BT-Drucksache 16/4229

Auswirkungen der geplanten Reformen in der Unfallversicherung

Vom 1. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4229
16. Wahlperiode 01. 02. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heinz-Peter Haustein, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link
(Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-
Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Auswirkungen der geplanten Reformen in der Unfallversicherung

Die Bundesregierung hat mit Gesetzentwurf vom 11. Januar 2007 einige wenige
Teile des Eckpunktepapiers der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der ge-
setzlichen Unfallversicherung vom 29. Juni 2006 aufgegriffen. Der Gesetzent-
wurf enthält Vorschläge für eine Organisationsreform der Unfallversicherung
aber keine Vorschläge zum Leistungsbereich, in dem 90 Prozent der Kosten der
Unfallversicherung anfallen.

Durch die Organisationsreform sollen Einsparungen beim Verwaltungsaufwand
in Höhe von 20 Prozent (entspricht 250 Mio. Euro) bis 2014 erreicht werden.
Der bisher vorliegende Reformentwurf lässt aber leider auch im Organisations-
bereich eine Vielzahl von Fragen offen. Die Einsparungsvorgaben erscheinen
unrealistisch, denn es sollen im Rahmen einer Besitzstandswahrung finanzielle
und tarifrechtliche Nachteile für die bisher Beschäftigten der Spitzenverbände
ausgeschlossen werden. Zudem ist nach dem Eckpunktepapier eine Sicherung
der bestehenden Standorte der Unfallversicherung für die Betreuung in der
Fläche vorgesehen und im Gesetzentwurf eine ortsnahe Betreuung der Unter-
nehmen und Versicherten gefordert.

Der Gesetzentwurf schreibt bestehende Wettbewerbsverzerrungen endgültig

fest, indem Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung nun endgültig der Zustän-
digkeit der Unfallkassen der Länder zugeordnet werden. Diese Absicherung bei
den öffentlichen Unfallkassen bringt den betroffenen Unternehmen einen
unsachgemäßen Wettbewerbsvorteil, da sie dadurch nicht, wie die mit ihnen im
Wettbewerb stehenden privaten Unternehmen, am Ausgleich für Altlasten in der
Unfallversicherung beteiligt werden.

Drucksache 16/4229 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Durch welche Maßnahmen und in welchen Bereichen sollen innerhalb von
fünf Jahren 20 Prozent Einsparungen bei der Verwaltung der Unfall-
versicherung erreicht werden, wenn zugleich bei der Fusion der Spitzenver-
bände personeller Bestandsschutz gewährt wird und die Repräsentanz der
Unfallversicherung in der Fläche beibehalten werden soll?

2. Werden im Rahmen der geplanten Fusion zwischen dem Hauptverband der
gewerblichen Berufsgenossenschaften und dem Bundesverband der Unfall-
kassen zum neuen Spitzenträger Stellen abgebaut oder werden alle Mit-
arbeiter der bisherigen Spitzenverbände übernommen, und welche Entwick-
lung des Personalbestandes ist mittelfristig geplant?

3. Mit welchen Kosten ist durch die Regelung zu rechnen, dass für Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, die aufgrund der Maßnahmen zur Reform der
gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf einem mindestens gleichwertigen
Arbeitsplatz verwendet werden können, eine Ausgleichszulage gewährt
wird, die die Differenz zwischen der bisherigen und der neuen für sie gel-
tenden Entgeltgruppe ausgleicht?

4. Welche Mehrkosten entstehen dadurch, dass die Vertreterversammlung der
neuen Deutschen Unfallversicherung nicht auf 60 Mitglieder begrenzt wird,
sondern für die Übergangsphase alle Mitglieder der Vertreterversammlun-
gen der bisherigen Spitzenverbände übernommen werden?

5. Wird der Bundesrechnungshof eine Kontrollkompetenz über den künftigen
Spitzenverband erhalten, weil dieser über die Integration der öffentlichen
Unfallkassen auch mit Steuergeldern finanziert wird?

6. Ist es zutreffend, dass die gewerblichen Berufsgenossenschaften bei der
Finanzierung der neuen Spitzenkörperschaft einen Anteil von etwa 90 Pro-
zent haben werden und die öffentlichen Unfallkassen nur 10 Prozent?

7. Welchen Grund gibt es dann dafür, dass die Stimmanteile der Berufsgenos-
senschaften bei der Spitzenkörperschaft nur bei 60 Prozent liegen und die
der öffentlichen Unfallkassen bei 40 Prozent?

8. Welche Kosten entstehen dadurch, dass Mitglieder der vorläufigen Ge-
schäftsführung, die nicht wieder in die Geschäftsführung gewählt werden,
ab diesem Zeitpunkt „unter Gewährung von Ausgleichzahlungen zur Wah-
rung ihrer Besitzstände“ (Gesetzentwurf S. 61) in eine niedrigere Position
zu versetzen sind, wenn keine vergleichbare Position zu finden ist?

