BT-Drucksache 16/5131

Potenziale der Abtrennung und Ablagerung von CO2 für den Klimaschutz nutzen

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5131
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, Angelika
Brunkhorst, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe
Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-
Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid
Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Potenziale der Abtrennung und Ablagerung von CO2 für den Klimaschutz nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Abtrennung und Ablagerung von CO2, welches bei der Erzeugung elektri-
scher Energie durch Verbrennung fossiler Energieträger entsteht (CCS – Carbon
Dioxide Capture and Storage), ist nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens
grundsätzlich technisch realisierbar. Dies wurde zuletzt im Rahmen einer
Expertenanhörung durch den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit des Deutschen Bundestages am 7. März 2007 von der weit überwie-
genden Mehrzahl der geladenen Sachverständigen bestätigt. Zu vergleichbaren
Ergebnissen gelangt eine vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (BMU) vorgelegte Studie, die einen Vergleich „Fossile
Kraftwerke mit CO2-Abscheidung (CCS) und erneuerbare Energien“ zum Ge-
genstand hat. Auch dieses Gutachten betont, CCS könne im Sinne einer Brü-
ckenfunktion einen befristeten, aber wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leis-
ten. In der Diskussion um die großtechnische und die weiträumige Anwendung
von CCS wird mittlerweile allein die Ablagerung in tiefen geologischen For-
mationen diskutiert (insbesondere Gasfelder und tief liegende Aquifere). Weni-
ger aussichtsreich erscheint nach derzeitigem Diskussionsstand die Ablagerung
von gebundenem CO2 in festem Zustand. Höchst kritisch zu sehen ist die Abla-

gerung von CO2 in tiefen Schichten des Meeres, weil dies wahrscheinlich zu
sehr komplexen und kaum absehbaren Veränderungen der ozeanischen Ökosys-
teme führen würde. Vorgelegt wurde dazu jüngst auch ein „Monitoring – CO2-
Abscheidung und -lagerung bei Kraftwerken“ durch das Büro für Technikfol-
genabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB); der abschließende TAB-
Bericht wird für Juli 2007 erwartet.

Die Chancen einer Weiterentwicklung und Nutzung von CCS-Techniken liegen
in einer hierdurch in Aussicht stehenden deutlichen Verringerung der mit der

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Stromerzeugung aus Kohle und Gas verbundenen Klimabelastung. Werden eine
kommerzielle Verfügbarkeit von CCS und das Verfolgen ambitionierter Klima-
schutzziele für die Zeit nach 2020 unterstellt, könnte CCS einen deutlichen Kli-
maschutzbeitrag in Deutschland und Europa, aber auch in anderen OECD-
Regionen und wichtigen Schwellenländern erbringen. Der Minderungsbeitrag
von CCS-Technologien liegt bei 70 bis 80 Prozent der bisherigen durch fossile
Energiegewinnung verursachten Emissionen, so dass CCS-Technologien als
wesentliche Voraussetzung insbesondere für eine CO2-arme Kohleverstromung
darstellen. Die Nutzungsmöglichkeiten von CCS sind dabei nicht auf den Kon-
text der Verbrennung fossiler Energieträger beschränkt. Vielmehr könnte CCS
auch genutzt werden, um der Atmosphäre CO2 aktiv zu entziehen, namentlich
durch forcierten Biomasseanbau und deren Verbrennung in Kombination mit
CCS.

Während CCS-Technologien als mögliche Brücke in ein Zeitalter umfassender,
möglicherweise ausschließlich regenerativer Energiegewinnung und -nutzung
gesehen werden können, ermöglicht insbesondere die Kernspaltungsenergie
den Übergang zur kommerziellen Nutzung von CCS-Technologien im groß-
technischen Maßstab. Der Kernspaltungsenergie als Übergangstechnologie
geben CCS-Technologien damit eine Zielrichtung und eine konkrete zeitliche
Perspektive: Die Laufzeit der konventionellen Kernkraftwerke in Deutschland
ist demnach zu verlängern, bis erneuerbare Energien in ausreichendem Umfang
zur Verfügung stehen oder eine Nutzung von CCS-Technologien im großtech-
nischen Maßstab beginnen kann. Parallel zum Weiterbetrieb der laufenden
Kernkraftwerke sind die erneuerbaren Energien mit aller Entschlossenheit wei-
ter auszubauen.

Als technologischer Zwischenschritt könnten CCS-Technologien das bisher
fehlende Verbindungsglied zwischen konventioneller und vollständig regenera-
tiver Energieversorgung darstellen. Hier ist hilfreich, dass eine Einführung von
CCS-Technologien die Konkurrenzfähigkeit von erneuerbaren Energien im
Vergleich zu fossilen Energien deutlich verbessert und vergleichsweise schnel-
ler erreichbar werden lässt. Zwar kann CCS den weiteren Ausbau der erneuer-
baren Energien und die deutliche Steigerung der Energieeffizienz nicht erset-
zen. CCS kann aber den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen für einen Umbau
des Energiesystems bei gleichzeitigem Erreichen ambitionierter Klimaschutz-
ziele verlängern helfen. Diese erheblichen Chancen müssen unverzüglich und
mit allem Engagement genutzt werden.

