BT-Drucksache 16/5130

Für eine Neuausrichtung der deutschen Afrika-Politik

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5130
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Karl Addicks, Florian Toncar, Michael
Kauch, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van
Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph
Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Für eine Neuausrichtung der deutschen Afrika-Politik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Außenpolitik

Afrika, lange Zeit als „hoffnungsloser Kontinent“ abgeschrieben, erlebt gegen-
wärtig eine nie gekannte Aufmerksamkeit durch die Internationale Staaten-
gemeinschaft. Die strategische Bedeutung des afrikanischen Kontinents
wächst – und zwar über das gesamte Spektrum der politischen Themenberei-
che, von denen der Wettbewerb um knappe Ressourcen, Armutsbekämpfung,
Konfliktprävention und Klimawandel nur die öffentlich wahrgenommene
Spitze des Eisberges darstellen.

Nach wie vor stellt der afrikanische Kontinent besondere Herausforderungen
an die Außenpolitik der internationalen Staatengemeinschaft. Afrika ist ein
Kontinent der extremen Gegensätze: ein potenziell wohlhabender Kontinent,
auf dem Hunger und Armut dennoch weit verbreitet sind. Nach Angaben des
FAO-Berichtes aus dem Jahre 2006 leben allein in der Region Sub-Sahara-
Afrika derzeit 206 Millionen Hungernde. Damit stieg die Zahl der Menschen

ohne ausreichende Nahrungsversorgung seit 1990 um 40 Millionen. Armut ist
in den seltensten Fällen selbstverschuldet, sondern meistens Folge schlechter
Regierungsführung, wirtschaftlicher Isolation, fehlender rechtsstaatlicher und
demokratischer Strukturen und ganz entscheidend auch mangelhafter Bildung.

Viele ungelöste Konflikte um Ressourcen entladen sich noch heute entlang
ethnischer oder religiöser Gräben in Kriegen und Bürgerkriegen. Zurzeit gibt es
in Afrika mehr als 15 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene – davon allein

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2,5 Millionen in der Krisenregion Darfur, Tschad und Zentralafrikanische Re-
publik.

Aktuell geben drei Phänomene besonders Anlass zur Sorge:

– Wiederaufflammende Konflikte: Viele Konflikte, auch solche die bereits als
befriedet galten, flammen nach einiger Zeit wieder auf. Diese „low intensity
conflicts“ und asymmetrischen Kriege trugen beispielsweise zur Destabili-
sierung von Ruanda, Liberia, der DR Kongo und der Elfenbeinküste bei.

– Instabilität und Staatsversagen: Viele afrikanische Staaten, die in Zeiten des
Kalten Krieges im Fokus des Ost-West-Gegensatzes standen, destabilisier-
ten sich mit dem Ende des kommunistischen Einflusses. Beispielhaft für
einen Prozess, bei dem aus dem vollständigen staatlichen Zusammenbruch
ein Destabilisierungspotenzial für eine ganze Region wurde, steht heute
Somalia bzw. das Horn von Afrika, das sich heute als Umschlagplatz für
Drogen und Waffen und als möglicher Rückzugsraum für islamistischen
Terror darstellt. Ein anderer Brennpunkt staatlichen Versagens ist Sim-
babwe, wo sich seit Jahren eine wirtschaftliche und humanitäre Katastrophe
anbahnt. Die Inflationsrate hat den Weltrekord von 1 700 Prozent erreicht
und die Arbeitslosigkeit betrifft gegenwärtig 80 Prozent der Bevölkerung.
Es droht der Staatsbankrott. Friedliche Demonstrationen werden von Präsi-
dent Robert Mugabe brutal niedergeschlagen und Opposition und Mei-
nungsfreiheit systematisch unterdrückt.

– Zunehmende illegale Migration: Immer mehr verzweifelte Flüchtlinge ver-
suchen über die Seewege nach Europa zu gelangen. Was mit den spanischen
Afrika-Enklaven Ceuta und Meilla begann, setzt sich nun mit den Kanari-
schen Inseln fort. Da Marokko seine Seegrenzen mittlerweile gut sichert,
treten Flüchtlinge zunehmend die gefährliche Atlantikpassage von der Küste
Senegals an. Allein im ersten Halbjahr 2006 wagten 20 000 Migranten die
Überfahrt – 600 Menschen starben dabei.

Doch es gibt auch positive Zeichen. Nach einer Phase der wirtschaftlichen
Stagnation gibt es in Teilen des Kontinents wieder hohe Wachstumsraten, auch
südlich der Sahara, von durchschnittlich über 5 Prozent. Diese positive Ent-
wicklung ist meist nicht das Ergebnis von außen herangetragener Entwick-
lungshilfe, sondern von innerstaatlichen Reformen wie dem Schutz des Eigen-
tums, Entbürokratisierung, Rechtssicherheit für ausländische Investoren und
einer Liberalisierung des Handels. Deutsche Medien sprechen inzwischen von
einer „historischen Chance“ ausländischer Wirtschaftpartner für Direktinvesti-
tionen in Afrika, die im Jahr 2005 einen Rekordstand erreichten.

Die Zeiten, in denen allein die USA und ehemalige Kolonialmächte wie Frank-
reich und Belgien die dominanten Akteure auf dem afrikanischen Markt waren,
sind allerdings vorbei. Andere Staaten ergreifen die genannte „historische
Chance“ in ganz anderer Weise. So drängt China seit Jahren mit Macht nach
Afrika und investiert dort in Öl-Raffinerien und Infrastruktur wie beispiels-
weise Straßen oder Staudämme. China verbindet seine nationalen Interessen
konsequent mit seinen entwicklungspolitischen Maßnahmen. Inzwischen im-
portiert China 25 Prozent seines Rohöls vom afrikanischen Kontinent. Die
Volksrepublik avanciert zum bevorzugten Geschäftspartner autokratischer
Staaten wie dem Sudan – leider auch deshalb, weil sich China der notwendigen
Kritik an Menschenrechtsfragen und Demokratiedefiziten weitestgehend ent-
hält. Auch Russland verfolgt konsequent eine eigenständige Afrikastrategie,
die das primäre Ziel verfolgt, mit Milliardeninvestitionen – wie in Südafrika
und Ägypten – einen Weg für seine großen Energiekonzerne zu bahnen. Neben
fossilen Brennstoffen rücken andere wertvolle Bodenschätze, wie Coltan, zu-
nehmend in das Interesse ausländischer Investoren.

