BT-Drucksache 16/395

Gegen Geheimniskrämerei - Entscheidungen kommunaler Gesellschaften transparent gestalten

Vom 18. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/395
16. Wahlperiode 18. 01. 2006

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Patrick Döring, Hans-Michael
Goldmann, Patrick Meinhardt, Frank Schäffler, Christoph Waitz, Dr. Volker
Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Markus Löning, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Gegen Geheimniskrämerei – Entscheidungen kommunaler Gesellschaften
transparent gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Viele Kommunen haben in den letzten Jahren Teile ihrer Verwaltung in eine
privatrechtliche Organisationsform überführt. Dies betrifft beispielsweise kom-
munale Energieversorger, aber auch andere Bereiche, die früher als klassische
Verwaltungsbehörden geführt wurden, wie z. B. die Wirtschaftsförderung oder
das Wohnungswesen. Meistens handelt es sich um reine Organisationsänderun-
gen, wobei die Kommunen meist Alleingesellschafter sind. Wenn auch aus ord-
nungspolitischer Sicht echte Privatisierungen vorzugswürdig sind, so liegen
doch auch die Vorteile der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haf-
tung oder der Aktiengesellschaft aus kommunalpolitischer Sicht auf der Hand:
flexiblere Strukturen, schnellere Entscheidungswege, steuerliche Vorteile, eine
günstigere Kostensituation.

Anders als private sind kommunale Unternehmen nicht auf Gewinnmaximie-
rung und Profit ausgerichtet, sondern verfolgen öffentliche Zwecke. Sie geben
zwar rechtlich ihr eigenes, aber faktisch das Geld der Bürger aus. Kommunale

Gesellschaften unterliegen trotzdem aufgrund ihrer Überführung in eine Kapi-
talgesellschaft dem Privatrecht. Für sie gelten die gesellschaftsrechtlichen Vor-
schriften. Dies führt dazu, dass der ganz überwiegende Teil der Entscheidungen
unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen wird. Hierdurch wird das Öffent-
lichkeitsprinzip, das nach dem Gemeinderecht der Länder für kommunale Be-
schlussorgane gilt, weitgehend außer Kraft gesetzt. Es kollidiert die gesell-
schaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern mit

Drucksache 16/395 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

dem kommunalrechtlichen Informations- und Transparenzgebot, das seine
Wurzeln im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip hat. In der juristischen Litera-
tur wurde diese Problematik bisher kaum erörtert. Auch in der Rechtsprechung
gibt es noch keine abschließende Klärung. Allerdings hat das Verwaltungs-
gericht Regensburg in einer nicht rechtskräftigen Entscheidung vom 2. Februar
2005 (Az.: 3 K 04.01408) den Grundsatz der Öffentlichkeit für vorrangig und
ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, die Geheimhaltungspflicht von Aufsichts-
ratsmitgliedern zu beschränken, für zulässig erklärt. In der Urteilsbegründung
hat das Gericht aber auch deutlich gemacht, dass ein Tätigwerden des Gesetz-
gebers wünschenswert wäre. Wörtlich hat es ausgeführt: „Rechtspolitisch und
in größerem Rahmen gesehen ist es eine Entscheidung des Gesetzgebers, ob
das geltende Gesellschafts- und Kommunalrecht den Anforderungen der
„öffentlichen“ Gesellschaften entspricht.“ Auch hat es die Berufung mit der
Begründung, die Entscheidung liege aus Gründen der Rechtssicherheit, der
Einheit der Rechtsordnung und der Fortbildung des Rechts im allgemeinen
Interesse, zugelassen.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht auch deshalb, weil nur das GmbH-
Gesetz, nicht aber das Aktiengesetz unter bestimmten Voraussetzungen Be-
schränkungen der Verschwiegenheitspflicht zulässt. Ausgehend von dem vom
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung (BVerfGE 40, 296, 327) auf-
gestellten Grundsatz, dass parlamentarische Demokratie auf dem Vertrauen des
Volkes basiere und Vertrauen ohne Transparenz nicht möglich sei, ist eine
Lockerung der Verschwiegenheitspflicht zu ermöglichen. Die Verschwiegen-
heitspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds ist Ausdruck seiner allgemeinen
Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber.

