BT-Drucksache 16/5698

Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels

Vom 14. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5698
16. Wahlperiode 14. 06. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel,
Cornelia Hirsch, Inge Höger, Jan Korte, Katrin Kunert, Ulla Lötzer, Dorothee
Menzner, Kersten Naumann, Dr. Norman Paech, Elke Reinke, Paul Schäfer (Köln),
Frank Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels

Zum G8-Gipfel hat die Bundeswehr einen der größten Inlandseinsätze der jün-
geren Vergangenheit geführt. Die Zusicherung der Bundesregierung in ihrer
Antwort auf die Kleine Anfrage „Einsatz der Bundeswehr beim G8-Gipfel in
Heiligendamm“ vom 26. April 2007 (Bundestagsdrucksache 16/5148), Soldaten
würden nicht „in erster Reihe im Straßenbild“ erscheinen, hat sich nach zahlrei-
chen Augenzeugen- und Medienberichten nicht bestätigt.

In der Nähe von Rostock wurden entlang der Autobahn mindestens zehn gepan-
zerte Fahrzeuge der Bundeswehr gesehen, bei denen es sich zumindest teilweise
um Spähpanzer Fennek gehandelt hat. Hubschrauber des Heeres und der Luft-
waffe waren für den Transport von Gipfelteilnehmern, Journalisten und verletz-
ten Polizisten im Einsatz. Auf die Frage, ob die Bundeswehr auch Polizisten be-
fördere, antwortete ein Sprecher des Verteidigungsministeriums: „Natürlich
können wir im Wege der Amtshilfe Einsatzkräfte von A nach B bringen.“ (junge
Welt, 8. Juni 2007).

Nach den vorliegenden Berichten geht die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit
der Polizei wesentlich weiter als bei früheren Einsätzen. Das Grundgesetz ver-
langt jedoch, Aufgaben und Zuständigkeiten des Militärs und der Polizei strikt
voneinander zu trennen. Diese Trennung wird untergraben, wenn die Bundes-
wehr als verlängerter Arm der Polizei fungiert und teilweise selbst polizeiliche
Aufgaben übernimmt, wie es bei der Verkehrsbeobachtung mit Panzerwagen
und Polizistentransporten der Fall war. Über „Amtshilfe“ geht das weit hinaus.
Auch die anderen Vorgaben in Artikel 35 können hier nicht greifen, da sie der
Bundeswehr in keinem Fall das Recht geben, spezifisch militärische Mittel ein-
zusetzen, wie das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Urteil zum Luftsicher-
heitsgesetz vom 15. Februar 2006 festgestellt hat (1 BvR 357/05).

Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass „auch im Fall des überre-
gionalen Katastrophennotstands ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militä-
rischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist“, dann gilt dies erst recht

für Unterstützungsleistungen, bei denen noch nicht einmal ein Katastrophen-
notstand vorliegt, sondern lediglich der Besuch ausländischer Staatsgäste.

Die Polizei verfügt nicht über gepanzerte Spähfahrzeuge und kann diese daher
auch nicht per „Amtshilfe“ anfordern. Das Gleiche gilt für den Einsatz von
Tornados der Luftwaffe. Zudem erfüllten die Demonstrationen rund um Hei-
ligendamm nicht die Voraussetzungen dafür, dass die Bundeswehr überhaupt
Amtshilfe leisten darf.

Drucksache 16/5698 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Polizei verfügt nicht über zur Aufklärung befähigte Kampfflugzeuge und
kann sie deshalb auch nicht einfach von der Bundeswehr anfordern. Jede andere
Lesart der Verfassung würde die Trennung zwischen Polizei und Militär prak-
tisch aufheben und käme damit zwar verschiedentlich formulierten Forderungen
von Regierungsangehörigen entgegen, nicht aber den Verfassungsgeboten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Bundeswehrsoldaten und wie viele Zivilangestellte der Bundes-
wehr waren anlässlich des G8-Gipfels insgesamt im Einsatz?

Wie viele davon waren Feldjäger?