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Deutschland und Europa lassen bis heute eine Interessendefinition und eine
daraus folgende Strategie vermissen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass
Afrika ohne wirtschaftliche Investitionen von außen und ohne die Einbindung
in den globalen Handel eine für sich selbst erfolgreiche Entwicklung nehmen
wird. Die große Herausforderung einer Afrika-Strategie besteht darin, unsere
eigenen Interessen mit unserer Verantwortung für die selbst bestimmte Ent-
wicklung des afrikanischen Kontinents in Einklang zu bringen. Der größte Feh-
ler besteht jedoch darin, auf eine Interessendefinition zu verzichten, um der
Diskussion um die richtige Strategie aus dem Wege zu gehen.

Der Deutsche Bundestag erwartet deshalb von der Bundesregierung, dass sie
die deutschen und europäischen Interessen und die Interessenkonflikte mit an-
deren Staaten auf dem afrikanischen Kontinent klar benennt und öffentlich zur
Diskussion stellt.

2. Entwicklungszusammenarbeit

Afrika hat in den vergangenen Jahren enorme Entwicklungsanstrengungen un-
ternommen. Der mit der afrikanischen Initiative NePAD (New Partnership for
Africa’s Devolpment), der Gründung der Afrikanischen Union (AU) und der
Große Seen Initiative, der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC)
und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) in Gang ge-
brachte Reformprozess und Anzeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs in
etlichen Ländern unterstreichen die Entwicklungen und neuen Perspektiven in
Afrika.

Mit den Millennium-Entwicklungszielen (MDG) hat sich die Internationale
Staatengemeinschaft im Jahre 2000 zur Umsetzung von acht Zielen zur weltwei-
ten Entwicklung und Armutsbekämpfung verpflichtet (1. Halbierung der Anzahl
jener Menschen, die in extremer Armut leben, d. h. mit weniger als 1 US-Dollar/
Tag, 2. Zugang zu einer vollständigen Grundbildung für alle Jungen und Mäd-
chen, 3. Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, 4. Reduzierung der
Kindersterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel, 5. Senkung
der Müttersterblichkeitsrate, 6. Bekämpfung schwerer Krankheiten wie z. B.
HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose, 7. nachhaltige ökologische Entwicklung und
8. Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft). Der Deutsche Bundestag
bekennt sich zu den langfristigen Zielen der Millennium Development Goals
der Vereinten Nationen. Die Internationale Gemeinschaft hat sich zudem darauf
geeinigt, diese Ziele bis 2015 umzusetzen. In dem Fortschrittsbericht aus dem
Jahre 2006 zur Umsetzung der Millennium Development Goals rechnen die
Vereinten Nationen jedoch bereits jetzt damit, dass keines der acht Ziele in Sub-
Sahara-Afrika bis 2015 erreicht wird. Das Verfehlen des Zeitplans macht die
Entwicklungsziele an sich aber nicht hinfällig. Vielmehr ist jetzt erforderlich,
zur Halbzeit des Zeitplans eine ehrliche und offene Analyse der Fehler in der
Entwicklungszusammenarbeit vorzunehmen und Überlegungen zur Umsetzung
der MDG in dem vorgegebenen Zeitrahmen zu führen.

Die Bundesregierung und die EU haben im Juni 2005 einen verbindlichen Stu-
fenplan zur Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) beschlossen.
International und national angestrebter Standard sind 0,7 Prozent des BIP bis
2015. Der Wettbewerb der Geber, baldmöglichst das 0,7-Prozent-Ziel zu errei-
chen, verstellt mehr und mehr den Blick dafür, dass nicht allein die Quantität
der staatlichen Entwicklungshilfe zur erfolgreichen Bekämpfung von Armutsur-
sachen nötig ist. Die Fixierung auf ein quantitatives Ziel zu einem bestimmten
Zeitpunkt verkennt die Effizienzgewinne, die durch zielgenauere Instrumente
erreicht werden könnten: Summen und Mengen, nicht Strategien und Methoden
beherrschen die Entwicklungsdiskussion. So werden unter dem Druck der Stei-
gerung der deutschen ODA-Quote überproportional ODA anrechenbare Schul-

den erlassen, die faktisch aber nicht mehr Geld zur Bekämpfung der Armut
bedeuten. Wenn wir die Ursachen der Armut bekämpfen wollen, brauchen wir

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eine breite und offene Diskussion über die Ziele und Instrumente deutscher
Entwicklungszusammenarbeit jenseits der Frage der ODA-Quote. Mit der Ein-
haltung des Stufenplans werden nach Schätzungen der Europäischen Kommis-
sion ab 2010 jährlich allein etwa 20 Mrd. Euro mehr an ODA zur Verfügung
stehen als 2006. Bereits heute zeigt sich aber, dass die Mittelzusagen des Euro-
päischen Entwicklungsfonds (EEF) in Milliardenhöhe mangels Absorptions-
fähigkeit in den afrikanischen Empfängerländern nicht abgerufen werden. Zu-
dem ist nicht einzusehen, dass wir Schwellenländer wie China, die aufgrund
ihrer Wirtschaftskraft ihre Armutsursachen selber bekämpfen können, noch
finanzielle Hilfe gewähren, anstatt sie den wirklich bedürftigen Ländern in
Afrika zu Gute kommen zu lassen.

