BT-Drucksache 16/5290

Schutz der Anlegerinnen und Anleger bei Zertifikaten stärken

Vom 9. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5290
16. Wahlperiode 09. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Bärbel Höhn, Ulrike
Höfken, Markus Kurth, Anna Lührmann, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar
von Neuforn, Wolfgang Wieland, Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz der Anlegerinnen und Anleger bei Zertifikaten stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Markt für Zertifikate wächst rasant. Zum einen nimmt die Produktpalette
stetig zu; Schätzungen zufolge sind es mittlerweile über 80 000 unterschiedliche
Produkte (Handelsblatt vom 12. April 2007). Zum anderen wächst auch das
Marktvolumen beträchtlich. Es lag Ende 2006 bei investierten 110 Mrd. Euro
(Deutsche Bank Research vom 15. Februar 2007). Mehrheitlich fließen Gelder
von Privatanlegerinnen und -anlegern in Zertifikate. Institutionelle Investoren
bilden am Markt die Minderheit.

Zertifikate sind dabei grundsätzlich als neue Anlageklasse zu begrüßen. Sie
erweitern das Spektrum der Anlegerinnen und Anleger bei der privaten Vor-
sorge. Aufgrund ihrer Eigenschaft als strukturiertes Finanzprodukt können Zer-
tifikate maßgeschneiderte Anlagestrategien bieten, die den individuellen Risiko-
Chance-Profilen der Privatanleger passgenau entsprechen. Mit Zertifikaten ist
es sogar auch möglich, bei stagnierenden oder fallenden Kursen Rendite zu
erwirtschaften. Insbesondere Garantiezertifikate, bei denen zumindest eine Teil-
rückzahlung des anfangs investierten Kapitals garantiert wird, erfreuen sich bei
den durch Börsencrashs verunsicherten Kleinanlegern großer Beliebtheit.

Vor dem Hintergrund des wachsenden Marktes und der Tatsache, dass die Inves-
toren überwiegend Privatanleger sind, muss aber eine angemessene Transparenz
und Fairness bei der Emission, dem Vertrieb und dem Handel mit Zertifikaten
gewährleistet werden. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall. Gerade wegen des
wachsenden Bedarfs an privater Vorsorge brauchen Anlegerinnen und Anleger
ein Höchstmaß an Transparenz, um die für sie geeigneten Produkte finden zu
können und nicht unwissentlich auf Rendite zu verzichten. Anders als es die
Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 16/2740) darstellt, ist es
daher dringend notwendig, die Regeln am Zertifikatemarkt zu verbessern.

Der am 1. Januar 2007 vom Derivate Forum e. V. vorgestellte Verhaltenskodex
für Emittenten von Zertifikaten ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die
Selbstregulierung erfasst größtenteils die Schwachstellen des Marktes, bleibt
aber auch in weiten Teilen hinreichend vage und schwer verständlich. Der
Kodex kann deshalb keinen Ersatz für verbindliche Regelungen durch den

Drucksache 16/5290 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gesetzgeber darstellen, um den Zertifikatemarkt langfristig als alternative An-
lagemöglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger zu erschließen.

Die Umsetzung der europäischen Finanzmarktrichtlinie (sog. MiFID) bringt
Transparenzvorschriften mit sich, die auch auf Zertifikate Anwendung finden.
In der MiFID fanden aber bedingt durch die Tatsache, dass der Markt für An-
legerzertifikate ausschließlich in Deutschland derartig stark gewachsen ist, die
speziellen Probleme des Zertifikatemarktes keine Berücksichtigung. Allenfalls
zufällig, so etwa bei der künftigen Offenlegung von Provisionen, erfassen die
Regelungen der MiFID auch die besondere Intransparenz von Zertifikaten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, folgende Punkte
gesetzlich zu regeln:

1. Bei der Emission von Zertifikaten hat der Emittent einen vereinfachten Pro-
spekt zu erstellen. Dieser Prospekt muss rechtlich verbindlich sein. Es sollte
klare Vorgaben zum Aufbau des Prospektes geben, die unabhängig vom An-
bieter einzuhalten sind. Auch die Aussagen in Werbeprospekten sollen ver-
bindlich sein.

