BT-Drucksache 16/1978

Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft - Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1978
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Kerstin
Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft – Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren
Energien, Nein zur Atomkraft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Zugang zu nachhaltiger Energie ist entscheidend für die Verbesserung der
Lebensumstände in Entwicklungsländern. Fast zwei Milliarden Menschen welt-
weit sind zur Versorgung ihrer Grundbedürfnisse immer noch auf traditionelle
Brennstoffe wie Holz und Dung angewiesen. Der Zugang zu Energie ist ein
zentrales Element im Kampf gegen die Armut. Praktisch alle Millenniumsent-
wicklungsziele stehen in Beziehung zur nachhaltigen Energieversorgung: Ohne
einen solchen Zugang kann Hunger nicht reduziert werden.

Die hohen und stark schwankenden Energiepreise bedrohen die Weltwirtschaft
insgesamt, doch sind gerade die ärmsten Entwicklungsländer besonders ver-
wundbar. Dort ist die Abhängigkeit von Ölimporten überproportional hoch.
Typischerweise haben arme Länder energieintensivere Industrien, gleichzeitig
sind ihre Autos und Haushalte weniger energieeffizient und die Energietechno-
logie nicht auf dem neuesten Stand. Ergebnis ist, dass Niedrigeinkommenslän-
der einen doppelt so großen Anteil ihres nationalen Einkommens für Ölimporte
ausgeben wie Industrieländer. Steigende Ölpreise bedeuten daher große Ent-
wicklungshemmnisse.

Heute entfallen ungefähr 70 Prozent des Weltenergieverbrauchs auf die Indus-
trieländer. Es ist absehbar, dass sich in Zukunft mehr als zwei Drittel des Wachs-
tums in Schwellen- und Entwicklungsländern vollziehen wird. Die Herausforde-
rung besteht darin, den unvermeidbar steigenden Energieverbrauch mit größerer
Effizienz, geringerer Klimaschädlichkeit und einem besseren Zugang für die
ärmsten Menschen zu verbinden.

Der G8-Gipfel von Gleneagles 2005 hat daher die Weltbank damit beauftragt,
einen Beitrag zu der Debatte um Zugang zu „sauberer Energie“ zu leisten. Die
Weltbank muss mit ihrem Ansatz zu „sauberer Energie“ einen umfassenden
Beitrag zur Überwindung von fossilen Energiesystemen leisten, ohne dabei auf
Hochrisikotechnologien wie die Atomenergie zu setzen. Die Programme der

Weltbank müssen auf der Basis von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien
helfen, den steigenden Energiebedarf in Entwicklungsländern zu decken. Aus
Sicht des Deutschen Bundestages muss die Weltbank Vorreiterin beim Ausbau
erneuerbarer Energien sein und mit berechenbaren Zusagen auf der Grundlage
einer stetigen Steigerung ihres Portfolios in diesem Bereich klare Signale setzen.
Sie muss daher auch neue Instrumente entwickeln, um schnell und effektiv den
Einsatz erneuerbarer Energien zu fördern.

Drucksache 16/1978 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzu-
setzen,

1. dass die Weltbank schrittweise bis 2010 aus der Förderung fossiler Energie-
träger aussteigt, wie es der Salim-Bericht zur Rohstoffpolitik der Weltbank
gefordert hatte, dass sie erneuerbare Energien im Gegenzug zur primär geför-
derten Energiequelle macht sowie Maßnahmen zur Energieeinsparung und
Energieeffizienz fördert;

2. dass die Weltbank auch zukünftig keine Investitionen im Bereich der Atom-
energie fördert;

3. dass auch die regionalen Entwicklungsbanken keine Atomtechnologie för-
dern;

4. dass die Weltbank zur Verbesserung der Marktchancen von erneuerbaren
Energien durch den massiven Ausbau entsprechender Programme beiträgt;