Ein großer Teil der Mittel, die Deutschland für Entwicklungspolitik bereitstellt,
gehen mittlerweile an die EU zur Finanzierung der Europäischen Entwick-
lungspolitik. Seit Jahren findet eine schleichende Europäisierung der entwick-
lungspolitischen Aktivitäten ohne eine entsprechende vertragliche Erweiterung
der Rechtsgrundlagen statt. Mit dem Argument, entwicklungspolitische Ziele
wirksamer verfolgen zu können, wird seitens der EU-Kommission der Ruf nach
einer stärkeren Übertragung nationalstaatlicher Entwicklungspolitik nach Brüs-
sel immer lauter. Erst kürzlich hat die EU-Kommission einen „Verhaltenskodex
für eine effizientere Hilfe“ mit zehn Grundsätzen beschlossen, nach dem sich
die Mitgliedstaaten auf zwei Sektoren beschränken sollen und weitere Auf-
gaben auf die EU übertragen werden sollen. Hier wird der Grundsatz der Subsi-
diarität zunehmend eklatant missachtet. Die Bundesregierung muss dem ent-
gegensteuern, denn die Mitgliedstaaten haben sich aus gutem Grund im
Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität ausdrücklich gegen eine solche
Ausweitung der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik entschieden.

Mit der Doppelpräsidentschaft hat die Bundesregierung die historisch einma-
lige Möglichkeit, einen Paradigmenwechsel in der europäischen Afrika-Politik
einzuleiten. Nach wie vor unterscheidet die EU in ihrer Politik zwischen den
ehemaligen Kolonien und anderen Ländern. Im Rahmen der Entwicklungszu-
sammenarbeit findet diese Differenzierung durch die Unterscheidung in AKP-
Staaten und Nicht-AKP-Staaten statt. Grundlage sind die auf die Kolonialzeit
zurückzuführenden Lomé-Verträge I bis IV bzw. das ab 1. Januar 2008 in Kraft
tretende Cotonou-Abkommen. Darin wird die veraltete Budgetierungspraxis
mit den AKP-Staaten über den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) am
EU-Haushalt vorbei fortgesetzt. Eine solche Differenzierung lässt sich heute
nicht mehr rechtfertigen. Entscheidendes Kriterium für die Gewährung von
Entwicklungshilfemitteln muss die Bedürftigkeit sein und nicht das koloniale
Erbe. Deutschland finanziert die Entwicklungspolitik der Europäischen Union
mit Afrika jährlich anteilig mit 520 Mio. Euro. Mit dem am 1. Januar 2008 in
Kraft tretenden Cotonou-Abkommen wird Deutschland noch vor Frankreich
der größte Beitragszahler zum EEF sein. Die Bundesregierung muss dieses Ge-
wicht nutzen, um die in der europäischen Afrikapolitik notwendigen Reformen
einzuleiten.

3. Bildung

Armut und Bildungsarmut hängen unmittelbar zusammen. In vielen Ländern
Afrikas fehlt es an den einfachsten Grundvoraussetzungen: Gebäude, Einrich-
tungen, Schulbücher, Hefte und Stifte. Um eine Grundbildung der Bevölkerung
sicherzustellen und damit effektiv gegen Analphabetismus zu kämpfen, sind In-
vestitionen notwendig. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit muss sich daher
auf die Förderung von Grundbildungs- und Weiterbildungsprojekten konzentrie-
ren. Ein besonderes Augenmerk muss dabei zunächst auf die Vermittlung
essentieller Grundkenntnisse gelegt werden: Immer noch sind in Afrika ein

Drittel aller Kinder ohne Schulabschluss, die Mehrheit der Länder mit einer
Alphabetisierungsquote von unter 70 Prozent befindet sich in Afrika südlich

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5130

der Sahara. In Burkina Faso, Mali und Niger können 25 Prozent der Kinder we-
der lesen noch schreiben. Insbesondere in den Staaten der Sub-Sahara-Region
besteht zudem nach wie vor ein Geschlechtergefälle zu Ungunsten von Mäd-
chen und Frauen. Einen nachhaltigen Entwicklungsprozess kann es in Afrika
jedoch nur geben, wenn alle Menschen Zugang zu einem freien Bildungssys-
tem haben. Bei der Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen muss auf die
Synchronität der Entwicklungsmaßnahmen geachtet werden und Berufsausbil-
dungen nur bei Berufsbedarf angeboten werden. Die Bundesregierung hat die-
sen Bereich in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt. So ist die deutsche
Entwicklungshilfe insbesondere in diesem Bereich deutlich zurückgegangen:
Von insgesamt 4 877,573 Mio. Euro deutscher bilateraler Entwicklungshilfe im
Jahre 2002 wurden lediglich 77,227 Mio. Euro der Förderung von Grundbil-
dung zugeschrieben, was einen Anteil von nur 1,6 Prozent der ODA ausmacht.
Obwohl im Jahre 2003 die Gesamtzusagen auf 4 998,463 Mio. Euro anstiegen,
schrumpften die Mittel im Bereich der Grundbildung auf 76,557 Mio. Euro,
einem Anteil an der gesamten ODA von nur noch 1,5 Prozent. Nachhaltige Ent-
wicklung erfordert den Aufbau eines fundierten Bildungssystems, wobei so-
wohl eine diskriminierungsfreie, für alle zugängliche Grundbildung, als auch
eine den Bedürfnissen des jeweiligen Landes angepasste weiterführende Bil-
dung und die Bereitstellung von Ausbildungsstätten von Bedeutung ist.

Investitionen in die Bildung sind – langfristig gesehen – die nachhaltigste Art
der Zusammenarbeit. Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist eine wich-
tige Säule verantwortungsbewusster Außenpolitik in Afrika. Nur durch die
Chance, sich Wissen anzueignen, seine Meinung frei zu äußern und sich unab-
hängiger und transparenter Medien zu bedienen, können gesellschaftliche und
wirtschaftliche Zusammenhänge erkannt und bewertet werden. Dies ermöglicht
langfristig Partizipation und die Übernahme von Verantwortung im öffentlichen
Leben sowie die Bildung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Hier gilt es insbe-
sondere, die Auswärtige Kulturpolitik auszubauen und auch die Eröffnung
neuer Goethe-Institute aktiv zu forcieren.

