BT-Drucksache 16/5608

Den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Birma/Myanmar stärken

Vom 13. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5608
16. Wahlperiode 13. 06. 2007

Antrag
der Abgeordneten Harald Leibrecht, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Horst Meierhofer,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia
Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Birma/Myanmar stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die blutige Niederschlagung friedlicher Proteste in Birma/Myanmar im
Jahre 1988 bildete den Ausgangspunkt für die Herrschaft des bis heute an
der Macht befindlichen Militärregimes und markiert zugleich den Beginn
des demokratischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Verfalls von
Birma/Myanmar.

Fast alle wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Indikatoren zeugen
heute vom Niedergang des Landes, der im Gegensatz steht zu einer einmali-
gen kulturellen Tradition, zu einer ehemals festen wirtschaftlichen Stabilität
als Kornkammer Südostasiens und zu hoffnungsvollen Ansätzen im Bereich
des Bildungs- und Hochschulwesens.

Seit der Etablierung der Militärdiktatur im Jahre 1988 weist Birma/Myanmar
eine Inflationsrate von jährlich 30 bis 40 Prozent auf, bei gleichzeitigem
Wirtschaftswachstum von lediglich 2 bis 4 Prozent. Entsprechend ist das Pro-
Kopf-Einkommen in den letzten Jahren weiter gesunken, während die Armut
im Lande weiter zunimmt. Eine negative Außenhandelsbilanz bei einem auf
über 50 Prozent des Gesamthaushalts angewachsenen Anteil an Ausgaben für
das Militär belastet die wenigen verbliebenen sozialen Sicherungssysteme
des Landes.

Die Menschenrechtslage in Birma/Myanmar ist desaströs. Die Rekrutierung
von Zwangsarbeitern durch militärisch kontrollierte Unternehmen, meist aus
den Reihen ethnischer Minderheiten und oppositioneller Gruppen, sind an
der Tagesordnung. Laut Amnesty International befinden sich derzeit rund
1 100 politisch verfolgte Personen in Haft, darunter auch eine Reihe von

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Parlamentsabgeordneten. Unter unmenschlichen Haftbedingungen sind Fol-
ter und Todesfälle weit verbreitet. Militärisch geht das Regime gegen Auf-
ständische vor, wobei hierbei immer wieder vom Einsatz von Kindersoldaten
auf beiden Seiten berichtet wird. Öffentliche Sicherheit kann nur durch die
permanente Androhung und Anwendung von Gewalt sichergestellt werden.
Internationale Hilfsorganisationen werden in ihrer Arbeit regelmäßig behin-
dert und eingeschüchtert.

Das Militärregime zeigt sich weit davon entfernt, einen Prozess rechtsstaat-
licher und demokratischer Reformen ernsthaft einzuleiten. Die Verhandlun-
gen über eine neue Verfassung scheinen – obwohl sie ohne Beteiligung
oppositioneller Gruppen stattfinden – zu scheitern. Im Bertelsmann Trans-
formations Index wird Birma/Myanmar auf Platz 113 von 119 Staaten
geführt. In der „Rangliste der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen be-
legt Birma/Myanmar einen unrühmlichen 164. Platz von 168 Staaten.

Hoffnungen, der Beitritt Birma/Myanmars zur ASEAN könnte eine Ent-
wicklung aus der Isolation des Landes einleiten und als Signal für eine neue
Reformbereitschaft gewertet werden, haben sich leider nicht erfüllt. Auch
ASEANMitglieder haben sich in der Vergangenheit kritisch über die Lage in
Birma/Myanmar geäußert und sehen die Gefahr, dass dies dem Ansehen der
ASEAN insgesamt schaden könnte. Dieser Effekt verstärkt sich seit 2003,
weil politische Hardliner in Birma/Myanmar ihren Einfluss im Lande ver-
stärken konnten.

