BT-Drucksache 16/4445

Europäische Datenschutzstandards bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA sicherstellen

Vom 28. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4445
16. Wahlperiode 28. 02. 2007

Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln),
Monika Lazar, Jerzy Montag und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europäische Datenschutzstandards bei der Weitergabe von Fluggastdaten
an die USA sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 16. Oktober 2006 unterzeichnete die EU das Interimsabkommen mit den
USA über die Weitergabe von Fluggastdaten (Passenger Name Records, PNR),
das bis zum 31. Juli 2007 gilt. Es ersetzt das vom Europäischen Gerichtshof für
nichtig erklärte Abkommen vom 28. Mai 2004. Das Übereinkommen regelt die
elektronische Datenweitergabe aus den Buchungs- und Abflugkontrollsystemen
der Fluggesellschaften an die Zoll- und Grenzbehörde des Department of Home-
land Security (DHS).

Der Deutsche Bundestag sieht auch mit diesem zweiten Abkommen die Grund-
rechte der Bürgerinnen und Bürger bei der Weitergabe persönlicher Daten von
Flugpassagieren an die USA nicht gewahrt.

Die personenbezogenen Daten von Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen
Union sind durch die Europäische Menschenrechtskonvention, die allgemeine
EU-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG und das nationale Datenschutzrecht ge-
schützt. Die Übermittlung personenbezogener Daten aus den EU-Mitgliedstaaten
an die USA darf nach europäischem Recht nur dann erfolgen, wenn ein Daten-
schutzniveau gewährleistet ist, dass dem der EU-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG
entspricht. Diese rechtlichen Vorgaben sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Die von der US-Regierung am 11. Mai 2004 in Bezug auf das alte Abkommen
abgegebene Verpflichtungserklärung über den Datenschutz (undertakings), die
auch für das jüngste Interimsabkommen gilt, reicht zum Schutz der Grundrechte
in keiner Weise aus. Diese Erklärung ist rechtlich unverbindlich und lässt zu
viele, teilweise sehr weitgehende Ausnahmen zu. Zusätzlich sind seitens des
DHS im Oktober 2006 per Brief an die EU-Kommission weitere Einschränkun-
gen dieser Verpflichtungen mitgeteilt worden.

Datenschutzrechtliche Zusagen sind bis heute nicht eingehalten worden. So ist
die bereits zugesagte Umstellung vom sog. Pull- zum sog. Push-Verfahren, bei

dem die US-Behörden nicht unmittelbar auf die Reservierungssysteme zugrei-
fen können, noch immer nicht erfolgt. Die Regelungen des PNR-Abkommens
garantieren demnach kein ausreichendes Datenschutzniveau nach Artikel 8 der
Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Artikel 8 der Europäischen
Grundrechtecharta und sind somit nicht europarechtskonform.

Darüber hinaus bezweifelt der Deutsche Bundestag, dass die datenschutzrecht-
lichen Zusicherungen von den USA vollständig eingehalten werden. So sieht

Drucksache 16/4445 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

beispielsweise die Verpflichtungserklärung eine jährliche gemeinsame Überprü-
fung der Datenweitergabepraxis vor. Diese hat aber seit Inkrafttreten des Ab-
kommens im Mai 2004 nur einmal und unvollständig stattgefunden. Das Verfah-
ren ist intransparent und trägt nicht zur Vertrauensbildung bei. Der Ergebnis-
bericht unterliegt der Geheimhaltung.

Der Deutsche Bundestag missbilligt das vom Department of Homeland Security
im US-amerikanischen Federal Register vom 2. November 2006 veröffentlichte
automatische Verfahren zu Einschätzung des sog. individuellen Sicherheitsrisi-
kos aller Einreisenden, dem sog. Automated Targeting System (ATS). Es ist zu
befürchten, dass die gelieferten Passagierdaten von diesem System verwendet
werden, ohne dass dies ausdrücklich im Abkommen vorgesehen ist. Dies wäre
eine unkontrollierte mit EU- und nationalem Recht unvereinbare Ausweitung
der Datenspeicherung bzw. -weitergabe. Hier bedarf es einer ausdrücklichen und
belastbaren Klarstellung seitens der USA.

Da das Abkommen nur bis zum 31. Juli 2007 gilt, kommt der Bundesregierung
während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bei der Neuaushandlung des
Abkommens besondere Verantwortung zu. Sie muss dafür Sorge tragen, dass
Grundrechteschutz und Sicherheitsinteressen im Folgeabkommen nicht in Wider-
spruch geraten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft noch während der Laufzeit des Ab-
kommens gegenüber den USA auf ein höheres Datenschutzniveau bei der
Fluggastdatenweitergabe hinzuwirken und sicherzustellen, dass die USA zu-
mindest ihrer Verpflichtungserklärung im vollen Umfang nachkommen,

2. auf die sofortige Umstellung des Systems von „pull“ auf „push“ sowie auf die
Einsetzung effektiver technischer Filter, um die Übermittlung sensibler Da-
ten zu verhindern, hinzuwirken,

3. darauf zu dringen, dass die bei der bislang einzigen gemeinsamen Überprü-
fung im September 2005 möglicherweise festgestellten Mängel behoben
werden, und dass zeitnah eine weitere gemeinsame Prüfung stattfindet, deren
Ergebnisse öffentlich gemacht werden und in die Neuverhandlungen des Ab-
kommens einfließen,

4. darauf hinzuwirken, dass seitens der USA klargestellt wird, dass die PNR
nicht für das Automated Targeting System (ATS) verwendet werden,

5. unverzüglich sicherzustellen, dass die Passagiere vollständig über Zweck und
Umfang der Datenerhebung und -übermittlung unterrichtet werden,

6. bei den Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen im Sinne einer Re-
gelung zu verhandeln, die sich am PNR-Abkommen mit Kanada orientiert
sowie den Forderungen der sog. Artikel-29-Datenschutzgruppe Rechnung
trägt, und zwar im Einzelnen:

– auf eine Reduzierung der 34 Datenelemente hinzuwirken,

– eine strikte Zweckbindung bei der Übertragung und Weiterübertragung
der Daten an andere Stellen der USA und Drittstaaten einzuführen,

– für die Übermittlung, Verarbeitung und Weitergabe von Fluggastdatensät-
zen rechtsverbindliche Datenschutzverpflichtungen zu schaffen, um ein
angemessenes Schutzniveau dauerhaft zu gewährleisten,

– ein eindeutiges Auskunfts- und Widerspruchsrecht, Beschwerdeverfahren
und Haftungsregelungen mit einem Rechtsweg zu schaffen,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4445

7. für das Folgeabkommen die öffentliche Kontrolle in diesem grundrechte-
sensiblen Bereich durch die Mitbestimmung des Europäischen Parlaments
herzustellen,

8. im Zuge der Neuverhandlungen auch den europäischen und die nationalen
Datenschutzbeauftragten zu konsultieren,

9. dem mangelhaften Datenschutz in der sog. dritten Säule abzuhelfen und im
Rat auf die unverzügliche Annahme eines Rahmenbeschlusses über den
Datenschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit hinzuwir-
ken und damit einen einheitlichen EU-Datenschutzrahmen zu schaffen.

Berlin, den 28. Februar 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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