BT-Drucksache 16/3296

Die NATO vor dem Gipfel in Riga vom 28. bis 29. November 2006

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3296
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Eckart von Klaeden, Dr. Andreas Schockenhoff, Bernd Siebert,
Ulrich Adam, Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Monika Brüning, Anke Eymer
(Lübeck), Hartwig Fischer (Göttingen), Erich G. Fritz, Dr. Peter Gauweiler,
Hermann Gröhe, Manfred Grund, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
Jürgen Herrmann, Robert Hochbaum, Joachim Hörster, Hartmut Koschyk,
Dr. Karl Lamers (Heidelberg), Eduard Lintner, Henning Otte, Ruprecht Polenz,
Hans Raidel, Dr. Norbert Röttgen, Kurt J. Rossmanith, Anita Schäfer (Saalstadt),
Bernd Schmidbauer, Karl-Georg Wellmann, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Markus Meckel, Niels Annen, Rainer Arnold,
Dr. Hans-Peter Bartels, Detlef Dzembritzki, Gabriele Fograscher, Monika Griefahn,
Petra Heß, Gerd Höfer, Lothar Ibrügger, Brunhilde Irber, Johannes Jung (Karlsruhe),
Hans-Ulrich Klose, Rolf Kramer, Ulrike Merten, Ursula Mogg, Dr. Rolf Mützenich,
Johannes Pflug, Steffen Reiche (Cottbus), Dr. Hermann Scheer, Otto Schily,
Jörn Thießen, Hedi Wegener, Andreas Weigel, Gert Weisskirchen (Wiesloch),
Dr. Wolfgang Wodarg, Uta Zapf, Walter Kolbow, Olaf Scholz, Dr. Peter Struck und
der Fraktion der SPD,

Die NATO vor dem Gipfel in Riga vom 28. bis 29. November 2006

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die atlantische Allianz bildet seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges den
zentralen Pfeiler deutscher Sicherheit und ist Garant des Friedens in Europa. Die
politische Krise der NATO wird überwunden. Es gibt wieder ermutigende Bei-
spiele für Konsultationen abseits der Entscheidung über anstehende Militär-
operationen. Damit verfolgen die transatlantischen Partner das Ziel, die NATO
wieder zum zentralen Ort ihres sicherheitspolitischen Dialogs zu machen, an
dem sie ihre strategischen Vorstellungen gleichberechtigt konsultieren und
koordinieren. Der mit dem Gipfel von Prag eingeleitete Transformationsprozess
hat das Bündnis gestärkt und handlungsfähiger gemacht, ist jedoch noch nicht
abgeschlossen. So stehen auf dem Ende November 2006 in Riga stattfindenden
Gipfel erneut Fragen der konzeptionellen Weiterentwicklung sowie die Perspek-

tiven der laufenden Einsätze auf der Tagesordnung.

Die EU ist ein sicherheitspolitischer Akteur, der komplementär zur NATO wirkt;
dabei ist auch auf eine enge Abstimmung einheitlicher Streitkräfteentwick-
lungen zu achten. Zusammen mit dem Erweiterungsprozess der EU hat die
NATO einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Transformation und Stabili-
sierung in Mittel- und Osteuropa sowie in Südosteuropa geleistet. Aus dieser
Perspektive tritt Deutschland dafür ein, dass die Allianz für den Beitritt weiterer
euro-atlantischer Mitglieder offen bleibt.

Drucksache 16/3296 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Deutschland hat ein Interesse an einer starken NATO, die eng mit der EU zusam-
menarbeitet. Die Zukunft der Allianz hängt wesentlich davon ab, welche
Bedeutung die USA der NATO und damit der verbindlichen Kooperation mit
den europäischen Verbündeten beimessen. Der Ausbau europäischer Fähigkei-
ten wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Während die Zusammenarbeit auf
der operativen Ebene bereits gut funktioniert, ist der umfassende Ausbau der
Kooperation und ein Dialog zu strategischen und sicherheitspolitischen Fragen
seit 2003 insbesondere durch die ungeklärte Zypern-Frage blockiert.

Russland ist ein zentraler Partner bei der Gewährleistung von Sicherheit in
Europa und bei der Bewältigung von globalen sicherheitspolitischen Heraus-
forderungen. Die NATO hat die Zusammenarbeit mit Russland seit den 90er
Jahren entwickelt. Heute ist der NATO-Russland-Rat ein wichtiges Forum zur
Erörterung von Sicherheitsfragen. Auch die praktische militärische Kooperation
schreitet voran. Deutschland ist an einer verlässlichen Partnerschaft und dem
Ausbau der Kooperation mit Russland im Rahmen von NATO und EU interes-
siert.

Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und im Zusammenhang mit
den weiteren sicherheitspolitischen Herausforderungen, mit denen wir uns heute
konfrontiert sehen, ist praktische Kooperation mit vielen Staaten erforderlich.
2004 wurde beim Istanbuler NATO-Gipfel mit der „Istanbuler Kooperations-
initiative“ und dem Ausbau des sog. Mittelmeerdialogs die Zusammenarbeit mit
der Region Naher und Mittlerer Osten sowie Nordafrika zu einem neuen
Schwerpunkt erklärt. Mit militärischer Ausbildung und der Beratung bei der
Restrukturierung der Streitkräfte ist die NATO erstmals praktisch in dieser
wichtigen Region engagiert.

