BT-Drucksache 16/2657

Fairen Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft ermöglichen - Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unternehmen abschaffen

Vom 21. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2657
16. Wahlperiode 21. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
Birgit Homburger, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter
Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn),
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Fairen Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft ermöglichen – Steuerprivilegien
öffentlich-rechtlicher Unternehmen abschaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wasserversorgung und Abwasserentsorgung werden in Deutschland steuerlich
ungleich behandelt. Dies führt zu erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen.
Während die Wasserversorgung – unabhängig von der Rechtsform des betref-
fenden Unternehmens – eine wirtschaftliche und damit (zum reduzierten Satz)
unbeschränkt körperschafts-, gewerbe- und umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit
darstellt, zählt die Abwasserentsorgung zu den hoheitlichen Aufgaben der Ge-
meinden. Die Besteuerung der Unternehmen der Abwasserentsorgung richtet
sich dabei nach der Organisationsform. Öffentlich-rechtliche Unternehmen
unterliegen nicht der Gewerbe- und Körperschaftsteuerpflicht. Privatrechtliche
Kapitalgesellschaften entrichten sowohl Gewerbe- als auch Körperschaftsteuer.
Gleiches gilt für die Umsatzsteuer. Privatrechtliche Unternehmen müssen auf
ihre Leistungen den vollen Umsatzsteuersatz erheben – auch wenn sie vollstän-
dig in öffentlicher Hand stehen. Öffentlich-rechtlich organisierte Betriebe sind
dazu im Rahmen der Gebührenerhebung nicht verpflichtet. Diesem Vorteil der

öffentlich-rechtlichen Abwasserentsorger steht der Nachteil gegenüber, dass sie
keine Vorsteuer geltend machen können und also umsatzsteuerlich wie Endver-
braucher behandelt werden. Insgesamt führt die beschriebene Regelung zu einer
deutlich höheren steuerlichen Belastung der Gruppe der Privatunternehmen und
damit zu einem Wettbewerbsnachteil, der sich national und international aus-
wirkt. Die beschriebene Ungleichbehandlung ist ebenfalls bei der Besteuerung
der Abfallwirtschaft gegeben. Auch hier findet eine steuerliche Bevorzugung

Drucksache 16/2657 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

öffentlich-rechtlicher Organisationsformen statt, insbesondere bei der Entsor-
gung von Abfällen gewerblicher Betriebe und von Sonderabfällen.

Der Bundesrechnungshof hat vor diesem Hintergrund im November 2004 in
einem Bericht gefordert, die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand grund-
legend zu überdenken und das nationale Steuerrecht an die EU-rechtlichen Vor-
gaben anzupassen: Wenn sich die öffentliche Hand wirtschaftlich betätige, so
der Bericht des Bundesrechnungshofes, trete sie in ein Konkurrenzverhältnis mit
der Privatwirtschaft. In diesem Fall sei es aus Gründen der Wettbewerbsgleich-
heit geboten, ihr gegenüber privaten Mitbewerbern keine steuerlichen Vorteile
einzuräumen. Der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität sei für die Umsatzbe-
steuerung im Gemeinschaftsrecht verankert. Das nationale Steuerrecht müsse
diesen Anforderungen des EU-Rechts genügen. Die gegenwärtig praktizierte
Nichtbesteuerung wettbewerbsrelevanter Leistungen hält der Bundesrechnungs-
hof für nicht mit dem geltenden EU-Recht vereinbar. Eine rasche Angleichung
nationalen Rechts an die EU-rechtlichen Vorgaben sei auch geboten, um für
Deutschland finanzwirtschaftlich riskante Vertragsverletzungsverfahren vor
dem Europäischen Gerichtshof zu vermeiden (vgl. Bericht des Bundesrech-
nungshofes vom 2. November 2004: Umsatzsteuerliche Behandlung der öffent-
lichen Hand – Vorschläge für eine EG-konforme Besteuerung juristischer Perso-
nen des öffentlichen Rechts, S. 5 f.).

Neben der wettbewerblichen Ungleichbehandlung haben insbesondere mittel-
ständische Unternehmen einen steuerlichen Nachteil, wenn der jeweils zustän-
dige öffentlich-rechtlich organisierte Entsorger seinerseits einen umsatzsteuer-
pflichtigen privaten Erfüllungsgehilfen an der Abwasserentsorgung beteiligt. In
solchen Fällen wird Umsatzsteuer fällig, die zwar einerseits in die öffentlich-
rechtlich eingeforderte Gebühr faktisch Eingang findet, andererseits jedoch im
kommunalen Gebührenbescheid nicht ausgewiesen wird. Ein fehlender Ausweis
der Umsatzsteuer entzieht den betroffenen Unternehmen damit die Grundlage
zum Vorsteuerabzug, zu dem sie eigentlich berechtigt sind.

