BT-Drucksache 16/3524

Beabsichtigte Schließung von Zivildienstschulen

Vom 21. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3524
16. Wahlperiode 21. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ina Lenke, Otto Fricke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein,Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Beabsichtigte Schließung von Zivildienstschulen

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat auf seiner Sitzung am
9. November 2006 die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 31. Dezember
2006 eine Entscheidung über die Schließung von zwei der 20 Zivildienstschulen
zu treffen und die notwendigen Maßnahmen zur Schließung einzuleiten. Hierbei
soll die Schließung der Schulen unmittelbar und zum frühstmöglichen Termin
im Jahr 2007 erfolgen.

Die Entscheidung über die Schließung „mindestens“ einer dritten Schule muss
bis zum 1. April 2007 erfolgen. Die Schließung dieser Schule(n) soll im Jahr
2008 erfolgen.

Nach Auskunft der Bundesregierung laufen allerdings sämtliche Schulverträge
noch bis Ende 2008 und verlängern sich um weitere zwei Jahre, wenn nicht spä-
testens bis Ende 2007 gekündigt wird (Bundestagsdrucksache 16/2468, Antwort
zu Frage 51).

Das Bundesministerium für Familie, Jugend, Frauen und Senioren (BMFSFJ)
hat den Personalvertretungen des Bundesamtes für den Zivildienst (BAZ) die
Zusage gegeben, Standortentscheidungen erst im ersten Halbjahr 2007 gemein-
sam zu besprechen. Diese Aussage, die konform mit dem Koalitionsvertrag
geht, wonach eine Prüfung von Schulschließung bis Mitte 2007 erfolgen soll, ist

obsolet geworden.

Gemäß Aussagen des Staatssekretärs im Bundesministerium für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend, Gerd Hoofe plant die Bundesregierung die Zahl der
Musterungen im Jahr 2007 um 40 000 zu erhöhen, was zu einer wieder steigen-
den Zahl von Zivildienstleistenden führen soll. Durch die zusätzlichen Muste-
rungen könnte es im Jahr 2007 ca. 8 000 zusätzliche Einberufungen zum Zivil-
dienst gegenüber dem Jahr 2006 geben.

Drucksache 16/3524 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Hierdurch werden die Schulen zusätzlich belastet, die nach Auskunft der
Bundesregierung in der Antwort auf die Großen Anfrage der FDP-Bundestags-
fraktion (Bundestagsdrucksache 16/2468) vom 29. August 2006 bereits heute
„ausgelastet“ sind. Gleichzeitig stellt der Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages fest, dass es eine Überkapazität von 12 000 Betten in den Zivil-
dienstschulen gibt. Auf Nachfrage der Fraktion der FDP zu diesem Wider-
spruch, stellte die Bundesregierung nunmehr fest, dass unter dieser „Auslas-
tung“ die Auslastung der Lehrkapazitäten der Zivildienstschulen zu verstehen
sei, es aber gleichzeitig einen aktuellen Überhang von Betten gäbe, welcher
durch Schulschließungen abgebaut werden soll.

Geht man davon aus, dass nur der angebliche Bettenüberhang von 12 000 abge-
baut und kein Eingriff in die Substanz der Lehrtätigkeit der Zivildienstschulen
vorgenommen werden soll, so ist es auf Grundlage des Beschlusses des Haus-
haltsausschusses nur möglich, die drei kleinsten Zivildienstschulen zu schlie-
ßen. Dies bedeutet, von den Schulen Kiel, Ritterhude, Waldbröl, Bocholt, Trier,
Bodelshausen, Seelbach und Bad Staffelstein müssten drei geschlossen werden,
da jede dieser Schulen nur eine Kapazität zwischen 3 600 und 4 500 Betten jähr-
lich hat. Alle anderen Kombinationen würden zu einem Bettenabbau sehr weit
über 12 000 Betten führen und damit die Umgestaltung des Zivildienstes zum
Lerndienst von vornherein verhindern. Gleiches gilt für die vom Haushaltaus-
schuss avisierte Schließung von mehr als drei Schulen. Da der Haushaltsaus-
schuss die Schulschließungen nicht am Abbau der angeblichen Überkapazität
von 12 000 Betten orientiert hat, sondern bei den Schulschließungen ausschließ-
lich „haushaltsmäßige und wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund
zu stellen“ sind, ist bei Aufrechterhaltung dieser Beschlusslage mit dem Abbau
von mindestens 17 000 Betten zu rechnen.

Wie bereits dargelegt, wird es im kommenden Jahr nach Ansicht der Bundes-
regierung zu einer steigenden Zahl von Zivildienstleistenden kommen, womit
ein wesentlich geringerer Bettenüberhang einhergeht als die von der Bundesre-
gierung angegebene Zahl von momentan 12 000 Betten. Unter der Maßgabe,
dass die Lehrkapazität der Schulen momentan ausgelastet ist, wird es im Jahr
2007 sogar zu einem erheblichen Mangel an Lehrkapazitäten an den Schulen
kommen, der die Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtung zum Besuch von
Einführungslehrgängen unmöglich macht.

