BT-Drucksache 16/3284

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Vom 7. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3284
16. Wahlperiode 07. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill,
Dr. Hakki Keskin, Jan Korte, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner,
Petra Pau, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gregor Gysi,
Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hat sich mit der Neufassung des Artikels 22 des Grund-
gesetzes nachdrücklich zu Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutsch-
land bekannt und die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt als
Aufgabe des Bundes festgeschrieben.

Das Berlin/Bonn-Gesetz (Berlin/BonnG, BGBl. 1994 I S. 918) wirkt seit 1994
und hat seinen Sinn erfüllt. Die Verpflichtung des Bundes, die Bundesstadt Bonn
in Anerkennung dessen, dass sie „Wesentliches zum Aufbau und zur Identifika-
tion des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutsch-
lands geleistet hat“ (Präambel Berlin/BonnG), besonders zu fördern und dafür
zu sorgen, dass für die Region Bonn „die Folgen des Verlustes des Parlaments-
sitzes und des Regierungssitzes … durch Übernahme und Ansiedlung neuer
Funktionen und Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung im
politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich sowie durch Unterstüt-
zung bei notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen angemessen ausgegli-
chen (werden)“ (§ 6 Berlin/BonnG), ist in der vom Deutschen Bundestag beab-
sichtigten Weise eingelöst worden.

Die Maßgaben des Berlin/BonnG zur „Sicherstellung einer dauerhaften und
fairen Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundes-
stadt Bonn“ und zur „Ansiedlung des Kernbereichs der Regierungsfunktionen in
der Bundeshauptstadt Berlin“ haben sich in den seit der Annahme des Gesetzes
im Jahre 1994 vergangenen zwölf Jahren bewährt, werden jetzt aber einer zu-
kunftsfähigen Politikgestaltung nicht mehr gerecht. Die Verteilung der Arbeits-
stellen der Regierung zu 54 Prozent in Bonn und 46 Prozent in Berlin ist 16 Jahre
nach Herstellung der deutschen Einheit überholt und unter dem Gesichtspunkt
der Wahrnahme der Hauptstadtrolle Berlins, der Koordinierung der Regierungs-

arbeit sowie der Beziehungen zwischen Parlament und Regierung in höchstem
Maße ineffizient.

Drucksache 16/3284 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz vorzulegen, das den jetzi-
gen Zustand der Zweiteilung der Regierung zwischen Berlin und Bonn auf-
hebt;

2. mit dem vollständigen Umzug des Bundeskanzleramtes nach Berlin bis zum
Jahre 2009 die Aufhebung des jetzigen Zustandes einzuleiten;

3. einen Umzugsplan für alle Bundesministerien aufzustellen, nach dem bis
etwa zum Jahre 2012 die Zusammenführung der Ministerien in Berlin erfol-
gen soll;

4. aus dem Umzugskatalog jene Einrichtungen auszunehmen, die

a) in ihrem Wirken ausdrücklich mit der Region Köln/Bonn verbunden sind
(z. B. Haus der deutschen Geschichte),

b) durch die Anwendung moderner Kommunikationsmittel ihre Funktion
gegenüber der Bundesregierung ohne Einschränkung erfüllen können
(z. B. Bundeszentralregister);

5. eine Standortübersicht jener Bundesämter und vergleichbaren nachgeord-
neten Einrichtungen vorzulegen, die im Zusammenhang mit diesem Gesetz
gegebenenfalls ihren Standort wechseln;

6. ein Begleitgesetz zum Berlin/BonnBG vorzulegen, das bei konsequenter
Wahrung des Mitbestimmungsrechts der Belegschaften alle personalrecht-
lichen Konsequenzen des Berlin/BonnBG regelt.

Berlin, den 7. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Das Berlin/BonnG hatte die historische Aufgabe, den Umzug des Deutschen
Bundestages und der Bundesregierung von Bonn nach Berlin so zu gestalten,
dass Bonn aus diesem Umzug keine Nachteile erwachsen würden. Die von der
Bundesregierung im April 2006 gezogene Bilanz (vgl. Bundestagsdrucksache
16/1241) weist aus, dass diese Aufgabenstellung erfüllt worden ist. Bonn erhielt
den in Deutschland einmaligen Status einer Bundesstadt und ist – so die ge-
nannte Bilanz – „in den letzten zehn Jahren mit Hilfe des Bundes in eine Phase
der Umstrukturierung getreten und hat sich erneuert“. Die Region Bonn erhielt
„Fördermittel des Bundes in Höhe von 1,43 Mrd. Euro“, damit wurden „90 Aus-
gleichsprojekte sowie rund 210 Einzelmaßnahmen“ unmittelbar gefördert, und
es sind „rund 2 000 Arbeitsplätze neu entstanden“. Darüber hinaus wurde
„durch mittelbare Ausgleichsleistungen“ die „Ansiedlung von rund 18 500 Ar-
beitsplätzen gesichert oder ermöglicht“, und „durch Vollbelegung der geschaf-
fenen Einrichtungen ist mit weiteren Arbeitsplatzzuwächsen zu rechnen“.
Schließlich wurden „in vier neu entstandenen Fachhochschulen … über 6 000
Studienplätze und damit vielfältige Qualifikations- und Forschungsmöglichkei-
ten für die weitere Strukturentwicklung in der Region Bonn geschaffen“, und es
haben sich in Bonn „zwölf UN-Organisationen mit rund 650 UN-Arbeitsplätzen
angesiedelt“, wodurch Bonn „der wichtigste UN-Standort in Deutschland“
wurde (alles zitiert nach Bundestagsdrucksache 16/1241).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3284