Symbolfigur der demokratischen Opposition ist die Trägerin des Friedens-
nobelpreises des Jahres 1991, die ehemalige Parteivorsitzende der National
League for Democracy (NLD) Aung San Suu Kyi. Ihr unablässiges Eintre-
ten für eine friedliche Demokratisierung Birma/Myanmars bezahlt sie seit
Jahren fast ohne Unterbrechung mit dem Preis der persönlichen Freiheitsbe-
raubung durch das Militärregime, die ihren Hausarrest jüngst wieder verlän-
gert hat. Der Deutsche Bundestag erklärt seinen großen Respekt, seine Wert-
schätzung und seine Solidarität mit Aung San Suu Kyi.

Von der desaströsen innenpolitischen Situation versucht das Militärregime
durch eine zunehmend aggressive Haltung gegenüber dem Nachbarland
Thailand abzulenken. Die Situation von Flüchtlingen und Wanderarbeitern
wird mit fremdenfeindlicher Propaganda instrumentalisiert. Die gleichzei-
tige militärische Aufrüstung des Regimes, das inzwischen 400 000 Soldaten
unter Waffen zählt und durch Waffenlieferungen aus China und Indien un-
terstützt wird, ist in diesem Zusammenhang besonders besorgniserregend.
Es besteht die Gefahr, dass sich Birma/Myanmar zu einem Faktor der Desta-
bilisierung in der Region entwickelt.

2. Die heutige Europäische Union reagierte erstmals 1996 mit Sanktionen auf
die Entwicklung in Birma/Myanmar. Diese wurden durch den Gemeinsamen
Standpunkt der Europäischen Union im Jahre 2003 abgelöst und zuletzt im
April 2007 wieder um ein Jahr verlängert.

Dieser Gemeinsame Standpunkt beinhaltet neben einem Waffenembargo
insbesondere persönliche Sanktionen in Form von Einreisesperren für hoch-
rangige Regimemitglieder und ihre Angehörigen sowie die Aussetzung von
bilateralen offiziellen Besuchen auf hoher Ebene und eine Aussetzung der
Entwicklungshilfe jenseits dringend benötigter humanitärer Maßnahmen.
Gleichzeitig hat die Europäische Union immer betont, einen konstruktiven
Dialog und eine entsprechende Unterstützung bei der Entwicklung des Lan-
des auf der Basis entsprechender Fortschritte im Bereich der Menschen-
rechte sowie der demokratischen und rechtsstaatlichen Reformen wieder
aufnehmen zu wollen.

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Der Gemeinsame Standpunkt ist seit seiner 1. Aufsetzung regelmäßig ver-
längert worden. Zuletzt hat die EU ihre restriktiven Maßnahmen gegenüber
Birma/Myanmar am 25. April 2007 verlängert, da das Land keine „greifba-
ren Fortschritte in Bezug auf den angekündigten Übergang zu einer recht-
mäßigen Zivilregierung“ gemacht habe.

Der Ansatz der Europäischen Union, der aus einer Mischung aus gezielten
Sanktionen und gleichzeitiger Bereitschaft zum Dialog bzw. zur Unterstüt-
zung bei der Entwicklung des Landes besteht, wird grundsätzlich vom Deut-
schen Bundestag unterstützt. Die ausbleibenden und in der Kürze der Zeit
auch nicht zu erwartenden Erfolge dieser Strategie und die Tatsache, dass
Birma/Myanmar seit einigen Jahren auf die Unterstützung Indiens, Chinas,
Singapurs, Malaysias und neuerdings auch Russlands setzen kann, machen
jedoch eine kritische Evaluation der Ergebnisse des Gemeinsamen Stand-
punktes und gegebenenfalls dessen Anpassung erforderlich.

Das Kernproblem besteht darin, dass auf der einen Seite Sanktionen der Eu-
ropäischen Union und der USA auf unterschiedlichem Niveau stattfinden, es
auf der anderen Seite dem Militärregime gelungen ist, seine Nachbarn unge-
achtet der innenpolitischen Lage für die natürlichen Bodenschätze des Lan-
des, insbesondere Gas-, Holz- und Edelsteinvorkommen, zu interessieren.
Damit laufen wichtige Teile des europäischen Systems aus Sanktionen und
Anreizen ins Leere.

