BT-Drucksache 16/456

Den Kommunen an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik die Zusammenarbeit mit diesen Ländern erleichtern

Vom 25. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/456
16. Wahlperiode 25. 01. 2006

Antrag
der Abgeordneten Christian Ahrendt, Markus Löning, Michael Link (Heilbronn),
Dr. Werner Hoyer, Gisela Piltz, Sibylle Laurischk, Martin Zeil, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van
Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Den Kommunen an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik
die Zusammenarbeit mit diesen Ländern erleichtern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im zusammenwachsenden Europa gewinnt die grenzüberschreitende Zusam-
menarbeit auf regionaler und kommunaler Ebene immer mehr an Bedeutung.
Sie steht für das lebendige, bürgernahe und dezentrale Europa der Regionen,
das wir anstreben. Mit der Erweiterung der Europäischen Union um 10 neue
Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 sind wir diesem Ziel näher gekommen. Jedoch
bietet das Europarecht wenige Anknüpfungspunkte, um die grenzüberschrei-
tende Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Regionen direkt zu fördern.
Deshalb werden auch nach dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik und
Polens auf nationalstaatlicher Ebene Schaltstationen zwischen Regierungen
und Behörden in Form von Regierungskommissionen benötigt. Grundlage
hierfür sind der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag von 1991 und der
deutsch-tschechische Nachbarschaftsvertrag von 1992, mit denen die Vertrags-
parteien u. a. die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Regionen, Städ-

ten, Gemeinden und anderen Gebietskörperschaften insbesondere im grenz-
nahen Bereich erleichtern und fördern wollen.

In der Praxis jedoch hat auch rund 13 Jahre nach Unterzeichnung der beiden
Verträge die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Mecklenburg-
Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Bayern einerseits sowie den benach-
barten polnischen und tschechischen Grenzregionen andererseits noch nicht die
erwünschte und notwendige Dynamik entfalten können.

Drucksache 16/456 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Dabei ist völlig unstrittig, dass intensive, dichte und auf möglichst allen Ebenen
stattfindende Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg den Bürgerinnen und
Bürgern auf beiden Seiten der Grenze viele Vorteile und Impulse bringen kann:
Grenzüberschreitend können bürgernah viele kommunale und regionale Aufga-
ben kostensparend, effizient und wenig bürokratisch erledigt werden. Zu den-
ken ist dabei beispielsweise an die Errichtung grenzüberschreitender Zweck-
verbände für die Müll- und Abwasserentsorgung, an Schulen und Kindergärten
in gemeinsamer kommunaler Trägerschaft, an grenzüberschreitende berufs-
bildende und berufsweiterbildende Angebote, an gemeinsame Naturschutz-
projekte und an gemeinsame Raum- und Städteplanung. Zu denken ist auch an
gemeinsame Feuerwehren, Tourismusprojekte, Krankenhäuser oder andere
gemeinsam betriebene Gesundheitseinrichtungen sowie an den gemeinsamen
Katastrophenschutz. Dass dies besonders notwendig ist, haben das Oderhoch-
wasser 1997 und das Elbhochwasser 2002 leider nur zu deutlich gemacht.

Auch aus wirtschaftlichen Gründen wollen und müssen die deutschen Grenzre-
gionen die Chancen ergreifen, die ihnen die Öffnung der Grenzen nach Polen
und Tschechien bieten. Deshalb sehen die strukturschwachen Gemeinden,
Städte, Kommunalverbände und Landkreise dort mit Zuversicht einer immer
engeren Zusammenarbeit mit ihren polnischen und tschechischen Partnern ent-
gegen.

Beispielsweise besteht auf der polnischen Seite, besonders im Großraum Stettin,
ein akuter Mangel an akzeptablem Wohnraum. Dagegen wird auf deutscher
Seite, in der Region Schwedt, gut nutzbarer Wohnraum abgerissen.

Trotz des guten Willens auf beiden Seiten der Grenzen jedoch scheitern grenz-
übergreifende kommunale oder regionale Projekte und Ideen in der Praxis
häufig daran, dass Kommunen und Regionen zur Billigung ihrer Vorhaben um
Einzelgenehmigungen in den jeweiligen Hauptstädten nachsuchen müssen. Das
bedeutet konkret, dass im Grunde einfach und unbürokratisch zu realisierende
Vorhaben in komplizierten und zeitraubenden zwischenstaatlichen Abstim-
mungsprozessen in völkerrechtliche Formen „gegossen“ werden müssen, bevor
sie vor Ort ihren Nutzen entfalten können.

Der Deutsche Bundestag ist daher der Auffassung, dass mit Polen und der
Tschechischen Republik Rahmenabkommen schnellstmöglich abgeschlossen
werden müssen, die Abhilfe schaffen. Eine völkerrechtliche Vereinbarung ist
notwendig, da das Grundgesetz die internationale Vertragsfähigkeit nur dem
Bund und in wenigen Ausnahmefällen den Ländern zugesteht, keinesfalls aber
Städten, Gemeinden und Landkreisen. Nach Auskunft der Bundesregierung
haben Verhandlungen bereits begonnen, diese müssen jedoch im Interesse der
betroffenen Menschen dynamischer und engagierter geführt werden.

Als Modell für solche Rahmenabkommen kann das Karlsruher Übereinkom-
men dienen, das 1996 von Deutschland, Frankreich, Luxemburg und der
Schweiz unterzeichnet wurde. Es hat für die südwestdeutschen Gemeinden,
Kreise und Kommunen den notwendigen rechtlichen Rahmen geschaffen, da-
mit diese auf direktem Wege mit ihren Partnern auf der anderen Seite der
Grenze verbindliche Vereinbarungen zur Lösung ihrer Probleme abschließen
können. In diesem Grenzgebiet verwirklicht das Karlsruher Übereinkommen
die Ziele des Europäischen Rahmenübereinkommens über die grenzüberschrei-
tende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften, das auf Initiative des
Europarates 1980 in Madrid unterzeichnet wurde. Das Karlsruher Übereinkom-
men ist ein großer Erfolg geworden, denn es bietet die Grundlage für eine Fülle
positiver Initiativen und Projekte. So dient das Karlsruher Übereinkommen
nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern, es festigt auch die gutnachbarlichen
Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/456

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

– nach dem Beispiel des Karlsruher Übereinkommens von 1996 mit Polen und
der Tschechischen Republik ähnliche Übereinkommen abzuschließen oder
die bestehenden Nachbarschaftsverträge mit Polen und der Tschechischen
Republik so zu erweitern, dass Kommunen, Kommunalverbände und Land-
kreise direkt mit ihren Partnern jenseits der Grenzen zum Wohle ihrer Bürger
handeln können;

– den hierfür notwendigen Verhandlungen einen dichten Zeitrahmen zu geben
und dem Verhandlungsabschluss sehr hohe politische Priorität einzuräumen;

– sich dafür einzusetzen, dass auch auf anderen Ebenen, beispielsweise im
Rahmen des Weimarer Dreiecks mit Frankreich und Polen, ein Erfahrungs-
austausch über die Ergebnisse des Karlsruher Übereinkommens stattfindet;

– Probleme und Chancen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sowie
den Verhandlungsfortgang regelmäßig auf die Agenden der deutsch-polni-
schen und der deutsch-tschechischen Gipfeltreffen zu setzen, damit schnellst-
möglich konstruktive Lösungen erzielt werden.

Berlin, den 24. Januar 2006

Christian Ahrendt
Markus Löning
Michael Link (Heilbronn)
Dr. Werner Hoyer
Gisela Piltz
Sibylle Laurischk
Martin Zeil
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff

Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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