2. Das den meisten Zertifikaten innewohnende Problem der Kostenintranspa-
renz muss gegenüber den Anlegerinnen und Anlegern offengelegt werden.
Sowohl in den Verkaufsprospekten und Verkaufsunterlagen als auch in Wer-
beanzeigen müssen potentielle Anleger vor möglicherweise unsichtbaren
Preisaufschlägen, die zu verringerten Renditeaussichten führen, gewarnt
werden.

3. Die Produktvergleichbarkeit für Anlegerinnen und Anleger muss erleich-
tert werden. Deshalb ist die Vorgabe einer Klassifizierung zu empfehlen, in
welche die Anbieterinnen und Anbieter die von ihnen emittierten Zertifikate
einordnen müssen. Diese Klassifizierung ist gemeinsam mit den Emittenten
zu erarbeiten.

4. Um das Bonitätsrisiko von Emittenten für Anlegerinnen und Anleger zu
begrenzen, müssen Mindestanforderungen, beispielsweise hinsichtlich des
haftenden Eigenkapitals oder der Einstufung durch renommierte Rating-
agenturen, definiert werden. Anbietern mit geringer Bonität sollte die Mög-
lichkeit des öffentlichen Angebots von Zertifikaten untersagt werden.

5. Es ist sicherzustellen, dass ein Investment in Zertifikate nicht das Umgehen
von Anlegerschutzmechanismen ermöglicht. Deshalb dürfen bei Basiswer-
ten, deren direkter Vertrieb Einschränkungen zum Schutze der Anlegerinnen
und Anleger unterliegt, diese Einschränkungen über ein abgeleitetes Zertifi-
kat nicht umgangen werden.

6. Der Handel mit Zertifikaten muss transparenter gestaltet werden. Es sollte
ebenso wie bei den Aktien eine umfassende Vor- und Nachhandelstranspa-
renz sowohl an organisierten Märkten, also den Börsen, als auch bei außer-
börslichen Handelsplattformen, wie z. B. Handelsplätzen für Kunden inner-
halb einer Bank, gesetzlich verankert werden.

7. Der Handel mit Zertifikaten muss den Anlegerinnen und Anlegern zu den
vereinbarten Handelszeiten stets möglich sein. Hierzu ist eine kontinuierliche
Quotierungspflicht der Anbieter die Voraussetzung. Eine Entbindung von
dieser Pflicht sollte nur in außergewöhnlichen Situationen wie z. B. bei Bör-
sencrashs möglich sein, wenn ein faires Market Making schlicht nicht durch-
führbar ist. Werden Quotes für Kauf- oder Verkaufsaufträge unter Hinweis
auf technische Komplikationen mit zeitlicher Verzögerung gestellt, sind den
Anlegerinnen und Anlegern dadurch entstandene Schäden zu ersetzen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5290

8. Die Regelungen für die Behandlung von fehlerhaften Handelsgeschäften mit
Zertifikaten, z. B. weil Preise nicht marktgerecht festgestellt wurden, soge-
nannte Mistrade-Regelungen, an Handelsplätzen für Zertifikate sind an inter-
nationale Standards anzupassen. Insbesondere die Einführung einer klaren
Definition eines Mistrades – eines fehlerhaften Handelsgeschäfts – ist un-
abdingbar. Existierende Ermessensspielräume zugunsten der Marktbetreiber
müssen hier konkreten und objektiv nachvollziehbaren Schwellenwerten
weichen.

