BT-Drucksache 16/2388

Wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland

Vom 9. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2388
16. Wahlperiode 09. 08. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Kornelia
Möller, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland

Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) belegen, dass die
soziale Ungleichheit in Deutschland deutlich zugenommen hat. Die Süddeut-
sche Zeitung (SZ vom 17. Juni 2006), die die Ergebnisse veröffentlicht hat,
schreibt hierzu: „Die Einkommensunterschiede im wiedervereinigten Deutsch-
land waren noch nie so groß wie heute.“

Ein Maß für soziale Ungleichheit ist der so genannte Gini-Koeffizient der Ein-
kommensverteilung. Zwischen 2001 und 2005 stieg der entsprechende Wert von
0,27 auf 0,29, den höchsten Wert seit Beginn der Datenerhebung 1984. In Ost-
deutschland stieg er zwischen 1992 und 2005 von 0,2 auf 0,25. Die Volkswirte
des DIW erwarten, dass Arm und Reich noch weiter auseinanderdriften werden.

Für die Entwicklung der Bruttolöhne der unteren Einkommensgruppe ermittel-
ten die Forscher seit 1994 eine reale Steigerung von durchschnittlich 0,2 Prozent
pro Jahr, während die Spitzengruppe auf eine Steigerungsrate von 1,5 Prozent
kommt.

Ermittelt wurde auch der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der Armuts-
schwelle lebt (60 Prozent des nationalen Mediannettoeinkommens nach der
Definition von Eurostat). Dieser Anteil betrug 2005 17,3 Prozent, „ein Negativ-
rekord“, so die Süddeutsche Zeitung. In Ostdeutschland lebt mehr als jeder
Fünfte unterhalb der Armutsschwelle.

Als Hauptursache für die Entwicklung nannte DIW-Volkswirt Markus Grabka
die Massenarbeitslosigkeit und die nachlassende Leistungsfähigkeit der sozialen
Sicherungssysteme. Reformen der Bundesregierung hätten die Einkommens-
gegensätze verschärft. Markus Grabka nannte in diesem Zusammenhang die
Beteiligung von Sozialhilfeempfängern an den Gesundheitskosten und die Sen-
kung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer. Dierk Hirschel, Chefvolks-
wirt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) kommentierte die Ergebnisse
in der Süddeutschen Zeitung mit dem Hinweis, mittelfristig sei der soziale
Friede bedroht.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass die Einkommensungleichheit in
Deutschland stark zugenommen und heute den höchsten je gemessenen Wert
hat?

2. Worin sieht die Bundesregierung die Ursachen für die zunehmend ungleiche
Einkommensverteilung?

Drucksache 16/2388 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass die Bruttolohnentwicklung bei
Niedrigverdienern in Deutschland seit 1994 deutlich unterdurchschnittlich
verlaufen ist?

4. Worin sieht die Bundesregierung die Ursachen für die unterdurchschnitt-
liche Lohnentwicklung bei Niedrigverdienern?

5. Wie hoch ist die Armutsrisikoschwelle in Euro für Deutschland nach den
Daten des DIW für das Jahr 2004?

Wie hoch lag die Armutsrisikoschwelle in den Jahren 1991 bis 2003, gemes-
sen in Euro, in Deutschland (bitte jedes Jahr einzeln angeben)?

6. Wie hat sich nach den Daten des DIW der Anteil der Menschen an der Ge-
samtbevölkerung entwickelt, die unterhalb der Armutsrisikoschwelle leben
(bitte die Quote jeweils für West-, Ost- und Gesamtdeutschland von 1991
bis 2004, für jedes Jahr getrennt, angeben)?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass 2005 rund 17,3 Prozent der Men-
schen in Deutschland unterhalb der Armutsrisikoschwelle lebten, also so
viele wie nie zuvor seit der Datenerhebung?

8. Worin sieht die Bundesregierung die Ursachen für die steigende Armuts-
quote?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die Einkommens-
ungleichheit in Ostdeutschland besonders schnell zunimmt und die Armuts-
quote einen besonders hohen Wert erreicht?

10. Worin sieht die Bundesregierung die Ursachen für die besonders rapide
Zunahme sozialer Ungleichheit in Ostdeutschland seit 1992?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Wissenschaftler des DIW,
dass die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich auch in
Zukunft weiter zunehmen werden, und wie begründet die Bundesregierung
ihre Antwort?

12. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des DIW-Experten Markus
Grabka, nach der die zurückliegenden Reformen der Bundesregierung zur
wachsenden sozialen Ungleichheit beigetragen haben, und wie begründet
sie ihre Haltung (bitte auf die beispielhaft erwähnte Beteiligung von Sozial-
hilfeempfängern an den Gesundheitskosten und die Senkung des Einkom-
mensteuerspitzensatzes eingehen)?

13. Hält die Bundesregierung an dem in der Koalitionsvereinbarung formulier-
ten Ziel fest, Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen?

14. Hat die Bundesregierung auch das Ziel, die Ungleichheit bei der Verteilung
von Einkommen und Vermögen zu reduzieren, und wie begründet sie ihre
Position?

15. Geht die Bundesregierung davon aus, dass zur Reduzierung sozialer Un-
gleichheit neben Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums
auch eine verstärkte aktive Umverteilungspolitik notwendig ist, und wie
begründet sie ihre Position?

16. Welche konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer
Ungleichheit plant die Bundesregierung (bitte im Besonderen auf Maßnah-
men gegen die wachsende Einkommensungleichheit, gegen den Anstieg des
Armutsrisikos, gegen die unterdurchschnittliche Bruttolohnentwicklung bei
niedrigen Verdienstgruppen und gegen die besonders schnell voranschrei-
tende soziale Polarisierung in Ostdeutschland eingehen)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2388

17. Welche überprüfbaren Ziele steckt sich die Bundesregierung in Bezug auf
die Entwicklung von Armut und sozialer Ungleichheit bis zum Ende der
Legislaturperiode?

18. Wird die Bundesregierung die Senkung des Spitzensteuersatzes der Ein-
kommensteuer zurücknehmen, die, wie von DIW-Volkswirt Markus Grabka
geschildert, dazu beigetragen hat, dass die Nettoeinkommen der Spitzen-
verdiener stiegen, aber offensichtlich nicht zu einer Besserstellung der
unteren Einkommensschichten geführt hat, und wie begründet die Bundes-
regierung ihre Haltung?

19. Welche Auswirkungen auf die soziale Ungleichheit erwartet die Bundes-
regierung von der anstehenden Unternehmensteuerreform und der Erhöhung
der Mehrwertsteuer und wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort
(bitte den Aspekt der so genannten Anschubfinanzierung der Unternehmen-
steuerreform berücksichtigen)?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr, dass durch die geplante
Anhebung des Renteneintrittsalters aufgrund geringer Beschäftigungs-
chancen Älterer die Altersarmut deutlich zunehmen wird?

21. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung des DGB-Chefvolkswirts Dierk
Hirschel, dass der soziale Friede in Deutschland durch die zunehmenden
Unterschiede zwischen Arm und Reich in Gefahr ist, falls ja, was wird sie
dagegen unternehmen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Posi-
tion?

Berlin, den 7. August 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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