BT-Drucksache 16/3203

Gefährliche Müllexporte in Entwicklungsländer - Folgen und Lösungsansätze

Vom 27. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3203
16. Wahlperiode 27. 10. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Marieluise Beck (Bremen),
Cornelia Behm, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Thilo Hoppe, Undine Kurth
(Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gefährliche Müllexporte in Entwicklungsländer – Folgen und Lösungsansätze

Im August und September 2006 erschütterte ein Giftmüllskandal den west-
afrikanischen Staat Elfenbeinküste. Zehn Menschen starben nach Regierungs-
angaben, wahrscheinlich 9 000 Einwohner von Abidjan und Umgebung wurden
durch den Kontakt mit hochgiftigen Flüssigkeiten und ihren Dämpfen zum Teil
schwer verletzt. Ein von einem internationalen Konzern gechartertes Schiff un-
ter griechischer Flagge hatte 528 Tonnen hochtoxischer flüssiger Abfälle nach
Abidjan gebracht. Der Giftmüllskandal hatte in Elfenbeinküste teils gewalttätige
Ausschreitungen ausgelöst und das in einem schwierigen Friedensprozess be-
findliche Land destabilisiert.

Der Giftmüllskandal in Elfenbeinküste hat ein Schlaglicht auf ein internatio-
nales Problem von wachsender Bedeutung geworfen. Seit vielen Jahren steigen
Zahl und Umfang der transnationalen Mülltransporte schnell an. So ist bei den-
jenigen 50 Unterzeichnerstaaten der Basler Konvention zur Regelung des Müll-
handels, die entsprechende Angaben übermitteln, der zwischenstaatliche Müll-
transfer von insgesamt 2 Millionen Tonnen 1993 auf 8,5 Millionen Tonnen 2001
gestiegen. Fast alle diese Abfälle waren als gefährlich deklariert. Drei Viertel
des von den Staaten gemeldeten Müllvolumens bewegt sich zwischen den alten
Industrieländern. Nicht erfasst von diesen Zahlen werden allerdings illegale
Giftmüllexporte aus OECD-Ländern in Nicht-OECD-Staaten.

Die Ursachen für den zunehmenden Handel mit giftigem Abfall sind vielfältig.
Bei steigendem Konsum in vielen Staaten verkürzt sich die Lebensdauer der
Industrieprodukte. Diese Produkte werden heute zudem aus einer immer größer
werdenden Anzahl unterschiedlicher und oft schwer abbaubarer Materialien
hergestellt. Da die Müllverarbeitungs- und Recyclingkapazitäten begrenzt sind,
steigen die Preise für das Abfallmanagement. Zudem haben ambitioniertere
Umweltregulierungen in den Industriestaaten die Abfallbehandlung dort verteu-

ert. „Indeed, the economic drivers of the waste trade are greater today than ever
before“, schlussfolgert die Nichtregierungsorganisation Basel Action Network
(Pressemitteilung, 8. September 2006). Eine Untersuchung der EU-Kommission
nach dem Giftmüllskandal in Elfenbeinküste hat Beweise dafür gefunden, dass
die recht strengen EU-Regulierungen zum Umgang mit Mülltransporten im
großen Maßstab systematisch missachtet würden (ENDS/Europe/Daily 2173,
28. September 2006).

Drucksache 16/3203 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Besonderen Handlungsbedarf sehen Expertinnen und Experten beim Elektro-
nikschrott, der zwar toxische Materialien (vor allem Cadmium, Blei, Queck-
silber) enthält, aber nicht von der Baseler Giftmüll-Konvention erfasst wird. Der
weltweit schnell zunehmende Elektronikschrott wird zur teilweisen Demontage
in einzelne Länder Afrikas und Asiens geliefert. Dort belastet er Böden, Grund-
wasser, Luft und die Gesundheit der Menschen. Eine ähnliche Konstellation
existiert beim Abwracken ausgedienter Altschiffe, auf das sich Indien, Bang-
ladesch und China spezialisiert haben. Eine im August 2006 von der indischen
Regierung veröffentlichte Studie ergab, dass ein Sechstel aller Arbeiter in den
indischen Schiffsabwrackwerken durch das Einatmen giftiger Substanzen an
Asbestose leiden (Pressemitteilung des Basel Action Network, 26. September
2006).