Berlin, den 9. Mai 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Der europäische wie der deutsche Gesetzgeber gehen in der Kapitalmarktge-
setzgebung vom Leitbild mündiger Anlegerinnen und Anleger aus. Voraus-
setzung für mündige Entscheidungen ist eine geeignete Informationsbasis für
die Bürgerinnen und Bürger. Bislang werden die Anlegerinnen und Anleger
im Bereich der Zertifikate in zwei Varianten informiert, die jeweils unsach-
gemäß sind: Entweder durch stark vereinfachte Werbeprospekte, sogenannte
Termsheets der Emittenten, in denen die wichtigsten Produktmerkmale zu-
sammengefasst sind und welche ausdrücklich nach entsprechenden Angaben
der Emittenten nicht rechtsverbindlich sind. Oder es handelt sich um soge-
nannte Basisprospekte, welche Anlegerinnen und Anleger durch ihren Um-
fang und ihre Komplexität vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit
dem Produkt abschrecken. Es ist daher dringend notwendig, die verbindliche
Bereitstellung eines vereinfachten Verkaufsprospekts einzuführen. Zwar gibt
es einen vereinfachten Verkaufsprospekt bereits beim Vertrieb von Invest-
mentfonds. Allerdings ist auch hier die Verbindlichkeit noch zu sehr einge-
schränkt. In diesem Zusammenhang müssten eventuell auch die Kostenvor-
schriften der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für die
Prüfung von Prospekten sowie die Vorgaben für den vereinfachten Verkaufs-
prospekt geändert werden, wenn diese einen falschen Anreiz darstellen. Bis-
her ist es für viele Anbieterinnen und Anbieter vorteilhaft, sich für einen um-
fassenden Basisprospekt zu entscheiden, weil dies erheblich günstiger ist als
die Erstellung von Einzelprospekten für jedes Produkt. Bei Investmentfonds
ist dies auch bei den vereinfachten Verkaufsprospekten zu beobachten.

2. Eines der grundlegenden Probleme im Zertifikatemarkt ist die monopolis-
tische Preisbildung durch die Emittenten: Die Preise von Zertifikaten ergeben
sich nicht wie bei anderen Finanztiteln, wie z. B. Aktien, durch Angebot und
Nachfrage aller Marktteilnehmer. Vielmehr setzt die jeweilige Emissions-
bank alleine in ihrer Funktion als monopolistischer Market Maker nicht nur
den Ausgabepreis, sondern auch die Sekundärmarktpreise während der Rest-
laufzeit laufend fest. Da die meisten Zertifikate sich bezüglich ihrer Funk-
tionsweise beziehungsweise Ausstattungsmerkmale unterscheiden, ist den
Anlegerinnen und Anlegern ein Preisvergleich zwischen verschiedenen An-
bietern normalerweise nicht möglich. Dies wird von den Zertifikateanbietern
in der Regel dazu genutzt, in die Preise ihrer Produkte für den Normalanleger
unsichtbare, oft gravierende Preisaufschläge einzubauen, welche während
der Restlaufzeit reduziert werden. Dieses Problem besteht auch beim Handel
über die Wertpapierbörsen. Die originäre Funktion einer Börse, allen Markt-
teilnehmern einen fairen Preis zu gewährleisten, wird durch die Besonderhei-

Drucksache 16/5290 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ten beim Zertifikatehandel (monopolistisches Market Making, keine Leer-
verkaufsmöglichkeiten) außer Kraft gesetzt. Die Fairness des Preises hängt
alleine von der Fairness des Anbieters ab. Daher müssen die Anlegerinnen
und Anleger über diese grundsätzliche Gefährdung beim Zertifikateinvest-
ment ausdrücklich informiert werden.

