BT-Drucksache 16/4272

Auswirkungen von Militärsonar auf Meeresumwelt

Vom 2. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4272
16. Wahlperiode 02. 02. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Winfried Nachtwei,
Cornelia Behm, Rainder Steenblock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswirkungen von Militärsonar auf Meeresumwelt

Die NATO (Allied Maritime Component Command Naples) organisiert all-
jährlich im Frühjahr im Mittelmeer ein Seemanöver, an dem in der Regel auch
die Bundeswehr beteiligt ist. Dabei handelt es sich nach Angaben der NATO um
das weltweit größte Manöver zur U-Boot-Abwehr (http://www.afsouth.nato.int/
JFCN_Exercises/JFC_exercises.htm). Bei diesem Manöver werden voraus-
sichtlich Sonargeräte zum Einsatz kommen, die u. a. im Verdacht stehen, für
eine Vielzahl von unnatürlichen Wal- und Delfinstrandungen verantwortlich zu
sein. Das Ionische Meer, in dem das Manöver stattfindet, gilt – wie die kana-
rischen Inseln oder die Bahamas – als ein Ort für wiederholte unnatürliche
Walstrandungen (siehe Podestà, M.; d’Amico, A.; Pavan, G.; Drougas, A.;
Komnenou, A. and Portunato, N. A review of Cuvier’s beaked whale strandings
in the Mediterranean Sea J. Cetacean Res. Manage. 7(3):251–261, 2006).

Forscher und Tierschützer machen seit langem geltend, dass der Einsatz
bestimmter Sonargeräte bei Meerestieren, insbesondere Meeressäugern, zu
Orientierungsproblemen bis hin zu schweren inneren Verletzungen im Hirn- und
Ohrenbereich führt (siehe z. B. Zeitschrift „Nature“ vom 9. Oktober 2003). Die
Internationale Walfangkommission kam 2004 zu dem Ergebnis, dass es unmit-
telbare Auswirkungen militärischer Sonare auf Wale gibt. Die bekannt gewor-
denen Strandungen sind nur die Spitze des Eisbergs, denn vermutlich versinkt
der größte Teil der betroffenen Tiere in den Tiefen des Meeres (http://
www.oceancare.org/). Darüber hinaus werden auch negative Auswirkungen auf
die gewerbliche Fischerei vermutet. In den USA ist es in den vergangenen
Jahren wiederholt zum gerichtlich angeordneten temporären Verbot des Ein-
satzes bestimmter Militärsonare gekommen.

Viele NATO-Streitkräfte – auch die Bundeswehr – testen oder nutzen leistungs-
fähige Sonarsysteme, die auch leise und schwer detektierbare U-Boote über weite
Distanzen und in großen Tiefen orten sollen. Viele aktive Sonare verfügen über
die Möglichkeit, Pegel, Modulation und Frequenz wahlweise zu regeln. Hoch-
leistungsfähige Sonarsysteme sollen in Zukunft etwa 75 Prozent unserer Ozeane

abdecken. Um eine großflächige Abdeckung zu erreichen, arbeitet z. B. das Nie-
derfrequenz Aktiv Sonar oder LFAS (Low Frequency Active Sonar), an dessen
Entwicklung auch die Bundeswehr beteiligt ist, mit Ausgangsschallpegeln von
bis zu 240 Dezibel. In 480 km Entfernung von der Schallquelle können noch
Druckpegel von 140 Dezibel gemessen werden. Dies entspricht in etwa Druck-
pegeln, wie sie bei einem Schuss entstehen. Nicht nur Wale und Delfine, sondern
auch Haie und Knochenfische werden von diesen Schalldetonationen bedroht.

Drucksache 16/4272 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Bundesregierung hat in der Beantwortung früherer Anfragen mitgeteilt, dass
sie der Vermeidung von negativen Auswirkungen militärischem Unterwasser-
lärms große Bedeutung zumisst (Bundestagsdrucksache 16/2445 zu Frage 47,
Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 14/4483) und an Studien bzw. der
Entwicklung eines „Warnsystems“ arbeite. Um schwere Schäden bei Cetacea zu
vermeiden, soll unter anderem erkundet werden, ob sich im Umkreis von drei
Seemeilen Delfinen und Walen befinden. Eine stufenweise Steigerung der Pe-
gelstärke solle Panikreaktionen der Meeressäuger vermeiden, ein Vergrämungs-
signal diese in die Flucht schlagen. Reichweite und Minderungswirkung dieses
„Warnsystems“ sind umstritten. Im schlimmsten Fall werden Wale und Delfine
damit angelockt und somit einer akuten Gefahr ausgesetzt.

In der Resolution des Europäischen Parlaments – P6 TA (2004) 0047 vom
26. Oktober 2004 – zu den Umweltauswirkungen hochleistungsfähiger aktiver
Unterwassersonarsysteme wird neben einem Einsatzmoratorium ein transparen-
ter Umgang mit militärischen Daten gefordert, die im Zusammenhang mit Stran-
dungen von Walen und Delfinen (Cetacea) stehen. Ende November 2005 verab-
schiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution zu den Ozeanen, in der
empfohlen wird, die Auswirkungen von Unterwasserlärm auf die Meeres-
ressourcen zu prüfen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Was ist der Zweck des NATO-Manövers und welche Sonargeräte oder
anderen akustischen Verfahren werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung im Rahmen des Frühjahrs-Manövers im Mittelmeer voraussichtlich
zum Einsatz kommen?

b) Welche dieser Sonargeräte oder anderen akustischen Verfahren, die hier
zum Einsatz kommen, stehen im Verdacht, die Meeresumwelt – insbeson-
dere Wale und Delfine (Cetacea) – zu schädigen?