4. Menschenrechte

Auch eine noch so hohe Entwicklungshilfe wird rechtsstaatliche, demokrati-
sche und wirtschaftliche Reformen auf dem Kontinent nicht ersetzen können.
Das Prinzip des „African Ownership“ wird nur dann die gewünschten positiven
Effekte erzielen, wenn sich die politischen Führungen vieler afrikanischer Län-
der ihrer Verantwortung für die eigenen Bevölkerungen bewusst werden und
danach handeln. Good Governance durch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
muss im Mittelpunkt aller Entwicklungsbemühungen stehen. Afrika ist ein
heterogener Kontinent, dessen Staaten oft große Unterschiede bei der Verwirk-
lichung der Menschenrechte aufweisen. Die Achtung der Menschenrechte ist
eine Voraussetzung für eine demokratische, gerechte und nachhaltige Entwick-
lung. Ohne den Schutz grundlegender Menschenrechte kann es keine Fort-
schritte für die Lebenssituation der Menschen geben. Staaten wie Botswana
und Ghana beweisen, dass es auch in Afrika möglich ist, wenn ein politischer
Wille vorhanden ist, die Menschenrechtssituation zu verbessern und eine nach-
haltige Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation zu bewirken.
Trotz positiver Beispiele leiden jedoch viele Menschen in Afrika weiter unter
verschiedenen Menschenrechtsverletzungen. Die seit 2003 andauernde Krise in
der sudanesischen Provinz Darfur sowie die Instabilität in Somalia sind Beleg
für das Leid von Menschen in bewaffneten Konflikten, die Opfer von Gewalt
und Vertreibung werden. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit afrikani-
schen Staaten gezielt auf Verbesserungen beim Schutz der Menschenrechte hin-
wirken. Dabei muss auch die Zusammenarbeit mit neu eingerichteten afrikani-
schen Institutionen wie dem Panafrikanischen Parlament, dem Friedens- und

Sicherheitsrat der Afrikanischen Union und dem African Peer Review Mecha-
nism, die 2005 ihre jeweilige Arbeit aufgenommen haben, gesucht werden.

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Die Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte einschließlich der Mei-
nungs- und Pressefreiheit ist in zahlreichen Staaten Afrikas noch nicht gewähr-
leistet. Um die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten zu unter-
stützen, darf die Unterdrückung von Oppositionspolitikern, Journalisten,
Demonstranten und Mitgliedern der Zivilgesellschaft bis hin zu politischen
Morden nicht hingenommen werden. Dabei kann auch kein Hinweis auf den
„Kampf gegen den Terror“ als Rechtfertigung geltend gemacht werden. Regio-
nale und internationale Menschenrechtsorganisationen müssen ungehindert
arbeiten können. Daneben sind in zahlreichen Staaten des Kontinents weitere
Anstrengungen bei der Abschaffung der Todesstrafe und der Ächtung der Fol-
ter notwendig.

Die Rechte von Frauen müssen in der Gesellschaft gegen allgemeine Diskrimi-
nierung durch Behörden gestärkt werden. Mädchen und Frauen müssen ins-
besondere entschlossener vor der in vielen afrikanischen Ländern verbreiteten
Zwangsverheiratung und weiblichen Genitalverstümmelung geschützt werden.
In Konfliktsituationen werden Frauen weiterhin Opfer von systematischen
Vergewaltigungen, die als Kriegswaffe eingesetzt werden. Auch nach der Been-
digung von Bürgerkriegen in zahlreichen Staaten West- und Zentralafrikas,
existiert weiterhin vielerorts das Problem der Zwangsrekrutierung von Kinder-
soldaten durch Rebellengruppen und reguläre Streitkräfte. Deren Reintegration
in die zivile Gesellschaft muss höchste Priorität haben.

Die Kultur der Straflosigkeit, die sich teils auf schwerste Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstreckt, muss durch eine Kultur der
juristischen Aufarbeitung ersetzt werden. Dabei leisten insbesondere das Son-
dergericht in Sierra Leone, der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda und
der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen wertvollen Beitrag. Da-
neben muss eine gesellschaftliche Aufarbeitung stattfinden, die durch Wahr-
heits- und Versöhnungskommissionen ergänzt werden kann. In Südafrika war
dieser Ansatz nach der Überwindung der Apartheid sehr erfolgreich. Wahr-
heits- und Versöhnungskommissionen können aber eine Bestrafung von haupt-
verantwortlichen Tätern nicht ersetzen.

5. Sicherheitspolitik

Durch anhaltende Staatszerfallsprozesse können sich vermehrt terroristische
Netzwerke in Afrika bilden bzw. verstetigen. Zudem bilden viele ungeklärte
Grenzverläufe bis heute ein Konfliktpotenzial. Sie sind auch Nährboden für
neue Bürgerkriege und soziale Konflikte.

Eine langfristige Implementierung von demokratischen und rechtsstaatlichen
Strukturen und wirtschaftlicher Entwicklung erfordert mit an erster Stelle
Sicherheit und Stabilität, getragen und umgesetzt von den afrikanischen Staaten.

Der Afrikanischen Union (AU) kommt eine immer größere Rolle bei Krisen-
prävention, Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung zu. Trotz der wach-
senden Anforderungen an die AU ist diese jedoch kaum in der Lage, mit eige-
nen Kräften und Mitteln Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent
einzudämmen oder gar zu lösen. Es besteht die Gefahr, dass die AU als Sicher-
heitslieferant an Glaubwürdigkeit und damit Existenzberechtigung verlieren
wird, wenn sie wie im Darfur-Konflikt zwar zur Durchsetzung von Resolutio-
nen des UN-Sicherheitsrates beauftragt, dann aber finanziell, materiell und
politisch von der internationalen Staatengemeinschaft im Stich gelassen wird.
Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert darauf hinzuwirken, dass die in-
ternationale Gemeinschaft die AU zukünftig umfangreicher als bisher materiell
und finanziell unterstützt. Insbesondere benötigt die Mission African Union
Mission in Sudan (AMIS) dringend ein verpflichtendes Finanzierungsmodell.
Neben der Unterstützung der Afrikanischen Union ist der Aufbau der African
Standby Force (ASF) ein wesentlicher Pfeiler afrikanischen Sicherheitsarchi-

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tektur. Auch wenn sich der Aufbau der fünf Brigaden verzögert, ist die deut-
sche und europäische Unterstützung beim Aufbau dieses Elementes der eige-
nen Sicherheitsarchitektur in Afrika weiterhin erforderlich und politisch
sinnvoll. Auch regionale Bündnisse wie die IGAD (Inter-Governmental
Authority on Development) müssen von deutscher und europäischer Seite
stärker unterstützt werden.