3. Ein weiteres Mittel zur Annäherung an faire Preisbildung ist bei Finanzpro-
dukten normalerweise der Wettbewerb der Emittenten am Markt. Dieser wird
im Bereich der Zertifikate allerdings dadurch eingeschränkt, dass Anlegerin-
nen und Anleger nur begrenzte Möglichkeiten haben, verschiedene Zertifi-
kate mit ähnlichem Bezugspunkt in preislicher Hinsicht zu vergleichen. Der
Grad der Komplexität bestimmt die Vergleichbarkeit und damit die Intensität
des Wettbewerbs. Manche Produkte sind so ausdifferenziert, dass sie nur von
einzelnen Emittenten angeboten werden. Eine eindeutige Klassifizierung
wäre hier ein erster Schritt in Richtung Produkttransparenz und würde gege-
benenfalls auch das Namenswirrwarr etwas lichten. Diese gesetzliche Vor-
gabe eines Klassifizierungsschemas wird auch nicht durch den vom Deut-
schen Derivate Institut e. V. entwickelten Value-at-Risk-Indikator obsolet.
Denn dieser ist nur ein möglicher Indikator, der ausschließlich die Wahr-
scheinlichkeit eines genau definierten Verlustes in einem genau abgegrenzten
Zeitraum darstellt und in dieser Hinsicht Zertifikate vergleichbar macht.
Chancen und Risiken von Produkten – auch von Zertifikaten – sowie die An-
gemessenheit eines Preises, also ein fairer Preis, lassen sich auf sehr unter-
schiedlichen Wegen ermitteln.

4. Das Bonitätsrisiko von Emittenten wird teilweise verharmlost. Es sind grund-
sätzlich wenige namhafte Emittenten am Markt, bei denen Liquiditäts-
engpässe oder gar Insolvenzrisiken relativ gering sind. Gegenwärtig sprechen
jedoch mehrere Entwicklungen dafür, dass Mindeststandards z. B. bezüglich
des haftenden Eigenkapitals zum Schutze der Anlegerinnen und Anleger
unabdinglich sind. Denn zum einen werben die Anbieter zunehmend für
Zertifikatesparpläne, welche entsprechend auf Zeiträume von fünf bis zehn
Jahren und länger ausgelegt sind. Bei einer solch langen Laufzeit spielen
Aspekte der Bonität eine viel wesentlichere Rolle als bei kurzen Engage-
ments. Zum Zweiten veranlasst der anhaltende Boom des Zertifikatemarktes
auch kleinere Anbieter, aktiv zu werden. Anbieter aus dem Bereich von ge-
schlossenen Fonds, deren Markt erschöpft scheint, drängen neuerdings auf
den Zertifikatemarkt. Diese Anbieter weisen keine relevante Haftungsmasse
auf. Zum Dritten gliedern große Anbieter das Geschäft teilweise auf Tochter-
unternehmen aus, die nur mit dem Mindestkapital ausgestattet sind. Diesen
Entwicklungen auf Anbieterseite muss der Gesetzgeber durch Mindestanfor-
derungen an die Kapitalausstattung beziehungsweise die Bonität der Emis-
sionsgesellschaften oder deren Garantiegeber begegnen. Immerhin droht An-
legerinnen und Anlegern bei Insolvenz der Emittenten grundsätzlich anders
als bei Investmentfonds der Totalverlust ihres angelegten Geldes.

5. Einen genannten Vorteil von Zertifikaten stellt die Möglichkeit dar, an pro-
fessionellen Strategien der Emittenten zu partizipieren und von den Trends
an anderen Märkten zu profitieren, zu denen einzelne Privatanlegerinnen
und -anleger sonst keinen Zugang hätten. Jedoch beteiligen sich Privatanle-
ger damit nicht nur an den Chancen, sondern auch an den Risiken dieser
Märkte und Strategien. Gesetzliche Regelungen für bestimmte Finanz-
anlagen, die korrespondierend auch von Zertifikaten abgebildet werden
können, müssen dann auch für diese gelten. Beispielhaft können hier Single-
Hedgefonds genannt werden. Der Gesetzgeber hat bei diesen Einschränkun-
gen für Privatanleger festgelegt. So dürfen Single-Hedgefonds nicht öffent-
lich an Privatanleger vertrieben werden. Folglich muss diese Beschränkung
dann aber auch für Zertifikate, die eine Eins-zu-Eins-Abbildung von Single-
Hedgefonds darstellen, gesetzlich verankert werden. Ebenso müssen ent-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5290

sprechende Pflichten für Dach-Hedgefonds auch für Zertifikate gelten, die in
einen Index ausgewählter Hedgefonds investieren. Ansonsten wird ein
effektiver Schutz der Anlegerinnen und Anleger ausgehebelt.