2. Trifft es zu, dass nicht, wie von der Bundesregierung auf Bundestagsdruck-
sache 16/5148 mitgeteilt, 1 100 Soldaten, sondern 2 100 Soldaten eingesetzt
wurden, darunter 1 000 allein mit Sicherungsaufgaben in- und außerhalb
militärischer Liegenschaften (junge Welt, 14. Juni 2007), und wenn ja,
warum hat die Bundesregierung falsche Angaben gemacht?

3. Wie viele Fahrzeuge, Hubschrauber, Flugzeuge und weiteres Gerät wurde
von der Bundeswehr insgesamt eingesetzt (bitte nach Typen und Verwen-
dungszwecken differenzieren)?

a) Wie viele gepanzerte Transportfahrzeuge sind eingesetzt worden (bitte
detailliert auflisten)?

b) Wie viele gepanzerte Spähfahrzeuge sind eingesetzt worden (bitte detail-
liert auflisten unter Angabe der Einsatzorte)?

c) Welche weiteren gepanzerten Fahrzeuge sind eingesetzt worden (bitte de-
tailliert auflisten unter Angabe der Einsatzorte und Verwendungszwecke)?

4. Welche Kosten sind durch den Bundeswehreinsatz entstanden, und wer
kommt für diese auf (bitte detailliert darstellen)?

5. Was war die Rechtsgrundlage für den Einsatz der Bundeswehr?

6. Sofern es sich dabei um die Erfüllung von Anfragen von Landes- oder kom-
munalen Behörden (Amtshilfe) handelte:

a) Von wem waren die entsprechenden Anfragen ausgegangen (bitte detail-
liert auflisten)?

b) Wer hat die Anfragen jeweils geprüft?

c) Ist dabei geprüft worden, ob die angefragten Unterstützungsleistungen
sachlich geboten waren und ob Kapazitäten ziviler Behörden oder privater
Dienstleister zur Verfügung standen, um dem Prinzip der Subsidiarität zu
entsprechen und zugleich zu vermeiden, dass die Bundeswehr gleichsam
als Billiglohnfirma in Anspruch genommen wird?

d) Ist dabei geprüft worden, ob die angefragten Leistungen rechtlich zulässig
waren, insbesondere unter dem Aspekt, dass die Bundeswehr kein militär-
typisches Gerät einsetzt?

e) Welche angefragten Unterstützungsleistungen sind von der Bundeswehr
negativ beschieden worden (bitte jeweils detailliert auflisten)?

7. Mit welchen Tätigkeiten waren die Soldaten und Zivilangestellten betraut
(bitte detailliert auflisten nach Einsatztagen, Verwendungszweck, Einsatzort
und Anzahl der jeweils eingesetzten Soldatinnen und Soldaten)?

8. Wie viele Feldjäger waren in der Umgebung des Krankenhauses Bad Dobe-
ran und innerhalb des Krankenhauses eingesetzt (bitte nach Einsatztagen auf-

gliedern), und welche Gefahrenprognose lag diesem Einsatz zu Grunde?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5698

9. Galt die Umgebung des Krankenhauses als militärischer Sicherheitsbe-
reich, und wenn ja, wie wurde dies begründet?

Wie war der Sicherheitsbereich gekennzeichnet?

10. In welchen Bereichen des Krankenhauses wurde der Bundeswehr das Haus-
recht übertragen?

a) War dieser Bereich entsprechend ausgewiesen, und wenn ja, wie, und
inwiefern wurden Patientinnen und Patienten darüber aufgeklärt, dass
sie sich unversehens de facto in einem Militärkrankenhaus mit mili-
tärischer Bewachung befanden?

b) Wurden den Patientinnen und Patienten angeboten, sich in ein Kranken-
haus unter ziviler Regie verlegen zu lassen?

11. Welche Kompetenzen hatten die eingesetzten Feldjäger und weiteren
Soldaten?

a) Warum wurden – Berichten von Augenzeuginnen zufolge – Besucher-
innen und Besucher des Krankenhauses von Soldaten nach dem Grund
ihres Besuches gefragt, und auf welcher Rechtsgrundlage handelten die
Soldaten?

b) Warum und auf welcher Rechtsgrundlage haben Angehörige der Bun-
deswehr – Augenzeugen zufolge ebenfalls Feldjäger – Besucherinnen
und Besucher des Krankenhauses fotografiert?

