BT-Drucksache 16/2034

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/1780, 16/1852, 16/2022- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2034
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Kersten Naumann, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/1780, 16/1852, 16/2022 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, dass die Bundesregierung mit
dem vorliegenden Gesetzesentwurf (Bundestagsdrucksache 16/1780) ihrer Ver-
pflichtung nachkommen will, die EU-Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG,
2002/73/EG und 2004/113/EG in nationales Recht umzusetzen. Bezeichnend
für das mangelnde Bewusstsein der Bundesregierung für ihre Verantwortung
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, einen effektiven Diskriminierungs-
schutz zu gewährleisten, ist die Tatsache, dass die Umsetzung der zum Teil aus
dem Jahre 2000 stammenden Richtlinien erst unter dem Druck einer Klage-
erhebung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen Vertragsverstoßes
erfolgt.

Der Gesetzesentwurf ist vorrangig von der vorgenannten Zielsetzung geprägt,
einer längst überfälligen Verpflichtung nachzukommen. Er lässt Schlussfolge-
rungen aus einer fundierten Auseinandersetzung mit der Benachteiligungs- und
Diskriminierungswirklichkeit in Deutschland ebenso wie die Erkenntnis ver-
missen, dass eine diskriminierungsfreie Gesellschaft nicht nur grundgesetzlich
verbürgte Voraussetzung des sozialen Rechtsstaats, sondern auch eine Grund-
forderung jeder emanzipierten menschlichen Gemeinschaft sein muss. Einer
Sichtweise, die mit der abwegigen (Vertrags-)Freiheit zur Diskriminierung
argumentiert, ist ebenso wie jeder anderen, die die Menschenwürde unter Ab-
wägungsvorbehalte stellen will, entschieden mit dem Verweis auf das Grund-
gesetz zu begegnen.

Wirklicher Schutz vor Diskriminierung, der den rassistischen, rechtsextremisti-
schen, sexistischen und antisemitischen Tendenzen in der bundesdeutschen Ge-
sellschaft entgegenwirkt, muss das politisch stets eingeforderte und wünschens-
werte zivilgesellschaftliche Engagement durch eine verständliche, handhabbare
und umfassende gesetzliche Regelung flankieren, die jegliche Diskriminierung
ächtet, unter ein deutliches Verbot stellt und entsprechende abschreckende
Sanktionen vorsieht.

Drucksache 16/2034 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Handlungsmöglichkeiten der Einzelnen wie auch der bundesdeutschen
Öffentlichkeit werden ebenso wie die Bereitschaft, sich mit dem Phänomen der
Diskriminierung, deren Erscheinungsformen und deren Auswirkungen auf die
gesamte Gesellschaft mit dem Ziel der Überwindung derartiger Verhaltens- und
Denkstrukturen zu beschäftigen, nur durch ein Gesetz gefördert, das Diskrimi-
nierung nicht als Problem Einzelner, sondern als das aller Menschen ansieht.
Dieser Anforderung wird der vorgelegte Gesetzesentwurf nicht gerecht.

Der Gesetzesentwurf leidet neben Ausgestaltungsmängeln im Einzelnen vor
allem darunter, dass er nicht alltagstauglich ist und den vorrangig von Diskri-
minierung Betroffenen ein schwaches Instrument zur Durchsetzung ihrer un-
antastbaren Menschenwürde und des Diskriminierungsverbots an die Hand
gibt.

Es besteht daher die Notwendigkeit, den durch die Bundesregierung einge-
brachten Gesetzesentwurf grundlegend zu novellieren. Nachfolgende Erwägun-
gen sind unter II. aufgeführt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den vorgelegten Gesetzesentwurf (Bundestagsdrucksache 16/1780) unverzüg-
lich zu überarbeiten und dabei die folgenden Maßgaben zugrunde zu legen:

1. Der Titel des Gesetzes wird in Antidiskriminierungsgesetz (ADG) geändert,
um Inhalt und Zielsetzung besser Rechnung zu tragen.