In der repräsentativen Demokratie bedürfen mündige Bürger Informationen,
um sachkundig ihre Wahlentscheidung treffen zu können. Hinzu kommt, dass
viele kommunale Entscheidungen den Bürger unmittelbar berühren, z. B. bei
den Energiepreisen, im öffentlichen Personennahverkehr oder bei der Stadtent-
wicklung. Auch wenn bereits heute viele Kommunen mit der Verschwiegen-
heitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder mit Augenmaß umgehen und den
Bürger über das gesetzlich gebotene Minimum hinaus informieren, ist es
gleichwohl ein Gebot der Rechtssicherheit, klare und transparente Regelungen
zu schaffen. Klare und transparente Regelungen sind auch aus Gründen der
Fürsorgepflicht gegenüber kommunalen Mandatsträgern in Aufsichtsräten ge-
boten. Die Regelungen zu den Berichtspflichten des kommunalen Aufsichts-
ratsmitglieds in den §§ 394 f. des Aktiengesetzes (AktG) lassen keine maßgeb-
liche Aufweichung der Verschwiegenheitsverpflichtung erkennen. Vielmehr
können diese Regelungen eher als Bestätigung denn als Lockerung der Ver-
schwiegenheitspflichten angesehen werden. Auch wenn kein striktes Geheim-
haltungsbedürfnis im engeren Sinne besteht, bewegen sich die kommunalen
Aufsichtsratsmitglieder gegenwärtig in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie
gegenüber Dritten über Vorgänge der Gesellschaft berichten. Das Aufsichtsrats-
mitglied kann sich durch die unbefugte Weitergabe von betrieblichen Geheim-
nissen zudem gemäß den §§ 404 AktG, § 85 Gesetz betreffend die Gesellschaf-
ten mit beschränkter Haftung (GmbHG) strafbar machen. Darüber hinaus wird
eine Stärkung des Transparenzprinzips die Korruptions- und Bestechungsanfäl-
ligkeit kommunaler Entscheidungen verringern.

Die Grenze der Lockerung der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmit-
gliedern kommunaler Gesellschaften verläuft dort, wo berechtigte Ansprüche
von Privatpersonen, das Allgemeinwohl oder zwingende Unternehmensinteres-
sen eine strikte Geheimhaltung erfordern, z. B. bei Personalfragen oder bei Be-
triebs- und Geschäftsgeheimnissen. Auf diese Weise lässt sich das Spannungs-
verhältnis zwischen bundesrechtlichem Gesellschaftsrecht und landesrecht-

lichem Kommunalrecht lösen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/395

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zu prüfen, welche Änderungen des GmbHG sowie des AktG vorzunehmen
sind, um die Transparenz von Entscheidungen kommunaler Unternehmen deut-
lich zu erhöhen. Die Neuregelung soll ausschließlich für kommunale Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften gelten, bei denen
eine Kommune Alleingesellschafterin bzw. einzige Aktionärin ist, und folgende
Punkte beachten und beinhalten:

1. Die Verschwiegenheitspflicht für Mitglieder der Aufsichtsräte kommunaler
Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften ist – auch
zum Schutz der kommunalen Aufsichtsratsmitglieder – deutlich einzugren-
zen.

2. Der Grundsatz der Öffentlichkeit im Kommunalrecht muss im Rahmen der
gesetzgeberischen Abwägung mit der gesellschaftsrechtlichen Verschwie-
genheitspflicht ein deutlich höheres Gewicht als bisher erhalten.

3. Es ist sicherzustellen, dass nur die zwingend zu schützenden Interessen der
kommunalen Unternehmen – wie der Kernbereich gesellschaftlicher Be-
triebs- und Geschäftsgeheimnisse – auch weiterhin der Verschwiegenheits-
pflicht der Aufsichtsräte unterfallen.

4. In die gesetzgeberische Abwägung weiterhin mit einzubeziehen sind die
Wahrung der Funktions- und Kontrollfähigkeit des Aufsichtsrats, die berech-
tigten Ansprüche von Privatpersonen sowie das Allgemeinwohl.

5. Die (bisher juristisch umstrittene) Frage, inwieweit die Verschwiegenheits-
pflicht bei einem fakultativen Aufsichtsrat einer kommunalen GmbH durch
Gesellschaftsvertrag unter Wahrung der gesellschaftsrechtlichen Grund-
strukturen eingegrenzt werden kann, ist gesetzlich zu regeln.

6. Die aktienrechtlichen Regelungen sind an die Einschränkungsmöglichkeit
der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder in § 52 Abs. 1
GmbHG durch Stärkung der Satzungsautonomie der kommunalen Aktien-
gesellschaften anzupassen.

Berlin, den 18. Januar 2006

Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Patrick Döring
Hans-Michael Goldmann
Patrick Meinhardt
Frank Schäffler
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen

Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan

Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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