BT-Drucksache 16/5360

Für ein Europäisches Kartellamt

Vom 11. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5360
16. Wahlperiode 11. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,
Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der
Fraktion DIE LINKE.

Für ein Europäisches Kartellamt

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich für die Schaffung
eines Europäischen Kartellamtes einzusetzen. Die Aufgabe des Amtes ist,
Fusionen und Kartelle zu überwachen, zu unterbinden und den Missbrauch von
Marktmacht bei der Preisbildung zu verhindern.

Die Kompetenzen der Generaldirektion Wettbewerb werden auf das Euro-
päische Kartellamt übertragen. Das Europäische Kartellamt muss sowohl eigen-
initiativ als auch auf Initiative der nationalen Parlamente sowie des Euro-
päischen Parlaments tätig werden. Es muss vor allem befähigt werden, sich mit
marktbeherrschenden Unternehmen auseinanderzusetzen. Für eine angemes-
sene personelle und rechtliche Ausstattung ist daher zu sorgen. Eine Ausstattung
auf dem Niveau der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommis-
sion ist nicht ausreichend für eine Bewältigung dieser Aufgabe.

Berlin, den 9. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Unternehmenskonzentration in Europa hat in den letzten Jahren erheblich
zugenommen. Dies unterbindet nicht nur den Preiswettbewerb. Erschwert wird
ebenfalls die Durchsetzung neuer technischer Ideen. Weiterhin entwickeln
Großunternehmen eine Lobby, die im Gegensatz steht zu demokratischen und
politischen Entscheidungsprozessen. All diese Fragen werden nicht angegan-
gen. Selbst bei festgestelltem Missbrauch schrecken die Behörden vor den erfor-
derlichen Maßnahmen zurück und verhängen lediglich verhältnismäßig geringe
Geldstrafen. Die Europäische Kommission hat zwar das Recht, strukturelle

Maßnahmen, beispielsweise Entflechtung von Konzernen, bei Verstößen gegen
die Artikel 81 und 82 des EG-Vertrages anzuordnen, nutzt diese Kompetenzen
aber selbst bei wiederholten Verstößen nicht (wie im Fall Microsoft). Das Bun-
deskartellamt ist aufgrund seiner nationalen Organisation ebenfalls nicht ge-
eignet, den europäischen Wettbewerb zu regulieren. Zudem wird auf beiden
Ebenen vom Instrument der Preiskontrolle zu wenig Gebrauch gemacht.

Drucksache 16/5360 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Die Europäische Kommission hat selbst eingestanden, mit der Beaufsichtigung
des Wettbewerbs in Europa überfordert zu sein. Dieses Eingeständnis war ein
Hauptargument in der Diskussion um den Wechsel vom Anmeldesystem zum
Legalausnahmeprinzip in der Fusionskontrolle sowie in der Diskussion um eine
verstärkte Dezentralisierung bei der Anwendung europäischen Rechts. Auch die
Kommissionsbeamten beklagen sich seit einiger Zeit, sie seien wegen der gro-
ßen Zahl von Kartellfällen überlastet (FAZ, 16. März 2007).

Die wachsende Unternehmenskonzentration erlaubt den Konzernen, zuneh-
mend Marktpreise jenseits der Wettbewerbspreise durchzusetzen. Dies belastet
das Gewerbe und die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher gleicher-
maßen. Eine Preiskontrolle auf europäischer Ebene, die das verhindern könnte,
existiert bisher nicht. Es gibt lediglich die Vereinigung der nationalen Regulierer
(ERGEG), die jedoch über keinerlei Entscheidungsbefugnisse verfügt. Effektive
und handlungsfähige Preiskontrollen sind auf europäischer Ebene unerlässlich,
weil sie dort greifen, wo Wettbewerb nicht existiert, so bei den natürlichen
Monopolen wie den Strom- und Gasnetzen.

Der Energiesektor steht beispielhaft für das Versagen des Wettbewerbs. Die
zahlreichen erfolglosen Versuche der Regulierung des Strommarktes – von der
Europäischen Kommission bis zu den nationalen Kartellämtern – zeigen deut-
lich, dass auf Preiskontrollen nicht verzichtet werden kann. Überdies zeigt sich,
dass die europäische Kommission sich zur Anwendung struktureller Maßnah-
men nicht durchringen kann; auch hier wird lediglich mit Entflechtung gedroht,
obwohl es unbedingt notwendig wäre, diese durchzuführen.

Zu begrüßen ist, dass sich der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos, für eine Verschärfung der Missbrauchsaufsicht im Energiesektor
ausspricht. Wenn er fordert, dass es den Energieversorgern künftig verboten sein
soll, Preise zu berechnen, die ungünstiger als die anderer Versorger sind oder die
in unangemessener Weise nachvollziehbare Kosten überschreiten, dann ist das
ein eindeutiger und richtiger Schritt hin zur Preisaufsicht. Warum sich diese
Maßnahme aber lediglich auf den deutschen Stromsektor erstrecken sollte, er-
schließt sich im Zeitalter der global agierenden Konzerne und der Oligopolisie-
rung vieler anderer Branchen nicht – sie muss vielmehr auf europäischer Ebene
angesiedelt werden, um effektiv zu sein.

Bei einem neuen Kartellamt ist darauf zu achten, dass Wettbewerb nicht zum
Selbstzweck verkommt. Wesentlich für ein neues Europäisches Kartellamt ist
die Maxime, dass Wettbewerb stets immer nur ein Mittel ist und kein Ziel an
sich. Er ist ein Mittel zur Verbesserung der volkswirtschaftlichen Allokation.
Wo Wettbewerb mehr zerstört als erschafft, ist es nicht angezeigt, ihn einzufüh-
ren oder zu verstärken. Andere Instrumente sind alternativ anzuwenden.

Die Generaldirektion Wettbewerb ist unterbesetzt, hat zu wenig Kompetenzen
und nutzt selbst die vorhandenen nur ungenügend. Angesichts der aktuellen EU-
Ratspräsidentschaft Deutschlands ist Handeln nun dringend geboten, um den
Missbrauch marktbeherrschender Stellungen effektiv einzudämmen und die
Konzerne an der Durchsetzung überhöhter Preise zu hindern.

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