BT-Drucksache 16/2276

Einweg- und Mehrweg-Getränkeverpackungen

Vom 19. Juli 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2276
16. Wahlperiode 19. 07. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Roland Claus,
Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Einweg- und Mehrweg-Getränkeverpackungen

Hauptziele des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) sind die
Vermeidung, Verminderung und Verwertung von Abfällen. Hinsichtlich der
Getränkeverpackungen werden diese Ziele über die Stabilisierung und den Aus-
bau des Mehrwegsystems verfolgt. Das Instrument dafür ist gegenwärtig die
Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen
(Verpackungsverordnung) und ihre Pfandregelung. Ein möglichst hoher Mehr-
weganteil dient dem Ressourcenschutz, der Energieeinsparung und der Vermin-
derung der Landschaftsverschmutzung. Darüber hinaus können traditionelle
mittelständische Strukturen in der Getränkewirtschaft und deren Bestand an
Arbeitsplätzen erhalten werden.

Bereits die ehemalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl sah
zum Schutz der Mehrwegquote in der Verpackungsverordnung eine Pfandpflicht
für Einweg-Getränkeverpackungen vor, die bei dauerhaftem Unterschreiten
vorgeschriebener Mehrwegquoten greifen musste. Aufgrund mehrmaliger
Quotenunterschreitung gilt seit Januar 2003 eine Pfandpflicht in den Bereichen
Bier, Mineralwasser und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke. Die Ver-
kaufsstellen nutzten allerdings so genannte Insellösungen, in denen sie nur von
ihnen verkaufte Flaschen und Dosen zurücknehmen mussten, nicht aber die der
Konkurrenten.

Mit der von der Bundesregierung in der 15. Legislaturperiode initiierten dritten
Novelle der Verpackungsverordnung wurde die Umsetzung der Pfandregelung
neu geregelt. Zum einen wurde das schon zuvor vereinheitlichte Pflichtpfand in
Höhe von 25 Cent je Einwegflasche oder -dose zum 1. Mai 2006 ausgedehnt auf
Einweg-Getränkeverpackungen aus den Bereichen Erfrischungsgetränke ohne
Kohlensäure und alkoholhaltige Mischgetränke. Zum anderen können die Kun-
den mit dem Stichtag nunmehr jegliche Getränkeverpackungen an alle Geschäf-
te zurückbringen. In diesem Zusammenhang gibt es gegenwärtig jedoch Anzei-
chen dafür, dass einige Handelshäuser Mehrweg-Getränkeverpackungen zu
Lasten von Einwegsystemen auslisten, da mit der Konzentration auf Einweg-

gebinde Lagerhaltungs- und Sortierkosten reduziert werden können. Die Wirt-
schaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e. V. (wafg) und auch die Gewerk-
schaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) befürchten daher, dass infolge des
Anfang 2003 eingeführten Pflichtpfands das Gegenteil des bezweckten Ziels
eintreten könnte.

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So erklärte die wafg in einer Presseerklärung vom 10. Januar 2006, das zum
1. Mai 2006 gestartete nationale Rücknahmesystem für bepfandete Einweg-
Getränkeverpackungen werde den Verpackungstrend in Richtung Einweg bei
den alkoholfreien Getränken weiter stark beschleunigen. Die Mehrwegquote bei
alkoholfreien Getränken sei seit Ende 2002 von 51,8 Prozent auf nur noch 41,8
Prozent im Jahr 2005 zurückgegangen. Bereits im Vorgriff auf das einheitliche
Einweg-Rücknahmesystem ab Mai 2006 hätten sowohl der Lebensmitteleinzel-
handel, vor allem aber die Discounter, alkoholfreie Getränke in Einweg großflä-
chig wieder eingelistet und ihr Einweg-Sortiment kontinuierlich weiter ausge-
baut. Nach Einschätzung der wafg sei es nur eine Frage der Zeit, dass Mehrweg
bei alkoholfreien Getränken mehr oder weniger aus den Regalen verdrängt wer-
de. Gründe dafür seien u. a.:

– Getränke-Einwegverpackungen verursachten bis zu 70 Prozent weniger Pro-
zesskosten im Handel als Mehrwegsysteme.

– Einweggetränke mit ihren leichten Umverpackungen seien für den Verbrau-
cher einfacher zu handhaben als Mehrwegkästen.

– Aufgrund der Bepfandung erkenne der Kunde keinen Unterschied mehr zwi-
schen Einweg und Mehrweg.