Bereits heute ist die geringe Auslastung der Schulen darauf zurückzuführen,
dass diese gesetzliche Verpflichtung unzureichend umgesetzt wurde. So schrieb
„DER SPIEGEL“ am 3. Juni 2006: „Zivildienstleistende werden oft ohne aus-
reichende Schulung in der Alten- und Krankenpflege eingesetzt. Nur etwa die
Hälfte der für Pflegehilfe oder Betreuungsdienste eingeteilten Zivis habe im ver-
gangenen Jahr die gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungslehrgänge absol-
viert, rügt die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer.
Während Arbeiter-Samariter-Bund und Diakonisches Werk gut zwei Drittel
ihrer Zivis für den Umgang mit Alten, Kranken oder Behinderten trainierten, sei
bei Caritas und Arbeiterwohlfahrt nicht einmal die Hälfte geschult worden. Das
Bundesamt für den Zivildienst, das die jungen Männer für Einrichtungen ausbil-
det, die keinem der großen Wohlfahrtsverbände angehören, habe gar zwei Drittel
ohne ausreichende Kenntnisse in den Einsatz geschickt.“

Ein weiterer Gesichtspunkt lässt die Angaben der Bundesregierung zweifelhaft
erscheinen, da gemäß Koalitionsvertrag der Zivildienst zum Lerndienst weiter-
entwickelt werden soll. In der Antwort auf die o. g. Große Anfrage der FDP-
Bundestagsfraktion auf Bundestagsdrucksache 16/2468 führte die Bundesregie-
rung hierzu aus:

„Der Zivildienst wird mit dem Ziel weiterentwickelt, zunehmend die persön-

liche und soziale Kompetenz der Dienstleistenden auf der Grundlage ihrer Er-
fahrungen während des Dienstes zu stärken. Dabei geht es auch um die Anrech-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3524

nung der Zivildienstzeit auf die einschlägige Berufsausbildung. Das dient dem
ökonomischen Zeiteinsatz junger Menschen, der Kostenersparnis, der Ausbil-
dungsverkürzung (auch durch Vermeidung von Doppelungen) und der Nach-
wuchsgewinnung. In Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für berufliche
Bildung und in Kooperation mit interessierten Bundesländern sollen im Zusam-
menspiel der fachlichen Einführungslehrgänge mit der praktischen Tätigkeit in
den Zivildienstschulen Ausbildungsmodule erarbeitet werden, die den Zivil-
dienstleistenden später bei verschiedenen Berufsausbildungen als Ausbildungs-
zeit angerechnet werden können. Ähnliche Möglichkeiten sollen durch das Er-
langen von Zertifikaten während des Zivildienstes eröffnet werden.“

Dieser Umgestaltung des Zivildienstes zum Lerndienst dürfte eine erhebliche
Mehrauslastung der Zivildienstschulen folgen, wie dies auch in der o. g. Ant-
wort auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP implizit seitens der Bundes-
regierung eingeräumt wird. Erst am 29./30. November 2006 wird der erste Fach-
kongress zur Thematik „Zivildienst als Lerndienst gestalten“ seitens des
BMFSFJ durchgeführt. Dieser Kongress verspricht nach Aussagen des Bundes-
beauftragten für den Zivildienst, Dr. Jens Kreuter, zum „zentralen Auftakt der
Weiterentwicklung des Zivildienstes zum Lerndienst“ zu werden. Zugleich lau-
fen an allen Zivildienstschulen momentan Modellprojekte mit neuen Lehrgangs-
strukturen, die die praktische Umsetzung des Vorhabens, den Zivildienst als
Lerndienst zu gestalten, prüfen. Diese Modellehrgänge sollten nicht nur einen
Beitrag zum neuen Zivildienstkonzept leisten, sondern auch als Grundlage der
Prüfung der zukünftig zu erwartenden Kapazitätsanforderungen an die Zivil-
dienstschulen dienen. Die entsprechende Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
Es ist daher zu hinterfragen, wie eine Schließungsentscheidung der Schulen
noch vor einem Konzept zur Umgestaltung des Zivildienstes zum Lerndienst er-
folgen kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung an dem Konzept, den Zivildienst als Lerndienst zu
gestalten, fest?

Wenn ja, ab wann ist mit der Umsetzung des Konzeptes zu rechnen?

2. Liegt der Bericht des Bundesrechnungshofes zu den Kosten der Zivildienst-
schulen bereits dem BMFSFJ bzw. dem BAZ vor?

Wenn ja, warum wurde der Bericht noch nicht veröffentlicht?

Wenn nein, wann wird der Bericht veröffentlicht?

Wurde dieser Bericht, wenn er vorliegt, dem Haushaltausschuss zur Verfü-
gung gestellt?

