BT-Drucksache 16/4610

Internationale und europäische Klimaschutzoffensive 2007

Vom 7. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4610
16. Wahlperiode 07. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Patrick
Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Gisela Piltz, Jörg Rohde, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-
Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Internationale und europäische Klimaschutzoffensive 2007

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Klimaschutz ist die herausragende umweltpolitische Herausforderung des
21. Jahrhunderts und eine der Kernaufgaben einer generationengerechten Poli-
tik. Der jüngste Bericht, der von wissenschaftlicher Seite der Vereinten Nationen
dazu vorgelegt worden ist, zeigt überdeutlich: Das Zeitfenster wird zunehmend
kleiner, um gegenzusteuern und das Ziel zu erreichen, die globale Erderwär-
mung bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Alle
Staaten dieser Welt sind aufgerufen, ihren Beitrag zum internationalen Klima-
schutz zu leisten. Die globale Umweltsituation fordert entschlossenes Handeln
der internationalen Staatengemeinschaft. Nur wenn wir heute handeln, werden
nachfolgende Generationen akzeptable Lebensräume vorfinden. Die Folgen des
globalen Klimawandels sind überdies eine ökonomische Bedrohung und gefähr-
den den wirtschaftlichen Wohlstand der Menschen. Folglich ist Klimaschutz
auch eine wirtschaftspolitisch sinnvolle Investition. Deutschland muss in der EU
und der G8 in diesem Sinne deutliche Akzente setzen.

● Auf globaler Ebene hat bereits die russische G8-Präsidentschaft 2006 das

Thema Energiesicherheit zu einem der Schwerpunkte erkoren. Aus ökologi-
scher Sicht ist die Verknüpfung mit der Frage des Klimaschutzes unumgäng-
lich.

– Aus technologischer Perspektive verweist die Verknüpfung des Klima-
schutzes mit der Frage der Energiesicherheit auf die jüngste Feststel-
lung der Internationalen Energieagentur, wonach Energieeffizienz und

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CO2-freie Kohleverstromung die Verfahrensbereiche mit dem größten
CO2-Minderungspotenzial sind – noch vor den vieldiskutierten Fragen
einer weiteren Nutzung der Kernenergie und der erneuerbaren Energien.
Die Entwicklung und Einführung von sauberer Kohletechnologie muss
– zumal mit Blick auf die riesigen Kohlevorkommen beispielsweise in
China – beschleunigt werden. Im Übrigen gilt es, die Anstrengungen im
Bereich „Anpassung an den Klimawandel“ insbesondere in den ärmsten
Ländern deutlich zu verbessern. Denn selbst bei größten Anstrengungen
lässt sich der Klimawandel nicht mehr verhindern, sondern nur noch
– auch hinsichtlich der Auswirkungen – abmildern.

In diesem Sinne ist auch die technologieorientierte Klimaschutzpolitik
nach dem Beispiel der u. a. von den USA initiierten „Asia-Pacific-Partner-
ship“ von zentraler Bedeutung. Dies betrifft sowohl Technologien zur Ver-
ringerung von Treibhausgasemissionen als auch Technologien, die im
Sinne einer passiven Klimapolitik der Anpassung an einen Klimawandel
dienen. Dieser Technologiebereich wurde bisher im Rahmen der klima-
relevanten Technologiepolitik unzureichend beachtet. Der Kyoto-Prozess
muss um eine globale Technologiezusammenarbeit ergänzt werden. Über-
dies geht es um eine massive Erhöhung der Anstrengungen im Bereich der
Energieforschung, um eine engere technologische Kooperation auf inter-
nationaler Ebene, um einen wirksamen Technologietransfer in die
Schwellen- und Entwicklungsländer sowie um eine stärkere Exportförde-
rung im Bereich der erneuerbaren Energien (z. B. Solaranlagen).

– Mit Blick auf die Zukunft des Kyoto-Protokolls und die Zeit internationa-
ler Klimapolitik nach 2012 ist von entscheidender Bedeutung, dass der mit
dem Kyoto-Protokoll begonnene Prozess auf internationaler Ebene in Gang
gehalten wird und dass weitere Länder – insbesondere auch die USA – dazu
bewogen werden, einem neuen globalen Abkommen beitreten. Als in die-
sem Sinne ermutigendes Signal ist die von mehreren amerikanischen Bun-
desstaaten jüngst geäußerte Absicht zu werten, innerhalb der kommenden
Monate einen Handel mit Emissionszertifikaten einrichten zu wollen. Es
gilt, solchen Initiativen aktiv die Hand zu reichen.