Giftmüllexporte sind somit ein wachsendes Problem auch für die Entwicklungs-
zusammenarbeit. In den Importländern mit ihren schwachen staatlichen Institu-
tionen fehlen die technologischen Kapazitäten und das notwendige Know-how,
um mit giftigen Abfallimporten sachgemäß umzugehen. Staatliche Kontrollen
zum Schutz der Bevölkerung finden nur unzureichend statt. Durch die Aktivi-
täten der Giftmüll-Exportfirmen aus den Industrieländern wird die Korruption in
Staaten wie Elfenbeinküste weiter befördert. Die direkten Folgeerscheinungen
der Giftmüllexporte belasten zudem die fragilen Gesundheitssysteme in den
Empfängerländern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie viel Personal steht in deutschen Häfen bereit, um Schiffe hinsichtlich
illegaler Müllexporte zu kontrollieren?

b) Wie viele Kontrollen werden pro Jahr durchgeführt?

c) Inwieweit werden sich Häufigkeit und Intensität der Kontrollen sowie die
Personalsituation mit Inkrafttreten der EG-Verordnung 1013/2006 über
die Verbringung von Abfällen (VVA) am 12. Juli 2007 ändern?

2. Welche Bundes-, Landes- oder Kommunalbehörden sind für derartige Kon-
trollen zuständig?

Wo sieht die Bundesregierung im Bereich der Zuständigkeiten Klärungs- und
Verbesserungsbedarf?

3. a) Welche deutschen Unternehmen sind mit welchen konkreten Verstößen in
Bezug auf den illegalen Export von Müll seit der entsprechenden Ver-
schärfung des Strafgesetzbuchs (§§ 326 und 330) 1994 auffällig gewor-
den?

b) Sammelt die Bundesregierung entsprechende Daten zu Verstößen einzel-
ner Firmen?

c) Stellt die Bundesregierung diese Daten den Behörden anderer Staaten zur
Verfügung?

d) Wenn nicht, plant die Bundesregierung eine entsprechende Datenbank, die
für andere Regierungen, z. B. in Nicht-OECD-Staaten, zur Einsicht offen
steht?

4. Wie wird bei solchen Verstößen strafrechtlich vorgegangen?

5. In welchen Häfen in Deutschland und der EU sind besonders häufig Fälle
erfolgten respektive versuchten illegalen Exports von Müll aufgetaucht?

6. Welche Vorkehrungen werden getroffen die sicherstellen, dass ein ähnlicher
Fall wie der der Probo Koala sich von einem deutschen Hafen aus nicht

wiederholen kann?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3203

7. Wird die Bundesregierung ihre Bemühungen vor dem Hintergrund der Er-
eignisse in Elfenbeinküste verstärken um sicherzustellen, dass kein Giftmüll
Deutschland in Richtung Nicht-OECD-Länder verlässt?

8. Wie kann verhindert werden, dass Bilgenwasser und andere Abfälle aus
dem Schiffsbetrieb, die unter die MARPOL-Konvention fallen, unsachge-
mäß in Häfen von Nicht-OECD-Ländern entsorgt werden?

Was gedenkt die Bundesregierung in diesem Bereich zu unternehmen?