Aber auch im sicherheitspolitischen Bereich gibt es positive Entwicklungen:
Unter der Schirmherrschaft der AU und der Vereinten Nationen hat im Jahre
2003 ein neuer Prozess zur Befriedung in der Region der „Großen Seen“ be-
gonnen. Mit dem Abschluss des „Paktes von Nairobi“ über Frieden Sicherheit
und Entwicklung am 15. Dezember 2006, ist der multilaterale Verhandlungs-
prozess, der seiner Struktur nach an den KSZE-Prozess angelehnt ist, einen
entscheidenden Schritt voran gekommen. Allein in acht der elf jetzt in der Kon-
ferenz involvierten Anrainerstaaten ist es in den letzten Jahren nicht mehr zu
bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Mit diesem neuen Ansatz eines
regionalen, multilateralen Konfliktlösungsmechanismus besteht die Chance,
über die Konflikte in den einzelnen Ländern hinaus, Lösungen für die gesamte
Sub-Region zu finden.

Die Unterstützung bei der Aufstellung nationaler Sicherheitsstrukturen darf
sich nicht alleine auf die militärische Komponente beschränken, sondern erfor-
dert auch eine verstärkte Unterstützung bei der Ausbildung von Polizei-, Zoll-
und sonstigen zivilen Strukturen.

Insbesondere muss die Bundesregierung verstärkt darauf hinwirken, dass die
internationale Gemeinschaft effektive Entwaffnungsprogramme für die Entwaff-
nung der Milizen und anderer Konfliktparteien in Afrika etabliert, die ehema-
ligen Milizen auch den Weg in die regulären Sicherheitsstrukturen ermöglichen.
In den Nachkonfliktregionen Afrikas müssen tragfähige Entschädigungsformen
für die Opfer der Konflikte gefunden werden, die den traditionellen Verhaltens-
weisen gerecht werden. Zudem ist dort eine kontinuierliche politische Beglei-
tung von entscheidender Bedeutung.

6. Umwelt

Das dynamische Wirtschaftswachstum in vielen Ländern Afrikas und die nicht
nur im Bereich der Rohstoffgewinnung, sondern auch für das verarbeitende Ge-
werbe viel versprechenden Perspektiven lassen den dortigen Energiebedarf
erheblich ansteigen. Bestimmte Länder Afrikas werden in naher Zukunft
also nicht nur von den Folgen eines zu erwartenden Klimawandels besonders
massiv betroffen sein, sondern deshalb auch spürbar zu den globalen Treib-
hausgasemissionen beitragen. Damit rückt die Frage des Klimaschutzes verstärkt
in den Vordergrund des Interesses. Zudem muss das Thema der Energiever-
sorgung einschließlich der erneuerbaren Energien gemeinsam mit dem Klima-
wandel behandelt werden, weil beide Fragen untrennbar miteinander zusam-
menhängen.

Weitere zentrale umweltrelevante Themen sind die Biodiversität – zumal mit
Blick auf die besondere Artenvielfalt in den afrikanischen (Ur-)Wäldern oder in
der Kapregion –, ferner die Wüstenbekämpfung sowie die Wasserversorgung
und die Abwasserentsorgung. Nicht zuletzt gilt dabei, den Erfahrungsschatz
und das naturspezifische Wissen der Menschen in Afrika als Fundus für den
Schutz der natürlichen Umwelt zu erhalten und zu nutzen.

Die Länder Afrikas müssen stärker in den internationalen Klimaschutz einbe-
zogen werden. Der internationale Emissionshandel muss durch den Ausbau von
Klimaschutzprojekten insbesondere auch in afrikanischen Ländern auf eine
breitere Grundlage gestellt werden. Von zentraler Bedeutung ist auch die tech-

nologieorientierte Klimaschutzpolitik. Mit Blick auf derartige Initiativen gilt es
darauf zu achten, dass der afrikanische Kontinent von Anbeginn in den inter-

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nationalen Klimaschutz explizit einbezogen und auf diesem Gebiet nicht ein-
mal mehr zum „vergessenen Kontinent“ wird. Insbesondere mit Blick auf die
Kohlevorkommen in bestimmten Regionen Afrikas ist hervorzuheben, dass vor
allem Energieeffizienz und CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken global
die größten Minderungspotenziale haben, zumal der Anteil fossil befeuerter
Kraftwerke in Afrika bei über 70 Prozent liegt. Kohlekraftwerke dominieren
insbesondere in Südafrika, Simbabwe, Botswana, Namibia und Mosambik.
Entscheidend ist demnach ein Innovationspakt für moderne Technologien für
Energieeffizienz, erneuerbare Energien und CO2-reduzierte Kohleverstromung,
in dessen Rahmen Modell-Partnerschaften Deutschlands mit ausgewählten
Ländern Afrikas auf den Weg gebracht werden sollten.