9. Gibt es Angaben, aus welchen der bisherigen Fusionen von Berufsgenos-
senschaften sich Einsparungen ergeben haben?

10. Hat es deswegen in diesen Berufsgenossenschaften und ihren Branchen
bereits Beitragssatzsenkungen gegeben?

11. Mit welchen Kosten ist dadurch zu rechnen, dass die Obergrenze von
60 Mitgliedern in den Vertreterversammlungen bei Fusionen der gewerb-
lichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger nicht
gilt?

12. Für welchen Zeitraum wird es eine Standortgarantie für die bestehenden
Standorte in der Fläche, wie im Eckpunktepapier vorgesehen, geben?

13. Warum sollen die Unfallkassen nach dem Gesetzentwurf vom 11. Januar
2007 nur auf höchstens 16, die Berufsgenossenschaften aber auf 9 reduziert
werden?

14. Welche Wettbewerbsvorteile in Form von niedrigeren Unfallversicherungs-

beiträgen ziehen Post und Telekom daraus, dass sie bei den öffentlichen
Unfallkassen unfallversichert sind und nicht wie ihre Wettbewerber bei den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4229

gewerblichen Berufsgenossenschaften, die damit die Zusatzkosten für den
Lastenausgleich erbringen müssen?

15. Welchen Grund gibt es dafür, dass Unternehmen, an denen der Staat
beteiligt ist, gegenüber anderen privaten Mitbewerbern finanzielle Vorteile
erhalten?

16. Welche Mehrbelastung käme auf die Unfallkasse Post Telekom zu, wenn sie
an der Altlastentragung wie die Berufsgenossenschaften beteiligt würde?

17. Welche weiteren im Wettbewerb stehenden Unternehmen, etwa die Deut-
sche Bahn, profitieren ebenfalls von der Unfallversicherung bei den öffent-
lichen Unfallkassen, wo sie keinen Beitrag zum Lastenausgleich erbringen?

18. Warum soll dieser Vorteil für Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung mit
dem Gesetzentwurf dauerhaft festgeschrieben werden?

19. Verstößt diese Bevorzugung nicht gegen europäisches und deutsches Wett-
bewerbsrecht?

20. Welche Erfahrungen sprechen dafür, dass man nach zwei Jahren behaupten
kann, dass die Moratoriumslösung Rechtssicherheit geschaffen habe?

21. Wie viele Unternehmen sind seit dem Inkrafttreten des Moratoriums recht-
lich verselbstständigt worden und in der Zuständigkeit der öffentlichen
Unfallkassen verblieben?

22. Was war der Unternehmensgegenstand dieser Unternehmen und stehen sie
mit privaten Unternehmen im Wettbewerb, die bei gewerblichen Berufs-
genossenschaften versichert sind?

23. Was meint die Bundesregierung damit, dass die „Organisation eines inter-
nen Wettbewerbs selbstständiger Träger zur effizienten Aufgabenerfüllung
durch Einführung eines umfassenden Benchmarking“ ein weiteres Kernele-
ment der Reform ist?

24. Sollen den Unternehmen auch Möglichkeiten zum Wechsel des Unfall-
versicherungsträgers eingeräumt werden?

25. Ist mit der Reduzierung der Berufsgenossenschaften auf neun das Bran-
chenprinzip so weit aufgeweicht, dass es für eine Vielzahl von Unternehmen
möglich wäre, zwischen den Berufsgenossenschaften zu wechseln und eine
gleichwertige Betreuung zu erhalten?

26. Was für Tochtergesellschaften gibt es bei den Berufsgenossenschaften, die
Dienstleistungen am Markt erbringen, beispielsweise den „Arbeitsmedizi-
nischen Dienst“ (AMD) oder Sicherheitstechnische Dienste (TBD/ÜSD),
die zugleich auch von privaten Dienstleistungsunternehmen erbracht wer-
den bzw. für die Berufsgenossenschaften erbracht werden könnten?

27. Warum soll der Arbeitsschutz durch ein neu zu schaffendes Gremium, die
Nationale Arbeitsschutzkonferenz, übernommen werden und wird nicht
endlich eine klare Kompetenzzuweisung beim Arbeitsschutz an Berufs-
genossenschaften oder staatliche Stellen vorgenommen?

28. Welche Reformen im Leistungsteil (siehe Eckpunktepapier) sollen Ein-
sparungen gegenüber der heutigen Situation erbringen?

29. Sind mit den im Eckpunktepapier vereinbarten Reformen im Leistungs-
bereich nicht zunächst Mehrausgaben der Unfallversicherung verbunden?

30. Sind nach Auffassung der Bundesregierung die meisten Einsparungen in der
Unfallversicherung im Leistungsbereich oder im Organisationsbereich zu
erreichen?

Drucksache 16/4229 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
31. Welche zwischenzeitlichen Mehrkosten werden durch die vorgeschlagenen
Beitragszahlungen für die spätere Altersrente durch die Unfallversiche-
rungsträger verursacht?

32. Welche finanzielle Auswirkung wird die Aufspaltung in Erwerbsmin-
derungsschaden und Gesundheitsschaden haben?

33. Welche Einsparungen soll die im Eckpunktepapier vorgeschlagene Um-
stellung von der abstrakten auf die konkrete Betrachtungsweise bei den
Unfallrenten bringen?

Berlin, den 31. Januar 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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