BT-Drucksache 16/226

Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen durch Menschenrechtsbeobachter

Vom 14. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/226
16. Wahlperiode 14. 12. 2005

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst
Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam
Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Birgit Homburger, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald
Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen
durch Menschenrechtsbeobachter

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zahl und die Bedeutung der durch die Vereinten Nationen (VN) beschlos-
senen Friedensmissionen nehmen stetig zu. Zudem ist abzusehen, dass der fort-
schreitende Wandel der Natur der Konflikte vom klassischen zwischenstaat-
lichen Konflikt hin zu Konflikten innerhalb von Staaten oder sich auflösenden
Staaten in Zukunft verstärkt Missionen erforderlich machen wird, in denen
Friedenstruppen mit einem robusten Mandat ausgestattet sind. Damit die Ver-
einten Nationen und insbesondere der Weltsicherheitsrat ihre immer wichtiger
werdende Rolle als Hüter des Weltfriedens effektiv und glaubwürdig erfüllen
und sich dabei auch weiterhin auf weltweite Legitimität und Akzeptanz stützen
können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass bei derartigen von den Ver-
einten Nationen autorisierten Maßnahmen die grundlegenden Menschenrechte
und die Prinzipien des humanitären Völkerrechts zwingend und vorbildlich ein-
gehalten werden. Gerade die jüngsten massiven Vorwürfe sexuellen Miss-
brauchs, die gegenüber VN-Soldaten im Kongo (Kinshasa) erhoben werden,
zeigen, wie sehr die Glaubwürdigkeit von VN-Operationen von der sorgfältigen
Beachtung der Menschenrechte bei der Missionserfüllung abhängig ist. Dieses
Erfordernis gilt nicht nur für originäre VN-Friedensmissionen, sondern auch

für robuste Militäreinsätze, die wie beispielsweise in Somalia oder im ersten
Golfkrieg vom Weltsicherheitsrat auf einzelne Mitgliedstaaten übertragen wur-
den. Die Verpflichtung der Vereinten Nationen zur Einhaltung und Förderung
der Menschenrechte kann nicht dort enden, wo solche Maßnahmen auf die Mit-
gliedstaaten übertragen werden; auch und gerade hier müssen die Vereinten

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Nationen sicherstellen, dass die Einhaltung der Menschenrechte umfassend und
effektiv gewährleistet wird.

Auch die im letzten Jahr bekannt gewordenen Vorfälle in den US-amerikanisch
bzw. britisch geführten Militärgefängnissen Abu Ghraib und Umm Qasr/Camp
Bucca im Irak und bei den britischen Truppenverbänden im irakischen Basra
haben weltweit Empörung und Befremden ausgelöst. Diese Vorfälle waren
Wasser auch auf die Mühlen derer, die den absoluten Geltungsanspruch der
Menschenrechte und die Legitimität der Vereinten Nationen bei deren Durch-
setzung in Frage stellen. Zwar wurde den Besatzungstruppen erst im Mai bzw.
Oktober 2003 ein eindeutiges Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen erteilt, nach Berichten des Internationalen Komitees vom Roten
Kreuz (IKRK) fielen aber viele der Vorfälle auf einen Zeitpunkt nach dieser
Mandatierung oder dauerten darüber hinaus unverändert an. Diese Ereignisse
stellen einen Höhepunkt von menschenrechtlichen Verfehlungen bei VN-man-
datierten internationalen Militäreinsätzen dar. Berichtet wird aber auch an an-
derer Stelle über Menschenrechtsverletzungen am Rande von VN-Missionen,
so beispielsweise über die erwähnten gravierenden Fehltritte von VN-Soldaten
im Kongo (Kinshasa), aber auch in Somalia oder über die Förderung von
Zwangsprostitution und Menschenhandel durch Mitglieder der VN-Truppen im
Kosovo.

Auch wenn diese Verfehlungen Einzelner den Vereinten Nationen als Organi-
sation nicht zugerechnet werden können, fällt jeder Einzelfall doch stets auf die
Vereinten Nationen insgesamt zurück. Wichtige Errungenschaften und Leistun-
gen der Vereinten Nationen bei der Sicherung des Weltfriedens und der
Verbesserung des Menschenrechtsschutzes werden durch solche Einzelfälle
konterkariert. Die Glaubwürdigkeit und die Legitimität der VN als Hüter des
Weltfriedens stehen auf dem Spiel.

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (HCHR) ist
die weltweit wichtigste Autorität des internationalen Menschenrechtsschutzes.
Dennoch gibt es in Fragen der internationalen Sicherheit und insbesondere bei
der Terrorismusbekämpfung bislang keine wirklich wirksame Zusammenarbeit
zwischen dem Sicherheitsrat und dem Hochkommissar für Menschenrechte.
Dies wird auch von Nichtregierungsorganisationen zu Recht immer wieder be-
mängelt.

Um in Zukunft im Rahmen von VN-Maßnahmen oder von von den Vereinten
Nationen autorisierten Missionen Menschenrechtsverletzungen besser verhin-
dern bzw. einen angemessenen Umgang mit menschenrechtssensiblen Vorfäl-
len gewährleisten zu können, muss die Zusammenarbeit zwischen dem Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen und dem Hochkommissar für Menschenrechte
auf eine neue Stufe gestellt werden. Die Kompetenz des Hochkommissars kann
dabei als Beratungsinstanz und Frühwarnsystem genutzt werden, um Verletzun-
gen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts bei der Durchfüh-
rung solcher Maßnahmen zu verhindern oder um gegebenenfalls frühestmög-
lich Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Auf diese Weise können die
Vereinten Nationen ihre Glaubwürdigkeit, Legitimität und Akzeptanz bei der
Verhinderung und Beilegung von Konflikten stärken.

