BT-Drucksache 16/3397

Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle - 2007

Vom 10. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3397
16. Wahlperiode 10. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Monika Lazar,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle – 2007

Die Europäische Kommission hat 2007 zum Europäischen Jahr der Chancen-
gleichheit für alle erklärt, im Rahmen eines konzertierten Konzepts zur För-
derung von Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung in der EU. Das Euro-
päische Jahr ist Herzstück einer Rahmenstrategie, mit der Diskriminierung
wirksam bekämpft, die Vielfalt als positiver Wert vermittelt und Chancengleich-
heit für alle gefördert werden soll.

Der EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit, Vladimír
Špidla,sagt: „Europa muss sich um eine echte Gleichbehandlung im täglichen
Leben bemühen. Das Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle und
die Rahmenstrategie werden einen neuen Impuls für die Anstrengungen zur
uneingeschränkten Anwendung der Antidiskriminierungsvorschriften der EU
bringen, die bislang allzu oft behindert und verzögert wurde. Grundrechte,
Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit bleiben Schlüsselprioritäten der
Europäischen Kommission.“

Die Europäische Kommission schlägt für das Europäische Jahr vier zentrale
Themen vor:

● Rechte – für das Recht auf Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung
sensibilisieren;

● Vertretung – eine Debatte über Möglichkeiten anregen, die Teilnahme an der
Gesellschaft zu stärken;

● Anerkennung – Vielfalt würdigen und berücksichtigen;

● Respekt und Toleranz – eine Gesellschaft mit stärkerem Zusammenhalt
fördern.

Die bereitgestellten Mittel in Höhe von 13,6 Mio. Euro decken vorbereitende
Maßnahmen im Jahr 2006 sowie die verschiedenen Aktivitäten im Rahmen des
Europäischen Jahres (2007) selbst ab.

Die Rahmenstrategie für Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit für alle,
die den Entwurf eines Beschlusses über das Europäische Jahr begleitet, soll

sicherstellen, dass die Antidiskriminierungsbestimmungen der EU umfassend
angewandt und durchgesetzt werden.

Die Strategie prüft auch, was die EU weiter tun kann, um Diskriminierung zu
bekämpfen und Gleichheit zu fördern – über den rechtlichen Schutz des Rechts
auf Gleichbehandlung hinaus.

Drucksache 16/3397 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Neben dem Europäischen Jahr werden in der Mitteilung unter anderem folgende
neue Initiativen angekündigt:

● eine Machbarkeitsstudie zu neuen Maßnahmen zur Ergänzung bestehender
EU-Antidiskriminierungsvorschriften;

● die Einsetzung einer hochrangigen Beratergruppe, die sich mit der sozialen
Integration und Arbeitsmarktbeteiligung von Minderheiten – unter anderem
der Roma – befassen soll.

Die Geschlechterdimension wird im Kontext des Europäischen Jahres und
der Antidiskriminierungsstrategie ebenfalls behandelt. Dies ergänzt die spezi-
fischen Bemühungen der EU zur Gleichstellung der Geschlechter und gegen
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, einschließlich des vorgeschlagenen
Gender-Instituts und der Mitteilung zur Gleichstellung der Geschlechter, die für
2006 geplant ist.

Die Rahmenstrategie und das Europäische Jahr folgen auf eine umfassende
öffentliche Konsultation im Jahr 2004 auf der Grundlage des Grünbuchs der
Kommission „Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in
einer erweiterten Europäischen Union“.

Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Jahres kommt den nationalen Durch-
führungsstellen (NDS) zu, die von den Mitgliedstaaten eingerichtet werden
müssen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
wurde für Deutschland als NDS benannt. Die Hauptaufgaben der NDS sind:

– Festlegen der nationalen Strategie und der nationalen Prioritäten für das
Europäische Jahr;

– Planung und Auswahl der Aktionen auf nationaler Ebene;

– Stellung des Antrags auf Gewährung einer Finanzhilfe auf die beschränkte
Ausschreibung der Europäischen Kommission hin;

– Koordination und Überwachung der Durchführung der ausgewählten Ak-
tionen.

Der Zivilgesellschaft kommt in dem Beschluss ein hoher Stellenwert bei der
Umsetzung des Jahres zu, da es viele Verbände und Organisationen gibt, die sich
mit der Thematik schon lange beschäftigen und auch Diskriminierungsopfer
vertreten und beraten. Eine angemessene Einbindung ist durch die NDS zu
gewährleisten. Da sich die Verbände meist nur um ein Diskriminierungsmerk-
mal kümmern, haben die NDS gleichzeitig darauf zu achten, dass es möglichst
zu einer Gleichgewichtung aller Diskriminierungsmerkmale im Rahmen der
Durchführung des Jahres kommt.

Bei der Umsetzung des Ratsbeschlusses von Mai dieses Jahres hebt sich
Deutschland dabei mit zwei Besonderheiten ab:

1. Jedes Land sollte eine nationale Durchführungsstelle (NDS) mit hoher Betei-
ligung der Zivilgesellschaft einrichten. In den 27 Ländern geschah dies
zwischen Juni und Juli 2006. In 26 Fällen wurde ein Ministerium als NDS
genannt, oft das Arbeitsministerium oder Sozialministerium. In Deutschland
hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die
Federführung für diese Angelegenheit und delegierte sie faktisch an die
Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW).
Die BAGFW hat die Rolle der Geschäftsstelle der nationalen Durchführungs-
stelle.