Gerade in den Ländern Afrikas hat die Nutzung erneuerbarer Energien ein gro-
ßes Potenzial, da sie bei Klimaschutz und Energiesicherheit Vorteile gegenüber
fossilen Energieträgern haben. Erneuerbare Energien können dort insbesondere
auch einen Beitrag zur Erschließung ländlicher Räume leisten, sofern durch die
dezentrale Nutzung erneuerbarer Energien auch in netzfernen Gegenden für die
Menschen ein Zugang zu elektrischer Energie geschaffen werden kann. In son-
nenreichen Gebieten stellt z. B. die Photovoltaik bereits heute eine prinzipiell
kostengünstige Option für die ländliche Elektrifizierung dar, insbesondere
dann, wenn keine geeignete Netzinfrastruktur zur Stromübertragung existiert.
Während die Solarenergie bereits eine gewisse, wenn auch bescheidene Rolle
spielt, werden die prinzipiell großen Potenziale zur Nutzung der Windenergie
bisher noch nicht genutzt. Insbesondere die Märkte der ländlichen Elektrifizie-
rung sollten im vorstehenden Sinne gezielter durch angepasste Instrumente der
Entwicklungszusammenarbeit und der Außenhandelsförderung erschlossen
werden. Trotz vergleichsweise hoher Anfangsinvestitionen sind hier geeignete
Finanzierungsinstrumente bereitzustellen um zur Risikodiversifizierung im
dortigen Energiemix beizutragen.

Mit Blick auf die Biodiversität, aber auch angesichts der Klimawirkungen des
Abholzens von Urwäldern liegt es im vitalen Interesse auch der Industrieländer,
dem Raubbau zu begegnen und Anreize für eine nachhaltige Land- und Forst-
wirtschaft zu setzen. Es gilt, die natürlichen Reservoire auf dem afrikanischen
Kontinent für kommende Generationen zu erhalten, indem die Artenvielfalt in
ausreichend großen Beständen gesichert wird. Ergänzend ist eine nachhaltige
Waldwirtschaft, die die Urwälder schützt, durch wirksame Systeme der Holz-
zertifizierung auf der Nachfrageseite abzusichern. Internationale Biodiversitäts-
politik muss auch Fragen sozialer Gerechtigkeit berücksichtigen. Dies betrifft
sowohl die Verteilung natürlicher Ressourcen als auch die Verteilung der Kos-
tenbelastungen, die ein wirksamer Schutz der Biodiversität mit sich bringt. Ein
wichtiges Handlungsfeld auch der Schutz der Meeresfauna. Eine nachhaltige
Fischerei, die die Bestände erhält, sowie ein art- und tierschutzgerechter Fisch-
fang sind zentral für den Schutz der Weltmeere. Der illegalen und nicht nach-
haltigen Fischerei, wie sie insbesondere vor den Küsten Westafrikas zunehmend
auftritt, muss wirksam entgegengetreten werden. Der Schutz der Biodiversität
muss Eigentumsrechte respektieren und für den Erhalt der Biodiversität nutzen.
Staatliche Naturschutzgebiete sollten auch in die Hände privater Organisatio-
nen gegeben werden.

Allerdings sind die Anwendungsmöglichkeiten beispielsweise von Konzepten
des Vertragsnaturschutzes und von marktlichen Entschädigungen gerade in den
besonders ressourcenreichen Gebieten mitunter nicht ohne Weiteres praktika-
bel. So findet ein Großteil der Förderung von Bodenschätzen in Siedlungs-
gebieten statt, wo traditionelle, gleichsam revierbezogene Landnutzungsrechte
indigener Völker bestehen, die weder in territorialer Hinsicht an Staatsgebiete
gebunden noch in eigentumsrechtlicher Hinsicht in Kategorien von Grund und

Boden definiert sind. Das Ziel, sowohl den Erfahrungsschatz als auch das
naturspezifische Wissen dieser Völker als Fundus für den Schutz der Biodiver-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/5130

sität zu erhalten und zu nutzen, trifft hier u. a. auf die Schwierigkeit, dass Eigen-
tums- und Vertretungsrechte wenn überhaupt, dann überwiegend abstrakt und
kollektiv definiert sind. Eine deutsche Afrikapolitik ist gefordert, auf die dorti-
gen Länder Einfluss zu nehmen, um den internationalen Natur- und Arten-
schutz stärker gemeinsam mit indigenen Völkern umzusetzen.

Ein zentrales Thema ist darüber hinaus die Wüstenbekämpfung und Verwüs-
tungsprävention auf dem afrikanischen Kontinent. Durch die globale Klima-
erwärmung sowie durch Abholzung, Überweidung und Monokulturen verwan-
deln sich immer größere Landflächen in Wüsten. Desertifikation bedeutet die
Ausbreitung wüstenähnlicher Verhältnisse in Gebiete hinein, in denen sie auf-
grund der klimatischen Bedingungen eigentlich nicht existieren sollten. Es
handelt sich mithin um einen durch den Menschen verursachten Vorgang der
Wüstenbildung. Während die Folgen einer Dürre umkehrbar sind, ist die Ver-
wüstung durch Desertifikation – wenn überhaupt – nur schwer reversibel. Die
Lebensgrundlage unzähliger Menschen ist dadurch bedroht, die Ernteausfälle
sind dramatisch. Wüstenbildung ist in engen Zusammenhang mit Klimawandel
und Biodiversitätsverlust zu sehen. Daher müssen neben technischem Fortschritt
zugleich geeignete institutionelle Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Dazu zählen ökonomische Anreize, Ordnungsrecht, Kooperation der Betroffe-
nen und Governance auf mehreren Ebenen. Technische Neuerungen werden von
Ackerbauern, Tierhaltern, Waldnutzern u. a. nur übernommen, wenn sie für sie
nachweisbar ökonomisch attraktiv sind.

Ferner ist die Wasserversorgung insbesondere in den Ländern Afrikas ein zen-
trales Problem, da unzählige Menschen dort keinen ausreichenden Zugang zu
sauberem Wasser haben. Ein erheblicher Anteil aller Erkrankungen ist letztlich
auf verschmutztes Wasser oder fehlende Sanitäranlagen zurückzuführen. Vor
allem Kinder sterben in erschütternd großer Zahl an den Folgen von unreinem
Wasser (Krankheiten, wie Cholera, Typhus, Gelbsucht und Durchfallerkran-
kungen). Einer sich immer weiter verschärfenden Wasserkrise auf dem afrika-
nischen Kontinent kann nur durch eine Optimierung der Wassernutzung begeg-
net werden. Die Industrieländer sollten deshalb zum gegenseitigen Nutzen
entwickelte Techniken der Wassergewinnung, -versorgung und der Abwasser-
behandlung zur Verfügung zu stellen.