– Für den Verbraucher entfielen mit Einführung des einheitlichen Rücknahme-
systems die vor dem 1. Mai 2006 noch vorhandenen Nachteile durch die
komplizierte Rücknahme von entleerten Einweggebinden.

– Die Verkaufspreise für Einweg im Handel seien deutlich geringer als für
Mehrweg.

– Der Kunde erhalte bei jedem Kauf eine neue Verpackung ohne die typischen
Gebrauchsspuren einer wiederverwendbaren Mehrwegflasche.

Bei der Umsetzung der Verpackungsverordnung hat die Bundesregierung auf die
Einrichtung einer unabhängigen staatlichen Pfand-Clearingstelle, beispielsweise
durch die Einrichtung einer „beliehenen Stelle“, verzichtet. Die Hoheit über die
neu geschaffene Clearingstelle bei der DPG Deutsche Pfandsystem GmbH wurde
dem Lebensmittelhandel und der Ernährungsindustrie überlassen. Nach Ein-
schätzung der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der Gewerkschaft
NGG und der Unternehmensberatung Roland Berger nutzen Handel und Lebens-
mittelindustrie den dort anfallenden so genannten Pfandschlupf, um ihre Einweg-
systeme intern zu subventionieren (siehe u. a. DER TAGESSPIEGEL vom
23. April 2006). Der Begriff Pfandschlupf beschreibt zusätzliche Einnahmen, die
sich daraus ergeben, dass ein Teil der bepfandeten Einweg-Getränkeverpackun-
gen von den Kunden nicht zurück in die Verkaufsstellen gebracht werden. Die
Unternehmensberatung Roland Berger ist wie die Gewerkschaft NGG der Auf-
fassung, dass Handel und Abfüller die Einnahmen aus dem Pfandschlupf nutzen,
um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber Mehrwegsystemen zu verschaffen.

Neben den wettbewerblichen Problemen existieren Bedenken hinsichtlich der
Umweltverträglichkeit der Verwertung bzw. Entsorgung von Einweg-Getränke-
verpackungen. So werden zerschredderte Einweggebinde auch an Rohstoff-
verwerter verkauft, die außerhalb Europas und der Bundesrepublik Deutschland
ansässig sind. Dies legt die Vermutung nahe, dass eine dem KrW-/AbfG gemäße
Verwertung nicht immer gewährleistet werden kann. Gleichwohl spart dieser
Entsorgungsweg Kosten, was sich im Wettbewerb negativ auf die Mehrweg-
quote auswirken könnte.

Nach Ansicht der wafg stehen auf der Verliererseite des beschriebenen Prozes-
ses die deutschen Mehrwegbetriebe und ihre Mitarbeiter. Wegen der nicht mehr
erforderlichen Mehrweglogistik werde sich die Getränkeabfüllung zwangsläufig

weiter internationalisieren. Der Druck auf die deutschen Hersteller werde weiter
zunehmen und der Strukturwandel in der alkoholfreien Getränkewirtschaft sich

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weiter beschleunigen. Die Gewerkschaft NGG rechnet deutschlandweit mit ei-
nem Verlust von bis zu 10 000 Arbeitsplätzen (siehe Frankfurter Allgemeine
SONNTAGSZEITUNG vom 23. April 2006).

Eine weitere Substitution von Mehrweg- durch Einwegverpackungen hätte weit
reichende Folgen für Umwelt und Beschäftigung. Um dies zu verhindern hatte
die Gewerkschaft NGG bereits im Herbst 2005 eine Steuer auf Einwegverpa-
ckungen gefordert. Im Gegenzug könne das Dosenpfand abgeschafft werden.
Eine Steuer ohne Pflichtpfand birgt nach Auffassung der Deutschen Umwelthil-
fe (DUH) allerdings ebenfalls die Gefahr, die eingangs angeführten umwelt-
politischen Zielstellungen zu verfehlen. So könnte die Vermüllung der Umwelt
wieder zunehmen, da dann keine Anreize zur Rückgabe von Einweg-Getränke-
verpackungen mehr existierten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich die Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen zwischen Anfang
2002 und Juni 2006 entwickelt (Angaben bitte in Quartalen insgesamt sowie
entsprechend der Einteilung der Verpackungsverordnung in § 8 Abs. 2 je-
weils nach Erfrischungsgetränken mit und ohne Kohlensäure, Frucht- und
Gemüsesäften bzw. -nektaren, Wässern, alkoholhaltigen Mischgetränken,
Bieren und Biermischgetränken, Weinen, Spirituosen, diätetischen Geträn-
ken, Milch und Milchmischgetränken)?