Wem wurden diese Fotos vorgelegt, und was ist weiter mit ihnen gesche-
hen?

c) Auf welcher Rechtsgrundlage haben Soldaten Besucher von Patientin
bis in die Zimmer hinein auch gegen den Protest der Besucher begleitet?

12. An welchen anderen Orten waren Feldjäger eingesetzt bzw. welche Stre-
cken wurden von ihnen patrouilliert (bitte nach einzelnen Tagen und Anzahl
der Feldjäger aufgliedern)?

13. Wie viele Feldjäger in Zivil wurden eingesetzt?

Hat die Bundeswehr, ähnlich wie die Polizei, zivile Angehörige in
Versammlungen der Globalisierungskritiker eingeschleust, und wenn ja, in
welche, auf welcher Rechtsgrundlage, mit welchen Aufgaben und mit
welchen Erkenntnissen?

14. Haben Feldjäger Personen festgenommen bzw. bis zur Übergabe an die
Polizei festgehalten, und wenn ja, wie viele, wann und warum?

15. Wie viele Polizeikräfte wurden mit Bundeswehrfahrzeugen transportiert
(bitte nach Tagen, Start- und Zielorten sowie Anzahl und Einheit der jewei-
ligen Polizeikräfte aufgliedern)?

16. Wie viele Polizeikräfte wurden mit Hubschraubern der Bundeswehrwehr
transportiert (bitte nach Tagen, Start- und Zielorten sowie Anzahl und
Einheit der jeweiligen Polizeikräfte aufgliedern)?

17. Trifft es zu, dass sowohl verletzte Polizeibeamte als auch verletzte Demons-
trantinnen und Demonstranten mit Bundeswehrhubschraubern transportiert
worden sind (bitte ggf. detailliert aufgliedern)?

18. Welche Aufgabenstellung hatten die eingesetzten Spähpanzer?

a) Wurden die von den Spähpanzern gewonnenen Erkenntnisse ungefiltert
der Polizei überlassen?

Welche Wege der Informationsweitergabe wurden beschritten?

Drucksache 16/5698 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Welchem Zweck diente die Gewinnung und Übermittlung der Infor-
mationen an die Polizei?

c) Welche Auswirkungen hatten die von den Spähpanzern gewonnenen
Erkenntnisse auf die Gestaltung der polizeilichen Einsatztaktik?

Hat sich die Bundeswehr darum bemüht, entsprechende Erkenntnisse zu
gewinnen?

19. Wann hat die Bundeswehr die Unterstützungsanfragen bezüglich eines
Tornado-Aufklärungsfluges, der noch im Mai stattfand, erhalten, und wa-
rum hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage vom
26. April 2007 (Bundestagsdrucksache 16/5148) nichts davon erwähnt,
dass solche Flüge geplant waren?

a) Wie viele weitere Flüge der Luftwaffe wurden wann, wo und zu wel-
chem Zweck unternommen (in Zusammenhang mit dem Gipfel, ggf.
auch in den Wochen zuvor)?

b) Wie hoch ist die normalerweise zugelassene Flughöhe für Militärflug-
zeuge im Bereich der Ortschaft Reddelich, und warum, wann und auf
wessen Veranlassung wurde diese auf 150 Meter abgesenkt?

c) Wurden die von den Tornados gewonnenen Erkenntnisse ungefiltert der
Polizei überlassen, und welchem Zweck diente die Gewinnung und
Übermittlung der Informationen an die Polizei?

d) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Tornados Bilder vom
Camp und seinen Bewohnern geschossen und an die Polizei weitergege-
ben haben (ggf. erläutern)?

e) Welche Auswirkungen hatten die von der Luftwaffe gewonnenen Er-
kenntnisse auf die Gestaltung der polizeilichen Einsatztaktik?

