BT-Drucksache 16/3361

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/2495, 16/2931, 16/3312- Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3361
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Roland Claus,
Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/2495, 16/2931, 16/3312 –

Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen
in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG
(Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Aarhus-Konvention hat zum Ziel, durch einen verbesserten Zugang zu In-
formationen und eine verbesserte Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungs-
verfahren die Qualität und die Umsetzung umweltrelevanter Entscheidungen zu
erhöhen. Zudem verfolgt die Aarhus-Konvention das „Anliegen, dass die Öf-
fentlichkeit, einschließlich Organisationen, Zugang zu wirkungsvollen, gericht-
lichen Mechanismen haben soll, damit ihre berechtigten Interessen geschützt
werden und das Recht durchgesetzt wird“.

Deutschland ist einer der wenigen Unterzeichnerstaaten, die die Konvention bis-
lang noch nicht ratifiziert haben. Erst am 12. Juli 2006 verabschiedete die Bun-
desregierung einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Konvention (Bundes-
tagsdrucksache 16/2497).

Die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35/EG, die von der Europäischen
Union als eigenständige Mitunterzeichnerin der Aarhus-Konvention als Beitrag
zur Umsetzung der Aarhus-Konvention verabschiedet wurde, hat Deutschland
nicht fristgerecht bis zum 25. Juni 2005 in innerstaatliches Recht umgesetzt.

Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz hat sich nicht nur am Wortlaut und den Zielen
der Richtlinie, sondern auch an der Aarhus-Konvention zu orientieren. Der Ge-

setzentwurf der Bundesregierung ist mit den Bestimmungen der Öffentlichkeits-
beteiligungsrichtlinie nicht vereinbar und somit nicht richtlinienkonform. Zu-
dem widerspricht er in wesentlichen Aspekten den Zielen und dem Wortlaut der
Aarhus-Konvention.

In Deutschland gibt es außer der altruistischen Verbandsklage im Naturschutz-
recht bislang keine Klagemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger sowie Ver-

Drucksache 16/3361 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

bände in allgemeinen Umweltangelegenheiten. Umweltschutzverbände nehmen
durch ihr Engagement das Interesse der Allgemeinheit an einer intakten Umwelt
wahr, das von anderen nicht vertreten wird. Damit diese ein adäquates Gegen-
gewicht zu anderen Interessen bilden und die Interessen der Allgemeinheit an
einer intakten Umwelt vertreten können, ist ihnen gesetzlich ein weiter, umfas-
sender Zugang zu Gerichten in umweltrelevanten Entscheidungen zu schaffen.
Wie die Erfahrungen mit dem Verbandsklagerecht nach dem Bundesnatur-
schutzgesetz zeigen, ist durch eine Ausweitung von Klagerechten für Verbände
keine Klageflut zu befürchten. Diese nehmen ihr Klagerecht überwiegend nur
dann wahr, wenn wegen Planungsfehlern eine gerichtliche Erfolgsaussicht
besteht. Ein umfassendes Klagerecht für Verbände führt deshalb dazu, dass der
Gesetzesvollzug gestärkt wird, umweltrelevante Entscheidungen noch sorgfäl-
tiger als bislang geprüft und negative Umweltauswirkungen so weit wie möglich
vermieden werden.

Klagegegenstände unzulässig eingeschränkt

Weil die Aarhus-Konvention keine Beschränkungen hinsichtlich der Tat-
bestände, für die eine gerichtliche Überprüfung vorzusehen ist, enthält, ist eine
gerichtliche Überprüfbarkeit umfassend für alle behördlichen umweltrelevanten
Entscheidungen zu gewährleisten und kann nicht, wie im Gesetzentwurf vorge-
sehen, auf Vorhaben, die der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglich-
keitsprüfung unterliegen, beschränkt werden.

Durch die weitere Beschränkung der Klagemöglichkeiten auf drittschützende
Tatbestände werden im allgemeinen Interesse stehende Umweltaspekte wie der
Zustand unserer Flüsse, Luftverschmutzung, Klimaschutz und Tierschutz von
einer gerichtlichen Überprüfung ausgeschlossen. Dadurch verkennt die Bundes-
regierung den Anspruch und die gesellschaftliche Aufgabe der Umwelt-
verbände, die sich im Sinne der Allgemeinheit gerade für die Umweltbelange
einsetzen, für die sich mangels persönlicher Betroffenheit sonst kaum jemand
einsetzt. Die Beschränkung auf drittschützende Tatbestände ist ebenfalls nicht
mit der Aarhus-Konvention vereinbar, da diese ein Klagerecht explizit auch
dann vorsieht, wenn keine direkte Betroffenheit vorliegt.

Da ferner nur die Einhaltung von Rechtsvorschriften gerichtlich überprüfbar
sein soll, können Verstöße gegen Vorsorgestandards und Schwellenwerte, die
sich anders als Grenzwerte an Ergebnissen neuester wissenschaftlicher Untersu-
chungen orientieren, gerichtlich nicht gerügt werden.

