BT-Drucksache 16/3349

Praktika gesetzlich regeln

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3349
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus,
Kornelia Möller, Kersten Naumann, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Axel Troost, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Praktika gesetzlich regeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Praktika im Rahmen eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer
Qualifizierung bieten den Praktikanntinnen und Praktikanten die Möglich-
keit, Einblicke in betriebliche Abläufe zu erhalten, Berufspraxis zu sammeln
oder auch berufliche Perspektiven zu entwickeln. Sie sind daher für die Prak-
tikantinnen und Praktikanten von hoher Bedeutung. In vielen Fällen sind
Praktika gut organisiert und gewährleisten Betreuung und Vergütung, z. T.
auch tarifvertraglich geregelt.

2. Immer mehr Unternehmen ersetzen allerdings reguläre Arbeitsverhältnisse
durch sog. Praktikumstellen. Obwohl häufig vollwertige Arbeitsaufgaben zu
erfüllen sind, werden den sog. Praktikantinnen und Praktikanten Arbeitneh-
merrechte und eine entsprechende Vergütung vorenthalten. Ebenso mangelt
es an einer Betreuung und Begleitung der Praktikantinnen und Praktikanten
im Betrieb, die ihrer Qualifizierung und besseren Berufsorientierung dienen.

3. Die zumeist ungeregelte Situation von echten und unechten Praktika geht
zuerst zu Lasten der Absolventinnen und Absolventen von beruflichen oder
hochschulischen Bildungsgängen selbst: Aus Angst vor Verzögerungen und
Lücken in ihrem Lebenslauf und aus Furcht, bei der Bewerbung um ein regu-
läres Arbeitsverhältnis abgewiesen zu werden, lassen sich viele nach ihrem
Abschluss in teils mehrjährige Praktikumschleifen abdrängen. Diese Phase
ist für die Betroffenen von finanziellen Schwierigkeiten, Planungsunsicher-
heit und beruflicher Perspektivlosigkeit geprägt. Um die Chance auf eine
feste Anstellung nicht zu verspielen, begeben sie sich in starke Abhängigkeit
gegenüber ihren Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern und verzichten bei-
spielsweise darauf, gegen arbeitsrechtliche Verstöße zu klagen oder eine
angemessene Vergütung für ihre Tätigkeit einzufordern.

4. Wenn Praktika verdeckte Arbeitsverhältnisse sind, verschärfen sie die Krise
auf dem Arbeitsmarkt. Die Folgen sind eine weitere Abnahme sozialver-

sicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse und steigende Arbeits-
losenzahlen. Zudem wächst der Druck auf regulär Beschäftigte, ähnlich
ungesicherte Arbeitsbedingungen und sinkende Vergütungen hinzunehmen.
Da für Beschäftigungsverhältnisse mit Praktikantinnen und Praktikanten
häufig keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden, gehen den sozialen
Sicherungssystemen zugleich Einnahmen verloren.

Drucksache 16/3349 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, auf diese Situation angemessen
zu reagieren. Im Berufsbildungsgesetz fehlt eine klare Definition von Lern-
verhältnissen wie Praktika in Abgrenzung zu regulären Arbeitsverhältnissen.
Vergütungsansprüche von Praktikantinnen und Praktikanten sind unzurei-
chend geregelt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Angebot und die Inanspruchnahme von Praktika in den Arbeitsmarkt-
statistiken der Bundesagentur für Arbeit auszuweisen, um damit die Daten-
lage in diesem Bereich zu verbessern;

2. einen Entwurf zur Änderung des Berufsausbildungsgesetzes (BBIG) und
gegebenenfalls weiterer Gesetze vorzulegen, welcher mindestens folgende
Punkte umfasst:

● Es wird eine präzise Definition von Praktika als Lernverhältnisse in Ab-
grenzung von regulären Arbeitsverhältnissen vorgenommen.

● Der Berufseinstieg nach einem abgeschlossenen Studium oder nach einer
Berufsausbildung im erlernten Berufsfeld darf nicht als Praktikum
deklariert werden. Praktika, die nach dem Studium stattfinden, aber in der
Studienordnung vorgeschrieben sind, gelten als Teil des Studiums.

