonders durch Bildung, Partizipation und gesellschaftliche
Anerkennung. Inklusion und Integration müssen Maßstäbe einer modernen und
präventiven Jugendpolitik sein, die keinen Jugendlichen zurücklässt.

Es ist keinesfalls hinnehmbar, dass gerade Jugendliche aus armen und sozial
schwierigen Lebensverhältnissen zunehmend ins Abseits geraten. Jugendpolitik
muss daher vor allem sozialer Exklusion entgegenwirken. Gerade chancenlose
Jugendliche brauchen jetzt neue Perspektiven und einen Politikwechsel für mehr
Teilhabe. Dazu müssen die Potentiale aller Jugendlichen und ihre Möglichkeiten
zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stärker gefördert werden. Es
muss darum gehen, Jugendliche stark zu machen und ihre Persönlichkeitsent-
wicklung zu fördern, damit sie mit zunehmend komplexen und sich wandelnden
Herausforderungen selbstbewusst umgehen können. Alle Mädchen und Jungen

brauchen bestmögliche Perspektiven, daher dürfen weder das Geschlecht noch
ein Migrationshintergrund bestimmender Faktor für Start- und Aufstiegs-
chancen sein. Jugendliche leben aufgrund des demografischen Wandels künftig
in einer Gesellschaft mit einem völlig anderen Generationenverhältnis. Dabei
werden Jugendliche zunehmend zur gesellschaftlichen Minderheit. Daher ist es
dringend notwendig, ihnen überall mehr Mitsprache und Beteiligung zu ermög-
lichen.

Drucksache 16/5780 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Jugendliche in
Deutschland“ zeigt deutlich: Die Regierung setzt sich nur unzureichend für die
Lebenschancen und Perspektiven junger Menschen ein. Sie ignoriert weitge-
hend die akuten Probleme der Jugendlichen und die Interessen der nachfolgen-
den Generationen. Die Bundesregierung reagiert viel zu wenig auf neue drän-
gende Herausforderungen, insbesondere durch die demografische Entwicklung,
die Einwanderungsgesellschaft und den Klimawandel.

Die in der Beantwortung genannten konkreten Projekte sind überwiegend von
der Vorgängerregierung initiiert worden. Neue jugendpolitische Impulse sind
dagegen kaum zu erkennen. Generationengerechtigkeit steht nicht länger im
Mittelpunkt der Jugendpolitik der Bundesregierung. Eine zukunftsfähige, eigen-
ständige, ganzheitliche und an den Lebensrealitäten orientierte Jugendpolitik für
die Belange junger Menschen ist kaum erkennbar. Die Verminderung von
Exklusionsrisiken und der Ausbau von Teilhabechancen gerade benachteiligter
Jugendlicher werden eklatant vernachlässigt. Jugendpolitik braucht im Regie-
rungshandeln einen zentralen Stellenwert als Querschnitts- und Zukunftsauf-
gabe.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in folgenden zentralen jugendpolitischen Handlungsfeldern bis zum Herbst
2007 einen „Aktionsplan für mehr Teilhabe“ vorzulegen, der vor allem die Ziele
und Maßnahmen umfasst,

1. die Förderung von benachteiligten Jugendlichen zu stärken, ihre soziale, kul-
turelle und ökonomische Teilhabe zu verbessern und Jugendarmut wirksam
zu bekämpfen. Dazu müssen vor allem qualitativ hochwertige Bildungs- und
Jugendeinrichtungen bereitgestellt werden. Zudem braucht es Verbesserun-
gen im Sozialrecht, um dem Bedarf junger Menschen gerecht zu werden. Die
von der Bundesregierung im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vor-
genommenen Verschlechterungen sind rückgängig zu machen: Sanktionen
für Jugendliche und junge Erwachsene müssen flexibilisiert werden. ALG-II-
Beziehende unter 25 Jahren müssen anstelle eines Rückzugs ins Elternhaus
wieder die Möglichkeit auf eine eigene Wohnung haben;