Dessen ungeachtet gilt: Um für alle Staaten dieser Welt attraktiv zu wer-
den, muss das Kyoto-Protokoll vor allem wirtschaftlich leistungsfähig
sein. Dies kann nur gelingen, wenn sichergestellt ist, dass für jeden einge-
setzten Euro soviel Klimaschutz wie möglich erwirtschaftet wird. Dazu
müssen die Kyoto-Instrumente (Emissionshandel, gemeinsame Imple-
mentierung/JI, Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung/CDM,
Nutzung von Kohlenstoff-Senken) ihre Kräfte voll entfalten können. In
diesem Sinne bedarf es im Rahmen einer Klimaschutzoffensive 2007 ent-
schlossener Aktivitäten auf allen Ebenen. Die internationalen Instrumente
des Klimaschutzes müssen konzeptionell weiterentwickelt werden, z. B.
durch eine Öffnung des Mechanismus der gemeinsamen Implementierung
für nationale Projekte, durch eine intensivere Nutzung des Mechanismus
für umweltverträgliche Entwicklung und von Waldsenkenprojekten sowie
durch die Einbeziehung von Projekten zur Abscheidung und Einlagerung
von CO2 in geeigneten unterirdischen Lagerstätten. Ferner gilt es darauf
hinzuwirken, dass neben Kohlendioxid auch die anderen Klimagase, die
im Kyoto-Protokoll aufgeführt sind, so schnell wie möglich in den Emis-
sionshandel einbezogen werden.

● Die europäische Politik muss ihre Prioritäten auf Energieeffizienz, erneuer-
bare Energien und CO2-arme Kohleverstromung legen. Forschung und
Anreizmechanismen müssen in diesem Sinne akzentuiert werden. Der beste

Anreiz wäre eine Ausweitung des Emissionshandels im Sinne eines umfas-
senden sektorübergreifenden Marktes für Treibhausgasemissionen im euro-

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päischen und internationalen Maßstab. Die bisherigen Resultate der klima-
politischen Aktivitäten auf europäischer Ebene zeigen einerseits, dass
Deutschland auf einem guten Weg ist, das zugesagte Reduktionsziel zu errei-
chen, nämlich die Treibhausgasemissionen um 21 Prozent bis 2012 zu sen-
ken. Auch Großbritannien hat die Treibhausgasemissionen substanziell ver-
mindert. Andererseits ist die EU in der Gesamtbetrachtung noch sehr weit
davon entfernt, ihr Klimaschutzziel zu erreichen. Von der Vorgabe, im Zeit-
raum 1990 bis 2012 den Kohlendioxidausstoß um 8 Prozent zu verringern,
hat die EU insgesamt bisher wenig mehr als 1,2 Prozentpunkte erreicht. Die
Klimaschutzerfolge, die Deutschland und Großbritannien für die EU in den
vergangenen Jahren erreicht haben, sind fast vollständig durch die Mehremis-
sionen anderer EU-Länder, insbesondere Spaniens und Italiens, aufgezehrt
worden. Dies kann auf die Dauer nicht akzeptiert werden: Wenn die Treib-
hausgasemissionen der EU dauerhaft in der Summe nahezu unvermindert
– nur eben jenseits der Grenzen Deutschlands und Großbritanniens – stattfin-
den, droht dies die Klimaschutzanstrengungen klimapolitisch ad absurdum
zu führen. Eine tatsächliche Verringerung der Treibhausgasemissionen kann
nur durch europaweit und global koordiniertes Handeln erreicht werden.
Dabei ist auf eine faire Lastenteilung zu achten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– den internationalen Klimaschutz im Rahmen eines Post-Kyoto-Prozesses auf
globaler Ebene voranzubringen, indem sie

1. darauf hinwirkt, dass das drängende Ziel einer sicheren Energieversor-
gung systematisch und verbindlich mit dem Ziel des Klimaschutzes ver-
knüpft wird;

2. die globale Energieforschung und Technologiekooperation ausweitet, ins-
besondere für mehr Energieeffizienz, für eine intensivere Nutzung erneu-
erbarer Energien und CO2-reduzierte Kohleverstromung (Clean Coal);

3. ein globales System verpflichtender klimapolitischer Maßnahmen unter
Einschluss insbesondere auch der USA und anderer G8-Staaten sowie
auch Chinas und Indiens für die Zeit nach 2012 initiiert;

4. initiativ wird, um Emissionshandelssysteme, die sich beispielsweise in
den USA gegenwärtig außerhalb des Kyoto-Regimes bzw. in der Entste-
hung befinden, mit den Instrumenten des Kyoto-Protokolls zu verknüpfen
und den konstruktiven Dialog mit den betreffenden Ländern zu suchen,
um einen globalen Kohlenstoffmarkt zu erreichen;

5. darauf hinwirkt, dass die flexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls,
insbesondere des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung und
der Anrechnung von CO2-Senken (insbesondere Aufforstung) verstärkt
genutzt werden;

6. darauf hinwirkt, dass der Ausbau von Maßnahmen zur Anpassung an den
Klimawandel vorangetrieben wird, um die ökonomischen und ökolo-
gischen Schäden zu verringern;

7. darauf hinwirkt, unverzüglich alle Kyoto-Mechanismen im Rahmen der
nationalen, europäischen und internationalen Klimapolitik zu nutzen und
im Sinne einer weiteren Kostensenkung weiterzuentwickeln (siehe dazu
den Antrag der Fraktion der FDP vom 14. Dezember 2005 „Klimaschutz-
offensive 2006“, Bundestagsdrucksache 16/242);