2. Das Gesetz findet grundsätzlich auf alle Rechtsgebiete Anwendung, es sei
denn, spezialgesetzlicher Schutz ist weitergehend. Damit bietet das Gesetz
wirksamen Schutz und fördert eine Gleichbehandlung, wie sie auch durch
die Artikel 1, 3 und 20 des Grundgesetzes (GG) vorgegeben ist. Nur durch
eine solche generelle Anwendbarkeit des Gesetzes ist Rechtssicherheit ge-
währleistet, so dass allen Bürgerinnen und Bürgern und allen staatlichen
Stellen ersichtlich ist, welches Verhalten rechtswidrig ist. Die Regelungssys-
tematik der Anknüpfung an Beschäftigungsverhältnisse einerseits und das
Zivilrecht andererseits bei der Normierung eines Benachteiligungsverbots
sind verfehlt. Das Gesetz stellt vielmehr ein umfassendes einheitliches Dis-
kriminierungsverbot in das Zentrum und lässt dies in der Überschrift der
Vorschrift deutlich werden.

3. Verbänden wird ein Verbandsklagerecht eingeräumt sowie das Klagerecht
auf Gleichstellungs- und Frauenbeauftragte erweitert. Damit wird die
Durchsetzbarkeit der Rechte aus dem Antidiskriminierungsgesetz umfas-
send ausgestaltet, denn insbesondere Verbände können durch die stetige Be-
schäftigung und Auseinandersetzung mit Diskriminierungen Verstöße gegen
das Diskriminierungsverbot effektiv bekämpfen. Der dort vorhandene Sach-
verstand wird dazu beitragen, das strukturelle Ungleichgewicht zwischen
Diskriminierenden und davon Betroffenen wirksam abzumildern.

4. Um der Beweissituation der Betroffenen, der Verbände sowie Gleichstel-
lungs- und Frauenbeauftragten Rechnung zu tragen, wird eine Beweislast-
umkehr geregelt. Die Frage der Alltagstauglichkeit des Antidiskriminie-
rungsgesetzes beantwortet sich maßgeblich nach der gerichtlichen Durch-
setzbarkeit. Nach allgemeinen rechtlichen Erwägungen müssen die Darle-
gung und Beweisführung der beweisbelasteten Partei überhaupt möglich
sein. Da es sich bei den darzulegenden Tatsachen um solche aus der Sphäre
der diskriminierenden Person handelt, ist meist allein diese fähig, die Nicht-
diskriminierung gegebenenfalls nachzuweisen. Ebenso wie zum Beispiel bei
§ 2 Abs. 2 des Arbeitsplatzschutzgesetzes ist die Umkehr der Beweislast
deshalb gerechtfertigt, weil die Tatbestandsmerkmale der Diskriminierung
für den Betroffenen schwer zu erkennen und nachzuweisen sind, da sie nur

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Gegenstand eines möglicherweise nach außen hin nicht erkennbaren Ent-
scheidungsfindungsprozesses des Arbeitgebers sein können. Zudem ist die
kurze Frist für die Geltendmachung der Rechte von drei Monaten zu erhö-
hen auf die Regelverjährung von drei Jahren.

5. Der Anwendungsbereich wird hinsichtlich der erfassten Diskriminierungs-
merkmale wie folgt präzisiert und ergänzt:

a) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bezieht sich auf das Merkmal
„Rasse“. Zwar ist der Begründung zu entnehmen, dass der Begriff als
problematisch angesehen wird – trotzdem knüpft der Entwurf durch die
Verwendung des Begriffs an das demselben zugrunde liegende Denken
an und muss sich der Kritik aussetzen, jenes zu verstetigen. Bei der Be-
antwortung der Frage, ob die Benachteiligung „aus Gründen der Rasse“
erfolge, ist die das Recht anwendende Person gezwungen, sich der Denk-
art des Rassismus anzupassen, was gerade verhindert werden soll. Das
Merkmal „Rasse“ ist im gesamten Gesetzesentwurf zu streichen.

b) Der Anwendungsbereich soll um die verbotenen Diskriminierungsgründe
„Hautfarbe“, „Sprache“, „Nationalität“ sowie „Staatsangehörigkeit“ er-
weitert werden. Diese Merkmale dienen im Alltag zumeist neben den be-
reits normierten als Ausgangspunkte für diskriminierendes Denken und
Verhalten und sollten daher den Katalog der verbotenen Anknüpfungs-
merkmale ergänzen.

c) Soziokulturelle Herkunft und Status haben in der kapitalistischen Gesell-
schaft eine sehr große Auswirkung auf die Behandlung der Einzelnen und
ziehen eine daran anknüpfende Diskriminierung nach sich. Das Merkmal
bietet in vielfältiger Weise Anknüpfungspunkte für sozial verwerfliche
und rechtsstaatlich unerträgliche Benachteiligungen. Sozial ausgegrenzt
werden nicht nur Millionen Arbeitslose, sondern z. B. auch Menschen
aus bestimmten Stadtteilen und Regionen, denen Leistungen des „ver-
tragsfreien Markts“ (Funktelefon etc.) nie zuteil werden. Der „soziokul-
turelle Status“ ist in den Katalog des § 1 ADG aufzunehmen.