2. die Teilhabe junger Menschen durch schulische, berufliche und universitäre
Bildung umfassend zu fördern. Leitprinzip muss dabei die individuelle
Förderung jedes und jeder Einzelnen sein. Der Bund und die Länder müssen
jeweils in ihrem eigenen Verantwortungsbereich aber auch gemeinsam für
eine Verbesserung der beruflichen Bildung eintreten, das Nachholen von
Schulabschlüssen ermöglichen, eine ausreichende Bildungs- und Studien-
finanzierung garantieren sowie die Schaffung zusätzlicher Studienplätze vo-
ranbringen und damit der gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht werden;

3. Jugendlichen den Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt durch Refor-
men zu erleichtern. Das bestehende Ausbildungssystem muss von einem
Engpass in ein breit angelegtes System von Zugängen in qualifizierte
Erwerbsarbeit verwandelt werden. Hierzu sind dringend zusätzliche Ausbil-
dungsplätze, eine bessere Anerkennung von Maßnahmen der Berufsvorberei-
tung, eine Systemumstellung in Richtung Modularisierung, regionale oder
branchenspezifische Umlagesysteme sowie die Einrichtung von Produk-
tionsschulen erforderlich. Alle Jugendlichen brauchen eine echte berufliche
Perspektive. Für Jugendliche im Bereich des SGB II müssen Ausbildung und
nachhaltige Qualifizierung Vorrang vor Ein-Euro-Jobs haben. Die struk-
turelle Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im
Ausbildungssystem muss endlich beseitigt werden. Die Ausbildungsför-
derung für Jugendliche muss von Bundesseite auch finanziell so ausgestattet

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5780

werden, dass sie dem herausragenden Interesse der Gesellschaft an gut qua-
lifiziertem Nachwuchs entspricht;

4. die Förderung der Partizipation junger Menschen auf der bundespolitischen
Ebene voranzutreiben. Dazu müssen die Angebote für zivilgesellschaftliches
Engagement wie insbesondere die Freiwilligendienste massiv ausgebaut
werden. Eine neue Beteiligungskultur für Jugendliche erfordert stärkere
Mitwirkungsmöglichkeiten sowie die Absenkung des aktiven Wahlalters auf
16 Jahre. Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen endlich gleiche
Rechte und verbesserte Einbürgerungsmöglichkeiten zuteil werden, um ihre
Integrations- und Teilhabechancen zu verbessern;

5. das bewährte und vorbildliche Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG/SGB
VIII) als Leistungsgesetz zur Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und
ihren Familien auch nach der Föderalismusreform I langfristig zu erhalten.
Wesentliche Standards und Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe müssen
auch künftig sichergestellt werden, um die Lebenslagen von Kindern und
Jugendlichen zu verbessern;

6. Generationengerechtigkeit, wie in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
umfassend definiert, als zentrales politisches Leitbild umzusetzen, den Dia-
log der Generationen besonders für Jugendliche verstärkt zu fördern und
damit auch ihr Wissen über den demografischen Wandel und seine Folgen zu
verbessern und so ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen.

