BT-Drucksache 16/552

Leben und Arbeiten mit Kindern möglich machen

Vom 7. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/552
16. Wahlperiode 07. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ekin Deligöz, Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, Kai Boris
Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Krista
Sager, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Leben und Arbeiten mit Kindern möglich machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Trotz steigendem Kinderbetreuungsbedarf vieler Familien in Deutschland beste-
hen bundesweit große Lücken im System der Kindertagesbetreuung. Die we-
nigsten Eltern, die in den Genuss der geplanten Neuregelung der steuerlichen
Abzugsfähigkeit von Betreuungskosten kommen, werden einen angemessenen
Betreuungsplatz finden. Während in den neuen Bundesländern für 35 bis 40 Pro-
zent der unter Dreijährigen ein Betreuungsplatz existiert, ist dies in den alten
Bundesländern nur für 3 bis 4 Prozent der Fall. Oft sind die Öffnungszeiten in
Dauer und Flexibilität nicht ausreichend. In vielen Einrichtungen herrschen
mangels finanzieller Ausstattung keine optimalen Bedingungen. Viele junge El-
tern sind jedoch wegen ihrer doppelten Berufstätigkeit auf eine Betreuung ihrer
Kinder angewiesen. Für sie ist es von großer Bedeutung, ihre Kinder in qualita-
tiv hochwertigen Betreuungseinrichtungen mit ausgewogenem Personalschlüs-
sel, optimalen räumlichen Bedingungen und gut ausgebildetem und motiviertem
Personal aufgehoben zu wissen, wo ihnen spielerisch unabhängig von Ge-
schlecht, Herkunft oder Behinderung die bestmögliche Förderung zuteil kommt.
Unbestritten ist, dass dies immer nur in Ergänzung zu elterlicher erzieherischer
Verantwortung geschieht. Daher profitieren auch Kinder, deren Eltern nicht
beidseitig berufstätig sind, von externen Impulsen, die sie durch den Erwerb so-
zialer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen erhalten. Soziales Verhalten
und das Zusammenleben der Geschlechter und Kulturen, Kommunikation, mu-
sische Fähigkeiten, Bewegung und gesunde Ernährung sowie emotionale Intel-
ligenz gehören zur ganzheitlichen frühkindlichen Bildung dazu. Betreuungsein-
richtungen sind als Lernumgebungen zu verstehen, die zu einer solchen früh-
kindlichen Bildung beitragen und Eltern eine echte Möglichkeit zu einem Leben
mit Kindern nach ihrem eigenen Verständnis bieten. Priorität muss deshalb der
bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuungsangebote auch schon für die unter
Dreijährigen haben. Mittelfristig ist sicherlich auch die Senkung der Elternbei-
träge wichtig, sie darf aber den Aufbau von bedarfsdeckenden, hochwertigen

Betreuungsplätzen nicht gefährden.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– einen Rechtsanspruch auf einen qualifizierten Ganztagsbetreuungsplatz für
Kinder unter drei Jahren zeitnah zu verankern und diesen perspektivisch auf
alle Kinder bis zur Einschulung auszuweiten. Für Schulkinder bis zum voll-

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endeten 12. Lebensjahr sollte ein flächendeckender Aufbau von Ganztags-
schulen angestrebt werden;

– gemeinsam mit den Ländern auf die Anhebung der Ausbildung der Erzie-
herInnen zumindest auf Fachhochschulniveau hinzuwirken;

– in geeigneter Weise dafür Sorge zu tragen, dass flächendeckende Qualitäts-
initiativen für Betreuungseinrichtungen zur besseren Umsetzung von Bil-
dungs- und Erziehungsplänen in Gang gesetzt werden;

– für den quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung ge-
meinsam mit Ländern und Kommunen ein Finanzierungskonzept zu erarbei-
ten. Der Bund muss sich an der Finanzierung der Verwirklichung des Rechts-
anspruchs auf einen Betreuungsplatz beteiligen.

Berlin, den 7. Februar 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) ist es gelungen, die Kommunen
gesetzlich zu verpflichten, bis zum Jahre 2010 allen Kindern unter drei Jahren,
deren Eltern arbeiten oder in der Ausbildung sind, einen Betreuungsplatz bereit-
zustellen. Die erste Auswertung des schrittweisen, am Bedarf orientierten Aus-
baus steht in diesem Frühjahr an. Um Prioritäten in der Familienpolitik zu setzen
und den Ausbau zu beschleunigen, muss der Rechtsanspruch auf einen qualifi-
zierten Ganztagsbetreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren verbindlich und
zeitnah umgesetzt und dieser perspektivisch auf alle Kinder bis zur Einschulung
ausgeweitet werden, um ihnen so ein optimales Förderangebot zu bieten. Für
Schulkinder wird ein flächendeckender Aufbau von Ganztagsschulen ange-
strebt.

Die heutige Erzieherinnen- und Erzieherausbildung ist dem veränderten Anfor-
derungsprofil nicht mehr angemessen. Nach den Erkenntnissen der PISA-Stu-
dien müssen Erzieherinnen und Erzieher eine große Bandbreite an Fähigkeiten
mitbringen. Sie sollen den Spracherwerb von Kindern fördern, ihnen grund-
legende Bildungskompetenzen näher bringen und interkulturelle Fähigkeiten
vermitteln. Soziale Defizite sollen sie erkennen und ausgleichen helfen, die
Integration von Kindern mit Migrationshintergrund bewerkstelligen und Kinder
mit Behinderungen in die Gruppe integrieren. Zu ihren Aufgaben gehört es
darüber hinaus, die Entwicklung der Kinder zu dokumentieren, Öffentlichkeits-
arbeit für ihre Einrichtungen zu leisten und mit den Eltern eine Erziehungspart-
nerschaft einzugehen. Diesen Aufgaben entspricht eine qualifiziertere Ausbil-
dung auf Hochschulniveau, die mit einer angemessenen, dem Wert der Tätigkeit
entsprechenden Bezahlung einhergehen muss.

Um Kindertagesstätten in moderne, kindgerechte Bildungs- und Betreuungs-
einrichtungen umzuwandeln, benötigen Kinder und Erzieherinnen/Erzieher bes-
sere Rahmenbedingungen. Dazu gehören kleinere Betreuungsgruppen, optimale
räumliche Bedingungen, gesunde und kindgerechte Verpflegung und Beteili-
gungsmöglichkeiten für Eltern und Kinder. In den einzelnen Bundesländern
werden derzeit entsprechende Bildungs- und Erziehungsprogramme für den Ele-
mentarbereich entwickelt, die bessere Rahmenbedingungen zum Ziel haben.
Um verbindliche und einheitliche Standards zu gewährleisten, ist hier eine enge

Abstimmung mit und Impulssetzung durch den Bund notwendig. Die Etablie-

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rung eines bedarfsdeckenden, hochwertigen Systems der Kindertagesbetreuung
ist eine Aufgabe von höchster Bedeutung. Die Kommunen können diese ohne
eine finanzielle Beteiligung des Bundes absehbar nicht leisten. Er sollte sich da-
her an der Finanzierung des Ausbaus beteiligen und diese in enger Abstimmung
mit Ländern und Kommunen konzeptionell ausarbeiten.

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