5. dass die Weltbank klar beschreibt, in welcher Weise ihre Energiepolitik die
Ansätze der Klimarahmenkonvention und der Global Environmental Facility
ergänzt;

6. dass die Weltbank die Auswirkungen gestiegener Energiepreise im Kontext
von Entschuldung, Schuldentragfähigkeit und Wachstumsannahmen syste-
matisch in ihre Länderstrategien integriert;

7. dass die Weltbank ihre Überlegungen und Maßnahmen zum Energiezugang
für die ärmsten Entwicklungsländer präzisiert;

8. dass die Weltbank beschreibt, wo sie ihren Schwerpunkt in der Energiepolitik
in Bezug auf die jeweiligen Ländergruppen setzen will, und dass sie in ihren
jeweiligen Länderstrategien (Country Assistance Strategies) dem Entwick-
lungsstand angemessene Strategien entwickelt;

9. dass die Weltbank einen von unabhängigen Experten kontrollierten Bericht
vorlegt über die Erhöhung der CO2-Emissionen durch die von ihr in den letz-
ten zehn Jahren unterstützten Energiemaßnahmen in den Bereichen Kohle,
Erdöl und Erdgas. Entscheidend ist dabei eine Auflistung von von der Welt-
bank unterstützten Projekten, die dazu beitrugen, neue fossile Lagerstätten zu
erschließen. Die Auflistung soll Klarheit darüber verschaffen, wie viel Koh-
lenstoff aus diesen Lagerstätten neu in die Atmosphäre freigesetzt wurde und
wie hoch der Beitrag zur Klimaerwärmung ist.

Berlin, den 28. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Auf der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds
(IWF) im April 2006 wurde der Bericht Clean Energy and Development: To-
wards an Investment Framework vorgelegt. Er dient als Vorbereitung für einen
Investitionsrahmen der Weltbank, der in Singapur auf der Herbsttagung im Sep-
tember 2006 vorgestellt werden soll. Die Debatte um „saubere Energie und Ent-
wicklung“ soll unter anderem ermitteln, welchen Beitrag die Weltbank leisten
kann, um die Erreichung der UN-Millenniumsentwicklungsziele mit den Erfor-
dernissen des internationalen Klimaschutzes in Einklang zu bringen. Dabei spie-
len die Nutzung „sauberer Energien“ in Schwellenländern, der Zugang der ärms-

ten Länder zu angepassten Energiesystemen und die Anpassung von Entwick-
lungsländern an die weltweite Klimaveränderung eine besondere Rolle.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1978

In ihrem Bericht zeigt die Weltbank den Zusammenhang zwischen Energie-
zugang und Entwicklung auf. Dieser Ansatz ist richtig; denn gerade in den ärms-
ten Ländern verstellt der mangelnde Zugang zu Energie Entwicklungschancen.
Weil nachhaltige Energieformen nicht zugänglich sind, haben viele Menschen in
den ärmsten Ländern zum Beispiel keine andere Wahl, als durch Abholzung für
kurzfristige Energiegewinnung ihre Ökosysteme auf Dauer zu schädigen.

In nicht Öl exportierenden Ländern gefährdet die aktuelle Energiepreisentwick-
lung auf dramatische Weise die wirtschaftliche Entwicklung und „entwertet“ die
erhofften Effekte der Entschuldung im Sinne der Erreichung der UN-Millenni-
ums-Entwicklungsziele. Die Mehrkosten, die bei Nettoimporteuren von Energie
entstehen, überschreiten schon jetzt teilweise die Leistungen, die diese durch
Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Nicaragua beispielsweise zahlte im Jahr
2004 für Ölimporte 541 Mio. US-Dollar, das sind 213 Mio. US-Dollar mehr als
im Vorjahr. Allein die Preissteigerung kostet das Land mehr, als es in den nächsten
fünf Jahren insgesamt durch die Entwicklungsfinanzierungsinitiative „Millen-
nium Challenge Account“ der USA erhalten wird (175 Mio. US-Dollar über fünf
Jahre).