Nach wie vor reagiert die Bundesregierung bei den entscheidenden Grundsatz-
fragen der deutschen Außen- Sicherheits- und Entwicklungspolitik in Afrika
mit Ad-hoc-Entscheidungen. Vielmehr bedarf es einer kritischen Überprüfung
der bilateralen und multilateralen deutschen Zusammenarbeit, ausgerichtet an
der neuen politischen Dynamik in Afrika.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und die Präsidentschaft der G8 bieten der
Bundesrepublik Deutschland die Chance, sich stärker für die Lösung der skiz-
zierten Probleme einzusetzen und dabei international abgestimmte Initiativen
auf den Weg zu bringen.

Ein erster Schritt zu einer effektiveren Afrikapolitik muss in einem koordinier-
ten und konzertierten Vorgehen der Bundesressorts auf der Basis einer klaren
Interessendefinition und einer gemeinsam zu erarbeitenden Strategie sein. Es
besteht die dringende Verpflichtung, eine solche koordinierte deutsche Politik
in Afrika auf den Weg zu bringen, die werte- und interessenorientiert ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein ressortübergreifendes und differenziertes Konzept zur langfristigen Aus-
gestaltung ihrer Afrikapolitik vorzulegen, das von dem Auswärtigen Amt
und den Ministerien für Entwicklung, Verteidigung, Wirtschaft und Umwelt
gestaltet und getragen wird, und das den spezifischen, nicht nur regionalen

Besonderheiten durch eine werte- und interessenorientierte Politik gerecht
wird;

Drucksache 16/5130 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. die Personalausstattung an den deutschen Botschaften in Afrika im Sinne
einer kohärenten Afrikapolitik, die den jeweiligen spezifischen Gegeben-
heiten in den einzelnen Staaten Rechnung trägt, deutlich zu erhöhen;

3. die sog. pre-conflicts und frozen-conflicts zu beobachten und den zuständi-
gen Parlamentsausschüssen darüber häufiger Bericht zu erstatten;

4. künftig ganzheitliche Problemlösungsansätze zu entwickeln, die Militär-
einsätze in ein entsprechendes „Follow-Up-Konzept“ einbetten;

5. in diesem Zusammenhang verstärkt mit der AU zusammenzuarbeiten und
dabei insbesondere die Bereiche Know-how-Transfer, Personalabordnun-
gen und Weiterbildung zu stärken;

6. die AU auf europäischer und internationaler Ebene in ihren Bemühungen
zur Schaffung von Sicherheit und Frieden, insbesondere in den Konflikt-
regionen des Kontinents, sowie beim Aufbau ihrer zivilen Strukturen, stär-
ker zu unterstützen;

7. ihrer zusammen mit den G8-Staaten eingegangenen Verpflichtung nachzu-
kommen, sich verstärkt um den Aufbau eigener afrikanischer Sicherheits-
strukturen zu bemühen, und damit die afrikanischen Staaten zu befähigen,
im Sinne des „African Ownership“ einen substantiellen Eigenbeitrag für
Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent zu leisten;

8. multilaterale Konfliktlösungsmechanismen, wie den Konferenz- und Ver-
handlungsprozess im Gebiet der Großen Seen, der seiner Struktur nach an
den KSZE-Prozess angelehnt ist, langfristig stärker zu fördern und zu
unterstützen;

9. im Rahmen der Vereinten Nationen die Volksrepublik China an ihre Ver-
antwortung für die Einhaltung grundlegender Rechte und eine nachhaltige,
friedliche Entwicklung des afrikanischen Kontinents zu erinnern;

10. den G8-Gipfel in Heiligendamm in Anwesenheit afrikanischer Partner zur
Überprüfung und gegebenenfalls Neuformulierung der seit dem Jahr 2000
erfolgten G8-Beschlüsse zu nutzen;

11. die Auswärtige Kulturpolitik in Afrika auszubauen und die Eröffnung
neuer Goethe-Institute mit dem Ziel zu forcieren, die Zivilgesellschaft vor
Ort zu unterstützen;

12. sich in stärkerem Maße für verbesserte Investitionsbedingungen deutscher
Betriebe und Unternehmen in Afrika einzusetzen und dabei auch gezielt
für das deutsche Know-how im Umweltschutz und bei den erneuerbaren
Energien zu werben;

13. darzulegen, welche Rolle der afrikanische Kontinent für die künftige Ener-
gieversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen
Union spielen kann;

14. den durch NePAD, SADC und ECOWAS begonnenen innerafrikanischen
Reformprozess langfristig stärker zu fördern und zu unterstützen;

15. eine speziell an Afrika ausgerichtete Analyse der Entwicklungszusammen-
arbeit zur Umsetzung der MDG zu erstellen;

16. eine Diskussion zu führen, über umsetzbare Ziele und Instrumente der
bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika, jenseits der Frage
der ODA-Quote;

17. die finanzielle Zusammenarbeit mit Schwellenländern schrittweise zu be-
enden und die dadurch freiwerdenden Mittel auf bedürftige Entwicklungs-
länder in Afrika umzuschichten;

18. dem im EG-Vertrag festgelegten Prinzip der Subsidiarität auch im Zusam-

menhang mit der Entwicklungspolitik der Europäischen Union Geltung zu
verschaffen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/5130

19. eine klare Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Ent-
wicklungszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Mit-
gliedstaaten festzulegen;

20. dafür zu sorgen, dass der EEF in den EU-Haushalt integriert wird, um
Transparenz und parlamentarische Kontrolle sicherzustellen;

21. gegenüber den anderen Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass die über-
holte Unterscheidung zwischen AKP-Staaten und anderen Entwicklungs-
ländern aufgegeben wird;