8. durch konkrete Maßnahmen darauf hinwirkt, dass Deutschland als High-
Tech-Standort seine Kräfte darauf konzentriert, energiewirtschaftliche

Technologieführerschaft zu entwickeln und auszubauen. Hier geht es vor-

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dringlich um eine Steigerung der Energieeffizienz, um erneuerbare Ener-
gien, modernste Abscheide- und Einlagerungstechniken für Treibhaus-
gase sowie darum, mit dieser Hochtechnologie weltweit zum Klimaschutz
beizutragen;

9. Partnerschaften zwischen G8-Staaten und geeigneten Entwicklungs- und
Schwellenländern zur Schaffung von sog. Modellländern anregt, um die
Potenziale einer breiten und dem jeweiligen Land angepassten Anwen-
dung erneuerbarer Energien für den globalen Einsatz zu demonstrieren;

10. die technologische Kompetenz Deutschlands auch im Bereich der Kern-
technik zu erhalten und weiterzuentwickeln und Know-how aus Deutsch-
land – insbesondere auch mit Blick auf die Sicherheit kerntechnischer An-
lagen – in internationalen Kooperationen zu erhalten und auszubauen,
weil die Kernenergie als Übergangstechnologie für den Klimaschutz auf
mittlere Sicht unverzichtbar ist.

– den Klimaschutz auf europäischer Ebene voranzubringen, indem sie darauf
hinwirkt, dass

1. Energiesicherheit und Klimaschutz im Sinne des von der EU-Kommission
am 10. Januar 2007 vorgelegten Maßnahmenpakets „Energy for a Chan-
ging World“ und der Vorschläge der Kommission zu einer Energiepolitik
für Europa integriert werden. Für die Zeit nach 2012 sind verbindliche
Ziele für die Begrenzung von Treibhausgasemissionen auf den Weg zu
bringen und möglichst alle Industrie- und Schwellenländer zur Teilnahme
an einer solchen Post-Kyoto-Vereinbarung zu bewegen;

2. die wirtschaftliche Attraktivität der flexiblen Kyoto-Instrumente erhöht
wird, auch durch die Anerkennung von CO2-Senken (z. B. Aufforstungs-
projekte). Außerdem sollten neue Entwicklungen z. B. auf Ebene der US-
Bundesstaaten genutzt, Technologiekooperationen eingegangen sowie als
Übergang bilaterale oder sektorale Zielvereinbarungen erwogen werden;

3. das Ziel verbindlich fixiert wird, dass die Treibhausgasemissionen bis
2020 um 30 Prozent gegenüber 1990 verringert werden. Dazu muss
die EU ihre Prioritäten auf Energieeffizienz, erneuerbare Energien und
CO2-arme Kohleverstromung legen;

4. der Luftverkehr sowie darüber hinaus der gesamte Verkehrssektor in das
bestehende EU-Emissionshandelssystem integriert werden, kein separates
Handelssystem aufgebaut und zugleich internationale Verhandlungen zur
Einbindung des Luftverkehrs in globale Klimaschutzkonzepte aufgenom-
men werden;

5. die Wärmegewinnung für Gebäude für die Zeit nach 2012 in den Emis-
sionshandel einbezogen wird;

6. neben Kohlendioxid auch die anderen Klimagase, die im Kyoto-Protokoll
aufgeführt sind, so schnell wie möglich in den europäischen Emissions-
handel einbezogen werden. Damit würden die für den Klimaschutz er-
brachten Vorleistungen entsprechend berücksichtigt und die Vorteile des
Emissionshandels umfassend genutzt;

7. eine Innovationsoffensive für saubere Energie ins Leben gerufen wird, die
auch für die deutsche Wirtschaft mit ihrer Technologieführerschaft Wett-
bewerbsvorteile sichern kann. Die Bundesregierung sollte daher auf euro-
päischer Ebene eine Forschungsinitiative für Energieeffizienz, erneuer-
bare Energien sowie die CO2-reduzierte Kohleverstromung voranbringen;

8. im Rahmen der Mittelmeerpolitik der EU die Nutzung der Solarenergie in

sonnenreichen Ländern Europas gezielt gefördert wird, z. B. durch Pro-
gramme für Photovoltaik in Inselregionen sowie durch Pilotprojekte zum

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Bau solarthermischer Kraftwerke. Die Energiemärkte sind weiter zu öff-
nen, um die grenzüberschreitende Nutzung erneuerbarer Energien ebenso
zu fördern wie dezentrale Versorgungskonzepte;

9. die Exportförderung für erneuerbare Energien, die Beratung von Entwick-
lungs- und Schwellenländern in energiepolitischen Fragen sowie der Ein-
satz erneuerbarer Energien im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
intensiviert und besser koordiniert wird;

10. für künftige Verpflichtungsperioden die Abstimmung zum Vergabeverfah-
ren zwischen EU-Kommission und den europäischen Partnerländern
transparenter, klarer und vorhersehbarer gestaltet wird als dies bisher der
Fall gewesen ist.

Berlin, den 6. März 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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