Die Herausforderungen liegen im naturwissenschaftlichen und technischen, im
ökonomischen sowie im rechtlichen und politischen Bereich:

– In technischer und naturwissenschaftlicher Hinsicht geht es vor allem um
die Eignung verschiedener Abtrennungsverfahren im großtechnischen Maß-
stab sowie um die Weiterentwicklung und Erprobung geeigneter Transport-
und Ablagerungstechnologien. Hier muss die Bundesregierung zum einen
auf der europäischen Ebene eine Initiative für Forschung und Technologie
im Bereich CCS auf den Weg bringen. Ferner muss EU-weit der Umfang der
real verfügbaren Kapazitäten für eine Ablagerung von CO2 ermittelt und die
langfristige Speichersicherheit der in Frage kommenden Lagerstätten erkun-
det und nachgewiesen werden. Zum anderen geht es darum, auch die inten-
sive Zusammenarbeit auf internationaler Ebene insbesondere auch mit jenen
Ländern suchen und initiieren, die dem Kyotoprotokoll bisher noch nicht
beigetreten sind und die derzeit vor allem technologieorientierte Maßnah-
men für den Klimaschutz bevorzugen.

– In ökonomischer Hinsicht geht es um die Bedingungen für einen kommer-
ziellen Betrieb von CCS-Kraftwerken. Dabei spielen sowohl Kosten und die
Betriebsverfügbarkeit als auch das Zusammenspiel mit externen Faktoren

eine wichtige Rolle. Nach gegenwärtigen Schätzungen liegen die Kosten
von CCS je nach Verfahren zwischen ca. 35 und 50 Euro pro Tonne CO2,
wobei mittelfristig eine Kostensenkung auf unter 20 Euro realistisch scheint.

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Der Verlust an Energieeffizienz liegt gegenwärtig bei ca. 8 bis 12 Prozent-
punkten. Zu den unverzichtbaren Bedingungen für den kommerziellen Be-
trieb gehört insbesondere die Fortsetzung und künftige Entwicklung des
Emissionszertifikatehandels. Die Ausgestaltung des Emissionshandelssys-
tems sowie der angrenzenden Regelungsbereiche ist demnach von zentraler
Bedeutung für die wettbewerbliche Durchsetzbarkeit von CCS-Kraftwer-
ken. Der Betrieb von CCS-Kraftwerken kann sich nur als wirtschaftlich
erweisen, wenn den Kosten für den zusätzlichen Brennstoffaufwand, die
Abscheidung, den Abtransport und die Ablagerung von CO2 ein entspre-
chendes Äquivalent an vermiedenen Kosten für die CO2-Zertifikate gegen-
übersteht. Dies ist insbesondere dann zu erwarten, wenn die CO2-Zertifikate
nicht mehr kostenlos zugeteilt werden. Sofern sämtliche Neuanlagen im Be-
reich der fossilen Stromerzeugung in erheblichem Umfang kostenlose Zutei-
lungen für CO2-Zertifikate erhalten, können Investitionen in CCS-Kraft-
werke demgegenüber kaum wirtschaftlich werden, da der Barwert der
erhöhten Kosten für Kapital-, Betriebs- und Brennstoffkosten durch den
Barwert der vermiedenen Kosten für die Beschaffung von CO2-Zertifikaten
zumindest kompensiert werden muss. Darüber hinaus muss der politische
und regulatorische Rahmen für einen Transfer der Technologie in diejenigen
Regionen vorbereitet und geschaffen werden, für die eine besondere Rolle
von CCS postuliert wird – auch und insbesondere mit Blick auf die Schwel-
len- und Entwicklungsländer. Hier gilt es, beizeiten die Verbindung zwi-
schen CCS-Technologien und den projektbezogenen Mechanismen des
Kyotoprotokolls, insbesondere den Mechanismus für umweltverträgliche
Entwicklung (Clean Development Mechanism) herzustellen bzw. abzusi-
chern und auf internationaler Ebene gemeinsame Pilot- und Demonstrations-
projekte zu initiieren. Im Rahmen einer frühzeitigen und weitsichtigen Ab-
stimmung der institutionellen Regelwerke des supra- und internationalen
Handels mit Emissionszertifikaten im Sinne einer Integration von CCS-Pro-
jekten geht es auch um die Notwendigkeit, die entsprechenden Regelwerke
schnellstmöglich zu erstellen, die Aspekte von Monitoring, Inventarisierung
und Verifizierung in die anlaufenden Pilot- und Demonstrationsvorhaben zu
integrieren und mit besonderer Priorität zu versehen.