Berlin, den 20. Juni 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Bislang kannten wir nur das Bild der wenigen Alten und vielen Jungen. Die-
sen Gesellschaftsaufbau wird es in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr ge-
ben, weil unsere Gesellschaft schrumpft und altert. Eine neue Generations-
schichtung wird entstehen: Bereits 2010 werden erstmals weniger Menschen
unter 20 Jahre als Menschen über 65 Jahre in Deutschland leben. Jugendliche
werden in Zukunft immer stärker zur gesellschaftlichen Minderheit: Im Jahr
2050 wird der Anteil der älteren Menschen fast doppelt so hoch sein wie der
der jüngeren. Gemessen an dieser demografischen Herausforderung sind die
Konzepte der Bundesregierung völlig unzureichend, um die Teilhabechancen
junger Menschen zu sichern. Die demografische Entwicklung wird Auswir-
kungen auf das Zusammenleben der Generationen haben. Der Zusammenhalt
der Generationen ist heute stark ausgeprägt. Es gilt ihn zu erhalten und im
Prozess der demografischen Alterung zu vertiefen. Der demografische Wan-
del muss als Herausforderung realistisch angenommen und gestaltet werden.
Prozesse der Schrumpfung haben spürbare Auswirkungen auf ländliche
Räume, urbane Zentren und die dortige Infrastruktur für Jugendliche. Dafür
präsentiert die Bundesregierung keine angemessenen oder zukunftsweisen-
den Konzepte. So vernachlässigt sie eklatant die Ziele der nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie, die neben dem Schuldenabbau unter anderem den spar-
samen und effizienten Ressourcenverbrauch, den Klimaschutz, den Ausbau
der erneuerbaren Energien und vor allem die Verbesserung von Bildung und
Qualifikation umfasst.
2. Die heutigen Lebenschancen junger Menschen unterscheiden sich in viel-
fältiger Weise von der Ausgangslage früherer Jugendgenerationen. Einerseits

Drucksache 16/5780 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

bietet die heutige pluralistische Gesellschaft vielfältige Möglichkeiten zur
Entfaltung, andererseits wird die individuelle Entwicklung vieler junger
Menschen durch eine Verknappung der Zugänge zu Bildung und Ausbildung
behindert. Die Lebenslagen junger Menschen sind vielschichtig und erfor-
dern differenzierte politische Konzepte. Es gibt nicht eine Jugend, sondern
stetig sich wandelnde Jugendkulturen. Die Jugendphase ist ein eigenstän-
diger Lebensabschnitt, den junge Menschen in eigener Verantwortung gestal-
ten sollen. Es ist eindeutig festzustellen, dass Jugendliche heute wichtige Ent-
scheidungen und Weichenstellungen für den weiteren Lebensweg häufig
unter schwierigen Bedingungen treffen müssen. Die gesellschaftlichen Brü-
che haben die Jugendphase längst erreicht. Die Verunsicherung der „pragma-
tischen Generation unter Druck“ nimmt zu. Unbeschwertheit nimmt ab,
gefühlte und echte Perspektivlosigkeit nehmen zu. Internationale Studien
attestieren Deutschland nach den schlechten Ergebnissen im Bildungs-
vergleich nun auch ein Mittelmaß bei verlässlichen Lebensumwelten für die
junge Generation.

3. Es ist eine zentrale Aufgabe der Politik, die Entscheidungskompetenzen
junger Menschen zu stärken und ihre Zugangsmöglichkeiten zu verbessern.
Neben der Familie müssen Bildungseinrichtungen, Jugendhilfe und ein
solidarisches Miteinander ihre Entwicklung zu eigenständigen und sozialen
Persönlichkeiten unterstützen. Bildung bestimmt dabei in vielfältiger Weise
die Teilhabechancen junger Menschen auf ihrem weiteren Lebensweg. Auch
wenn Bildungsabschlüsse nicht mehr automatisch eine dauerhafte soziale
Absicherung oder stetige Erwerbsbiographie bedeuten, so begünstigen sie
doch entscheidend die Lebenschancen in der Wissensgesellschaft. Ein
zentrales Anliegen der Jugendpolitik muss es deshalb sein, den Zugang jedes
und jeder Jugendlichen zu bestmöglicher Bildung zu gewährleisten. Im
Bereich der beruflichen Bildung wird deutlich, dass die Bundesregierung
nicht in der Lage ist, Strukturreformen einzuleiten, die zur notwendigen
Anzahl an zusätzlichen Ausbildungsplätzen und einem zukunftsfähigen
System beruflicher Ausbildung beitragen. Dazu sind die verbesserte
Anerkennung berufsvorbereitender Maßnahmen, stärkere Modularisierungs-
möglichkeiten und der Ausbau von Produktionsschulen erforderlich. Darüber
hinaus müssen Ausbildungskosten zwischen ausbildenden und nicht aus-
bildenden Betrieben besser verteilt werden. Die Tarifparteien sollen hierzu in
regionalen oder branchenspezifischen Umlagesystemen eine zielgenaue und
bürokratiearme Umlage einrichten.

