BT-Drucksache 16/2355

Ergänzung des Betreuungsbehördengesetzes

Vom 3. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2355
16. Wahlperiode 03. 08. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Inge Höger-Neuling, Katja
Kipping, Katrin Kunert, Elke Reinke, Frank Spieth, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Ergänzung des Betreuungsbehördengesetzes

Der Bundesrat beschloss am 10. März dieses Jahres einen Gesetzentwurf zur
Ergänzung des Betreuungsbehördengesetzes (BtBG) und brachte diesen am
26. April 2006 in den Deutschen Bundestag ein (Bundestagsdrucksache
16/1339). Demnach sollen die Befugnisse der Betreuungsbehörden aus Gründen
der Verfahrensvereinfachung ausgeweitet werden, indem § 8 BtBG um einen
Absatz 2 ergänzt wird. Die Behörden dürften dann die zum Sachverhalt einer
Betreuung erforderlichen Daten bei Dritten (Nachbarn, Arbeitskollegen etc.)
auch ohne zusätzliche Einschaltung des Vormundschaftsgerichts ermitteln, wenn
die Betroffenen vermeintlich krankheitsbedingt keine Einwilligung erteilen
können und keine Anhaltspunkte bestehen, dass überwiegende schutzwürdige
Interessen der Betroffenen beeinträchtigt werden.

In ihrer ersten Stellungnahme (Anlage 2 zur Bundestagsdrucksache 16/1339)
begrüßt die Bundesregierung den Gesetzentwurf und kündigt an, zusätzlich
ergänzende Vorschläge zu machen. Indessen wird in Stellungnahmen von Ver-
einen und Fachleuten deutlich, dass diese die Persönlichkeitsrechte der Betrof-
fenen sowie den Datenschutz erheblich gefährdet sehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Probleme hatten die Betreuungsbehörden bisher, die Situ-
ation im Vorfeld einer Betreuung zu ermitteln?

2. Welche datenschutz- und grundrechtlichen Bedenken hat die Bundesregie-
rung bezüglich des Gesetzentwurfs?

3. Misst die Bundesregierung der Verfahrensvereinfachung einen höheren Stel-
lenwert zu, als der Selbstbestimmung seelisch belasteter Menschen?

4. Welchen Sinn sieht die Bundesregierung darin, staatliche Fürsorge gegen
den Willen der Betroffenen zu verordnen?

Wie passt das mit dem allerorts verkündeten Prinzip der Stärkung autonomer
Lebensführung kranker und behinderter Menschen zusammen?
5. Wer beurteilt nach welchen Kriterien, ob eine Person in der Lage ist, eine
rechtlich bindende Einwilligung zu geben?

6. Wer beurteilt nach welchen Kriterien, was „überwiegende schutzwürdige
Interessen“ der Betroffenen sind, und wie wird dabei auch die Ansicht der
Betroffenen berücksichtigt?

Drucksache 16/2355 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
7. Wieso kommt es gegenüber den allgemeinen Regeln der Landesdaten-
schutzgesetze zu einer Umkehr der „Beweislast“ insoweit, als nach dem
BtBG schutzwürdige Interessen des Betroffenen nur dann berücksichtigt
werden, wenn besondere „Anhaltspunkte“ auf entgegenstehende schutz-
würdige Interessen hinweisen?

8. Sind die Angaben des Betroffenen oder Dritter freiwillig?

Wenn ja, muss eine Belehrung über den Zweck der Ermittlungen und die
Freiwilligkeit der Angaben erfolgen?

Wenn nein, warum ist dies nicht gesetzlich vorgeschrieben?

9. Welche Kompetenz aufgrund welcher Ausbildung haben die Mitarbeiter
von Betreuungsbehörden, die dann die Daten erheben sollen?

10. Wer würde das Vorgehen der Betreuungsbehörden bei ihren Ermittlungen
kontrollieren, und wer hat welche gerichtlichen Prüf- und Widerspruchs-
möglichkeiten?

11. Wo liegen die Grenzen bei Erforderlichkeit und Umfang der Datenerhe-
bung, und wer bestimmt diese?

12. Inwieweit werden die Betroffenen über die Aufnahme von Ermittlungen in
ihrem Umfeld und deren Ergebnisse informiert?

13. Wie können die Betroffenen einen Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes
entsprechenden Rechtsschutz gegen die Aufnahme der Ermittlungen oder
ihre Ergebnisse erlangen?

14. Wo werden die ermittelten Daten mit welchen Löschungsfristen gespei-
chert?

15. Wer hat nach welchen gesetzlichen Vorschriften und Anordnungen Zugriff
auf die ermittelten Daten, und welche Mitteilungspflichten existieren an
und für wen?

16. Wie ist es juristisch zu rechtfertigen, wenn Betreuungsbehörden Ermittlun-
gen staatsanwaltschaftlicher Natur übernehmen?

17. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Betroffenen ihre Grund-
und Persönlichkeitsrechte verletzt sehen, wenn dem Gesetzentwurf mehr-
heitlich zugestimmt würde?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag mehrerer Betroffenen-
initiativen, den § 1896 Abs. 1a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu
ändern, indem die Wörter „gegen den freien Willen“ durch die Wörter
„gegen den erklärten Willen“ ersetzt werden?

Berlin, den 31. Juli 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.