2. Wie hat sich zwischen Anfang 2002 und Juni 2006 der Anteil von Getränke-
dosen, Glas-Einwegflaschen, PET-Einwegflaschen, Getränkekartonverpa-
ckungen, PE-Schlauchbeuteln und Standbodenbeuteln an den Getränkever-
packungen entwickelt (Angaben bitte in Quartalen insgesamt sowie
entsprechend der Einteilung der Verpackungsverordnung in § 8 Abs. 2 je-
weils nach Erfrischungsgetränken mit und ohne Kohlensäure, Frucht- und
Gemüsesäften bzw. -nektaren, Wässern, alkoholhaltigen Mischgetränken,
Bieren und Biermischgetränken, Weinen, Spirituosen, diätetischen Geträn-
ken, Milch und Milchmischgetränken)?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der Mehrwegquote bei
Getränkeverpackungen zwischen Anfang 2002 und Juni 2006 im Hinblick
auf die mit der Einführung des Einweg-Pfandes verfolgte Zielstellung?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die mit den eingangs aufgeführten Argu-
menten gestützten Befürchtungen der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie
Getränke e. V. (wafg), nach der es nur eine Frage der Zeit sei, dass Mehrweg
bei alkoholfreien Getränken aus den Regalen verdrängt werde?

5. Gibt es Hinweise, dass die seit 1. Mai 2006 in Kraft getretenen Regelungen
eine weitere spürbare Verschiebung zugunsten des Einwegsystems und zu
Lasten des Mehrwegsystems ausgelöst haben?

6. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse, dass nach dem 1. Mai 2006 zwar ver-
stärkt Einweg gelistet aber dieses deutlich unter Erwartung des Handels vom
Kunden nachgefragt wurde?

7. Sieht die Bundesregierung für die Zukunft die Gefahr einer weiteren Ver-
schiebung zwischen Mehrweg und Einweg zugunsten von Einweg, wenn ja,
welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung notwendig,
um dem entgegen zu wirken, und welche konkreten Schritte will die Bundes-
regierung unternehmen, um die Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen
zu erhöhen?

8. Ist es aus der Sicht der Bundesregierung legitim, dass Handelshäuser und Ge-
tränkeindustrie aus der Aneignung des Pfandschlupfs zusätzliche Einnahmen

erzielen?

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9. Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Gefahr, dass der Pfandschlupf
zur Ausweitung des Einwegsystems führt, da Handel und Abfüller Einnah-
men aus dem Pfandschlupf nutzen können, um Getränke in Einweg-Geträn-
keverpackungen zu subventionieren?

10. Hat die Bundesregierung Angaben darüber, wie hoch der Betrag ist, den
Handel und Getränkeindustrie im Jahr 2005 über den Pfandschlupf einnah-
men?

11. Wie entwickelt sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Höhe des
Pfandschlupfs nach dem 1. Mai 2006?

12. Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Konstruktion der Pfand-Clea-
ringstelle geeignet, das Mehrwegsystem zu stabilisieren beziehungsweise
auszubauen?

13. Könnte sich die Bundesregierung vorstellen, durch eine Abgabe oder Steuer
auf die Einnahmen aus dem Pfandschlupf eine Lenkungswirkung zur Stabi-
lisierung des Mehrwegsystems zu erzielen?

14. Wie steht die Bundesregierung zu Forderungen, eine Steuer oder Abgabe
auf Einweg-Getränkeverpackungen zu erheben und im Gegenzug auf
Pfandsysteme zu verzichten?

15. Wie steht die Bundesregierung zur Möglichkeit, eine Steuer oder Abgabe
auf Einweg-Getränkeverpackungen zusätzlich zum Pflichtpfand zu erhe-
ben, so wie es in Dänemark gehandhabt wird?

16. Aus welchen Materialien bestehen die gebräuchlichsten Einweg-Getränke-
verpackungen, und welche Mengen davon werden nach Kenntnis der Bun-
desregierung jährlich in Deutschland für Einweg-Getränkeverpackungen
eingesetzt?

17. Werden die verwendeten Materialien umweltverträglich hergestellt?

18. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung die geschredderten Teile der
Einweg-Getränkeverpackungen überwiegend in einer Form verwertet, die
aus rohstofflicher und energetischer Sicht ökologisch akzeptabel ist?

19. Sind der Bundesregierung nähere Einzelheiten über die Beschäftigungsent-
wicklung durch die Verdrängung von Mehrweg- durch Einweg-Getränke-
verpackungen bekannt?

Berlin, den 18. Juli 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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