Wie sich insbesondere an den Vorfällen in den Gefängnissen im Irak gezeigt
hat, können die bereits heute bestehenden Kontrollmechanismen vor Ort oft nur
ungenügend oder verspätet durchgreifen. Die Hauptprobleme bestanden darin,
dass die maßgeblichen Informationen vor Ort nicht oder nur eingeschränkt
erfasst werden konnten und nur langsam und mühsam ihren Weg zu den ent-
scheidenden Stellen gefunden haben. An anderer Stelle, zum Beispiel bei den
Unruhen im letzten Jahr im Kosovo oder etwa beim Versagen der VN-Truppen

bei der Verhinderung des Völkermordes in Ruanda, hat sich herausgestellt, dass

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die mandatsausführenden Stellen vor Ort nur ungenügend oder zu spät auf die
notwendigen Kenntnisse über ihre Befugnisse zugreifen konnten, um auf akute
Situationen schnell und mandats- bzw. menschenrechtskonform reagieren zu
können.

Diese Probleme können dadurch gelöst werden, dass den Friedensmissionen
der VN oder den vom Sicherheitsrat mit einer Vollmacht auf einzelne Mitglied-
staaten übertragenen Maßnahmen ein unabhängiger und fachkundiger Beob-
achter beigeordnet wird, der direkt dem Hochkommissar für Menschenrechte
unterstellt ist. Dieser Beobachter soll die Ausführung der Maßnahmen vor Ort
beobachten und über den Hochkommissar dem Generalsekretär oder dem
Sicherheitsrat direkt Bericht erstatten können. Durch die Einbindung eines sol-
chen Beobachters in die Maßnahmen vor Ort wird gewährleistet, dass wichtige
Informationen unabhängig und umfassend erhoben werden können und schnell
und direkt zu den entscheidenden Stellen im VN-System gelangen. Zudem soll
der Beobachter den mandatsausführenden Stellen vor Ort in beratender Funk-
tion zur Seite stehen und gegebenenfalls Empfehlungen abgeben, um so bereits
im Vorfeld Menschenrechtsverletzungen durch die VN- oder VN-mandatierten
Friedenstruppen verhindern zu können. Dabei soll der Beobachter die bereits
bestehenden Kontrollmechanismen der beteiligten Staaten, der Nichtregie-
rungsorganisationen oder auch des IKRK keines Falls ersetzen, sondern viel-
mehr eng mit diesen zusammenarbeiten und deren Arbeit ergänzen.

Auch wenn sich durch einen solchen Beobachter einzelne Verfehlungen nie
hundertprozentig verhindern lassen werden, kann und soll eine weitere wich-
tige Aufgabe des Beobachters darin bestehen, für solche Fälle Informationen
und Belege zu erfassen, die eine effektive und zügige Verfolgung durch natio-
nale oder internationale Gerichte sicherstellen. Auch und gerade diese umfas-
sende Verfolgung von gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Rahmen
von VN- oder VN-mandatierten Maßnahmen stellt ein wichtiges Element der
Glaubwürdigkeit dar, auf die die Vereinten Nationen für ihre Aufgabe zur Er-
haltung des Weltfriedens zwingend angewiesen sind.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. im Kreise der EU-Partner und über die ständigen europäischen Mitglieder
im Weltsicherheitsrat darauf zu drängen, dass künftig in allen Beschlüssen
des Weltsicherheitsrates, durch die ein mit einer Handlungs- oder Entschei-
dungsbefugnis verbundenes Mandat zur Friedenserhaltung, -konsolidierung
oder -erzwingung erteilt wird, eine Klausel eingefügt wird, wonach dieses
Mandat obligatorisch durch einen direkt dem VN-Hochkommissar für Men-
schenrechte unterstellten Beobachter begleitet wird, der die Ausführung des
Mandats unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten vor Ort beobachtet,
über die Ausführung Bericht erstattet und den mandatsausführenden Stellen
beratend zur Seite steht;

2. darauf zu drängen, dass in dieser Klausel eine Bestimmung enthalten ist, die
die mandatsausführenden Stellen zur Zusammenarbeit mit und zur Gewähr-
leistung des Schutzes und der Sicherheit des Beobachters verpflichtet;

3. gemeinsam mit den europäischen Partnern in der nächsten Sitzung der Men-
schenrechtskommission und in der nächsten Generalversammlung auf eine
Resolution hinzuwirken, die diese obligatorische Bestellung eines Beobach-
ters für VN-Mandate fordert, und sich dafür einzusetzen, dass eine solche
Bedingung für VN-Mandate eine rechtliche Grundlage erhält;

4. sicherzustellen und sich in den Vereinten Nationen dafür einzusetzen, dass
das Büro des VN-Hochkommissars für Menschenrechte personell und finan-

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ziell in die Lage versetzt wird, solche Beobachtermissionen mit fachkundi-
gem und entsprechend geschultem Personal durchzuführen.

Berlin, den 13. Dezember 2005

Florian Toncar
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Werner Hoyer
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Antrag
Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen durch Menschenrechtsbeobachter

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