Kreis der Klageberechtigten unzulässig eingeengt

Indem nur Vereinigungen zusätzliche Klagemöglichkeiten geschaffen werden,
Bürgerinnen und Bürgern aber nicht, widerspricht der Gesetzentwurf dem
Ansinnen der Aarhus-Konvention, der gesamten betroffenen Öffentlichkeit in
Umweltangelegenheiten einen umfassenden und verbesserten Zugang zu
Gerichten zu gewähren.

Die Bestimmung, dass Vereinigungen eine gerichtliche Überprüfung von Vorha-
ben nur dann geltend machen dürfen, wenn sie in ihrem satzungsgemäßen Auf-
gabenbereich berührt sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2), stellt eine unverhältnismäßige und
unzulässige Einschränkung für Umweltverbände und Umweltvereinigungen
dar. Ein Klagerecht könnte ihnen demnach nur in Bezug auf ihre spezifischen
Satzungsziele, nicht aber in allen umweltrelevanten Belangen eingeräumt wer-
den. Der Nachweis einer speziellen Betroffenheit des Satzungszwecks ist weder
mit Artikel 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention noch der Öffentlichkeitsbetei-
ligungsrichtlinie nach Artikel 2 Abs. 3 vereinbar. Beide unterstellen Verei-
nigungen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, ein ausreichendes Interesse

und zählen sie damit zur betroffenen Öffentlichkeit.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3361

Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern

Indem eine behördliche Entscheidung über die Zulassung von Verfahren nach
dem Gesetzentwurf nur dann aufgehoben werden kann, wenn wesentliche Ver-
fahrensvorschriften verletzt worden sind und der Verfahrensfehler nicht rück-
gängig gemacht werden kann (§ 4 Abs. 1), verstößt dies gegen Öffentlichkeits-
beteiligungsrichtlinie und Aarhus-Konvention, die keine Beschränkungen der
Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern vorsehen. Verfahrensfehler sind im Um-
weltrecht von großer Bedeutung, weil eine volle Überprüfung einer Entschei-
dung oftmals nicht möglich ist.

Eine Verbesserung der Beteiligung der Öffentlichkeit kann nur erreicht werden,
wenn die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung gerichtlich überprüfbar
ist. Verfahrensfehler, die die Öffentlichkeitsbeteiligung betreffen, haben immer
als wesentlich und somit als beachtlich zu gelten. Die im Gesetzentwurf enthal-
tene Bestimmung kann hingegen dazu führen, dass Vereinigungen nicht gegen
eine fehlerhafte oder unterbliebene Beteiligung klagen dürften. Dies steht im
Widerspruch zum Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie und dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung für ein Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz, die
eine Verbesserung der Beteiligung der Öffentlichkeit zum Ziel haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen neuen Gesetzentwurf eines an den Zielen und an den Maß-
gaben der Aarhus-Konvention wie der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie
2003/35/EG verpflichtetes Umweltrechtsbehelfsgesetz vorzulegen und damit
einen europäischen Standards entsprechenden, zeitgemäßen Rechtsschutz in
allen Umweltangelegenheiten zu schaffen, der

● die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen in allen Um-
weltangelegenheiten ohne Drittschutzerfordernis und unter Berücksichti-
gung von Vorsorgestandards ermöglicht,

● allen Vereinigungen, Bürgerinnen und Bürgern, die ein berechtigtes Interesse
an umweltrelevanten, behördlichen Entscheidung haben, einen Zugang zu
Gerichten gewährt,

● die Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern ohne Einschränkung zulässt.

Berlin, den 24. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Aarhus-Konvention ist das internationale „Übereinkommen über den Zu-
gang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfah-
ren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“. Es wurde am
25. Juni 1998 unterzeichnet. Deutschland holte nach anfänglichen Bedenken die
Unterzeichnung am 21. Dezember 1998 nach.

Am 12. Juli 2006 verabschiedete die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur
Ratifizierung der Aarhus-Konvention (Bundestagsdrucksache 16/2497). Dies
wurde parallel zu den Gesetzentwürfen für das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz
und das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz (Bundestagsdrucksache 16/2494) be-

schlossen. Diese drei Gesetzentwürfe stehen in einem inhaltlichen Zusammen-
hang, da die Bundesregierung die Aarhus-Konvention erst dann ratifizieren will,

Drucksache 16/3361 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
wenn Deutschland seiner Verpflichtung zur Umsetzung der Konvention mit dem
Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und dem Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz nach-
gekommen ist.

Mit der noch nicht erfolgten Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligungsricht-
linie hat Deutschland erneut gegen europäisches Recht verstoßen, weswegen die
Europäische Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen
Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet hat. Deutschland hat
im Jahr 2005 in insgesamt 24 Fällen gegen europäisches Recht verstoßen. Damit
liegt Deutschland im Mittelfeld der Mitgliedstaaten der EU. Von einer europäi-
schen Vorreiterrolle gerade im Bereich des Umweltschutzes ist Deutschland
weit entfernt.

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