BT-Drucksache 16/3177

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/54, 16/3158- Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben

Vom 25. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3177
16. Wahlperiode 25. 10. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Lutz Heilmann, Dorothee Menzner, Eva Bulling-Schröter,
Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Roland
Claus, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/54, 16/3158 –

Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren
für Infrastrukturvorhaben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat am 4. November 2005 einen Gesetzentwurf zur
Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (Bundes-
tagsdrucksache 16/54) eingebracht. Am 5. April 2006 beschloss das Bundes-
kabinett eine Formulierungshilfe für Änderungsanträge zu dem von ihr einge-
brachten Gesetzentwurf. Mit diesem Gesetzesvorhaben beabsichtigt die Bun-
desregierung erneut, die Planungsverfahren zu Lasten von Beteiligungsrechten
der Bürgerinnen und Bürger sowie anerkannter Naturschutzverbände zu be-
schleunigen. Ein vom Bundesrat beschlossener Gesetzentwurf (Bundestags-
drucksache 16/1338) sieht eine noch weiter reichende Beeinträchtigung der de-
mokratischen Rechte von Bürgerinnen und Bürgern vor.

Eine Beschleunigung der Planungsverfahren von Bundesverkehrswegen ist an-
gesichts erheblicher Baurückstände, die ein Mehrfaches der jährlich für Neu-
und Ausbaumaßnahmen an Bundesverkehrswegen zur Verfügung stehenden
Summen betragen, zur Gewährleistung eines hohen Bauvolumens nicht erfor-
derlich. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/2333) mitteilte, liegen die
Baukosten für noch nicht begonnene, baureife Bundesfernstraßenprojekte bei
insgesamt 3,1 Mrd. Euro, für die mit noch nicht rechtskräftigen Planfeststel-
lungsbeschlüssen bei weiteren 1,7 Mrd. Euro, insgesamt also 4,8 Mrd. Euro.

Bei Bundeswasserstraßen betragen diese Baukosten insgesamt 658 Mio. Euro.
Bei Verkehrsprojekten an Bundesschienenwegen gab die Bundesregierung, ob-
wohl alleinige Eigentümerin des Schienennetzes und der DB AG, keine Aus-
künfte zu den maßgeblich von ihr zu tragenden Baukosten.

Wegen dieser erheblichen Baurückstände beabsichtigt die Bundesregierung
neben der Beschleunigung der Planungsverfahren auch die Verlängerung der
Gültigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen von fünf auf zehn Jahre, mit einer

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weiterhin vorgesehenen Möglichkeit der Verlängerung um fünf Jahre. Diese
Verlängerung der Gültigkeitsdauer widerspricht aber dem Ansinnen und der
Begründung des Gesetzesvorhabens zur Beschleunigung von Planungsvorha-
ben. Zehn Jahre nach Abschluss der Planungen sind diese veraltet. Eine Gültig-
keitsdauer von bis zu 15 Jahren ist wegen der enteignungsrechtlichen Vorwir-
kung auch verfassungsrechtlich bedenklich. Die Veränderungssperre beein-
trächtigt zudem die Verkehrsfähigkeit der Grundstücke zum Nachteil der Eigen-
tümer.

Die geplante Beschleunigung der Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben
behindert Bürgerinnen und Bürger sowie Verbände in ihren Möglichkeiten,
Einfluss auf Infrastrukturplanungen zu nehmen und wird den Anforderungen
an ein modernes Planungsrecht nicht gerecht:

● Die Bundesregierung verkennt die große Bedeutung von Raumordnungs-
verfahren, wenn sie vorsieht, dass Raumordnungsverfahren nur noch dann
durchgeführt werden sollen, wenn dies vom Vorhabensträger beantragt wird.
Im gesamten Planungsablauf ist aber nur auf der Ebene des Raumordnungs-
verfahrens eine Betrachtung in größerem räumlichen Maßstab und damit
eine Abwägung der Vor- und Nachteile verschiedener (verkehrlicher) Alter-
nativen möglich.

● Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung, dass Erörterungster-
mine im Rahmen von Planfeststellungsverfahren entfallen sollen, wenn ge-
gen eine entsprechende Mitteilung seitens der Planungsbehörde nicht inner-
halb von zwei Wochen nach Zugang Widerspruch eingelegt wird, übersieht
die Bundesregierung, dass Erörterungstermine eine wichtige Befriedungs-
funktion innerhalb von Planungsverfahren besitzen. Mündlich erläuterte und
diskutierte Einwendungen werden besser verstanden und können somit auch
besser von den Planungsbehörden berücksichtigt werden als allein schriftli-
che Stellungnahmen. Da die Mitteilung zum Wegfall des Erörterungstermins
zudem vor Ablauf der Frist zur Einreichung einer schriftlichen Stellung-
nahme erfolgen kann, können die Einwender zu diesem Zeitpunkt ihren Be-
darf für einen Erörterungstermin möglicherweise nicht abschließend ein-
schätzen.

● Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene verbindliche Festlegung der Frist
für die Abgabe von Stellungnahmen anerkannter Naturschutzverbände auf
zwei Wochen nach Ende der Auslegungsfrist wird die Rolle der anerkannten
Naturschutzverbände als Verwaltungshelfer stark beeinträchtigt. Die Quali-
tät der eingereichten Stellungnahmen wird abnehmen und sich dadurch die
Qualität der Planungen insgesamt verschlechtern.

● Der geplante Gesetzentwurf bedeutet eine massive Beeinträchtigung des
verfassungsgemäß garantierten Rechts auf rechtliches Gehör, indem bei
bestimmten, ausgewählten Verkehrsprojekten der Klageweg dahingehend
beschränkt werden soll, dass erst- und letztinstanzlich das Bundesver-
waltungsgericht zuständig sein soll. Eine Revisionsmöglichkeit wäre dann
nicht mehr gegeben. Diese Rechtseinschränkung ist verfassungsrechtlich be-
denklich, da die Auswahl der betroffenen Verkehrsprojekte keinen nachvoll-
ziehbaren Kriterien folgt und sich nicht aus dem Fernstraßenausbaugesetz
ableiten lässt, das eine solche Priorisierung innerhalb der Verkehrsprojekte
des Vordringlichen Bedarfs nicht vorsieht. Angesichts der Tatsache, dass
laut Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Verkehrswegeplanungs-
beschleunigungsgesetz (Bundestagsdrucksache 15/2311) nur wenige Plan-
feststellungsbeschlüsse überhaupt beklagt werden, und weniger als 5 Pro-
zent davon nur in die Revision zum Bundesverwaltungsgericht gehen, ist
eine solche massive und verfassungsrechtlich bedenkliche Einschränkung

der Rechte weder notwendig noch verhältnismäßig. Insbesondere werden
die Rechte aus Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), das Recht auf

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3177

rechtliches Gehör, Artikel 103 Abs. 2 GG, das Recht auf hinreichende Be-
stimmtheit der Regelung sowie das Recht auf Schutz des Eigentums nach
Artikel 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung und die vorgeschlagenen Änderungen
führen zu einer Einschränkung der Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und
Bürgern sowie anerkannten Naturschutzverbänden an Infrastrukturplanungs-
verfahren und beschränken deren Zugang zu Gerichten. Dies widerspricht der
Aarhus-Konvention, die von Deutschland am 21. Dezember 1998 unterzeichnet
wurde und gemäß eines von der Bundesregierung am 4. September 2006 einge-
brachten Gesetzentwurfs (Bundestagsdrucksache 16/2497) durch Beschluss des
Deutschen Bundestages ratifiziert werden soll. Mit der Ratifizierung der
Aarhus-Konvention verpflichtet sich Deutschland, die Beteiligung an Pla-
nungsverfahren und den Zugang zu Gerichten für Bürgerinnen und Bürger so-
wie Umweltschutzorganisationen zu verbessern.

Der Deutsche Bundestag lehnt die Einschränkung von Beteiligungsrechten und
des Zugangs zu Gerichten ab. Die Bundesregierung verkennt die mit einer um-
fassenden und frühzeitigen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie
Umweltschutzorganisationen verbundenen Chancen, Planungsverfahren nicht
nur zu beschleunigen, sondern auch die Akzeptanz der Planungen in der Be-
völkerung erheblich zu verbessern.