6. Neben dem Aktienhandel muss auch der Handel mit Zertifikaten transparen-
ter werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Anforderungen der kürzlich
umgesetzten Finanzmarktrichtlinie MiFID bezüglich der Vor- und Nachhan-
delstransparenz sich ausschließlich auf Aktien beziehen. Gerade bei der
Nachhandelstransparenz von außerbörslichen Systemen gibt es keinen Grund,
Zertifikate auszuschließen, da diese im Gegensatz zu Aktien zu einem ge-
schätzten Anteil von 70 Prozent außerbörslich gehandelt werden. Aktien hin-
gegen werden meist nur zu einem unbedeutenden Teil über außerbörsliche
Systeme abgewickelt. Deshalb macht die Nachhandelstransparenz für außer-
börsliche Systeme insbesondere nur für Zertifikate Sinn, da nur durch Veröf-
fentlichung der außerbörslichen Geschäfte von Anlegerinnen und Anlegern
die Umsatzsituation bei einem Zertifikat eingeschätzt werden kann.

7. Die technischen Infrastrukturen für den Handel von Zertifikaten sind dem
investierten Volumen und der sich daraus ergebenden steigenden Frequenz
von Handelsaufträgen nicht gewachsen. Insbesondere zu Zeiten turbulenter
Marktentwicklungen hängen Aufträge zum Verkauf von Zertifikaten teils
stundenlang in der Warteschleife. Die ständige Veräußerbarkeit von Zertifi-
katen ist aber notwendig, um den Anlegerinnen und Anlegern eine aus-
reichende Flexibilität zu gewährleisten. Zudem können die finanziellen Ein-
bußen für die Anlegerinnen und Anleger drastisch sein. Die Institute hin-
gegen, die sich nicht in der Lage sehen, die Preise bei zu vielen Anfragen in
Sekundenschnelle zu berechnen, setzen den Handel einfach aus. Ihnen dro-
hen dadurch außer einem Imageverlust keinerlei Konsequenzen. Zwar sehen
Börsensegmente wie die EUWAX in Stuttgart, als größter Handelsplatz für
Zertifikate, eine Quotierungspflicht für Emittenten vor. Diese kann jedoch
durch einen Wechsel in ein anderes Segment, z. B. zum normalen Freiver-
kehr, umgangen werden. Aus diesen Gründen bedarf es einer Quotierungs-
pflicht sowie der Verpflichtung, eine dafür angemessene Infrastruktur bereit-
zustellen und bei Versäumnissen die Schäden der Anlegerinnen und Anleger
zu ersetzen.

8. Die derzeitigen Mistrade-Regelungen der Handelsplätze, also Regelungen für
den Umgang mit fehlerhaften Handelsgeschäften, weisen Spielräume für
willkürliches Verhalten auf. So enthalten beispielsweise die Regeln im Markt-
segment für Zertifikate und Optionsscheine an der Frankfurter Börse mit
Namen Smart Trading keine objektiven Schwellenwerte, ab denen ein Ge-
schäftsabschluss als Mistrade zu qualifizieren ist. Diese Entscheidung obliegt
vielmehr einem Gutachterausschuss, dessen Mitglieder selbst Mitarbeiter der
Zertifikateanbieter sind. Wird ein Geschäftsabschluss als Mistrade definiert,
so darf eine Rückabwicklung erfolgen. Aufgrund des Umstandes, dass nahezu
alle Mistrade-Anträge seitens der Emittenten gestellt und diese ausschließlich
zustimmend beschieden werden, leistet das der Annahme Vorschub, dass je
nach Belieben der Emittenten Stornierungen erfolgen können. Das führt zu
Rechtsunsicherheit bei den Anlegerinnen und Anlegern und kann daher auch
nicht im Interesse der Branche sein. Es bedarf hier dringend einer Anpassung
an internationale Standards. Dass in diesem Punkt Handlungsbedarf besteht,
belegt zudem die Stellungnahme des Bundesrates zum Finanzmarktrichtlinie-
Umsetzungsgesetz (Bundesratsdrucksache 833/06 (Beschluss)), in welcher
eine Gebühr für Mistrade-Anträge gefordert wird. Diese auferlegten Kosten
könnten als Anreiz dafür dienen, die technischen Mängel nachhaltig zu besei-
tigen, welche den hauptsächlichen Grund für die Mistrade-Anträge darstellen.
Allerdings darf dies nicht zu Lasten der Privatanleger gehen, wenn diese
erkennen, dass ein Handelsgeschäft fehlerhaft gelaufen ist und eine Korrektur
verlangen.