● Praktikantinnen und Praktikanten dürfen ausschließlich auf Grundlage
eines Praktikumsvertrags zwischen Arbeitgeberin/Arbeitgeber und Prak-
tikantin/Praktikant tätig werden, dessen Inhalt keine Umgehung von
Arbeitnehmerrechten ermöglichen darf.

● Praktika müssen angemessen vergütet werden. Wenn keine tarifvertrag-
lichen Regelungen greifen, sollte sich die Praktikumsvergütung in einem
anteiligen Verhältnis an einem gesetzlichen Mindestlohn orientieren.
Nach einem abgeschlossenen Studium oder nach einer Berufsausbildung
dürfen nur reguläre Arbeitsverhältnisse mit einer der Tätigkeit entspre-
chenden tarifvertraglichen Entlohnung oder mit einer Entlohnung, deren
Höhe der Entlohnung bereits beschäftigter Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer entspricht, zugelassen werden.

● Praktikantinnen und Praktikanten müssen während ihres Lernverhältnis-
ses angemessen betreut werden. Dazu gehören unter anderem die Verein-
barung von Qualifikationszielen und die Benennung einer betreuenden
Person im Praktikumsvertrag.

● Praktika dürfen keine regulären Arbeitsverhältnisse ersetzen.

● Nach Beendigung eines Praktikums muss das Unternehmen ein Zeugnis
ausstellen.

● Betriebsräte müssen bei Abschluss sowie gegebenenfalls Kündigung von
Praktikumsverträgen entsprechend ihrer Beteiligungsrechte für reguläre
Arbeitsverhältnisse beteiligt werden. Sie müssen darüber hinaus Prak-
tikantinnen und Praktikanten als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen
und in Konfliktsituationen gehört werden.

Berlin, den 8. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3349

Begründung

Praktika sollen Menschen in Qualifikationsphasen die Möglichkeit geben, wäh-
rend eines Studiums oder einer beruflichen Ausbildung einen Einblick in den
Arbeitsalltag zu gewinnen, Praxiserfahrungen zu sammeln und die Grundlage
für die eigene berufliche Orientierung zu verbreitern. Die derzeitige Entwick-
lung, die in der öffentlichen Debatte mit Begriffen wie „Generation Praktikum“
umschrieben wird (vgl. DIE ZEIT vom 31. März 2005 sowie vom 13. Septem-
ber 2006), weist jedoch in die entgegengesetzte Richtung:

Immer mehr Unternehmen beuten junge Menschen als Praktikantinnen und
Praktikanten weitgehend ohne Vergütung und arbeitsrechtlichen Schutz aus. Sie
sind damit häufig über mehrere Jahre in einer Situation beruflicher und persön-
licher Perspektivlosigkeit sowie finanzieller Unsicherheit gefangen. Zudem
wird durch die ungesicherten Arbeitsverhältnisse der Praktikantinnen und Prak-
tikanten der Druck auf die übrigen Beschäftigten erhöht. Durch den Abbau re-
gulärer Beschäftigungsverhältnisse steigt schließlich die Arbeitslosigkeit weiter
an. Die Dramatik der Entwicklung wird durch eine öffentliche Petition zu die-
sem Thema verdeutlicht, die in diesem Jahr von fast 50 000 Menschen mitge-
zeichnet wurde.

Es ist dringend geboten, die Bedingungen, unter denen Praktika gesetzlich zu-
lässig sind, zu regeln, um die Situation von tatsächlichen Praktikantinnen und
Praktikanten zu verbessern und eine Entwicklung zu stoppen, die zudem auf den
Abbau von Arbeitnehmerrechten hinausläuft. Dabei ist zu gewährleisten, dass
der Berufseinstieg nach einem abgeschlossenen Studium oder nach einer Be-
rufsausbildung nicht in Form eines Praktikums erfolgen darf, sondern ein regu-
läres Arbeitsverhältnis begründet, das rechtlich abgesichert auch mit einer Pro-
bezeit beginnen kann. Zweck eines Probearbeitsverhältnisses ist es, sowohl den
Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern als auch den Beschäftigten die Möglichkeit
zu geben, die Arbeitsstelle kennen zu lernen, sich ein Bild vom Vertragspartner
zu machen und die Zusammenarbeit zu prüfen.

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