Der Zugang zu Energie wird wesentlich über die Fortschreibung internationaler
Vereinbarungen zur Stabilisierung des Klimas mitentscheiden. In der Debatte
über Investitionen und über den Ausbau zukunftsfähiger Energiepfade ist die
Weltbank ein wichtiger Akteur. Ein Beispiel für eine mögliche Rolle der Welt-
bank findet sich in ihrem Umgang mit Schwellenländern. Aktuelle Trends zei-
gen, dass sich der Energieverbrauch und die damit verbundenen ausgestoßenen
Treibhausgase allein von Brasilien, China und Indien in den nächsten zwanzig
Jahren verdoppeln werden. Daher hat die Weltbank gemeinsam mit dem Um-
weltprogramm der Vereinten Nationen und Institutionen aus diesen Ländern ein
so genanntes Drei-Länder-Energie-Effizienz-Projekt initiiert. Ziel ist es, Inves-
titionen zu tätigen, um die Belastungen für Mensch und Umwelt deutlich zu re-
duzieren. Die energiesparende Ausrichtung bei Modernisierung und Neubau
von Fabriken, privaten und öffentlichen Gebäuden – so eine Erkenntnis dieses
Prozesses –, kann zu einer deutlichen Reduzierung von Emissionen führen. Die
so erreichte Verringerung von Energieverlusten ist die billigste, leichteste und
schnellste Art und Weise, Probleme im Energiebereich zu lösen. Zur Gestaltung
und Moderation dieses Prozesses trägt die Weltbank bei, und sie muss dies auch
in Zukunft verstärkt tun.

Atomkraft ist keine „saubere Energie“

Im oben erwähnten Weltbankbericht fallen erhebliche Schwächen auf. Schon
die Verwendung des Begriffs „saubere Energie“ ist problematisch; denn nach
Verständnis des Berichts umfasst er sowohl erneuerbare Energien als auch effi-
ziente Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen. Selbst Nuklearenergie wird
als Option für „saubere“ Energiegewinnung explizit aufgeführt.

Derzeit planen einzelne Schwellenländer (Indien, China, Brasilien und Russland)
einen massiven Ausbau von Atomenergie. Indem die Weltbank in ihrem Bericht
die Gefahren der Atomkraft verharmlost – sie spricht von Atomtechnologie als
einer „no regret technology“ oder „no harm technology“ –, ignoriert sie entschei-
dende Probleme der Atomenergienutzung.

Dies kann nicht akzeptiert werden, denn die Gefahren und Kosten der Nutzung
von Atomkraft stehen in keinem Verhältnis zu den prognostizierten Gewinnen.
Eine Hochrisikotechnologie in Entwicklungsländern zu fördern und dabei die
Voraussetzungen für Betrieb und Sicherheit sowie das weltweit ungelöste Pro-
blem von nuklearem Abfall zu ignorieren, ist verantwortungslos und setzt ein
falsches Signal. Dass dies außerdem zu einem Zeitpunkt geschieht, zu dem die

Gefahren der nichtzivilen Nutzung der Atomkraft, also der Verbreitung von
Atomwaffen, beispielsweise im Falle des Iran internationale Konflikte herauf-

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beschwören, stehen, ist nicht hinnehmbar. Selbst wenn jedoch Nuklearenergie
massiv in Entwicklungsländern ausgebaut würde, lässt sich nicht ein Entwick-
lungs- oder Schwellenland benennen, welches damit die zu erwartenden Ener-
gieengpässe überbrücken könnte.

