BT-Drucksache 16/2751

Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln - das Bruttoprinzip in der Sozialhilfe beibehalten und Leistungen aus einer Hand für Menschen mit Behinderungen ermöglichen

Vom 27. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2751
16. Wahlperiode 27. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Markus Kurth, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Brigitte
Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln – das
Bruttoprinzip in der Sozialhilfe beibehalten und Leistungen aus einer Hand für
Menschen mit Behinderungen ermöglichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In den vergangenen Jahren hat sich mit der Verabschiedung des Neunten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
(SGB XII) ein grundlegender Wandel bei der Hilfe für Menschen mit Behinde-
rungen vollzogen. Der Vorrang ambulanter Leistungen ist hierbei ebenso zu
nennen wie der Grundsatz der Bündelung einzelner Leistungen zur Sicherstel-
lung der Hilfegewährung „aus einer Hand“. Um nicht hinter diese Erfolge in der
Politik für Menschen mit Behinderungen zurückzufallen, müssen diese Prinzi-
pien für alle künftigen Reformen der Eingliederungshilfen handlungsweisend
sein.

Zugleich stehen die Leistungen der Eingliederungshilfe unter einem erheblichen
Kostendruck: Die Leistungen für Menschen mit Behinderung nach den § 53 ff.
SGB XII sind in den letzten 15 Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch in den
nächsten Jahren ist hier mit einem weiteren deutlichen Anstieg der Ausgaben zu
rechnen. Somit ergibt sich für den Bundesgesetzgeber ein dringender Hand-
lungsbedarf, mit neuen Konzepten auf diesen Kostendruck zu reagieren und zu-
gleich die Leistungsfähigkeit der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behin-
derungen weiterzuentwickeln.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialge-
setzbuch und anderer Gesetze (Bundestagsdrucksache 16/2711) schlägt die
Bundesregierung nun mit der Streichung des § 92 Abs. 1 SGB XII die Ein-
führung des Nettoprinzips in der Eingliederungshilfe vor.

Diese Vorschrift hat große Bedeutung für Menschen mit Behinderungen, die auf
stationäre Eingliederungshilfe angewiesen sind: Bislang gehen Sozialhilfeträger
in Vorleistung, wenn ein Bedarf an Eingliederungshilfe besteht. Die benötigten

Leistungen werden in vollem Umfang finanziert und den Einrichtungen als Ver-
gütung ausgezahlt. Die Kostenbeteiligung des Behinderten wird aufgrund der
Vorschriften zur Einkommens- und Vermögensanrechnung im Nachhinein er-
mittelt und vom Sozialhilfeträger eingezogen (Bruttoprinzip).

Mit der nun beabsichtigten Einführung des Nettoprinzips entfällt diese Vorleis-
tungspflicht des Trägers der Sozialhilfe. Der behinderte Mensch muss seinen
Anteil an den Kosten der Eingliederungshilfe selbst ermitteln und vorfinanzie-

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ren, indem er z. B. dem Träger des Wohnheims, in dem er betreut wird, entspre-
chende Geldbeträge entweder überweist oder Forderungen, die er gegenüber
Dritten besitzt, abtritt. Diese Ermittlung der Eigenanteile ist überaus komplex
und überfordert viele Menschen mit Behinderungen ebenso wie ihre Angehöri-
gen. Diese Eigenanteile ergeben sich regelmäßig aus Grundsicherungsleistun-
gen, Rechtsansprüchen auf Erwerbsunfähigkeitsrenten, Waisenrenten, Leistun-
gen der Pflegeversicherung, privaten Unfallversicherungen und Unterhaltslei-
tungen. Der Eigenanteil muss also aus einer Vielzahl von Teilleistungen ermit-
telt werden. Dieses Verfahren steht in deutlichem Widerspruch zum Grundsatz
der „Leistungen aus einer Hand“.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Einführung des Nettoprinzips durch die Streichung des § 92 Abs. 1 SGB XII
im Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ge-
setze (Bundestagsdrucksache 16/2711) zurückzuziehen. Um den betroffenen
Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen Rechtssicherheit zu
geben, muss sich die Bundesregierung klar zur Beibehaltung des Bruttoprinzips
in der Sozialhilfe verpflichten.

Zugleich muss sie ein schlüssiges Konzept zur Weiterentwicklung der Einglie-
derungshilfe für Menschen mit Behinderungen vorlegen, mit dem der Grundsatz
der „Hilfe aus einer Hand“ sowie der Vorrang ambulanter Leistungen umgesetzt
werden. Vor dem Hintergrund des stetigen Anstiegs der Fallzahlen und einem
damit einhergehenden Anstieg der Ausgaben für Hilfen an behinderte Menschen
müssen im Dialog mit den betroffenen Menschen und ihren Organisationen ge-
meinsam mit Ländern und Sozialhilfeträgern die Kriterien und Instrumente für
eine wirksame und effiziente Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen fortentwickelt werden.

Berlin, den 27. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Antrag
Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln – das Bruttoprinzip in de...

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