6. Das im zivilrechtlichen Bereich bestehende Benachteiligungsverbot wird
auf alle Merkmale des § 1 ADG angewandt. Ausnahmen werden in diesem
Bereich nur für das persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnis vorgesehen.
Darüber hinaus wird außer bei Gefahr für Leib und Leben von Betroffenen
oder Dritten keine Rechtfertigung für Diskriminierung durchgreifen. Das
diskriminierungsfreie Leben ist ein so hohes Gut für das Leben aller Men-
schen, dass einfache und im Zweifel schnell herbeikonstruierte Sachgründe
nicht dagegengestellt werden dürfen, um den Schutz nicht faktisch leer
laufen zu lassen. Insgesamt stehen die normierten Benachteiligungsverbote
sowohl im arbeitsrechtlichen als auch im zivilrechtlichen Bereich unter zu
zahlreichen Vorbehalten, die gesetzessystematisch als Ausnahmen und
Rechtfertigungstatbestände geregelt sind. Dadurch wird die Anwendbarkeit
des Gesetzes stark eingeschränkt, weil differenziert ausgestaltete Ausnah-
meregelungen die Einsicht erschweren, welche Anforderungen an das Ver-
halten gestellt werden.

7. Die Sanktionen des ADG werden umfassend neu geregelt:

a) Der Schadenersatz wird in der Höhe nach oben nicht begrenzt, da die
Richtlinie 2000/43/EG fordert, dass die Schadenersatzleistungen wirk-
sam, verhältnismäßig und vor allem abschreckend sein müssen. Eine Be-
grenzung der Höhe des Schadenersatzes ist ein falsches Signal. Ein im
Sinne der Naturalrestitution denkbarer Schadenersatzanspruch auf Ab-
schluss des Arbeitsvertrags entspricht vielfach dem erklärten Interesse
der Betroffenen und ist erforderlich, damit das zu verurteilende Verhalten
sich nicht letztlich durchsetzt.

Drucksache 16/2034 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
b) In das Gesetz wird ein Bußgeldtatbestand aufgenommen, der Verstöße
gegen das Diskriminierungsverbot und gegen bestimmte Pflichten zu
einer Ordnungswidrigkeit ausgestaltet. Damit wird den europäischen
Richtlinien entsprochen, die dem Diskriminierungsverbot erhöhte Gel-
tung beimessen. Dies wird außerdem erheblich dazu beitragen, in Zu-
kunft Diskriminierungen konsequent zu verhindern. Es ist eine Möglich-
keit vorzusehen, mehrfache oder entsprechend intensive Verstöße gegen
das Diskriminierungsverbot sowohl bei der öffentlichen Auftragsvergabe
als auch bei der Subventionierung zu sanktionieren. Die Richtlinien
2000/43/EG (Artikel 15) und 2000/78/EG (Artikel 17) verpflichten die
Mitgliedstaaten zur Festlegung und Durchsetzung von Sanktionen, die
bei einem Verstoß zu verhängen sind; dabei sehen sie vor, dass Sank-
tionen nicht nur, sondern „auch“ Schadenersatzleistungen an die Opfer
umfassen können.

8. Die Antidiskriminierungsstelle wird nicht an ein Bundesministerium an-
gegliedert, da dies mit dem Verlust ihrer Unabhängigkeit einhergeht. Damit
sie wirksam und im Sinne der Betroffenen arbeiten kann, muss ihre Unab-
hängigkeit gewährleistet werden und mit weitergehenden Kompetenzen ver-
sehen werden. Insbesondere die zugesprochenen Auskunftsrechte der Anti-
diskriminierungsstelle gegenüber dem Bund müssen auf privatwirtschaft-
liche Unternehmen ausgeweitet werden, damit das Antidiskriminierungs-
gesetz seine Wirksamkeit entfalten kann.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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