9. a) Sind bei der Bundesregierung während oder nach dem Giftmüllskandal
in Elfenbeinküste Eingaben von Staaten aus Nicht-OECD-Ländern so-
wie von Nichtregierungsorganisationen und/oder Unternehmen einge-
gangen, welche sich auf das Problem des Exports von Giftmüll sowie auf
den Export giftigen Elektronikschrotts und toxischer Altschiffe aus den
OECD-Ländern beziehen?

b) Wenn ja, von welchen Institutionen, Organisationen, Firmen oder Einzel-
personen kamen diese Eingaben und welchen Inhalt hatten sie?

10. a) Inwiefern sieht die Bundesregierung den massenhaften Export teils toxi-
schen Elektronikschrotts aus Deutschland und der EU in Nicht-OECD-
Länder als entwicklungs- und umweltpolitisches Problem?

b) Welche Initiativen der Bundesregierung, auch auf EU-Ebene, gibt es in
diesem Bereich?

c) Sind entsprechende Initiativen geplant?

11. a) Inwiefern steht die Bundesregierung zu diesem Themenkomplex in Kon-
takt und/oder Kooperation mit den Regierungen potenzieller Empfänger-
staaten von europäischem Giftmüll, Elektronikschrott und von Altschif-
fen?

b) Bestehen hier Möglichkeiten für einen Ausbau der Beziehungen?

12. a) Welche Häfen in Nicht-OECD-Staaten werden von Frachtschiffen mit
Giftmüll besonders häufig angesteuert?

b) Welche Nicht-OECD-Staaten nehmen den meisten Elektronikschrott
entgegen?

c) Wie groß sind die jeweiligen Mengen?

d) Wie viele zur Abwrackung bestimme Schiffe fallen in welchen Nicht-
OECD-Staaten an?

13. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzungen der internationalen
Nichtregierungsorganisation Basel Action Network, der Giftmüllskandal
um die Probo Koala sei lediglich ein Beispiel für eine neue Welle inter-
nationalen Müllhandels (Basel Action Network, Pressemitteilung vom
26. September 2006, http://www.ban.org/ban_news/2006/060926_activists_
call.html)?

14. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung – auch auf internationaler und
europäischer Ebene – dafür ein, dass in ausreichender Höhe Kompensa-
tionszahlungen an sämtliche geschädigte Bewohner Abidjans und der um-
liegenden Gemeinden ausgezahlt werden?

15. Wie wird gewährleistet, dass die Kompensationsleistungen die betroffenen
Menschen tatsächlich in voller Höhe erreichen?

Drucksache 16/3203 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
16. a) Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, wie mit
den gesundheitlichen und umweltrelevanten Spät- und Langzeitfolgen
umgegangen werden soll?

b) Wird sich die Bundesregierung hierbei mit einem eigenen Programm in
Elfenbeinküste engagieren?

c) Wenn ja, wie wird dieses Programm ausgestaltet sein?

d) Wenn nein, warum nicht?

17. a) In welchem Umfang existieren Programme des BMZ sowie der EU-
Kommission bezüglich eines Know-how-Kapazitätsaufbaus im Bereich
Müllbehandlung und Recycling – sowohl bezüglich auf die Verwaltun-
gen als auch in Wissenschaft und beim Hafenpersonal – in Staaten Afri-
kas, Asiens und Lateinamerikas?

b) In welchem Umfang existieren in Kooperation mit den erwähnten Län-
dern zu den Themen Müllbehandlung und Recycling Bildungsprogram-
me mit Breitenwirkung?

c) Inwieweit gedenkt die Bundesregierung, sich in diesem Sinne in Zukunft
– auch auf EU-Ebene – zu engagieren?

d) Inwieweit ist nach Meinung der Bundesregierung in diesem Bereich
prinzipiell ein entwicklungspolitisches Engagement sinnvoll?

18. Inwieweit wird sich die Bundesregierung auf dem Treffen der Mitglied-
staaten der Basel-Konvention in Nairobi Ende November 2006 dafür einset-
zen, dass die Konvention von mehr Staaten ratifiziert und unterstützt wird?

Berlin, den 27. Oktober 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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