Dies ist einmalig in der EU und wird von europäischen Nichtregierungsorga-
nisationen mit Befremden aufgenommen. Daran ändert auch nichts, dass ein

Beirat mit Vertretern aller Diskriminierungsopfergruppen installiert wird.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3397

Die Wahl der BAGFW wird nicht unbedingt als ein Signal der Gleich-
behandlung bezüglich aller Diskriminierungskriterien gesehen, wie dies von
der Europäischen Kommission erwartet wird.

2. Für die Durchführung der Maßnahmen in den Mitgliedstaaten ist ein Etat vor-
gesehen und die Bedingung für die Bewilligung der Anträge, die die NDS
weiterleiten wird, ist die Bereitstellung einer Kofinanzierung im Mitglied-
staat von 50 Prozent.

Ziel der Kofinanzierung ist eine Verdoppelung der EU-Gelder durch die Mit-
gliedstaaten.

Dies geschieht auch ohne Probleme in 25 Ländern der EU. Dort stellen die
entsprechenden NDS Fördergelder in Höhe des EU-Zuschusses zur Verfü-
gung.

Slowenien hat schon in Brüssel für Aufregung gesorgt, weil dort ziemlich
früh im September 2006 ein Eigenanteil der potenziellen Antragsteller von
20 Prozent verlangt wurde; u. a. durch den Einsatz von ILGA-Europe soll die
Europäische Kommission aktiv geworden sein und soll in Verhandlungen mit
dem zuständigen Ministerium in Ljubljana eingetreten sein.

Wie aus Informationen der deutschen nationalen Durchführungsstelle her-
vorgeht, werden in Deutschland nur Anträge berücksichtigt, die einen Eigen-
anteil von 50 Prozent vorsehen. Damit ist Deutschland gemeinsam mit
Slowenien Schlusslicht bei der Umsetzung der Maßnahmen zum Europäi-
schen Jahr der Chancengleichheit für alle.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Rolle spielt die Förderung von Chancengleichheit und Nichtdiskrimi-
nierung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

Welche Initiativen sind in diesem Zusammenhang geplant?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung das Programm der Europäischen Kom-
mission für das Jahr 2007 Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle?

3. Mit welchen Maßnahmen und Initiativen unterstützt die Bundesregierung das
Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle?

4. Teilt die Bundesregierung unsere Ansicht, dass die getroffenen Maßnahmen
so angelegt sein sollten, dass Diskriminierungen aus allen Gründen, die im
Amsterdamer Vertrag genannt sind, also des Geschlechts, der Rasse, der
ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinde-
rung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung/Identität, in angemessener
Weise bekämpft werden?

5. Wie stellt die Bundesregierung die Gleichgewichtung aller Diskriminie-
rungsmerkmale im Rahmen der Durchführung des Europäischen Jahres
sicher?

6. Welche Stellen wurden in den Mitgliedstaaten der EU jeweils als nationale
Durchführungsstelle benannt?

7. Warum hat die Bundesregierung die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien
Wohlfahrtspflege e. V. als Geschäftsstelle der nationalen Durchführungsstelle
benannt, und welche Rechtskonstruktion verbirgt sich hinter dieser Titulatur?

8. Wie begegnet die Bundesregierung der Kritik, dass damit nicht gewährleistet
ist, dass die Maßnahmen an einer gleichmäßigen Bekämpfung von Diskrimi-
nierungen aufgrund aller Diskriminierungskriterien orientiert sind?
9. Welche Staaten der Europäischen Union leisten den 50-prozentigen Eigen-
anteil selbst?

Drucksache 16/3397 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. Welche Staaten verlangen von den zivilgesellschaftlichen Trägern die
Erbringung eines Eigenanteiles und in welcher Höhe jeweils?

11. Wie begründet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, dass in
Deutschland der Eigenanteil von den Trägern zu erbringen ist und nicht von
der Bundesrepublik Deutschland übernommen wird?

12. Wie begegnet die Bundesregierung der Kritik, dass hierdurch gerade kleine
Träger besonders benachteiligter Gruppen strukturell gegenüber etablierten
kirchlichen Trägern und den großen Wohlfahrtsverbänden bei der Mittel-
vergabe benachteiligt werden?

13. a) Welche Träger und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskrimi-
nierung aufgrund des Geschlechts werden mit welchem Betrag im Rah-
men dieses Programms gefördert?

b) Welche Träger und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskrimi-
nierung aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft werden mit
welchem Betrag im Rahmen dieses Programms gefördert?

c) Welche Träger und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskrimi-
nierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung werden mit wel-
chem Betrag im Rahmen dieses Programms gefördert?

d) Welche Träger und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskrimi-
nierung aufgrund einer Behinderung werden mit welchem Betrag im
Rahmen dieses Programms gefördert?

e) Welche Träger und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskrimi-
nierung aufgrund des Alters werden mit welchem Betrag im Rahmen die-
ses Programms gefördert?

f) Welche Träger und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskrimi-
nierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung/Identität werden mit wel-
chem Betrag im Rahmen dieses Programms gefördert?

Berlin, den 9. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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