BT-Drucksache 16/1648

Sport und Bewegung in Deutschland umfassend fördern - Bewusstsein für gesunde Lebensweise stärken

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1648
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Klaus Riegert, Annette Widmann-Mauz, Peter Albach, Norbert
Barthle, Dr. Wolf Bauer, Antje Blumenthal, Maria Eichhorn, Dr. Hans Georg Faust,
Ingrid Fischbach, Dirk Fischer (Hamburg), Eberhard Gienger, Markus Grübel,
Bernd Heynemann, Hubert Hüppe, Julia Klöckner, Manfred Kolbe, Dr. Rolf
Koschorrek, Hartmut Koschyk, Katharina Landgraf, Stephan Mayer (Altötting),
Michaela Noll, Rita Pawelski, Peter Rauen, Dr. Norbert Röttgen, Hermann-Josef
Scharf, Dr. Andreas Scheuer, Karl Schiewerling, Wilhelm Josef Sebastian,
Johannes Singhammer, Jens Spahn, Max Straubinger, Marcus Weinberg,
Elisabeth Winkelmeier-Becker, Willi Zylajew, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin Gerster,
Wolfgang Grotthaus, Reinhold Hemker, Fritz Rudolf Körper, Ute Kumpf, Caren
Marks, Steffen Reiche (Cottbus), Axel Schäfer (Bochum), Bernd Scheelen, Olaf
Scholz, Swen Schulz (Spandau), Rita Schwarzelühr-Sutter, Dr. Peter Struck und
der Fraktion der SPD

Sport und Bewegung in Deutschland umfassend fördern –
Bewusstsein für gesunde Lebensweise stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Besorgniserregende Berichte über die Zunahme von Haltungsschäden, unzurei-
chender Koordinationsfähigkeit, Defizite bei körperlichen Ausdauerleistungen
oder Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen nehmen ständig zu. Bewe-
gungsmangel gehört zu den häufigsten Ursachen für chronische Herz-Kreis-
lauf-Erkrankungen. Selbst einfache Bewegungsabläufe können von zahlreichen
Kindern bei Einschulungstests nicht ausgeführt werden.

Bewegungsmangel wirkt sich bei kognitiven Lernprozessen negativ aus: In zu-
nehmendem Maße leiden Schülerinnen und Schüler an mangelnder Konzentra-
tionsfähigkeit und abnehmender Lernbereitschaft.

In unserer hochzivilisierten, in hohem Maße technisierten und arbeitsteiligen
Gesellschaft haben Sport, körperliche Tätigkeit und damit Bewegung zuneh-

mend an Bedeutung verloren, während Bewegungsmangel, Fehlernährung und
Umweltbedingungen zu diversen Zivilisationserkrankungen führen.

Die Folgen sind Krankheitsbilder, die nicht nur den Einzelnen belasten, sondern
auch in erheblichem Ausmaß das Gesundheitswesen und die Sozialsysteme.
Die von den Krankenkassen prognostizierten Entwicklungen, die von wissen-

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schaftlichen Untersuchungen gestützt werden, sind alarmierend. Die Ursachen
dieser Entwicklungen sind vielfältig.

Das Robert Koch-Institut kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die
Prävalenz von Übergewicht zunimmt und ca. 50 Prozent der Frauen und
67 Prozent der Männer übergewichtig sind. Übergewicht, sportliche Inaktivität,
mangelnde Bewegung und Fehlernährung gelten als gesicherte Risikofaktoren
und verursachen nach den Stoffwechselerkrankungen die höchsten Kosten im
Gesundheitswesen. Je intensiver Sport und Bewegung betrieben werden, desto
deutlicher sinken die gesundheitlichen Risiken.

Auch die Psyche profitiert von regelmäßiger körperlicher Bewegung, die An-
fälligkeit für Depressionen, Stresssymptome oder andere psychische Störungen
sinkt signifikant.

Angesichts der demographischen Entwicklung und der Zunahme chronischer
Erkrankungen sind Sport, Bewegung und richtige Ernährung unerlässliche Ele-
mente der Gesunderhaltung, der Gesundheitserziehung und der Rehabilitation.

Nationale und internationale wissenschaftliche Studien, Erkenntnisse von Ärz-
ten und Krankenkassen belegen eindeutig die positiven Auswirkungen von
Sport und Bewegung auf die Gesundheit, die Leistungs- und Lernfähigkeit, die
Lebensqualität und die Lebenserwartung der Menschen. Sport und Bewegung
gehören zur ganzheitlichen Bildung und Entwicklung des Menschen, sind Prä-
vention und Prophylaxe und bewirken auch bei Ausbruch von Krankheiten
häufig mehr als teure Medikamente und Hightech-Medizin (DER SPIEGEL
Heft 5/2006). Eine kanadische Studie (Staines/Prince/Oliver: „The Economic
Impact of Physical Activity in Ontario“) hat 1995 herausgefunden, dass jedem
in die Förderung körperlicher Bewegung investierten Dollar eine Ersparnis
zwischen 2 und 5 Dollar im Arbeits- und Gesundheitsbereich folgt.