22. afrikanischen Lehrern mit einem Qualifizierungsprogramm Aus- und Wei-
terbildungsmöglichkeiten anzubieten und darüber hinaus Seminare zur
Ausbildung neuer Lehrer zu fördern;

23. Senior-Partnership-Programme auf den Weg zu bringen und pensionierte
Lehrer aus der Bundesrepublik Deutschland beim Aufbau afrikanischer
Bildungssysteme zu unterstützen;

24. Direktpartnerschaften im Bereich der Hochschulkooperation zwischen
deutschen Universitäten und neu eingerichteten afrikanischen Hochschu-
len zu unterstützen;

25. die Fördermöglichkeiten von DAAD, Goethe-Instituten und Pädagogi-
schem Austauschdienst in der Vergabe von Stipendien auszubauen, um
jungen Menschen aus ärmeren Verhältnissen eine Bildungsperspektive zu
geben;

26. weiterhin in Zusammenarbeit mit den Staaten der Afrikanischen Union im
Rahmen der Vereinten Nationen für die Beendigung von Bürgerkriegen,
insbesondere in Sudan und Somalia, einzutreten;

27. humanitäre Hilfe direkt über die Hilfsorganisationen unter Ausschaltung
korrupter oder instabiler Regierungen durchzuführen;

28. die Höhe der finanziellen Mittel für humanitäres Minenräumen mindestens
zu erhalten;

29. bei der Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas weiterhin auf die Achtung
von Menschenrechten, insbesondere auf die Einhaltung des Internationalen
Pakts über bürgerliche und politische Rechte zu beharren;

30. diplomatischen Druck zum Schutz von Oppositionspolitikern, Journalis-
ten, Menschenrechtsverteidigern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft
auszuüben und entschlossen gegen die Verletzung demokratischer Grund-
rechte zu protestieren;

31. die Beachtung des absoluten Folterverbots einzufordern;

32. sich für die weitere Zurückdrängung der Todesstrafe einzusetzen;

33. die Arbeit juristischer und rechtsstaatlicher Strukturen, insbesondere regio-
naler Tribunale und des IStGH, zu unterstützen;

34. Maßnahmen zu fördern, die allgemein die Rechte von Frauen stärken und
Frauen insbesondere vor Genitalverstümmelung, Sexualverbrechen,
Zwangsverheiratung, Menschenhandel, häuslicher Gewalt und allgemeiner
Diskriminierung durch Behörden schützen;

35. die Diskriminierung Homosexueller sowie ethnischer und religiöser Min-
derheiten nachdrücklich zu verurteilen;

36. sich entschlossen gegen die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten ein-
zusetzen und Projekte, die die Reintegration von Kindern in die zivile Ge-
sellschaft fördern, weiterhin zu unterstützen;

37. auf allen Ebenen der Zusammenarbeit die Staaten Afrikas bei der Achtung

der Menschenrechte sowie der demokratischen Prozesse (Good Gover-
nance) in die Pflicht zu nehmen;

Drucksache 16/5130 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
38. die Länder Afrikas wesentlich stärker als bisher in den internationalen
Klimaschutz einzubeziehen, indem

– der internationale Emissionshandel durch den Ausbau von CDM-Klima-
schutzprojekten insbesondere auch in afrikanischen Ländern attraktiver
gemacht wird,

– die Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere auch der Solarener-
gie, explizit und nachdrücklicher als bisher in die Zusammenarbeit und
die Außenhandelsförderung Deutschlands eingebunden wird,

– mehr Messstationen zur Beurteilung des Klimawandels auf dem afrika-
nischen Kontinent eingerichtet werden, um Anpassungsmaßnahmen
effektiver planen zu können,

– Möglichkeiten für künftige CO2-Lagerstätten auf dem afrikanischen
Kontinent

erkundet werden („CCS-Mapping“);

39. die Länder Afrikas bei ihren Bemühungen um die Biodiversität stärker als
bisher zu unterstützen, indem

– ein Prozess zur forcierten Bestandsaufnahme der biologischen Vielfalt
und zur Definition klarer Zielsetzungen einer Politik für Biodiversität
auch in den afrikanischen Ländern initiiert wird,

– neben der Bewahrung von Reservaten vor allem auch auf die nachhal-
tige Naturnutzung, bessere Umweltbildung und die Nutzung von Eigen-
tumsrechten für den Naturschutz gesetzt wird. Dabei sind auch die
Potenziale indigener Völker besser für den Naturschutz zu nutzen, in-
dem ihre Eigentums- und Bürgerrechte gewahrt werden,

– darauf hingewirkt wird, dass die afrikanischen Staaten im Rahmen ihrer
Möglichkeiten die Abholzung von Urwäldern, insbesondere in den Tro-
pen, verhindern und zugleich durch Systeme der Holzzertifizierung die
Nachfrageseite im Sinne einer nachhaltigen Holzwirtschaft beeinflusst
wird,

– Maßnahmen seitens der Europäischen Union ergriffen werden, um die
afrikanischen Staaten bei der Bekämpfung der illegalen Fischerei ge-
rade durch ausländische Unternehmen zu unterstützen;

40. die Länder Afrikas stärker als bisher bei der Wüstenbekämpfung zu unter-
stützen, indem präventiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Wüstenbil-
dung ein stärkeres Gewicht eingeräumt wird und die Länder Afrikas bei
der Anwendung und Weiterentwicklung bewährter „best practices“ unter-
stützt werden;

41. die Länder Afrikas stärker als bisher in den Bereichen der Wasserversor-
gung und der Abwasserentsorgung zu unterstützen, indem

– die Menschen in betroffenen Regionen bezüglich Hygiene und Ab-
wassermanagement im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in-
tensiver als bisher aufgeklärt werden,

– eine Intensivierung des Technologietransfers für die Aufbereitung von
Trinkwasser und Behandlung von Abwasser sowie der Know-how-
Transfer zum Aufbau auch privater Ver- und Entsorgungsstrukturen er-
folgt.

Berlin, den 24. April 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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