Das Planfeststellungsverfahren mit der Möglichkeit der Beteiligung von Bürge-
rinnen und Bürgern sowie anerkannten Naturschutzverbänden steht am Ende
eines langen Planungsverfahrens: nach Bundesverkehrswegeplanung, Ver-
abschiedung des Ausbaugesetzes, Raumordnungsverfahren und Linienbestim-
mung. Wenn ein Planfeststellungsverfahren in die öffentliche Beteiligung geht,
ist somit bereits in einem langwierigen Planungsprozess eine Vorzugsvariante
ausgewählt worden, die planfestgestellt werden soll. Die in diesem Verfahren
von Anwohnerinnen und Anwohnern oder Verbänden eingereichten alter-
nativen Vorschläge, beispielsweise zur Trassenführung, stoßen deswegen bei
den Planungsbehörden überwiegend auf erhebliche Widerstände. Das Fehlen
einer frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit wirkt sich regelmäßig dahin-
gehend aus, dass die Einwände nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wer-
den, was wiederum Klagen der Einwender gegen einen Planfeststellungs-
beschluss und damit eine erhebliche zeitliche Verzögerung zur Folge hat.

Durch eine grundlegende Reform der Planungsverfahren mit einer Stärkung der
Bedeutung des Raumordnungsverfahrens anstatt dessen Schwächung, ließen
sich sowohl eine Verkürzung von Planungsverfahren als auch eine größere Pla-
nungssicherheit, insbesondere durch einen Rückgang von Klagen, erreichen.
Der Entwurf eines Umweltgesetzbuches der Unabhängigen Sachverständigen-
kommission (UGB-KomE) aus dem Jahre 1998 enthielt einen Vorschlag für
eine solche Reform der Planungsverfahren, mit der sowohl die Umweltbelange
angemessen berücksichtigt werden könnten als auch eine Beschleunigungs-
wirkung erreicht würde. Der UGB-KomE schlägt vor, das Raumordnungsver-
fahren, das nach dem Willen der Bundesregierung weiter an Bedeutung ver-
lieren soll, deutlich aufzuwerten. Nur im Raumordnungsverfahren besteht die
Möglichkeit, raumbedeutsame Konflikte zu lösen und verschiedene verkehr-
liche Alternativen und Trassenverläufe eingehend auf ihre jeweiligen Vor- und
Nachteile zu prüfen. Bürgerinnen und Bürger sowie Umweltschutzorganisatio-
nen sollten bereits in dieser Verfahrensstufe die Möglichkeit haben, ihre Ein-
wände und Vorschläge einzubringen. Durch eine faire Prüfung und Berücksich-
tigung dieser frühzeitig eingebrachten Vorschläge und Einwände würde sich die
Akzeptanz behördlicher Planungen erheblich erhöhen. Würde zudem eine im
Raumordnungsverfahren getroffene Entscheidung rechtlich verbindlich und

nicht mehr anfechtbar sein, beschleunigte sich das anschließende Planfeststel-
lungsverfahren zusätzlich.

Drucksache 16/3177 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen an den Zielen der Aarhus-Konvention orientierten Gesetzentwurf zur
grundlegenden Neuorientierung der Infrastrukturplanungsverfahren vorzulegen,
der

● den Vorschlag des UGB-KomE aufgreift und das verbindlich durchzu-
führende Raumordnungsverfahren dahingehend aufwertet, dass bereits in
diesem Planungsschritt abschließend alle eingebrachten Alternativen geprüft
werden und abschließend rechtsverbindlich über sie entschieden wird,

● eine verbindliche, umfassende und frühzeitige Beteiligung von Bürgerinnen
und Bürgern sowie im Umweltschutz engagierten Verbänden und Vereini-
gungen im Raumordnungsverfahren vorsieht,

● Bürgerinnen und Bürgern eine angemessene Frist und Umweltschutzorgani-
sationen als Verwaltungshelfern die gleichen Fristen für ihre schriftlichen
Stellungnahmen einräumt, wie sie den im Verfahren zu beteiligenden Behör-
den eingeräumt werden, so dass keine zeitlichen Verzögerungen entstehen,

● bei allen Planungsverfahren eine gerichtliche Revisionsinstanz zulässt.

Berlin, den 17. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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