Es ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung, die
durch zu wenig Sport und unzureichende Bewegung verursachte hohe volks-
wirtschaftliche Belastung zu mindern und Rahmenbedingungen zu schaffen,
die sportliche Betätigung und Bewegung erleichtern und fördern, auch wenn
die Verantwortung für Gesunderhaltung und Gesundheitsfürsorge beim Einzel-
nen bleibt.

In Artikel 1 der UNESCO-Charta für Leibeserziehung und Sport aus dem Jahr
1978 heißt es, dass für alle Bevölkerungsgruppen ein Grundrecht auf Zugang
zu Schulsport und Sport existiert. In Artikel 2 werden die zuständigen Stellen
aufgefordert, dem Sport und dem Schulsport den erforderlichen Stellenwert zu
schaffen und zu sichern.

Der Bewegungserziehung kommt für die ganzheitliche Entwicklung eines jeden
Menschen, insbesondere im Kindes- und Jugendalter, eine herausragende
Bedeutung zu. Bereitschaft und Akzeptanz dazu wachsen mit der Bereitschaft
der Eltern, gemeinsam mit ihren Kindern Sport zu treiben, Kinder an Sport und
Bewegung heranzuführen und die Entwicklung und Bildung vitaler und inno-
vativer Kräfte zu fördern. Auch die Kindergärten und Schulen können einen
wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Kinder frühzeitig Sport treiben. Je früher
Kinder an Sport und Bewegung herangeführt werden, desto nachhaltiger sind
die Auswirkungen auf die zukünftige Lebensführung, desto stärker wird das
Bewusstsein für Sport und Bewegung gefördert und desto größer sind die
Chancen für ein lebenslanges Sporttreiben und Bewegungsaktivitäten bis ins
hohe Alter.

Die Infrastruktur wohnortnaher Sportstätten soll eine Vielfalt an sportlichen
Möglichkeiten und ein bewegungsfreundliches Umfeld ermöglichen. Bewe-
gungsräume wie Spiel-, Bolz- und Sportplätze stehen vielfach nicht mehr in

dem ausreichenden Maße zur Verfügung und wohnortnahe Angebote werden

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häufig von den Auflagen des Immissionsschutzes diskriminiert. Gerade in Pro-
blemquartieren fehlen Grün- und Freiflächen sowie Spiel- und Bewegungs-
räume. Dort häufen sich zudem ungesunde Verhaltensweisen und Bewegungs-
mangel. Die Förderung von Sport und Bewegung gehört deshalb zu einer
stadtteilbezogenen Strategie der Gesundheitsförderung im Rahmen der sozialen
Stadtentwicklung.

Das Engagement der Eltern ist durch ergänzende Maßnahmen bei der vor-
schulischen Erziehung in Kindergärten und Kindertagesstätten verstärkt zu
unterstützen. Auch hier fehlt es häufig an den erforderlichen Bewegungs-
räumen und fachlich ausgebildetem Personal, aber auch dem Bewusstsein des
Zusammenhanges und der Bedeutung von Sport, Bewegung und gesunder Er-
nährung für die Entwicklung heranwachsender Kinder.

Einen besonderen Impuls, ein aktives Leben zu führen, kann der Schulsport ge-
ben. Der Weltgipfel zum Schulsport, der 1999 in Berlin stattfand, hat bezugneh-
mend auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes festgestellt, dass jedes
Kind das Recht hat auf bestmögliche Gesundheit, kostenlose und staatlich
garantierte Ausbildung im kognitiven und körperlichen Bereich und auf Freizeit,
Spiel und Erholung. Die insgesamt rund 250 Vertreter, u. a. von Regierungsorga-
nisationen, Universitäten und Sportverbänden, kamen in ihren Empfehlungen
überein, dass der Schulsport ein fundamentales Element in der Entwicklung und
Bildung von Kindern sei, auf das Kinder ein Recht haben.

Umfang und Qualität des Sportunterrichts an unseren Schulen können deutlich
verbessert werden; dies belegen die Ergebnisse der vom Deutschen Sportbund
in Auftrag gegebenen Studie „Sprint – Sportunterricht in Deutschland“. Ins-
besondere der schulische Schwimmunterricht ist in den vergangenen Jahren
erheblich eingeschränkt worden durch das Schließen von Bädern. Die im Trend
liegenden Spaßbäder geben kaum Raum für schulischen Schwimmunterricht
oder sportliches Schwimmen; hierunter leiden auch die Vereine. Der Sport-
unterricht an Schulen hat bei allen Beteiligten an Akzeptanz gewonnen. Diesen
positiven Trend gilt es durch Verbesserungen zu nutzen.

