BT-Drucksache 16/5209

Haltung der Bundesregierung zu einer Verquickung wirtschaftlicher Interessen bei der Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e.V. am Beispiel des Arbeitsblattes "Wird der Generationenvertrag brüchig?"

Vom 27. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5209
16. Wahlperiode 27. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
Diana Golze, Cornelia Hirsch, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Haltung der Bundesregierung zu einer Verquickung wirtschaftlicher Interessen
bei der Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e. V. am Beispiel des Arbeits-
blattes „Wird der Generationenvertrag brüchig?“

Die Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e. V., die mit dem Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales zusammenarbeitet, hat unter www.sozialpoli-
tik.com ein Arbeitsblatt zum Thema Rente mit 67 erstellt, das ebenfalls auf der
Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) abrufbar ist. Im
Arbeitsblatt wird unterstellt, dass der Generationenvertrag brüchig werde und
aufgrund der demographischen Entwicklung die Erhöhung des Renteneintritts-
alters auf 67 Jahre zwingend notwendig sei.

Neben zahlreichen Bundesministerien und Kultusministerien der Länder be-
steht eine enge Kooperation mit anderen sog. Partnern wie Verbänden und
Unternehmen, darunter der Gesamtverband der deutschen Versicherer, die
Dresdner Bank oder die Bertelsmann Stiftung. Gemeinsam mit diesen Sponso-
ren werden von der Arbeitsgemeinschaft Medien für den Unterricht veröffent-
licht, Schulprojekte organisiert und Veranstaltungen durchgeführt. Sie sorgt
nach eigener Auffassung so für Qualität und für die Akzeptanz in Schulen und
Kultusministerien.

Neben dem Sponsoring der Unternehmens- und Verbändepartner besteht zu-
gleich eine enge Kooperation mit der Universum Verlags GmbH, deren Ge-
schäftsführer, Siegfried Papst, als ehemaliger Leiter der politischen Abteilung
der FDP fungierte und zugleich Vizepräsident des Stiftungsrates der Arbeitsge-
meinschaft ist. Geschäftsführer der Stiftung ist Michael Jäger. Als Leiter der
Redaktion Jugend und Bildung ist er ebenfalls beim Universum Verlag beschäf-
tigt. Enge Verbindungen bestehen über den Universum Verlag auch zum FDP-
eigenen „liberal Verlag GmbH“, dessen Geschäftsführer, Christian Papst, als
Generalbevollmächtigter des Universum Verlags in Berlin fungiert.

Der Universum Verlag tritt zudem als Förderer der so genannten Initiative D21
auf, in der Eigenwerbung „Europas größte Partnerschaft zwischen Politik und
Wirtschaft (Public Private Partnership)“, in der Unternehmen der deutschen

Wirtschaft als Mitglieder und Förderer vertreten sind.

Da der Universum Verlag auf seiner Homepage ebenfalls die Arbeitsblätter für
Sozialpolitik zum Download anbietet, die im Auftrag des BMAS herausgege-
ben werden, drängt sich für die Fragesteller die Vermutung auf, dass durch die
enge Vernetzung der beteiligten Verbände und Unternehmen sowie des Univer-
sum Verlags und der FDP auf die Ausgestaltung der Arbeitsblätter der Arbeits-

Drucksache 16/5209 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gemeinschaft Arbeit und Bildung e. V. erheblicher Einfluss genommen wird
und so der politisch neutral zu formulierende Bildungsauftrag nicht mehr ge-
währleistet wird. Schülerinnen/Schülern und Lehrerinnen/Lehrern ist es zudem
kaum möglich, diese wirtschaftlichen Interessen zu durchschauen und so eine
möglichst objektive und kritische Sicht auf sozial- und gesellschaftspolitische
Themen einzunehmen.

Diese Interessensverquickung wird auch in einem Interview in der Zeitschrift
„Positionen“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft
deutlich (Heft 53, April 2007, S. 12 bis 15), in welchem die Präsidentin des Stif-
tungsrates und Vorsitzende der Stiftung Jugend und Bildung e. V. und ehe-
malige Vertreterin des Landes Berlin bei der Kultusministerkonferenz (KMK),
Dr. Eva-Maria Kabisch, ausführlich die notwendige und engere Zusammen-
arbeit der Wirtschaft mit Schulen und Ausbildungsstätten unterstreicht. Mit ge-
meinsamen Veranstaltungen von Schulen, der Arbeitsgemeinschaft Bildung
und Jugend, dem Universum Verlag, dem Bundesverband deutscher Banken,
dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft sowie dem Bun-
desverband Investment und Asset Management soll u. a. dieses Ziel erreicht
werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welches Ziel verfolgt das BMAS mit der Herausgabe von Arbeitsblättern
für bestimmte sozial- und gesellschaftspolitische Bereiche?

