BT-Drucksache 16/5616

Keine Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Unfallversicherung

Vom 13. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5616
16. Wahlperiode 13. 06. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina
Bunge, Diana Golze, Katja Kipping, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Ilja Seifert,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Unfallversicherung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) ist der älteste Zweig des deutschen
Sozialversicherungssystems. Die Aufgabe der GUV ist die Absicherung gegen
Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Wesentlichen durch drei Handlungs-
felder: Prävention, Rehabilitation und Entschädigung durch Geldleistungen.

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Vorlage einer
Reform der gesetzlichen Unfallversicherung verständigt, die „das System auf
Dauer zukunftssicher“ machen soll. Die Bundesregierung setzt sich dabei die
folgenden Ziele: Straffung der Organisation, Schaffung leistungsfähiger Unfall-
versicherungsträger sowie ein zielgenaues Leistungsrecht. Mittlerweile hat die
Bundesregierung ihre Vorstellungen in ersten Arbeitsentwürfen präzisiert.

Die Absicht, die gesetzliche Unfallversicherung auf Dauer zukunftssicher zu
machen, ist zu begrüßen. Zu kritisieren sind aber die vorgesehenen Eingriffe in
bewährte Organisationsprinzipien der GUV ebenso wie die Absicht der Bun-
desregierung, durch die Schaffung eines Bundesverbandes in der Form einer
öffentlichen Körperschaft in die Kompetenzen der Träger der Selbstverwaltung
einzugreifen. Hinsichtlich der angekündigten Leistungsrechtsreform ist es aus-
drücklich zu begrüßen, dass Forderungen der Bundesvereinigung der Arbeit-
geberverbände (BDA) nach einer Auslagerung der Wegeunfälle aus dem Leis-
tungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aufgenommen worden
sind. Gleichzeitig beinhaltet aber der vorgelegte Arbeitsentwurf zur Reform der
GUV eine grundlegende Reform des Leistungsrechts, deren Implikationen in
der von der Bundesregierung vorgesehenen Frist nicht ausreichend beraten und
bewertet werden können. Es droht insofern ein verantwortungsloser Schnell-
schuss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Reform des Organisationsrechts von der des Leistungsrechts vollständig
abzukoppeln. Angesichts der Komplexität der Sachverhalte für die Beratung
des Arbeitsentwurfs zum Leistungsrecht ist eine angemessene Zeitspanne
einzuplanen sowie intensive Beratungen mit den Akteuren und Trägern der
gesetzlichen Unfallversicherung vorzusehen. Es muss der Grundsatz gelten:
Qualität und Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit;

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2. bei der Reform des Organisationsrechts darauf zu verzichten, eine feste Zahl
an Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Zielgröße festzuschreiben,
da dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Selbstverwaltung der Be-
rufsgenossenschaften darstellt;

3. den neuen Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
(DGUV) als autonomen Dachverband der Träger der gesetzlichen Unfallver-
sicherung zu akzeptieren, der als selbstverwaltete Organisation und Vertreter
seiner Mitglieder nicht nur Service, Dienstleistungen und Koordinierungs-
arbeit für diese erbringen, sondern auch als politische Vertretung die Interes-
sen der Unfallversicherung vertreten soll. Mit einer solchen Aufgabenbe-
schreibung ist die von der Bundesregierung vorgesehene Form einer Körper-
schaft des öffentlichen Rechts nicht zu vereinbaren;

4. bei der Reform des Leistungsrechts nicht hinter das bestehende Niveau der
Absicherung zurückzufallen. Verbesserungen im Leistungsrecht für Einzelne
dürfen nicht zu Lasten anderer Leistungsberechtigter führen;

5. an dem bestehenden System der abstrakten Schadensbemessung festzuhal-
ten, um neue gravierende Ungerechtigkeiten durch die Einführung zweier un-
abhängiger Entschädigungsleistungen zu vermeiden;

6. substanzielle Verbesserungen bei der Anerkennungspraxis von Berufskrank-
heiten in die Reform zu integrieren.

Berlin, den 12. Juni 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die bisher bekannt gewordenen Entwürfe zur Reform der gesetzlichen Unfall-
versicherung beinhalten sehr umfangreiche Reformmaßnahmen, deren Trag-
weite bei dem von der Bundesregierung vorgegebenen Zeitplan kaum abzu-
schätzen ist. Ohne ordentliche inhaltliche und politische Debatte über die Re-
form droht hier ein fehlerbehafteter Schnellschuss, wie es bei anderen Reformen
der Bundesregierung und insbesondere der zur Rente mit 67 der Fall war. Die
grundsätzliche Notwendigkeit zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung
wird insbesondere von den Arbeitgeberverbänden und ihnen nahestehenden
Stiftungen und Forschungsinstituten gefordert. In all diesen Reformvorschlägen
ist die Absenkung der Ausgaben durch Änderungen im Leistungs- und Orga-
nisationsrecht das primäre Ziel. Dies wird in weiten Teilen auch von der Bund-
Länder-Kommission aufgegriffen. Es ist offensichtlich, dass Einsparungen beim
Leistungsrecht nur mit Leistungskürzungen einhergehen können. Denn durch
ein zielgenaueres Leistungsrecht könnten zwar Ungerechtigkeiten zwischen ein-
zelnen Versicherten abgebaut, aber keinesfalls Kosten gespart werden.

Die Organisationsreform versucht im Wesentlichen durch die starke Reduktion
der Anzahl an Berufsgenossenschaften Einsparungen von bis zu 20 Prozent zu
erreichen. Davon abgesehen, dass diese Größenordnung zweifelhaft ist, ist die
Festlegung, eine einstellige Zahl an Berufsgenossenschaften wäre zielführend,
nicht überzeugend. Eine Prüfung von Zusammenlegungsmöglichkeiten ist zu
begrüßen. Dabei darf das Ziel der Anreize zur Prävention durch eine sinnvolle
Widerspieglung des branchenspezifischen Unfallrisikos durch die Berufsgenos-
senschaften nicht gefährdet werden. Außerdem lässt die Bund-Länder-Kommis-

sion ähnlich engagierte Ziele zur Reduktion im Bereich der öffentlichen Unfall-

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kassen vermissen. Dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist
eklatant.

Ziel der Reform sollte es sein, den Veränderungen in der Arbeitswelt Rechnung
durch Stärkung des Präventionsgedankens zu tragen, ohne hierbei den Zweck
der gesetzlichen Unfallversicherung, eine Entschädigung bei Unfällen und
Berufskrankheiten zu leisten, zu unterminieren. Hierzu ist jedoch eine offene
Diskussion vonnöten, die von der Bundesregierung bisher verweigert wird. Der
zu enge Zeitrahmen sowie die Kopplung von Leistungs- und Organisations-
reform erschweren eine wirkliche Reform mit nachhaltigen Verbesserungen,
gerade auch für die Versicherten.

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