3. Werden die Erkenntnisse des Bundesrechnungshofes in die Betrachtung der
Wirtschaftlichkeit der Zivildienstschulen einfließen und somit bei der Ent-
scheidung über Standortschließungen berücksichtigt?

4. Wie ist der Beschluss des Haushaltsausschusses mit der künftig zu erwarten-
den höheren Auslastung der Schulen vereinbar?

5. Wann wurden die Modellprojekte für neue Lehrgangsstrukturen an den Zivil-
dienstschulen eingerichtet und bis zu welchen Termin sollen diese Projekte
abgeschlossen werden?

6. Sollen die Modellprojekte für neue Lehrgangsstrukturen an den Schulen noch
beendet werden?

Wenn ja, welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es zur Umsetzung der

Erkenntnisse der Modelllehrgänge, wenn bereits vor Beendigung der Modell-
projekte der Beschluss über die Schulschließungen ergeht?

Drucksache 16/3524 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

7. Soll es neben dem Impuls-Kongress im November 2006 noch weitere
Tagungen und Kongresse zur Erarbeitung des neuen Konzepts „Zivildienst
als Lerndienst gestalten“ geben?

Mit welchen Kosten ist dabei zu rechnen?

Wann soll das Ergebnis vorliegen und ist daran gedacht, den Einführungs-
dienst in einen Begleitdienst umzuwandeln?

Was würde dies für die Schulen bedeuten?

8. Wenn im Rahmen eines Konzepts „Zivildienst als Lerndienst gestalten“
mehr Bedeutung auf die Qualität und Vermittlung von Fähigkeiten gelegt
werden soll, da Teile der Zivildienstzeit auf die Ausbildungszeit angerech-
net werden sollen, hat dies auch Auswirkungen auf die Gruppengrößen in
den Zivildienstschulen?

9. Hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss darüber in Kenntnis ge-
setzt, dass die Modellprojekte noch nicht abgeschlossen sind, die Zahl der
Zivildienstleistenden ab dem Jahr 2007 wieder steigen wird, die Lehrkapa-
zitäten der Schulen bereits heute ausgelastet sind, Zusagen gegenüber der
Personalvertretung gebrochen werden müssen und die Schließung von min-
destens drei Schulen zwangsläufig zu einem höheren Bettenabbau als
12 000 führen wird und damit der gesetzlichen Verpflichtung zum Besuch
der Einführungslehrgänge nicht mehr aufrechtzuerhalten ist?

Wenn nein, warum nicht?

10. Von welchen Einberufungszahlen zum Zivildienst geht die Bundesregie-
rung jeweils für die Jahre 2006 bis 2010 aus?

11. Welchen Bettenüberhang der Zivildienstschulen erwartet die Bundesregie-
rung für das Jahr 2007 und 2008 vor dem Hintergrund steigender Einberu-
fungszahlen zum Zivildienst?

12. Welche Bettenkapazität soll durch Schließung von zwei Zivildienstschulen
abgebaut werden?

13. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll mehr als eine Kapazität von 12 000
Betten abzubauen?

Wenn ja, warum?

14. Welche Bettenkapazität soll mit den Schulschließungen im Jahr 2008 abge-
baut werden?

15. Beabsichtigt die Bundesregierung, Einberufungen zum Zivildienst nur dann
vorzunehmen, wenn sichergestellt ist, dass der einzelne Zivildienstleistende
an den gesetzlich vorgeschriebenen und zusätzlich auch an den fachlich
nötigen Lehrgängen teilnehmen kann (§ 25a ZDG)?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Schritte werden unternommen, um diese Absicht umzu-
setzen?

16. Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, dass bereits mit der Vereinbarung
des Zivildienstes zwischen Dienstpflichtigem und Einsatzstelle verbindlich
festgelegt wird, an welchen Lehrgängen der zukünftige Zivildienstleistende
teilzunehmen hat?

Wenn ja, welche Schritte werden unternommen, um dieses zu realisieren?

17. Welchen Mehrbedarf an Lehrkräften wird an den Zivildienstschulen benö-
tigt, wenn die Zivildienstleistendenzahlen steigen und zudem der Zivil-

dienst zum Lerndienst umgestaltet werden soll, vor dem Hintergrund, dass
die Lehrkapazitäten bereits heute ausgelastet sind?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/3524

18. Wie will die Bundesregierung ihre Zusage erfüllen, die Personalräte von
BMFSFJ und BAZ in die Entscheidung über Schulschließungen ein-
zubeziehen?

19. Welchen Personalabbau wird es an den von der Schließung betroffenen
Schulen geben (bitte getrennt nach Lehrkräften und übrigem Personal)?

20. Welche monatlichen Kosten werden für den Bundeshaushalt trotz Schul-
schließungen anfallen, vor dem Hintergrund, dass sämtliche Schulverträge
frühestens Ende 2008 auslaufen (bitte für jede Schule einzeln angeben)?

Berlin, den 21. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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