Die Entsorgung von Abwasser und Abfall muss demnach sowohl aus Gründen
der Effizienz und Wettbewerbsgleichheit als auch zur Reduzierung der steuer-
lichen Gesamtbelastung umfassend gleichbehandelt werden. Die Konsequenzen
einer steuerlichen Gleichbehandlung unterschiedlicher Organisationsformen in
der Abfall- und Abwasserentsorgungswirtschaft für die Höhe der Gebühren-
belastung der Privaten sind von den Gegebenheiten im jeweiligen Einzelfall ab-
hängig und auch sektorspezifisch unterschiedlich. Der pauschalen Behauptung
zwangsläufiger Gebührenerhöhungen stehen jedenfalls triftige Argumente ent-
gegen:

1. Zahlreiche Beispielfälle in Deutschland belegen, dass private Unternehmen
sich in Ausschreibungswettbewerben trotz der für sie gegebenen Steuer-
pflicht gegen öffentlich-rechtlich organisierte Mitbewerber durchgesetzt ha-
ben. Den betreffenden Ausschreibungen liegt jeweils regelmäßig ein lang-
fristiger Vergleich der kalkulierten Kosten- bzw. Gebührenhöhe im Rahmen
einer so genannten Regiekostenprognose zugrunde. Die Ergebnisse der Aus-
schreibungsverfahren belegen für die betreffenden Fälle, dass die privaten
Anbieter über den gesamten Planungshorizont gesehen trotz umfassender
Steuerpflicht die Abwasserentsorgung kostengünstiger und also zu niedrige-
ren Gebühren anbieten konnten als die öffentlich-rechtlichen Konkurrenten.
In diesem Sinne gibt es zahlreiche Beispielfälle, in denen die Abwasserent-
sorgung durch Private trotz deren Steuerpflicht zu Gebührensenkungen ge-
führt hat.

2. Ein Vergleich mit europäischen Partnerländern zeigt, dass lediglich Deutsch-
land und Irland die öffentlich-rechtlich organisierte Abwasserentsorgung als

nicht besteuerbar behandeln. In allen anderen EU-Staaten ist die Abwasser-
entsorgung mit der Umsatzsteuer belegt. Außerdem werden in fast allen EU-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2657

Ländern Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung steuerlich gleich-
behandelt. Kurioserweise sind die Abwassergebühren in Deutschland im eu-
ropäischen Vergleich besonders hoch. Die Befürchtung, dass eine steuerliche
Gleichbehandlung unterschiedlicher Organisationsformen in der Abfall- und
Abwasserentsorgungswirtschaft zu einem Anstieg der Entsorgungsgebühren
führen würde, lässt sich demnach auch mit einem vergleichenden Blick auf
europäische Partnerländer nicht belegen.

3. Die steuerliche Ungleichbehandlung steht der Nutzung realwirtschaftlicher
Synergiepotentiale im Wege. Mögliche Kosten- und somit Gebührensenkun-
gen werden vereitelt, weil der betriebswirtschaftlich sinnvolle Querverbund,
d. h. das Anbieten wasserwirtschaftlicher Leistungen im Versorgungs- und
Entsorgungssektor aus einer Hand, nicht stattfinden kann. Eine derartige Zu-
sammenfassung der Betriebe setzt beträchtliche Synergieeffekte und Ratio-
nalisierungsreserven frei. Zu nennen sind insbesondere Vorteile technischer
sowie betriebs- und finanzwirtschaftlicher Art: Eine gemeinsame Verwal-
tung, eine koordinierte Aufgabenerfüllung sowie eine bessere Kapitalausstat-
tung und eine erleichterte Kapitalbeschaffung ermöglichen organisatorische
und betriebswirtschaftliche Vorteile sowie im Ergebnis Kosteneinsparungen,
die sich letztlich zugunsten der Verbraucher auswirken. Die steuerliche
Gleichstellung erleichtert die Zusammenfassung ähnlicher Leistungen und
kann deshalb zu erheblichen kostensenkenden Rationalisierungseffekten füh-
ren.

4. Es ist von erheblichen Investitions- und Innovationsimpulsen des Vorsteuer-
abzugs (Abzug der für Vorleistungen bezahlten Umsatzsteuer) auszugehen.
Je stärker die Entsorgungsanlagen erneuert und verbessert werden (müssen),
desto stärker überwiegt der gebührensenkende Effekt des Vorsteuerabzugs.
Der Investitions- und Erneuerungsbedarf im Abwasserbereich erreicht nach
einhelliger Einschätzung in der Fachwelt in den kommenden Jahren Milliar-
denhöhe, so dass der Effekt des Vorsteuerabzugs in den betreffenden Kom-
munen die zusätzliche Steuerbelastung deutlich reduzieren wird. Allein der
kurz- bis mittelfristige Investitionsbedarf in der öffentlichen Kanalisation
wird im jüngsten „Branchenbild der deutschen Wasserwirtschaft“, das die
deutschen Wasserverbände im vergangenen Jahr vorgelegt haben (ebenda,
S. 32), auf 50 bis 55 Mrd. Euro für die kommenden 15 Jahre geschätzt.

