BT-Drucksache 16/3407

Gotteslästerungsparagraf (§ 166 Strafgesetzbuch) im Verhältnis zur Kunst- und Meinungsfreiheit

Vom 13. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3407
16. Wahlperiode 13. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, Irmingard Schewe-
Gerigk, Wolfgang Wieland, Katrin Göring-Eckardt, Hans-Christian Ströbele,
Silke Stokar von Neuforn, Omid Nouripour, Cornelia Behm und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gotteslästerungsparagraf (§ 166 Strafgesetzbuch) im Verhältnis zur Kunst- und
Meinungsfreiheit

Entrüstet haben Politiker aller Parteien Ende September 2006 auf die Entschei-
dung der Deutschen Oper Berlin reagiert, eine Mozart-Inszenierung aus Angst
vor islamistischen Bedrohungen vom Spielplan zu nehmen. Ähnlich wie bereits
anlässlich des umstrittenen Abdrucks von Mohammed-Karikaturen, wurde vor
einer gefährlichen Einschränkung von Verfassungsrechten, namentlich der
Kunst- und Meinungsfreiheit gewarnt (vgl. Netzeitung vom 26. September
2006). Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel warnte auf der Festveranstaltung
zum Tag der Deutschen Einheit mit Blick auf die Absetzung der Mozart-Oper
„Idomeneo“ vor Selbstzensur aus Angst vor islamistischer Gewalt. Die Kanzle-
rin sagte, manche Menschen hätten bei ihrem Recht, frei ihre Meinung zu
äußern, eine „unnötige Schere im Kopf“. Dann werde schon die weiße Fahne ge-
hisst, bevor auch nur etwas passiert sei. Sie forderte, bei der Freiheit der Kunst,
der Freiheit der Rede, der Presse, der Meinung und der Religion dürfe es keine
Kompromisse geben (vgl. Süddeutsche Zeitung, 4. Oktober 2006). Auch der
Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, betonte (vgl. DIE WELT,
1. November 2006): „Karikaturen müssen ertragen werden, (…), Kritik, die
auch schon mal beleidigend sein kann – das alles macht unsere offene Gesell-
schaft aus.“

Im Spannungsverhältnis hierzu steht § 166 des Strafgesetzbuches (StGB), der
die ,,Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltan-
schauungsgemeinschaften“ unter Strafe stellt. Die Vorschrift gilt vielen insofern
als Relikt vergangener Tage, weil im Zeitalter der Aufklärung sich der Gesetz-
geber prinzipiell von der Strafbarkeit der Blasphemie verabschiedet hat. Für
diverse Künstler und Kreative hat die Strafandrohung bis heute nachteilige
Folgen: So sind Künstler der „Stunksitzung“, einer Institution des Kölner Kar-
nevals, bereits mehrfach durch Verfahren nach § 166 StGB in ihren Aktivitäten
beschränkt und Opfer von Strafverfolgungsmaßnahmen geworden. Zuletzt wur-
de im Februar 2006 eine Papst-Satire vom WDR aus der Fernsehausstrahlung

der Stunksitzung herausgeschnitten. Anlass war auch hier eine Strafanzeige
wegen § 166 StGB.

Drucksache 16/3407 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. In wie vielen Fällen und in welchen OLG-Bezirken kam es im Zeitraum 1996
bis 2006 zu gerichtlichen Verurteilungen aufgrund der Vorschrift des § 166
StGB?

2. Wie viele Verfahren wegen § 166 StGB endeten zwischen 1996 bis 2006 mit
Freispruch?

3. In wie vielen Fällen und in welchen OLG-Bezirken kam es zwischen 1996
bis 2006 zu Ermittlungsverfahren wegen § 166 StGB, die nicht zu einer Ver-
urteilung führten?

a) Wie viele dieser Fälle wurden – und aufgrund welcher Vorschrift – einge-
stellt?

b) In wie vielen dieser Verfahren kam es zu strafprozessualen Maßnahmen
wie Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen?

4. Rechtfertigt nach Ansicht der Bundesregierung die umstrittene Schlussszene
der Berliner Inszenierung der Mozart-Oper „Idomeneo“ die Einleitung eines
strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen § 166 StGB, wenn darin die
Titelfigur Idomeneo laut Presseberichten (vgl. dpa vom 1. November 2006)
die Bühne u. a. mit den abgetrennten Köpfen von Jesus, Buddha und des Pro-
pheten Mohammed betritt, und wenn nein, warum nicht?

5. a) Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der eingangs dar-
gestellten Bekenntnisse zu Kunst- und Meinungsfreiheit die in der Ver-
gangenheit eingeleiteten strafrechtlichen Verfahren gegen Künstler (z. B.
im Rahmen von Karnevalsveranstaltungen) wegen Verdachts der Verlet-
zung von § 166 StGB?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung das Spannungsverhältnis zwischen
§ 166 StGB und den Grundrechten der Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit
und negativer Glaubensfreiheit?

6. Sieht die Bundesregierung angesichts des Karikaturenstreits und der Diskus-
sion um die Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo sowie der in diesem Zu-
sammenhang erfolgten Bekenntnisse von Vertretern der Bundesregierung zur
Meinungs- und Kunstfreiheit des Grundgesetzes rechtspolitischen Hand-
lungsbedarf im Hinblick auf die Vorschrift des § 166 StGB, und wenn nein,
warum nicht?

Berlin, den 13. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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