– Aus rechtlicher Perspektive geht es um die Schaffung eines geeigneten regu-
latorischen Umfeldes für CCS, wobei nicht zuletzt die rechtlichen Eigen-
schaften des ggf. abzulagernden CO2 zu klären bzw. zu bestimmen sind.
Zentrale Fragen berühren dabei sowohl das europäische als auch das natio-
nale Bergrecht, das Abfallrecht und das Wasserrecht. Darüber hinaus stellt
sich die Frage nach dem Vorhandensein adäquater Haftungsnormen. Festzu-
legen ist deshalb ein regulatorischer Rahmen u. a. für die Zulässigkeit von
CCS-Anlagen über die gesamte Prozesskette (Abscheidung, Transport und
Ablagerung). Wie sich aus der höchst unbefriedigenden Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP „Rechtliche Rahmen-
bedingungen für die Ablagerung von CO2“ (Bundestagsdrucksache 16/4895)
ergibt, verfügt die Bundesregierung diesbezüglich bisher weder über ein
Konzept noch hat sie konkrete Vorstellungen darüber, wie die rechtlichen
Grundlagen für eine Errichtung und für einen Betrieb von CCS-Anlagen auf
nationaler sowie auf europäischer Ebene geschaffen oder zumindest vorbe-
reitet werden könnten. Aus politischer Perspektive geht es jenseits dessen
vordringlich um die Schaffung und Erhaltung von Akzeptanz für CCS, wo-
bei Information und Verfahrenstransparenz besonders wichtig erscheinen.
Geklärt werden muss schließlich auch der Rahmen für einen „Nachbetrieb“
der betreffenden Anlagen, verbunden u. a. mit der Frage einer öffentlichen
und/oder privaten Trägerschaft. Schließlich müssen geeignete Mechanismen
zur Finanzierung der Sicherung solcher Anlagen entwickelt und rechtlich

sowie institutionell installiert werden.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Einbindung von CCS in die Mechanismen der Klimarahmenkonvention
der Vereinten Nationen anzuregen und konzeptionell voranzubringen;

– auf internationaler Ebene einen institutionellen Rahmen zu entwickeln und
zu implementieren, der ein sinnvolles Management der Risiken einer groß-
technischen Nutzung von CCS leistet. Für die Gestaltung eines solchen Rah-
mens existieren bereits erste Vorschläge (z. B. Carbon Sequestration Bonds),
welche eine Einbettung in das bestehende Klimaschutzregime erlauben;

– künftige Klimaschutzverhandlungen auf internationaler Ebene insbesondere
mit Blick auf die USA und auf China mit der konkreten Perspektive auf
CCS-Technologien zu verbinden, da hierdurch die Chancen auf eine Über-
nahme konkreter Reduktionsverpflichtungen durch diese Länder verbessert
würden, ohne dass ein übergangsloses Abweichen vom bisherigen Energie-
mix und den geplanten Nutzungspfaden erforderlich wäre;

– auf europäischer und auf internationaler Ebene eine Forschungs- und
Entwicklungsinitiative mit dem Ziel auf den Weg zu bringen, die eingangs
skizzierten zentralen technischen und naturwissenschaftlichen sowie die
ökonomischen und rechtlichen Fragen zu CCS einer möglichst zügigen
Beantwortung näher zu bringen;

– in diese weltweite Forschungs- und Entwicklungsinitiative auch das 7. EU-
Forschungsrahmenprogramm zu integrieren;

– den intensiven Dialog und die Zusammenarbeit im Forschungs- und Ent-
wicklungsbereich CCS auf internationaler Ebene insbesondere auch mit je-
nen Ländern zu suchen und zu initiieren, die dem Kyotoprotokoll bisher
noch nicht beigetreten sind;

– auf europäischer und internationaler Ebene ein Programm für weitere Pilot-
und Demonstrationsanlagen sowie die Inangriffnahme groß angelegter Un-
tersuchungen anzuregen, welche den Umfang der real verfügbaren Kapazi-
täten für eine Ablagerung von CO2 ermitteln und die langfristige Speicher-
sicherheit der in Frage kommenden Lagerstätten erkunden und nachweisen;

– in Deutschland jenseits der bereits vorliegenden Studien weitere Unter-
suchungen in Auftrag zu geben, welche den Umfang der real verfügbaren
Kapazitäten für eine Ablagerung von CO2 sowie die langfristige Speicher-
sicherheit der in Frage kommenden Lagerstätten ermitteln;

– Bestrebungen auf europäischer Ebene zu unterstützen, wonach fossile Kraft-
werksneuanlagen obligatorisch für eine Nachrüstung mit CCS-Technik aus-
gelegt sein müssen („Capture ready“);

– auf europäischer Ebene eine Verordnung zur integrierten Genehmigung von
CCS-Projekten von der Abscheidung bis zur Ablagerung inkl. Nachbetrieb
und Haftungsregeln zu initiieren. Hilfsweise wäre eine EU-Richtlinie in Ver-
bindung mit einem nationalen CCS-Gesetz anzustreben;

– national und europaweit darauf hinzuwirken, dass ab 2013 die Emissions-
rechte im EU-Emissionshandel weitgehend versteigert werden und

– im vorstehenden Sinne eine umfassende Strategie zur Nutzung und Weiter-
entwicklung der CCS-Technologien im Rahmen eines energiepolitischen
Gesamtkonzepts zu entwickeln und dem Deutschen Bundestag vorzulegen.

Berlin, den 24. April 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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