BT-Drucksache 16/3683

Änderungsbedarf bei der europäischen Biozid-Richtlinie

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3683
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Michael Kauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Horst
Meierhofer, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg
van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily,
Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-
Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Änderungsbedarf bei der europäischen Biozid-Richtlinie

Den rechtlichen Rahmen für die Herstellung sowie für den Vertrieb und den Ein-
satz von Bioziden, d. h. vor allem von Schädlingsbekämpfungsmitteln, regelt
innerhalb der Europäischen Union insbesondere die Richtlinie 98/8/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inver-
kehrbringen von Biozid-Produkten (Biozid-Richtlinie). Diese wurde insbeson-
dere durch das Biozid-Gesetz sowie durch eine Reihe von Rechtsverordnungen
in deutsches Recht umgesetzt. Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie in
Deutschland war seitens des Deutschen Bundestages ein regelmäßiger Bericht
der Bundesregierung eingefordert worden, um auf mögliche Fehlentwicklungen
rechtzeitig reagieren zu können. Vor diesem Hintergrund hat die Bundes-
regierung soeben den Zweiten Bericht über den aktuellen Sachstand zur Umset-
zung der Biozid-Richtlinie vorgelegt (vgl. Bundestagsdrucksache 16/2909 vom
9. Oktober 2006).

Der Bericht weist zwar auf bestimmte Probleme und Fehlentwicklungen hin,
scheint jedoch wesentliche Probleme und Auswirkungen, die mit der Umset-
zung der EU-Biozid-Produkte-Richtlinie verbunden sind, im Bereich des Ge-
sundheits- und Hygieneschutzes zu unterschätzen. Konkret verdeutlicht ein Be-
richt des Umweltbundesamtes (UBA) über die Ergebnisse einer Fachtagung zu

diesem Thema eine Reihe nicht beabsichtigter Folgewirkungen der Biozid-
Richtlinie (vgl. Dokumentation der Fachtagung vom 16./17. März 2006 zu dem
Thema „Gesundheitsschutz durch Schädlingsbekämpfung – weiterhin möglich?
Wie viel Biozid braucht der Mensch?“ (UBA-Texte 22/06)). So bedingen die
strengen Vorgaben „relativ hohe Aufwendungen für die Zulassung … Diese
Aufwendungen werden manchmal gescheut. Die Untersuchungen erscheinen zu
teuer und die Wirkstoffe werden nicht notifiziert und unterstützt. Man rechnet,

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dass 2010 nur noch die Hälfte der Biozidprodukte auf dem Markt sein wird. Wa-
rum? Biozidprodukte sind meist nicht so großvolumig wie Pflanzenschutzmittel
und deshalb nicht so lukrativ“ (ebenda, S. 114 f.).

Der mittlerweile deutlich spürbare Wegfall bestimmter Wirkstoffe hat aus der
Perspektive des Gesundheitsschutzes und der Hygiene bedenkliche Konsequen-
zen, die beispielsweise „… zu Einschränkungen bei den behördlich anzuord-
nenden Bekämpfungsmaßnahmen im Seuchen- und Tierseuchenbereich führen
können: a) Eine Reduzierung der Zahl vorhandener Wirkstoffe erhöht beispiels-
weise die Wahrscheinlichkeit, dass Lücken in der Behandlungspalette gegen
bestimmte Zieltiere (Mücken, Flöhe, Zecken, Schaben, Stallfliegen) … auftre-
ten … Besondere Konsequenzen hat eine solche Entwicklung für die behördlich
anzuordnenden Bekämpfungsmaßnahmen im Seuchen- und Tierseuchen-
bereich. Das Schutzgut ‚Gesundheit‘ könnte schlechtestenfalls somit in Gefahr
geraten. b) Durch die Reduzierung vorhandener Wirkmechanismen kann die
Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung bei den zu bekämpfenden Ziel-
tieren steigen. Die Resistenz der Zieltiere gegen die zur Verfügung stehenden
Mittel hat wiederum Konsequenzen für das Schutzgut Mensch im Infektions-
schutz“ (Kurzfassung der zitierten UBA-Studie, S. 3).

„Die Situation ist nach unserer Auffassung tatsächlich ernst“ (Langfassung der
zitierten UBA-Studie, S. 109).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass im Vergleich zum ge-
genwärtigen Stand der Dinge bereits im Jahr 2010 „… nur noch die Hälfte der
Biozidprodukte auf dem Markt sein wird“ (Langfassung der zitierten UBA-
Studie, S. 15)?

2. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Sachverhalt, und welche
Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

Wenn nein, welche anderslautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung hierzu vor?

3. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass sich bei den Insektizi-
den eine dramatische Situation der Einengung und Bereinigung des Marktes
abzeichne, wonach „… nur 100 von 400 bekannten Wirkstoffen notifiziert
(seien), und (man) nicht von allen 100 … annehmen dürfe, dass sie letztlich
das Review-Verfahren im Wirkstoffprogramm der EU erfolgreich durchlau-
fen ... (würden, was) in der Tat Schwierigkeiten für den Infektions- und Ge-
sundheitsschutz hervorrufen“ könnte (Langfassung der zitierten UBA-Stu-
die, S. 15)?

4. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Sachverhalt, und welche
Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

Wenn nein, welche anderslautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung hierzu vor?

5. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass sich die „… Mittel für
die Bekämpfung von Fliegen … in der letzten Zeit von 32 im Jahre 1989 auf
neun im Jahre 2006 reduziert (haben), so dass bei gleicher Tendenz in der
nächsten Zeit mit einer Lückenindikation für Fliegen zu rechnen“ sei, dass im
Vergleich zum Jahr 1989 Lücken für die Indikationen Wanzen und Mücken
aufgetreten seien und dass für die Indikationen Flöhe, Kleiderläuse, Leder-
zecken und Schildzecken bereits zu Beginn des Vergleichszeitraums Behand-
lungslücken vorhanden waren, da „… entweder zu wenig Mittel oder aber zu
wenig Wirkstoffe für die Bekämpfung verfügbar waren“ (Langfassung der

zitierten UBA-Studie, S. 103 ff.).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3683

6. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Sachverhalt, und welche
Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

Wenn nein, welche anderslautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung hierzu vor?

7. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die gewaltige Rück-
nahme der propoxurhaltigen Mittel (zehn Mittel 1986 versus ein Mittel
2006) dazu führt, dass aktuell keine Bekämpfungsmöglichkeit für die Indi-
kation Lederzecken zur Verfügung steht und dass die Rücknahme von vier
propoxurhaltigen Mitteln zu einer siebzigprozentigen Einbuße an Mitteln
zur Bekämpfung von Flöhen, zu einer Verringerung der Mittel gegen Amei-
sen um 50 Prozent und jeweils um 30 Prozent der Mittel gegen Wanzen und
Mücken“ geführt hat (Langfassung der zitierten UBA-Studie, S. 106)?

8. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Sachverhalt, und welche
Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

Wenn nein, welche anderslautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung hierzu vor?

9. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass beispielsweise für akut
erforderliche Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen etwa in Schiffscontai-
nern Cyanwasserstoff das einzige Mittel aus der Gruppe der toxischen Gase
ist, das nach Infektionsschutzgesetz für entsprechende Maßnahmen zuge-
lassen ist, und wenn nein, wie stellt sich der Sachverhalt statt dessen dar?

10. Trifft es zu, dass die Bundesregierung nach Infektionsschutzgesetz in der
Pflicht ist, mindestens ein wirksames Mittel für ein im vorstehenden Sinne
wichtiges Anwendungsgebiet vorzuhalten, das im Seuchenfall zügig einge-
setzt werden kann, und wenn nein, wie stellt sich der Sachverhalt statt des-
sen dar?

11. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Cyanwasserstoff seit
August 2006 hierfür nicht mehr zur Verfügung steht, weil die Nominie-
rungsfristen abgelaufen sind?

12. Wenn nein, wie stellt sich der Sachverhalt statt dessen dar?

Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Sachverhalt, und welche
Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

13. Wie viele Biozid-Produkte wurden mit Bezug auf die „Verordnung über die
Meldung von Biozidprodukten nach dem Chemikaliengesetz“ bis zum
28. Juli 2005 in Deutschland durch insgesamt wie viele Unternehmen ge-
meldet?

14. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten und der büro-
kratische Aufwand für die Wirkstoffüberprüfung und Produktzulassung im
Rahmen der Biozid-Richtlinie und der damit in Verbindung stehenden Vor-
schriften?

15. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass im Unterschied bei-
spielsweise zum Markt für Pflanzenschutzmittel der Markt für Biozid-Pro-
dukte durch zahlreiche unterschiedliche Produkttypen und Anwendungen
mit in der Regel kleineren Herstellungsmengen sowie durch kleine und
mittlere Unternehmen geprägt ist und dass der kostengetriebene Wegfall
vieler Wirkstoffe und Produkte insbesondere kleine und mittelständische
Unternehmen in Deutschland betrifft bzw. betreffen wird?

16. Erwägt die Bundesregierung, auf europäischer Ebene auf konkrete Ände-
rungen der Biozid-Richtlinie im Sinne der vorstehend erwähnten Aspekte

hinzuwirken?

Drucksache 16/3683 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
17. Wenn nein, weshalb nicht?

Wenn ja, welche konkreten Ziele will die Bundesregierung bezüglich genau
welcher Probleme und bezüglich welcher gegenwärtigen Regelungssach-
verhalte erreichen?

18. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, um auf europäischer Ebene
auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf die Bestimmun-
gen der Biozid-Richtlinie Einfluss zu nehmen, und welche konkreten Mög-
lichkeiten sieht die Bundesregierung in diesem Sinne, zumal die betreffen-
den Regelungen für Deutschland als herausragendem europäischem Che-
miestandort von besonderer Bedeutung sind?

Berlin, den 28. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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