5. Überdies haben die privaten Anbieter die Bereitschaft zu einer Selbstver-
pflichtung signalisiert, wonach die privaten Abwasserentsorger auf jede
Steuerüberwälzung an die Verbraucher verzichten würden. Die Privatwirt-
schaft sieht gegenüber der Kommunalwirtschaft derartig hohe Kostensen-
kungsmöglichkeiten, dass die Frage der Besteuerung für die Gebührenhöhe
nur von untergeordneter Bedeutung sein würde. Dies kann seitens der öffent-
lichen Hand flankiert werden, indem die steuerliche Belastung für die Bürger
an anderer Stelle vermindert wird, beispielsweise durch eine Abschaffung der
Abwasserabgabe, die keine Lenkungswirkung mehr entfaltet.

Anzumerken ist, dass auch der Wirtschaftsrat der CDU noch im Mai 2005 die
„Gleichstellung von Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung bei der Um-
satzsteuer – unabhängig, ob in kommunaler oder privater Trägerschaft“ aus-
drücklich gefordert hat. Zuvor hatte die ehemalige Bundesregierung aus SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Beantwortung einer Anfrage der FDP-
Bundestagsfraktion zur Zukunft der Wasserwirtschaft ausgeführt, dass „die steu-
erliche Gleichbehandlung von Trinkwasser und Abwasser eine wichtige Bedin-
gung der Modernisierung der Wasserwirtschaft“ sei. Darüber hinaus seien pri-
vate Kooperationspartner mit einzubeziehen, man wolle die Wasserwirtschaft
modernisieren.
Zu den beschriebenen Sachverhalten, dem evidenten Handlungsbedarf und den
bisherigen politischen Verlautbarungen bildet der Koalitionsvertrag zwischen

Drucksache 16/2657 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
CDU, CSU und SPD einen kuriosen Kontrast. Vereinbart wurde dort die Bewah-
rung der kommunalen Hoheit über die Wasserwirtschaft und sogar – über die
Vereinbarungen der rot-grünen Vorgängerregierung aus dem Jahre 2002 hinaus-
reichend – ausdrücklich auf die Bereiche Abfallwirtschaft und Abwasserentsor-
gung ausgedehnt. Das Steuerprivileg für die Abwasser- und Abfallentsorgung
soll demnach beibehalten werden. Nicht genug, dass damit alle fachlichen Ar-
gumente und Wertungen einschließlich der Mahnungen und europarechtlichen
Bedenken des Bundesrechnungshofes ignoriert werden. Vielmehr wird darüber
hinaus die von der Bundesregierung für das kommende Jahr beschlossene allge-
meine Erhöhung der Umsatzsteuer um drei Prozentpunkte die wettbewerblichen
Folgen der steuerlichen Ungleichbehandlung zwischen privaten und öffentlich-
rechtlichen Unternehmen der Entsorgungswirtschaft noch weiter verschärfen.

Die steuerliche Bevorzugung der öffentlich-rechtlichen Organisationsformen
muss auch in der Abfallwirtschaft beendet werden. Die Steuerbefreiung für
öffentlich-rechtliche Organisationsformen, wie etwa die Ämter für Stadtreini-
gung, begünstigt wirtschaftlich ineffiziente Betriebsformen. Gleichzeitig bedeu-
tet sie eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der privatwirtschaftlichen Unter-
nehmen, wo sie im Wettbewerb zu derart organisierten kommunalen Betrieben
stehen. Das gilt insbesondere für die Entsorgung von Abfällen gewerblicher Be-
triebe und von Sonderabfällen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die zitierte Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
nicht zur Grundlage des Regierungshandelns zu machen, weil sie ökologisch
unbegründet, ökonomisch widersinnig und (europa-)rechtlich bedenklich ist
und deshalb absehbar ohnehin nicht dauerhaft von Bestand sein wird und statt
dessen die zitierten wissenschaftlichen Expertisen, die benannten Stellung-
nahmen der Verbände und die Mahnungen des Bundesrechnungshofes zur
Kenntnis zu nehmen,

– die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Abwasserentsorgung in
Deutschland so umzugestalten, dass öffentlich-rechtliche Unternehmen, die
die Abwasserentsorgung durchführen, als Betriebe gewerblicher Art gelten
und damit eine Rechtslage herbeizuführen, nach der diese Unternehmen kör-
perschaftsteuer- und ggf. gewerbesteuerpflichtig sowie bilanzierungspflich-
tig werden,

– die Abwasserentsorgung und die Trinkwasserversorgung umsatzsteuerlich
gleich zu behandeln, und überdies weitere Maßnahmen konkret zu prüfen,
um die Belastungen für die Bürger zu senken, beispielsweise durch eine Ab-
schaffung der Abwasserabgabe, die keine Lenkungswirkung mehr entfaltet,

– bei der Umgestaltung der steuerlichen Rahmenbedingungen für die Abwas-
serentsorgung zur Vermeidung von ungleichen Belastungen in der Abwasser-
wirtschaft geeignete Übergangsfristen vorzusehen und

– die steuerliche Bevorzugung der öffentlich-rechtlichen Organisationsformen
auch in der Abfallwirtschaft zu beenden.

Berlin, den 21. September 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.