Zur Bewältigung der neuen Herausforderungen bedarf die Allianz neuer Fähig-
keiten. Mit der beschlossenen Bundeswehrreform sind die deutschen Streit-
kräfte auf dem richtigen Wege, der gewachsenen Bedeutung der Einsätze zu ent-
sprechen. Auf Ebene der NATO bildet die 2002 beschlossene NATO Response
Force (NRF) den sichtbarsten Ausdruck dieser neuen Orientierung. Eine enge
Abstimmung der Fähigkeiten von NRF und Gefechtsverbänden für die schnelle
Krisenreaktion der EU (Battle Groups) ist im deutschen Interesse.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzu-
setzen, dass

1. die Allianz als zentrales Forum für strategische sicherheitspolitische Fragen
gestärkt wird. Ziel sollte sein, dass die NATO-Mitgliedstaaten alle relevanten
sicherheitspolitischen Entwicklungen und Herausforderungen gemeinsam
analysieren, im Rahmen der Allianz über gemeinsame Schritte entscheiden
und schließlich auch gemeinsam handeln. Dieser Dialog ist auch als Vor-
warnsystem zu nutzen, um mit transatlantischen Meinungsverschiedenheiten
besser umgehen zu können. Die NATO darf zu keiner Zeit entweder als Pool
für sog. Ad-hoc-Koalitionen oder als politischer und militärischer Werkzeug-
kasten angesehen werden;

2. die Fähigkeiten der NATO sowohl zur vorbeugenden Konfliktverhinderung
als auch zur Stabilisierung und zur Flankierung des Wiederaufbaus von Post-
Konfliktregionen gestärkt werden. In diesem Zusammenhang sollte die NATO
durch Intensivierung der institutionellen Zusammenarbeit mit den Vereinten
Nationen (VN), der EU, anderen regionalen Sicherheitsorganisationen und
Staaten eine größtmögliche Kohärenz zwischen Entwicklungs- und Sicher-
heitspolitik beachten. Zu diesem Zweck sollte die Kooperation zwischen
NATO und EU ausgebaut werden. Die EU verfügt über das Potential, in einem
integrierten Ansatz militärische, politische, wirtschaftliche und zivilgesell-
schaftliche Instrumente einzusetzen, um Konflikte zu lösen oder einer Eskala-

tion vorzubeugen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3296

3. die Partnerschaft von EU und NATO durch eine Intensivierung des strategi-
schen Dialogs über alle Aspekte der Sicherheitspolitik fortentwickelt wird;

4. die Dauervereinbarungen zwischen NATO und EU den Rahmen für die stra-
tegische Partnerschaft zwischen beiden Organisationen bei der Krisenbe-
wältigung bilden und die Einsatzfähigkeit der EU verbessern. Von dieser
Möglichkeit sollte im Falle neu entstehender Konflikte und Krisen zukünftig
früher und intensiver Gebrauch gemacht werden. Daneben steht aber auch
das Ziel, die EU zur autonomen Führung und Planung von ESVP-Operationen
(ESVP: Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) zu befähigen;

5. die Verteidigungsanstrengungen zwischen den europäischen Partnern besser
koordiniert, Synergien ausgeschöpft und die Möglichkeit europäischer Ar-
beitsteilung, des Poolings von Ressourcen und der Schaffung integrierter
Fähigkeiten genutzt werden. Der Weg zu mehr Fähigkeiten muss in erster
Linie über die effizientere Nutzung vorhandener Ressourcen führen;

6. streng auf eine enge Abstimmung einheitlicher Streitkräfteentwicklungen in
NATO und EU geachtet wird, um angesichts knapper Ressourcen Duplizie-
rung von Fähigkeiten zu vermeiden;

7. die drei südosteuropäischen MAP-Staaten (MAP: Membership Action Plan)
Kroatien, Mazedonien und Albanien in ihren Beitrittsbemühungen ermuntert
werden und ihre individuelle Aussicht auf einen Beitritt bekräftigt wird,
sofern sie ihre jeweiligen Reformanstrengungen weiterhin fortsetzen bzw. in
einigen Bereichen verstärken;

8. Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien an der Partnerschaft
für den Frieden teilnehmen und zugleich die vollständige Kooperation mit
dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien her-
gestellt wird;

9. die Staaten des Südkaukasus, insbesondere Georgien, und die Ukraine in ih-
rem Bemühen um eine Vertiefung der Beziehungen zur NATO unterstützt
werden. Diese hängt im Wesentlichen von den praktischen Fortschritten der
Partner bei ihren Reformen, der Übereinstimmung mit den Werten der Alli-
anz und der friedlichen Lösung der regionalen Konflikte ab;

10. die Kooperation im NATO-Russland-Rat weiter vertieft wird, ohne dabei
unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen und Interessen auszuklam-
mern. Das Bündnis und seine Erweiterung sind nicht gegen Russland gerich-
tet, sondern tragen auch im russischen Interesse zur Entwicklung von Demo-
kratie und Gewährleistung politischer Stabilität in den Ländern bei, die sich
für einen Prozess der Annäherung an die NATO entschieden haben oder in
anderer Weise eng mit der NATO zusammenarbeiten;

11. der Dialog über gemeinsame strategische und militärpolitische Ziele mit den
Staaten des größeren Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas vertieft
wird;

12. die Beziehungen zu demokratischen Staaten wie Australien, Neuseeland
und Japan ausgebaut werden;

13. neben den Bemühungen der letzten Jahre neue Initiativen zur Rüstungskon-
trolle ergriffen werden, um der Proliferation von Massenvernichtungswaf-
fen wirksam vorzubeugen. In diesem Zusammenhang wären neue Impulse
zur Reduzierung substrategischer Nuklearwaffen in Europa seitens der
NATO sinnvoll. Dies würde auch einen wichtigen Impuls zur Stärkung des
internationalen Nichtverbreitungsregimes geben.

Berlin den 8. November 2006
Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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