4. Jugendpolitik muss die Armutsrisiken Jugendlicher reduzieren, Armut ent-
tabuisieren und thematisieren. Unsere Gesellschaft darf nicht hinnehmen,
dass eine wachsende Gruppe Jugendlicher exkludiert wird. Für sie kommen
die hehren Worte von frühkindlicher Bildung zu spät. Kinder und Jugend-
liche sind in Deutschland die am stärksten von Armut und Sozialhilfebezug
betroffene Altersgruppe. In ihrer Selbstbestimmung und Teilhabe sind arme
Jugendliche massiv eingeschränkt. Durch die von Rot-Grün eingeführte
Armutsberichterstattung verfügt die Bundesregierung zwar ebenso wie beim
Gesundheits-Survey über vielfältige Daten. Sie zieht daraus jedoch – wie in
der Antwort erneut deutlich wird – keine ausreichenden Konsequenzen. Bil-
dungsarmut und materielle Armut fallen oft zusammen und vererben sich
häufig von Generation zu Generation. Soziale Benachteiligungen gehen im
Jugendalter zudem oftmals einher mit gesundheitlichen Ungleichheiten, ge-
sundheitsriskanterem Verhalten, psychischen Problemen und nachteiligen
Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. Soziale Exklusion wird zuneh-
mend zum Problem: Eine kleine Gruppe Jugendlicher ist sogar von sozialer
Vernachlässigung und Verwahrlosung betroffen. Jugendarmut lässt sich nicht

ausschließlich durch Transferleistungen wirkungsvoll bekämpfen. Ein
besonders wichtiger Baustein einer Politik gegen Armut ist daher der Ausbau

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5780

der Bildungsinfrastruktur. Ganztagsschulen und vielfältige Formen individu-
eller Förderung können helfen, soziale Barrieren abzusenken. Es ist Aufgabe
der Politik in Bund und Ländern, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Auch hier ist die Antwort der Bundesregierung unzureichend, da lediglich
auslaufende Vorhaben der Vorgängerregierung wie etwa das Ganztagsschul-
programm benannt werden.

5. Die Stärkung der individuellen Lösungskompetenz und Eigenverantwortung
der Jugendlichen muss grundsätzliches Ziel der Jugendpolitik sein. Teilhabe
ist dabei auch eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit, die in allen Berei-
chen konsequent mitgedacht werden muss. Stereotype und geschlechtsspezi-
fische Benachteiligungen müssen überwunden werden, um allen jungen
Frauen und Männern die gleichen Teilhabechancen zu ermöglichen. Jugend-
politik muss sich zudem den Herausforderungen der Einwanderungsgesell-
schaft stellen. Jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat bereits einen Migra-
tionshintergrund – mit steigender Tendenz. Angesichts des demografischen
Wandels ist es zudem absehbar, dass Deutschland auf mehr Einwanderung
angewiesen sein wird. Es ist daher zentrale Aufgabe von Jugend- und Migra-
tionspolitik, jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft gleiche Chancen
auf soziale, kulturelle und ökonomische Teilhabe zu eröffnen. Jugendver-
bände, besonders im Bereich des Sports, leisten hier wichtige Integrations-
arbeit. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind als gleichberechtigter Teil
der Gesellschaft anzuerkennen und ihre Potentiale wertzuschätzen. Es ist
Aufgabe unserer Gesellschaft, ihnen Integration zu ermöglichen und ab-
zuverlangen. Benachteiligungen in Schule und Ausbildung, wie sie im von
der Bundesregierung vorgelegten Datenmaterial erneut deutlich werden,
müssen durch Strukturreformen und gezielte Programme abgebaut werden.
Die Rechtsstellung vieler junger Migrantinnen und Migranten wird von der
Bundesregierung dagegen weiter verschlechtert: Dies geschieht u. a. mit der
geplanten Verschärfung des Aufenthalts- und Flüchtlingsrechts sowie der
mangelnden Umsetzung von EU-Richtlinien, von der auch und gerade
Jugendliche betroffen sein werden. Die teilweise ungleiche Rechtsstellung
von Migrantinnen und Migranten wird in der Antwort der Bundesregierung
vollständig ignoriert.