In der Vergangenheit hat die Weltbank sich – mit einer Ausnahme der Finanzie-
rung eines Atomkraftwerks 1959 in Italien – bewusst aus der Finanzierung von
Atomtechnologie herausgehalten. Sie muss diese grundsätzliche Politik beibe-
halten. Der Ruf der Weltbank ist ohnehin durch ihr Engagement im Rohstoff-
und Energiebereich angeschlagen. Sollte sich die Bank, wie es einige Anteils-
eigner und wohl auch Weltbankpräsident Wolfowitz befürworten, für eine Betei-
ligung an zukünftigen Atomprojekten entscheiden, engagierte sie sich in einem
Bereich, der weltweit von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Parteien und meist
deutlichen Mehrheiten innerhalb der Bevölkerung der betroffenen Länder abge-
lehnt wird. Ein solches Engagement der Weltbank wäre falsch und fügte der
Reputation der Bank schweren Schaden zu. Atomenergie ist und bleibt ein
Geschäftsfeld, von dem die Weltbank sich auch in Zukunft distanzieren muss
und das sie auf keinen Fall als gangbaren Weg für Entwicklungsländer empfeh-
len darf.

Zwar ist die Analyse der Länder mit mangelndem Zugang zu Energie im Bericht
„Clean Energy and Development“ breit angelegt. Doch fehlt eine genaue Benen-
nung konkreter Maßnahmen, an denen sich die Weltbank zu beteiligen gedenkt,
um die aufgeführten Probleme zu beheben. Solche Maßnahmen müssen den
Entwicklungsstand der jeweiligen Partnerländer (am wenigsten entwickelte
Länder [LDC], Niedrigeinkommensländer [LIC], Länder mit mittleren Einkom-
men [MIC]) berücksichtigen.

Aus dem Bericht ist nicht erkennbar, in welchem Umfang die Bank neue Inves-
titionsprogramme auf den Weg bringen will, und in welche Bereiche sie investie-
ren will. Auch die genaue Rolle der Bank im Verhältnis zu anderen Finanz-
institutionen, der Global Environmental Facility (GEF), anderen bilateralen
Gebern oder auch zu Akteuren der Privatwirtschaft bleibt offen.

Energieeffizienz und erneuerbare Energien

Auffällig ist zudem, dass die Weltbank kein ehrgeiziges Konzept für den Einsatz
erneuerbarer Energien hat. Die Bank hat sich zwar bei der Erneuerbare-Ener-
gien-Konferenz 2004 in Bonn zu einer Erhöhung ihres Portfolios für erneuer-
bare Energien entschlossen und im Finanzjahr 2005 das Ziel einer Erhöhung
umgesetzt. Doch diese Zuwächse gehen von einem sehr bescheidenen
Ausgangsniveau aus. Folglich fällt auch die erreichte Steigerung noch viel zu
gering aus. So flossen im Finanzjahr 2005 nur 9 Prozent der Weltbankkredite im
Energiesektor (Gesamthöhe von 2,86 Mrd. Dollar) in den Bereich erneuerbare
Energien und Energieeffizienz. Ein substanzieller Trendwechsel zu erneuerbaren
Energien lässt sich hieraus nicht ablesen.

Der Bericht „Clean Energy and Development“ diskutiert die Potenziale der in
vielen Entwicklungsländern mehr oder weniger einzigen einheimischen Quellen
– Sonne, Wind und Wasser, Biomasse – nur wahllos und als eine Möglichkeit
unter vielen. Er leitet keinen überfälligen Paradigmenwechsel in der Ausrichtung
der Energiepolitik ein. Die Weltbank darf angesichts ihrer aktuellen Ausrichtung
des Energieportfolios nicht unterschätzen, dass durch die lange Laufzeit von
Kraftwerken auf fossiler Basis und die Förderung von Übergangstechnologien
oder -energieträgern wie Erdgas Investitionen dauerhaft gebunden werden. Diese
können dann nicht in Innovationen für saubere und nachhaltige Energieformen
investiert werden. Die Erreichung der Klimaziele muss Priorität erhalten und darf
nicht durch eine rückständige Energiepolitik erschwert werden.

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