Hat sich die Bundeswehr darum bemüht, entsprechende Erkenntnisse zu
gewinnen?

20. Teilt die Bundesregierung die vom Sprecher im Bundesministerium der
Verteidigung vorgenommene Begründung der Tornado-Flüge über Protest-
versammlungen, „dass wir diese Fähigkeiten üben müssen, wie man in
Afghanistan sieht“?

21. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass es nicht Auf-
gabe der Bundeswehr sein soll und aus rechtlichen Gründen auch nicht sein
darf, genehmigte Demonstrationen sowie Protestcamps auszuspähen (bitte
begründen)?

22. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, ein Spähpanzer des
Typs Fennek sei ein typisches Militärgerät, und zwar aufgrund seiner cha-
rakteristischen Eigenschaften (Panzerung usw.) auch dann noch, wenn das
Maschinengewehr abmontiert ist, und wenn nein, warum nicht, und über
welche mit dem Fennek vergleichbaren Panzer verfügen die Polizeikräfte
der Länder?

23. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, ein Tornado-Flug-
zeug sei ein typisches Militärgerät, und zwar auch dann, wenn es nicht zum
Beschuss feindlicher Ziele eingesetzt wird, und wenn nein, warum nicht,
und über welche mit dem Tornado vergleichbaren Flugzeuge verfügen die
Polizeikräfte der Länder?

24. Teilt die Bundesregierung die Ansicht eines Mitarbeiters des Presse- und
Informationsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, wonach die
Bundeswehr „natürlich“ Polizeibeamte „von A nach B“ bringen könne

(junge Welt vom 8. Juni 2007), auch wenn es sich dabei um den Transport

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5698

zu einem unmittelbar bevorstehenden oder gerade laufenden Polizeieinsatz
handelt?

25. Welche (ggf.: weiteren) nicht polizei-, sondern militärtypischen Fahrzeuge,
Mittel und Geräte wurden von der Bundeswehr bereitgestellt (bitte detail-
liert nach Anfragestellen, Verwendungszweck, Einsatzort und -dauer auf-
gliedern)?

26. Welche Überlegungen haben dazu geführt, dass der Einsatz von Sanitätsein-
heiten im Krankenhaus Bad Doberan erforderlich sein könnte?

Haben sich diese Überlegungen bestätigt (ggf. darlegen)?

27. Hat die Bundeswehr der Polizei signalisiert, zur Verfügung zu stehen, falls
nach Polizeieinsätzen ein so genannter Massenanfall von Verletzten zu
behandeln ist?

28. Welche Formen der Kooperation gab es zwischen der Wasserschutzpolizei
und der Deutschen Marine bei der Durchsetzung der maritimen Sperrzone
um Heiligendamm sowie bei der Kontrolle der angrenzenden Seegebiete?

a) Wurden Informationen ausgetauscht, stand Bundeswehrgerät zur Amts-
hilfe bereit und wurde dieses eingesetzt, wenn ja, wofür (bitte detailliert
auflisten)?

b) Gab es Absprachen oder Kooperationen mit Marinekräften anderer Staa-
ten, wenn ja, in welcher Form und mit wem?

29. Was genau war die Rolle der Bundeswehr in den verschiedenen gemein-
samen Lage-, Planungs-, Analyse- und weiteren Stäben?

a) Inwiefern wurde die Bundeswehr über polizeiliche Maßnahmen infor-
miert, und wie hat sie darauf reagiert (bitte ausführlich darstellen)?

b) Inwiefern hat die Bundeswehr Initiativen unternommen, um polizeiliche
Maßnahmen anzuregen (bitte ausführlich darlegen)?

30. Welche Bedeutung kommt der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen
Trennung von Polizei und Militär nach Auffassung der Bundesregierung
noch zu, wenn die Bundeswehr sich quasi als Organ der Polizei verhält und
sich mittels ihrer Technik und Logistik (Spähpanzer, Tornados, Transport-
kapazitäten usw.) direkt an der polizeilichen Einsatzgestaltung beteiligt und
auf diese Einfluss nimmt?

Berlin, den 15. Juni 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.