6. Junge Menschen müssen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Ge-
schlecht als Bürgerinnen und Bürger ernst genommen und beteiligt werden.
Durch die Förderung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf
allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen wollen wir junge Menschen
zur Wahrnehmung ihrer Interessen befähigen und sie zu demokratischem
Engagement ermutigen. Wir wollen die individuellen Chancen der Jugend-
lichen auf ein selbstbestimmtes Leben erhöhen und sie für die Wissensgesell-
schaft fit machen. Eine der wichtigsten Kompetenzen hierfür ist die Nutzung
der eigenen demokratischen und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten.
Das Erleben von eigenen Gestaltungsmöglichkeiten ist eine wichtige Voraus-
setzung für soziales Handeln und legt den Grundstein für zivilgesellschaft-
liches Engagement. Mitbestimmung und -gestaltung ist zudem das entschei-
dende Präventivmittel gegen Politikverdrossenheit. Partizipation beginnt im
direkten Lebensumfeld. Sie kann die Lebensqualität für alle Generationen
verbessern und schafft Identifikation. Auch auf Bundesebene müssen
Jugendliche systematisch an Diskussionen und Entscheidungen über ihre
Zukunft beteiligt werden.

7. Die Änderung des § 84 des Grundgesetzes im Zuge der Föderalismusreform I
hat dazu geführt, dass jedes Bundesland nach Gutdünken und Kassenlage
eigene Strukturen und Verfahren in der Jugendhilfe festlegen kann. Allseits
anerkannte und bewährte Institutionen wie das Jugendamt oder der Jugend-

hilfeausschuss können auf Landes- und kommunaler Ebene abgeschafft
werden. Als erstes Bundesland hat dies Niedersachsen so beschlossen. Zwar

Drucksache 16/5780 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

bleiben auch weiterhin zentrale Teile der Gesetzgebungskompetenz des
Bundes durch das Kinder- und Jugendgesetz (KJHG) erhalten. Die Bereiche
der Behördeneinrichtung und der Verfahrensbestimmung sind jedoch dazu
geeignet, bundeseinheitliche Regelungen langfristig auszuhöhlen oder sie zu
konterkarieren. Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe muss die Möglich-
keit bundeseinheitlicher Verfahren gesichert bleiben, da ein gemeinsamer
Rahmen von Standards und Strukturen eine Voraussetzung für die Verbesse-
rung der Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen darstellt. Daher darf das
KJHG als bewährtes und vorbildliches Instrument zur Unterstützung und Hil-
festellung für Kinder, Jugendliche und ihre Familien nicht unterhöhlt werden,
sondern muss weiterhin gesichert sein.

8. Junge Menschen und künftige Generationen sind von den Folgelasten unge-
löster Probleme besonders betroffen: Umweltzerstörung und Klimawandel,
Ressourcenverschwendung, weiterhin steigende Staatsverschuldung und die
Krise der sozialen Sicherungssysteme schmälern und begrenzen ihre
Zukunftschancen. Diese Hypotheken verengen den politischen Gestaltungs-
und Handlungsspielraum der heutigen und aller zukünftigen Jugendgenera-
tionen. Deshalb gehören die Belange und Perspektiven junger Menschen in
den Mittelpunkt einer solidarischen Modernisierung unserer Gesellschaft.

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