BT-Drucksache 16/1677

Konnexitätsprinzip in der Verfassung verankern

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1677
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, Ina Lenke, Patrick Döring,
Sibylle Laurischk, Jan Mücke, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke,
Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Konnexitätsprinzip in der Verfassung verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ausgaben der Kommunen für Sozialleistungen steigen seit vielen Jahren
stark an. Seit 1992 nahmen sie trotz der Entlastung durch die Einführung der
Pflegeversicherung um mehr als 45 Prozent zu. Hier spiegelt sich wider, dass
die Sozialhilfeentlastungen durch das Hinzukommen neuer Aufgaben wie der
Grundsicherung im Alter oder bei der Erwerbslosigkeit überkompensiert wur-
den. Parallel dazu kam es zu extremen Steigerungen bei bereits bestehenden
Ausgabenblöcken, insbesondere bei der Eingliederungshilfe für behinderte
Menschen und bei der Jugendhilfe. Auch die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege
sind mittlerweile wieder stark angestiegen. Eine Trendwende dieser Entwick-
lung ist nicht zu erwarten.

Die Ursache liegt in dem ständig zunehmenden Pflichtaufgabenbestand, dessen
extremer Anstieg durch die leicht wachsenden Steuereinnahmen der Kommu-
nen nicht ausgeglichen werden kann. Diese Entwicklung hat dazu beigetragen,
dass die Investitionen der Städte, Gemeinden und Landkreise heute um über

40 Prozent niedriger sind als 1992. Freiwillige Selbstverwaltungsausgaben
werden von den Kommunen kaum noch wahrgenommen. Damit ist die kom-
munale Selbstverwaltung, die grundgesetzlich garantiert ist, stark gefährdet.
Vor allem die Ausgaben für den sozialen Bereich sind eine gesamtstaatliche
Aufgabe, die nicht nur den Kommunen aufgebürdet werden darf.

Drucksache 16/1677 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Es wird deutlich, dass die rechtliche Absicherung der Kommunen gegen die kos-
tenaufwändige Aufgabenzuweisung nicht korrekt funktioniert. Im Grundgesetz
ist bisher lediglich das relative Konnexitätsprinzip in Artikel 104a verankert, das
aber für die Kommunen keine ausreichende Kompensationsregelung darstellt.

In den meisten Bundesländern ist ein strikteres Konnexitätsprinzip in den Lan-
desverfassungen verankert. Darunter ist der Grundsatz zu verstehen, dass Auf-
gabenwahrnehmung und Ausgabenverantwortung bei derselben staatlichen
Ebene liegen sollten. Einfach ausgedrückt: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie
auch. Damit sind die Länder gehalten, den Städten und Gemeinden für die
jeweiligen Aufgaben finanziellen Ausgleich zu leisten. Allerdings schützen die
landesverfassungsrechtlichen Garantien nicht gegen die bundesseitige Aufgaben-
übertragung. Im Grundgesetz gibt es nach wie vor kein ausdrücklich die Kom-
munen einbeziehendes Konnexitätsprinzip. Und wo der Bund es bei einer Aus-
führung durch die Länder belässt und ihnen dafür eine finanzielle
Kompensation zukommen lässt, bleibt bei der landesseitigen Weitergabe der
Ausführung an die Kommunen regelmäßig Bundesgeld aus unterschiedlichen
Gründen bei den Ländern hängen.

Leider sind bisher alle Versuche, hier eine Änderung auch auf der Bundesebene
herbeizuführen, gescheitert. Auch im Rahmen der Föderalismusreform haben
die Koalitionäre im Deutschen Bundestag vereinbart, keine Verankerung des
Konnexitätsprinzips im Grundgesetz vorzunehmen. Es soll lediglich ein Aufga-
benübertragungsverbot in Artikel 84 Abs. 1 und Artikel 85 Abs. 1 des Grundge-
setzes eingefügt werden. Das führt allerdings nicht zur gewünschten Entlastung
der Städte, Gemeinden und Landkreise. Die bisherigen Gesetze des Bundes sind
von der geplanten Regelung ausgenommen. Auch ohne eine direkte Aufgaben-
zuweisung an die Kommunen durch den Bund wird der Bundesgesetzgeber viele
Gesetzesvorhaben beschließen, die im Ergebnis auch Kostenfolgen auf der kom-
munalen Ebene auslösen. Darüber hinaus sind in der Verwaltungspraxis durch-
aus Konstellationen denkbar, in denen es sinnvoll und für die Kommunen von
Vorteil ist, die kommunale Aufgabenträgerschaft unmittelbar in einem Bundes-
gesetz vorzusehen.

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 86, 148
– (213) ist die Finanzverfassung des Grundgesetzes darauf angelegt, Bund und
Länder finanziell in die Lage zu versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zu-
kommenden Aufgaben wahrzunehmen. Dieses muss auch in Bezug auf die
Kommunen gelten. Zum Zwecke einer klaren Zuordnung von Aufgabe, Kom-
petenz und Verantwortung ist deshalb ein durchgreifendes Konnexitätsprinzip
auch im Grundgesetz zu verankern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem das vorgeschlagene Aufgabenüber-
tragungsverbot durch eine Konnexitätsregelung ersetzt wird, die sicherstellt,
dass der Gesetz- und Verordnungsgeber Bestimmungen über die Deckung der
Kosten zu treffen hat, wenn er die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch
Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zur Erfüllung bestimmter Aufgaben ver-
pflichtet.

Berlin, den 31. Mai 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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