2. Wie hoch sind die im Haushalt des BMAS vorgesehenen Haushaltsmittel für

a) öffentliche Bildungsarbeit,

b) die Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e. V.?

3. Gab es eine öffentliche Ausschreibung für den Auftrag, das Arbeitsblatt zum
Generationenvertrag zu erstellen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, nach welchen Kriterien wurde der Zuschlag erteilt?

4. Wie hoch belaufen sich die Kosten für die Arbeitsblätter zur „Generationen-
gerechtigkeit“?

5. Verfügt das BMAS über eigene staatlich ausgebildete Pädagoginnen und
Pädagogen, um den didaktischen Inhalt des Arbeitsblattes bewerten zu kön-
nen?

Wenn nein, warum nicht?

6. Ist der Bundesregierung bekannt, dass private Versicherungsverbände sowie
private Banken, darunter der Gesamtverband der Deutschen Versicherer, die
Dresdner Bank sowie der Bundesverband Investment und Asset Manage-
ment e. V., die Arbeitsgemeinschaft unterstützen?

7. Sieht die Bundesregierung durch die einseitig dargestellte Argumentation
auf dem Arbeitsblatt den bildungspolitischen Auftrag gefährdet, wenn Ver-
treter der privaten Versicherungswirtschaft die Arbeitsgemeinschaft finan-
ziell unterstützen?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, sieht sie Handlungsbedarf und zwar welchen?

8. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass für eine möglichst objektive
Einschätzung der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5209

Jahre Schülerinnen/Schüler eine weitaus breiter gefächerte Sichtweise be-
nötigen?

a) Wenn ja, wie will sie dies in Zukunft sicherstellen?

b) Wenn nein, warum nicht?

9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die komplexe Problematik
der aktuellen Situation der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) auf
einer halben DIN-A4-Seite ausreichend wiedergegeben werden kann?

Wenn ja, warum?

10. Führt das BMAS Evaluierungen durch, etwa wie häufig ein Download des
Arbeitsblattes erfolgt?

a) Wenn ja, wie häufig erfolgte bisher ein Download des o. g. Arbeitsblat-
tes?

b) Wenn nein, warum nicht?

11. Welchen Einfluss hatte das BMAS auf die inhaltliche Ausgestaltung des
Arbeitsblattes?

12. Nach welchen inhaltlichen sowie nach welchen personellen Kriterien wur-
den die drei Statements auf dem Arbeitsblatt ausgewählt?

13. Ist dem BMAS bekannt, dass Prof. Dr. Thomas Straubhaar als Berater der
vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierten „Initiative Neue So-
ziale Marktwirtschaft“ (INSM) fungiert?

a) Wenn ja, sieht die Bundesregierung die Möglichkeit bzw. die Gefähr-
dung einer direkten Beeinflussung eines staatlich finanzierten Unter-
richtsmaterials oder eine indirekte Verbreitung von Werbebotschaften
der privat finanzierten und von Wirtschaftsinteressen geleiteten INSM
aufgrund des Statements von Prof. Dr. Thomas Straubhaar auf dem Ar-
beitsblatt?

b) Wenn nein, warum nicht?

14. Sind der Bundesregierung weitere Aktivitäten für andere privat finanzierte
Institutionen von Prof. Dr. Thomas Straubhaar bekannt?

a) Wenn ja, welche?

b) Wenn nein, warum nicht?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der Arbeitsgemeinschaft
auf ihrer Homepage, dass „Werbung (…) an Schulen verboten [sei]. Mate-
rialien der Arbeitsgemeinschaft (...) [seien] daher grundsätzlich werbefrei.
Der Sponsor ist mit seinem Thema und als Mitherausgeber präsent.“?

16. Sieht die Bundesregierung in dem in Frage 15 genannten Zitat einen Wi-
derspruch, wenn einerseits behauptet wird, Werbung sei in Schulen verbo-
ten, gleichzeitig aber die Arbeitsgemeinschaft offen zugibt, dass sich „der
Sponsor mit seinem Thema als Mitherausgeber präsentiert“?