Enorme Defizite zeigen sich im Bereich der beruflichen Schulen; hier ist
Abhilfe zu schaffen, um die kontinuierliche Entwicklung junger Menschen im
Bereich Sport und Bewegung nicht zu unterbrechen. Das Abschieben der Ver-
antwortung auf Sportvereine widerspricht dem schulischen Auftrag der ganz-
heitlichen Bildung und ist zurückzunehmen.

Das Grünbuch „Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung:
eine europäische Dimension zur Verhinderung von Übergewicht, Adipositas
und chronischen Krankheiten“ der Europäischen Kommission hat klar gestellt,
dass Schulen „wichtige Orte für Aktionen zur Gesundheitsförderung [sind], sie
können durch die Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung
zum Schutz der Gesundheit der Kinder beitragen.“

Auch die von den Sportvereinen angebotenen gesundheitsorientierten Pro-
gramme sind ein hervorragender Ansatz, möglichst vielen Menschen jeglichen
Alters Sporttreiben und Bewegung zu ermöglichen. Diese Angebote sollten von
den Krankenkassen stärker als bisher gefördert werden. Durch den demogra-
phischen Wandel bedingt sollten die Programme gezielt auf die zunehmende
Zahl immer älter werdender Menschen ausgerichtet werden. Neben den präven-
tiven Wirkungen ist den gesundheitsorientierten Angeboten verstärkt Bedeutung
für die Gesunderhaltung und Wiedergewinnung von Gesundheit zuzumessen.

Die modernen Lebensbedingungen und das tägliche Umfeld haben zu einer
Verringerung der körperlichen Aktivitäten und der sportlichen Betätigung ge-
führt, ohne entsprechende Kompensation.

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Die Krankenkassen befürchten nicht ohne Grund einen enormen Anstieg der
Kosten, wenn es nicht bald zu einem Umdenken auf allen Ebenen kommt.

Die Stärkung von Maßnahmen für Sport und Bewegung ist eine lohnende und
unerlässliche Investition in die Zukunft.

Sport und Bewegung, verbunden mit einer gesunden Ernährung, sind in allen
Lebensbereichen und in jedem Lebensalter von herausragender Bedeutung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● im Rahmen des anstehenden Präventionsgesetzes der Bedeutung von Sport
und Bewegung als wesentliches Element Rechnung zu tragen;

● Sport und dessen Vereinen, die qualitätsgesicherte Präventionsmaßnahmen
anbieten, gleiche Zugangsvoraussetzungen bei der Vertragsbindung mit
Krankenkassen zu ermöglichen wie anderen Anbietern;

● darauf hinzuwirken, dass im Rahmen der Bonusprogramme der gesetzlichen
Krankenkassen die besondere Bedeutung von Sport und Bewegung berück-
sichtigt wird;

● auf die Länder einzuwirken, die in der Schulsportstudie „Sprint“ aufgeführ-
ten Defizite im Schulsport sorgfältig und kritisch zu prüfen und die Qualität
des Schulsports durch Einsatz qualifizierter Lehrer, Sicherung der Erteilung
der erforderlichen Mindeststundenzahl und Bereitstellung ausreichender und
qualitativ angemessener Sportstätten zu sichern;

● Sport, Bewegung und gesunde Ernährung bei der Ausbildung von allen im
Bereich der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen pädago-
gisch Tätigen als wichtige Ausbildungsschwerpunkte zu integrieren;

● die Motivation der Bevölkerung, sich mehr zu bewegen und häufiger und
regelmäßig Sport zu treiben, durch verständliche, zielgruppenorientierte
Kampagnen zu stärken und das Bewusstsein für Sport und Bewegung als
Instrument zur Prävention nachhaltig zu erhöhen;

● im Rahmen des anstehenden Präventionsgesetzes die Ausschöpfung der zur
Verfügung stehenden Mittel für die Gesundheitsprävention sicherzustellen
und die Angebote für Kinder und Jugendliche auszuweiten;

● bei allen politischen Entscheidungen, die das Wohn- und Bewegungsumfeld
von Kindern und Jugendlichen beeinflussen, deren Bedürfnisse anzuerken-
nen, den Schutz und Ausbau von Bewegungsmöglichkeiten zu fördern und
insbesondere in Problemquartieren die Förderung von Sport und Bewegung
mit der Stadtteilentwicklung zu verknüpfen, beispielsweise im Rahmen des
Programms „Soziale Stadt“. Städte müssen für Kinder wieder bewegungs-
freundlich gestaltet werden und dürfen nicht länger zu „Bewegungswüsten“
verkommen;

● die Entwicklungen im Bereich des Sports und der Bewegung auf euro-
päischer Ebene zu verfolgen, zu unterstützen und zu prüfen, inwieweit
erfolgversprechende Maßnahmen übernommen werden können.

Berlin, den 31. Mai 2006

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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