2. Welche Aufgaben erfüllt die Bundesmarine in dem Manöver und setzt sie da-
bei leistungsstarke Sonargeräte ein?

Wenn ja, in welcher Intensität und Frequenz?

3. a) Wie wird im Rahmen des NATO Manövers eine Störung von Cetacea, wie
in der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie)
gefordert, verhindert?

b) Welche Minderungsmaßnahmen werden unter welchen Bedingungen
angewandt, und wie wird ihre Wirkungsweise sichergestellt?

c) Welche Rolle übernimmt dabei die deutsche Bundesmarine?

4. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zu ergreifen, wenn es bei
dem Manöver zu einer in der FFH-Richtlinie (Anhang VI) verbotenen
Tötung von Cetacea mit elektronischen Geräten (Sonargeräten) kommen
sollte?

5. a) Zu welchen Aktivitäten (auch zur Vor- oder Nachbereitung) wird das deut-
sche Forschungsschiff PLANET eingesetzt?

b) Wird dieses Schiff leistungsstarke Sonargeräte im Mittel- und/oder Nie-
derfrequenzbereich bei diesem oder künftigen Manövern einsetzen?

6. a) Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der
in der NATO eingeführten bzw. in Entwicklung befindlichen besonders
leistungsfähigen aktiven Unterwassersonarsysteme?

b) An welchen Systementwicklungen ist die Bundesrepublik Deutschland

direkt oder indirekt beteiligt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4272

7. a) Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der
Umweltauswirkungen von Unterwassersonarsystemen auf Taucher,
Meeressäuger – im Besonderen auf Cetacea – und sonstige Meeres-
lebewesen?

b) Ab welchen Pegel- und Frequenzstärken werden welche negativen Aus-
wirkungen vermutet?

8. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Entwicklung
eines „Warnsystems“, und welche konkreten Maßnahmen beinhaltet dieses
„Warnsystem“ im Einzelnen?

9. a) Wie hoch ist der maximale Schallpegel des LFAS- oder vergleichbaren
Systems an der Schallquelle und in einer Unterwasserentfernung von
drei, zehn bzw. 100 Seemeilen?

b) Welcher Abstand zu Meeressäugern wird als „kritische Nähe“ betrachtet,
bei dem ein Einsatz nicht durchgeführt bzw. abgebrochen wird?

c) Inwieweit ist ausgeschlossen, dass der Einsatz von Vergrämungssignalen
oder die schrittweise Steigerung der Pegelstärken von Walen und Del-
finen nicht als „Locksignal“ missverstanden werden?

10. a) Liegen der Bundesregierung Berichte und Studien vor, wonach es im
Zusammenhang mit NATO-Manövern oder sonstigen Erprobungen von
Unterwassersonarsystemen zu Strandungen oder dem Tod von Walen
und Delfinen gekommen sein soll?

b) Wenn ja, welche Fälle wurden in den vergangenen zehn Jahren bekannt,
und wie sind diese Fälle aus Sicht der Bundesregierung zu bewerten?

c) Sieht die Bundesregierung hier einen Handlungsbedarf, und wenn ja,
welche konkreten Schritte sind von der Bundesregierung geplant?

11. Wann, wo und in welchem Umfang wurden in den vergangenen Jahren von
deutscher Seite LFAS- oder LFAS-vergleichbare Erprobungen durch-
geführt?

12. a) Liegen der Bundesregierung Ergebnisse von Untersuchungen zur
Ursache der Strandung mehrerer Cuvier-Schnabelwale im Januar 2006
an der südspanischen Küste vor?

b) Wenn ja, was ist der wesentliche Befund dieser Untersuchungen, und wie
bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse?

13. Inwiefern war das Thema der negativen Auswirkungen des Einsatzes von
Sonargeräten auf Meerestiere in den vergangenen Jahren Gegenstand von
Untersuchungen und Beratungen der NATO bzw. der Bundeswehr, und
wenn ja, was sind die wesentlichen Ergebnisse und Reaktionen?

14. a) Welche Sonarsysteme, die im Verdacht stehen Meerestiere zu beeinträch-
tigen, sind bei der Bundesmarine im Einsatz oder in der Entwicklung?

b) Um welche latenten Beeinträchtigungen handelt es sich dabei, und was
wird getan, um diese so gering wie möglich zu halten?

15. Welche Forschungsprojekte und konkreten Maßnahmen unternimmt die
Bundesregierung, um die Störung von Meerestieren, insbesondere von
Walen und Delfinen, durch leistungsstarke Sonargeräte ausschließen zu
können, und welche Ergebnisse liegen hierzu bereits vor?

16. Welche Gründe haben nach Kenntnis der Bundesregierung dazu geführt,
dass es in den USA gerichtlicherseits wiederholt zum temporären Verbot
des Einsatzes bestimmter Militärsonare gekommen ist, und wie bewertet die

Bundesregierung die Aussichten, dass auch deutsche Gerichte vergleich-
bare Beschränkungen erlassen?

Drucksache 16/4272 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
17. a) Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der deutschen EU-Rats-
präsidentschaft sich – wie vom Europaparlament gefordert – für ein
Einsatz- und Entwicklungsmoratorium hochleistungsfähiger aktiver
Unterwassersonarsysteme einzusetzen?

b) Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen plant hier die Bundesregierung?

c) Wenn nein, warum nicht?

18. Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung im Rahmen der deutschen
Ratspräsidentschaft, um den Forderungen der Resolution des Europäischen
Parlaments zu den Umweltauswirkungen hochleistungsfähiger aktiver
Unterwassersonarsysteme nachzukommen und um zur Verringerung der
Lärmbelastung in den Weltmeeren beizutragen?

Berlin, den 2. Februar 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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