17. Teilt die Bundesregierung die Besorgnis, dass eine inhaltliche Beeinflus-
sung der Arbeitsblätter durch den Geschäftsführer des Universum Verlags,
Siegfried Papst, der zugleich Vizepräsident der Stiftung der Arbeitsge-
meinschaft ist, möglich ist?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, sehen das BMAS und die anderen Bundesministerien Hand-
lungsbedarf in der Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft, und

wenn ja, welchen?

Drucksache 16/5209 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Tätigkeit von Christian
Renatus als Generalbevollmächtigter und zugleich Geschäftsführer des
FDP-Verlags „liberal“ selbst Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des
Lehrmaterials der Arbeitsgemeinschaft hat?

a) Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Personalverflech-
tung?

b) Wenn nein, warum nicht?

19. Welche Aufgaben nimmt Dr. Joachim Vollmuth, Ministerialrat im Bundes-
ministerium des Innern, bei der Arbeitsgemeinschaft Bildung und Jugend
wahr?

20. Vertritt er als Mitglied die Interessen der Bundesregierung bei der Arbeits-
gemeinschaft Bildung und Jugend?

21. Welches Interesse verfolgt die Bundesregierung als Mitglied, vertreten
durch Dr. Joachim Vollmuth bei der Arbeitsgemeinschaft?

22. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass durch die Mitgliedschaft
von Dr. Joachim Vollmuth Themen der Bundesregierung bei der Arbeitsge-
meinschaft implementiert werden sollen?

a) Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung solch eine indirekte Ein-
flussnahme auf Lerninhalte und Lernmaterial?

b) Wenn nein, warum nicht?

23. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die Vorsitzende der Arbeitsgemein-
schaft Bildung und Jugend, Dr. Eva-Maria Kabisch, im Auftrag der Arbeits-
gemeinschaft bzw. der Stiftung bei Veranstaltungen in Zusammenarbeit
mit Wirtschaftsunternehmen und Verbänden handelt?

24. Wie bewertet die Bundesregierung diese Zusammenarbeit und sieht sie
hierhin eine Beeinflussung, insbesondere von Unternehmen und Verbän-
den aus der Versicherungswirtschaft, auf die Ausgestaltung der Unter-
richtsmaterialien, die im Auftrag des BMAS und anderer Ministerien her-
ausgegeben werden?

a) Wenn ja, besteht für die Bundesregierung Anlass, ihren Vertreter aus der
Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung, nicht mehr als Mitglied bzw.
„Partner“ zu entsenden?

b) Wenn nein, warum nicht?

25. Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, dass die finanzielle Be-
lastung in der GRV nicht allein durch Einbeziehung des stets genannten
Altenquotienten, der bis 2050 um dramatisch wirkende 77 Prozent steigt,
sondern erst durch die Berücksichtigung des Gesamtquotienten (das Ver-
hältnis der Jungen und Alten zu den Erwerbsfähigen), richtig widergespie-
gelt wird?

26. Wie würde die Bundesregierung gegenüber Schülerinnen und Schülern die
Tatsache erklären, dass die Gesetzliche Rentenversicherung 90 Jahre lang
ein Renteneintrittsalter von 65 Jahren bei einer Steigerung der Lebenser-
wartung von über 30 Jahren verkraften konnte, die Anhebung des Renten-
eintrittsalters auf 67 Jahre aber notwendig sei, obwohl die Lebenserwar-
tung bis 2050 voraussichtlich nur um weitere sechs Jahre steigt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5209

27. Warum werden die Schülerinnen und Schüler nicht darüber informiert,
dass nicht die Alterung der Gesellschaft als solche, sondern u. a. die hohe
Arbeitslosigkeit, die Abnahme sozialversicherungspflichtiger Beschäfti-
gungsverhältnisse sowie die Zunahme von geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnissen in Form von Mini- und Midijobs Ursache für die finanziellen
Engpässe der GRV sind?

28. Warum werden die Schülerinnen und Schüler nicht darauf aufmerksam
gemacht, dass durch den Abschluss einer staatlich geförderten Altersvor-
sorge (Riester-Rente bzw. Betriebsrente) die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer einseitig zusätzlich um bis zu vier Prozent ihres Bruttolohns
belastet werden?

Berlin, den 26. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.