Auf Bundestagsdrucksache 16/5036 hält die Bundesregierung fest, dass die
„Sanktionen […] Wirkung [zeigen], insoweit sie die Unzufriedenheit der EU
mit der Regierung von Myanmar verdeutlichen“. Hierzu zählt die Bundes-
regierung insbesondere Reisebeschränkungen gegen führende Personen des
Militärregimes und deren Angehörige. Trotz des Wissens um die somit rein
symbolische Wirkung des Gemeinsamen Standpunktes hat die Bundesregie-
rung auf dessen intensive Überprüfung und eine mögliche Anpassung ver-
zichtet. Selbst wenn man zu dem Schluss käme, dass eine weitere Verschär-
fung der Haltung der Europäischen Union nicht die gewünschten Effekte
erzielen kann, sind eine intensivere Befassung mit der Problematik seitens
der Bundesregierung und der Europäischen Union und eine Anpassung der
Strategie angezeigt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihrer Solidarität gegenüber der erneut unter Hausarrest gestellten Friedens-
nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi Ausdruck zu verleihen und die Regie-
rung Birma/Myanmars zu ihrer Freilassung aufzufordern;

2. bis zur nächsten Verabschiedung eines Gemeinsamen Standpunktes der
Europäischen Union zu Birma/Myanmar auf eine kritische Evaluation der
Ergebnisse der bisherigen Haltung zu drängen und in dem Zusammenhang in
Betracht zu ziehen,

– weitere Personen des Militärregimes, Wirtschaftsvertreter sowie deren
Familienangehörige mit Reisebeschränkungen zu belegen,

– neben privatwirtschaftlich organisierten Betrieben, die der Regierung
nahestehen, auch regierungseigene Betriebe auf die Liste derjenigen
Unternehmen zu setzen, die keine Kredite aus der Europäischen Union er-
halten,

– staatliche und private Guthaben von Regierungsvertretern und ihnen nahe-
stehenden Personen einzufrieren;

3. gegenüber der Regierung von Birma/Myanmar deutlich zu machen, dass die
Achtung der Menschenwürde unabdingbare Voraussetzung für die Zustim-

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mung der Bundesregierung zu einer Lockerung des Gemeinsamen Stand-
punktes der Europäischen Union ist, die Bundesregierung bei erkennbaren
Fortschritten im Bereich der Menschenrechte hierzu dennoch bereit ist;

4. gegenüber der Regierung von Birma/Myanmar deutlich zu machen, dass sie
bereit ist, Birma/Myanmar auf dem Weg rechtsstaatlicher und demokra-
tischer Reformen zu unterstützen und zu unterstreichen, dass sich diesbezüg-
liche Verbesserungen auch unmittelbar positiv auf die Zusammenarbeit aus-
wirken können;

5. gegenüber den Partnern der ASEAN-Staaten zu verdeutlichen, dass sie mit
der Einbindung Birma/Myanmars in die ASEAN-Gemeinschaft die Hoff-
nung verbindet, dass die ASEAN-Staaten positiv im Sinne eines Prozesses
der demokratischen und rechtsstaatlichen Reformen in Birma/Myanmar ein-
wirken;

6. gegenüber den Partnern in Asien darauf zu drängen, das Militärregime in
Birma/Myanmar – bei allen berechtigten Wirtschaftsinteressen – nicht durch
weitere Militärhilfen zu unterstützen, sondern stattdessen auf einen Prozess
der Aussöhnung und Verständigung zwischen der Regierung und den bewaff-
neten Gruppen zu drängen;

7. im Rahmen der Vereinten Nationen darauf hinzuweisen, dass die gemein-
same Verantwortung aller Mitgliedstaaten für eine nach innen wie nach
außen friedliche Entwicklung der Staaten dieser Welt auch Birma/Myanmar
trotz dessen selbst gewählter Isolation nicht ausschließt;

8. den Deutschen Bundestag vor einer erneuten Verlängerung des Gemeinsamen
Standpunktes der Europäischen Union über ihre Bemühungen zu unterrichten
und mit der dargestellten Problematik insgesamt zu befassen.

Berlin, den 12. Juni 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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