Drucksache 16/5290 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Seitens der Verbände der Zertifikateemittenten wird einhellig vor einer Über-
regulierung gewarnt. Deutschland sei momentan Marktführer und Innovations-
motor. Man gefährde diese Stellung, wenn man der Branche die Flexibilität
nehme. Auch heißt es, dass die gegenwärtige Regulierung durch die Kapital-
marktgesetze – insbesondere Wertpapierhandelsgesetz, Wertpapierprospekt-
gesetz und EG-Prospektverordnung – den Anlegerschutz in vollem Maße ge-
währleiste und insoweit ein Gleichlauf zu anderen Finanzprodukten bestehe.
Schließlich bringe auch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz weitere
Transparenzvorschriften für den Bereich der Zertifikate. Die noch verbleiben-
den Lücken würden durch Selbstregulierungsbemühungen der Branche ge-
schlossen. Seit 1. Januar 2007 existiert aus diesem Grund der so genannte Deri-
vate-Kodex.

Zwar ist die Aufführung der einschlägigen Gesetzestexte zutreffend. Allein
vermögen diese nicht die Intransparenz und Schutzlücken des Zertifikatemark-
tes zu beheben. Zertifikate weisen im Gegensatz zu anderen Finanzprodukten
gewisse Eigenarten auf, denen die bestehenden Gesetze nicht gerecht werden.
So unterliegen Zertifikate beispielsweise keinem ausreichenden Wettbewerb.
Die Märkte, an denen sie gehandelt werden, sind intransparent und die Preise
werden nicht nach Angebot und Nachfrage ermittelt. All diese Probleme waren
nicht auffällig, solange Zertifikate hinter Aktien und Investmentfonds lediglich
eine kleine Nische der Vermögensanlage besetzten und vor allem einfach nach-
vollziehbar konstruiert waren wie z. B. Zertifikate, welche den Verlauf von
gängigen Marktindizes wie z. B. dem Deutschen Aktienindex DAX der
30 größten an der Frankfurter Börse gelisteten Kapitalgesellschaften Deutsch-
lands nachvollziehen und von großen Banken emittiert werden.

Auch der am 1. Januar 2007 vom Derivate Forum e. V. vorgestellte Verhaltens-
kodex bleibt bei einer Benennung der Probleme stehen. Es sind keine konkreten
Lösungen seitens der Branche erkennbar. Eine effektive Sanktionierung bei Ver-
stoß gegen den Kodex gibt es ebenfalls nicht. Schließlich bindet der Kodex auch
nur neun der Zertifikateemittenten am Markt und kann daher nicht Grundlage
eines wirksamen Schutzes der Anlegerinnen und Anleger sein.

Vielmehr sind verbindliche und einfach nachvollziehbare Regelungen durch den
Gesetzgeber notwendig, um den Zertifikatemarkt langfristig als alternative An-
lagemöglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger zu erschließen. Verstärkte
Transparenzvorgaben sind dabei auch im Interesse der Emittenten, Handels-
plätze und des Vertriebs, wenn sie einen Vertrauenseinbruch vermeiden wollen,
wie ihn etwa einst der sog. Neue Markt erleiden musste.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.