BT-Drucksache 16/2995

Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Staudammprojekt

Vom 18. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2995
16. Wahlperiode 18. 10. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Monika
Knoche, Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Katrin Kunert,
Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Dr. Kirsten Tackmann,
Alexander Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Staudammprojekt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Bundesregierung liegt derzeit ein Antrag für eine Exportkreditversiche-
rung über ca. 100 Mio. Euro für die Beteiligung der ZÜBLIN AG am Bau des
Ilisu-Staudamms am Tigris im Südosten der Türkei vor. Ein erstes, im Jahr
1997 auf den Weg gebrachtes Vorhaben zum Bau dieses Staudamms schei-
terte, nachdem sich 2001 einige Konsortialpartner und mit der Union Bank of
Switzerland schließlich auch der Hauptfinanzier aufgrund sozialer und öko-
logischer Bedenken aus dem Projekt zurückzogen.

2. Ende 2005 wurden für den Bau des umstrittenen Staudamms eine neue Um-
weltverträglichkeitsprüfung und ein neuer Umsiedlungsplan vorgelegt, mit
denen nach Darstellung des Konsortiums die Kritikpunkte ausgeräumt
werden sollten. Zahlreiche Experten haben ernst zu nehmende Zweifel an der
Grundlage, auf der diese Prüfungen vorgenommen wurden. Der Weltbank-
und OECD-Experte für Umsiedlungsfragen, Prof. Dr. Michael M. Cernea,
kommt in einem von ihm für die Berne Declaration und die Ilisu Campaign
Europe erstellten Gutachten vom Februar 2006 zu dem Schluss, dass der Um-
siedlungsplan keinesfalls ausgereift genug ist, um als Grundlage für eine Ex-
portkreditversicherung anerkannt zu werden. Ersatzland für die über 50 000
von Umsiedelung Betroffenen stehe nicht in ausreichendem Maße zur Verfü-
gung. Die geplanten Maßnahmen zur Schaffung neuer Einkommensquellen
schätzt Cernea als völlig unrealistisch ein.

3. Ein von der Nichtregierungsorganisation WEED und weiteren Nichtregie-
rungsorganisationen bei dem Wasserforschungsinstitut EAWAG und der
Consultingfirma Philip Williams & Associates in Auftrag gegebenes Gutach-
ten hat die neue Umweltverträglichkeitsprüfung gründlich analysiert. Die
Gutachter heben hervor, dass mit den Versäumnissen in der Alternativen-
prüfung sowie der fehlenden Berücksichtigung grenzüberschreitender Aus-

wirkungen erhebliche Verfahrensfehler begangen wurden. Die Gutachter be-
fürchten eine dramatische Verschlechterung der Wasserqualität, ein massives
Fischsterben sowie die Zerstörung lebenswichtiger Lebensräume bedrohter
Vogelarten und anderer Tiere. Zu demselben Ergebnis kam der türkische
Naturschutzverein Doga Dernegi.

Drucksache 16/2995 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Das Ilisu-Staudammprojekt droht unwiederbringliche Kulturgüter zu ver-
nichten. Im Falle der geplanten Flutung einer Landfläche von 313 Quadrat-
kilometern würden die immensen kulturellen Schätze der Jahrtausende alten
Stadt Hasankeyf und der Umgebung für immer untergehen. Die Stadt gilt als
eine der ältesten Siedlungen der menschlichen Zivilisation. Die bestehenden
Pläne zur Rettung des Kulturgutes, das heißt die vorgeschlagene Wieder-
errichtung der Stadt oberhalb des Stausees, erscheinen insbesondere mit
Blick auf den Zeitplan und die zur Verfügung gestellten Ressourcen als völlig
unrealistisch.

5. Besondere Brisanz erhält das Projekt durch die Tatsache, dass der Tigris ein
grenzüberschreitender Fluss ist. Die Anrainerstaaten Syrien und Irak wären
von der Aufstauung des Wassers maßgeblich betroffen. Der Ilisu-Staudamm
ist Teil des groß angelegten Südostanatolien-Projektes (GAP), dessen Fi-
nanzvolumen auf insgesamt 32 Mrd. US-Dollar geschätzt wird und das zahl-
reiche weitere Aufstauungen von Euphrat und Tigris vorsieht. Der Deutsche
Bundestag stellt mit Besorgnis fest, dass die Türkei die betroffenen Anrainer-
staaten nicht in die Projektentwicklung einbezogen hat. Insbesondere in den
wasserarmen Sommermonaten droht der Staudamm zu einer Quelle interna-
tionaler Spannungen zu werden, wenn der Wasserdurchfluss nach Syrien und
in den Irak drastisch reduziert werden könnte.

6. Zahlreiche Anwohner leisten gegen die Errichtung des Ilisu-Staudamms
Widerstand. 35 000 Bewohner der Region haben einen Brief an die Bundes-
regierung unterzeichnet, damit diese sich gegen das Projekt ausspricht. Die
Initiative „Rettet Hasankeyf“ hat eine Klage vor dem Europäischen Gerichts-
hof eingereicht, die zugelassen wurde.

7. Obgleich die Prüfungen zur finanziellen Absicherung des Projektes nicht
abgeschlossen waren, fand unter Anwesenheit des türkischen Ministerpräsi-
denten Recep Erdogan am 4. August 2006 die Grundsteinlegung des Ilisu-
Staudamms statt. Der Deutsche Bundestag erachtet es als inakzeptabel, dass
die Betreiber des Projektes auf diese Weise die Bewilligung der staatlichen
Bürgschaften durch die Exportkreditagenturen Deutschlands, Österreichs und
der Schweiz erzwingen wollen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

aufgrund der sozialen, ökologischen, menschenrechtlichen und sicherheitspoli-
tischen Bedenken sowie aufgrund der nicht hinnehmbaren Zerstörung des ein-
zigartigen Kulturdenkmals Hasankeyf keine staatliche Ausfuhrgewährleistun-
gen (Hermes-Bürgschaften) für das Ilisu-Staudammprojekt zu bewilligen.

Berlin, den 17. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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