BT-Drucksache 16/1808

Sammlung, Speicherung und Weitergabe von Informationen über Bundestagsabgeordnete durch Geheimdienste

Vom 13. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1808
16. Wahlperiode 13. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk,
Silke Stokar von Neuforn, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sammlung, Speicherung und Weitergabe von Informationen über
Bundestagsabgeordnete durch Geheimdienste

Am 6. Juni 2006 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof für Menschen-
rechte eine Entscheidung über die Bespitzelung von fünf schwedischen Staats-
bürgern durch den schwedischen Geheimdienst (Aktenzeichen 62332/00). Bei
den Klägern handelt es sich um eine ehemalige Friedensaktivistin und lang-
jährige Angehörige des schwedischen Parlaments, einen renommierten Journa-
listen der Zeitung „Göteborgs-Posten“, zwei Mitglieder der Kommunistischen
Partei Schwedens sowie einen ehemaligen Abgeordneten des Europäischen Par-
laments. In seinem Urteil rügt der Gerichtshof die jahrelange Praxis der Speiche-
rung von Informationen durch den Geheimdienst als unverhältnismäßig und
stellt einen Verstoß gegen die Artikel 8, 10 und 11 der Europäischen Menschen-
rechtskonvention (EMRK) fest. Geheimdienstliche Maßnahmen von Bürgern
seien nach der Menschenrechtskonvention nur insoweit möglich, als dies für den
Schutz von demokratischen Institutionen zwingend notwendig sei. Bei jedem
Eingriff müsse zwischen den Interessen des Staates und den Interessen der
Bürger sorgfältig abgewogen werden. Diese Voraussetzungen sah der Gerichts-
hof in den Fällen der Kläger als nicht gegeben an. Er verurteilte den schwedi-
schen Staat zugleich zur Zahlung von Schadensersatz an die Betroffenen.
Auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) vom 21. März
2006, welche Mitglieder des Deutschen Bundestages der Beobachtung durch
das Bundesamt für Verfassungsschutz unterliegen, antwortete die Bundesregie-
rung mit Schreiben vom 28. März 2006, dass sie sich zu den geheimhaltungs-
bedürftigen Angelegenheiten des Verfassungsschutzes grundsätzlich nur in den
dafür vorgesehenen Gremien des Deutschen Bundestages äußere.
Die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 17. Mai
2006 (Bundestagsdrucksache 16/1520), die die frühere oder gegenwärtige
Beobachtung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages durch Geheim-
dienste des Bundes oder durch die Landesämter für Verfassungsschutz zum Ge-
genstand hat, wurde mit Schreiben vom 31. Mai 2006 beantwortet. Darin teilt
die Bundesregierung mit, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages durch
die Nachrichtendienste des Bundes nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln

überwacht wurden und werden. Zu Maßnahmen der Landesämter äußerte sich
die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ (Nr. 23/2006,
S. 47 f.) werden zu Abgeordneten des Deutschen Bundestages beim Bundesamt
für Verfassungsschutz Personenakten geführt. Darin sollen verfassungsschutzrele-
vante Informationen gesammelt und gespeichert werden. Daneben sollen entspre-
chende Akten auch bei Landesämtern für Verfassungsschutz angelegt worden sein.

Drucksache 16/1808 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:
1. Wurden bzw. werden ab der 9. bis zur laufenden Wahlperiode – aufgeschlüs-

selt nach Wahlperioden – mandatsbezogene Informationen über Abgeord-
nete des Deutschen Bundestages durch die Geheimdienste des Bundes ge-
sammelt, gespeichert und an Dritte weitergegeben?
Wenn ja,
a) welche Informationen wurden bzw. werden gesammelt, gespeichert bzw.

weitergegeben;
b) wann erfolgte die Informationssammlung, -speicherung bzw. -weitergabe;
c) welchen Zwecken diente sie;
d) wie definieren die Bundesregierung und die Geheimdienste den bei der Be-

antwortung der Frage zugrunde gelegten Begriff der Mandatsbezogenheit?
Stimmt diese Definition mit derjenigen überein, die bei der Reisekosten-
abrechnung für Bundestagsabgeordnete angewandt wird?

2. Wurden bzw. werden nicht mandatsbezogene Informationen über Abgeord-
nete des Deutschen Bundestages durch die Geheimdienste des Bundes ge-
sammelt, gespeichert und an Dritte weitergegeben?
Wenn ja,
a) welche Informationen wurden bzw. werden gesammelt, gespeichert bzw.

weitergegeben;
b) wann erfolgte die Informationssammlung, -speicherung bzw. -weitergabe;
c) welchen Zwecken diente sie?

3. Ist die Sammlung, Speicherung oder Weitergabe von mandatsbezogenen und
nicht mandatsbezogenen Informationen über Abgeordnete des Deutschen
Bundestages für die Zukunft geplant?

4. Sind der Bundesregierung Fälle der Sammlung, Speicherung bzw. Weiter-
gabe von mandatsbezogenen und nicht mandatsbezogenen Informationen
über Abgeordnete bekannt, die andere Dienste, insbesondere Dienste der
Bundesländer getätigt haben?

5. Aus welchen Gründen besteht – unterstellt, die Fragen 1 bis 4 können aus
Gründen des Geheimnisschutzes nicht beantwortet werden – der Geheimnis-
schutz?

6. Wie wird aus Sicht der Bundesregierung dem grundgesetzlich verankerten
Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Rechten in den Arti-
keln 8, 10 und 11 EMRK bei geheimdienstlichen Maßnahmen gegen Einzel-
personen (Sammlung, Speicherung, Weitergabe von Informationen, Beob-
achtung) hinreichend Rechnung getragen (z. B. durch Gewährung von
Akteneinsicht, Löschung von Daten usw.)?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Notwendigkeit, die
Praxis der Geheimdienste in Bezug auf die Sammlung, Speicherung und
Weitergabe von Informationen über Abgeordnete zu ändern bzw. Vorschrif-
ten entsprechend anzupassen?

8. Wie stellt die Bundesregierung die Umsetzung des Urteils in Deutschland
sicher?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, bei der Überwachung von
Abgeordneten oder der Informationssammlung über Abgeordnete durch die
Geheimdienste ein dem Immunitätsverfahren nachgebildetes Verfahren ein-
zuführen?

Berlin, den 13. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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