Die von der Bundesregierung gezogene Bilanz wird durch andere Statistiken
unterstützt. So weist der vom Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands
im Jahre 2006 herausgegebene „Demografieatlas Deutschland“ die Region
Bonn als eine der stärksten Zuwanderungsregionen Deutschlands aus.

Trotz dieser für Bonn und die Region Bonn überaus positiven Entwicklungen
hält die Bundesregierung an einer Aufteilung der Regierungsfunktionen
zwischen Bonn und Berlin fest, wie sie 1994 für notwendig erachtet worden war.
Diese Aufteilung beträgt lt. Mitteilung der Bundesregierung (vgl. Bundestags-
drucksache 16/158) 54 Prozent der Regierungsstellen in der Bundesstadt Bonn,
aber nur 46 Prozent in der Bundeshauptstadt Berlin (in absoluten Zahlen: 10 146
Stellen in Bonn, 8 766 in Berlin). Von den in der 15. Wahlperiode existierenden
16 Ministerien (einschließlich Bundeskanzleramt, Bundespresseamt und Beauf-
tragter der Bundesregierung für die Angelegenheiten von Kultur und Medien)
hatten 2004 nur sieben die Mehrheit ihrer Angestellten in Berlin, neun aber in
Bonn.

Das ist 16 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit nicht mehr zu recht-
fertigen. Die Zweiteilung der Bundesregierung in eine Bonner und eine Berliner
Sektion schwächt die Rolle Berlins als Bundeshauptstadt und widerspricht allen
Grundsätzen einer effizienten Gestaltung der Arbeitsabläufe.

Verweise darauf, dass die Zweiteilung der Stärkung des föderalen Systems in der
Bundesrepublik Deutschland diene, greifen nicht. Wollte man das föderale Sys-
tem durch eine Verteilung einzelner Ressorts auf Standorte außerhalb Berlins
tatsächlich stärken, müsste man mehrere Standorte in den alten und neuen Bun-
desländern ins Auge fassen. Das kann für bestimmte Teilressorts einzelner Mi-
nisterien auch durchaus realisiert werden, wobei positive Erfahrungen wie etwa
die Komplettansiedlung des Patentamts in München genutzt werden sollten. Die
Beschäftigung von mehr als der Hälfte der Regierungsangestellten außerhalb
der Bundeshauptstadt jedoch ist ein Anachronismus, und die Konzentration die-
ser Arbeitsstellen in einer einzigen Stadt – Bonn – ist es erst recht. Damit wird
dem Föderalismus nicht gedient, sondern seine Grundidee wird entwertet.

Ein Beendigungsgesetz zum Berlin/BonnG begründet sich schließlich mit der
Präambel zum Berlin/BonnG selbst. Die Leistungen für Bonn wurden mit dem
Hinweis begründet, dass Bonn „Wesentliches zum Aufbau und zur Identifi-
kation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten
Deutschlands geleistet hat“, die Begründung der Leistungen für Berlin indes be-
zog sich nicht auf bereits von der Stadt Geleistetes, sondern darauf, dass Berlin
„in über 40 Jahren deutscher Teilung ein Symbol des Willens zur deutschen Ein-
heit war“. Heute ist die Situation eine andere: Berlin ist nicht mehr nur ein sol-
ches Symbol, sondern hat von Bonn die Aufgabe übernommen, Wesentliches
zum Aufbau und zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen
Prinzipien orientierten Deutschlands zu leisten, und es erfüllt diese Aufgabe
erfolgreich.

Aus all diesen Gründen ist es hohe Zeit, die Regierung mit Ausnahme ausge-
wählter Ressorts einzelner Ministerien komplett in der Bundeshauptstadt Berlin
anzusiedeln. Eine Vorreiterrolle des Bundeskanzleramtes bei diesem Prozess ist
so wünschenswert wie logisch.

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