BT-Drucksache 16/1465

Begrenzung der Staatsverschuldung durch Artikel 115 des Grundgesetzes

Vom 10. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1465
16. Wahlperiode 10. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Schäffler, Otto Fricke, Jürgen Koppelin, Ulrike Flach,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Volker Wissing, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Michael
Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Sibylle Laurischk, Ina Lenke,
Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk
Niebel, Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Begrenzung der Staatsverschuldung durch Artikel 115 des Grundgesetzes

Nach Artikel 115 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) dürfen die Einnahmen
aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für In-
vestitionen nicht überschreiten.

Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaft-
lichen Gleichgewichts. Die Inanspruchnahme der Ausnahmevorschrift ist erst
dann gerechtfertigt, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht – Stabilität
des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichge-
wicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum – ernsthaft und
nachhaltig gestört ist oder eine solche Störung unmittelbar droht.

Seit geraumer Zeit ist eine Vernachlässigung dieser verfassungsrechtlichen Bin-
dungen der Haushaltsplanung und der Haushaltsfinanzierung durch die Bundes-
regierung und die Bundestagsmehrheit zu beobachten (Antrag auf Prüfung des
Bundeshaushaltsgesetzes 2004 im Verfahren des Artikels 93 Abs. 1 Nr. 2 GG/
§ 13 Nr. 6 BVerfGG im Namen und im Auftrag der Bundestagsabgeordneten
Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Dr. Wolfgang Gerhardt et al. vom 15. Dezem-
ber 2004).

So überschreitet – nachdem bereits in den Jahren 2002 bis 2004 die übermäßige
Kreditfinanzierung des Bundeshaushalts mit der Abwehr einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet wurde – auch die im Haus-
haltsentwurf 2006 veranschlagte Nettokreditaufnahme (38,3 Mrd. Euro) die
Summe der im Haushaltsplan veranschlagten maßgeblichen Investitionen (rund
23,2 Mrd. Euro) um rund 15,1 Mrd. Euro.

Die Begrenzung der Kreditaufnahme durch Artikel 115 Abs. 1 Satz 2 GG bleibt
jedoch auch bei angespannter Finanzlage und schwierigen Konjunkturbedin-

Drucksache 16/1465 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gungen ohne Abstriche verbindlich, anderenfalls droht das Haushaltsver-
fassungsrecht in Verfall zu geraten. Die Verschuldung allein des Bundes hat
– neben weiteren Schulden in so genannten Sondervermögen – zum Ende des
Jahres 2005 einen Stand von 886 Mrd. Euro erreicht (Monatsbericht der Deut-
schen Bundesbank März 2006).

Der Bundesrechnungshof äußerte in seinen „Bemerkungen 2005 zur Haushalts-
und Wirtschaftsführung des Bundes“ die Auffassung, dass die geltende verfas-
sungsrechtliche Verschuldungsregel ungeeignet sei, „den Schuldenaufwuchs im
Bundeshaushalt aufzuhalten oder zumindest zu bremsen“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der Neuverschuldungs-
grenze des Artikels 115 GG?

2. Hält die Bundesregierung diese Grenze für wirksam, um Generationen-
gerechtigkeit herzustellen?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung die Bindungswirkung der Kreditgrenze
für den Haushaltsvollzug?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die geltende Kreditgrenze
(Artikel 115 GG) wirksamer gestaltet werden muss?

5. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Investitionen“ in Artikel
115 Abs. 1 Satz 2 GG?

6. Werden mit Investitionen in diesem Sinne Erträge generiert, die die Zins-
und Tilgungslasten decken?

7. Stimmt die Bundesregierung Forderungen zu, vor allem den Investitions-
begriff gemäß der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eng zu fassen?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der Staatsverschul-
dung in Deutschland, und von welcher weiteren Entwicklung geht sie aus?

9. Wie hoch ist das durchschnittliche Zinsniveau der Bundesschulden?

10. Wie hoch ist das durchschnittliche Zinsniveau der neu aufgenommenen
Darlehen, und von welcher Entwicklung geht die Bundesregierung für das
Jahr 2006 aus?

11. Welche Entwicklung des Zinsniveaus erwartet die Bundesregierung in
ihrer mittelfristigen Finanzplanung, und wie wird sich diese auf den Bun-
deshaushalt auswirken?

12. Sieht die Bundesregierung die Gefahr einer übermäßigen Belastung des
Haushalts durch Zinssteigerungen?

13. Wie hoch würden die absoluten Zinszahlungen des Bundes steigen, wenn
das durchschnittliche Zinsniveau der Bundesschulden um 1 Prozent an-
stiege?

14. Wie lange würde es dauern, die Bundesschulden vollständig zu tilgen,
wenn der Bund auf eine Neuverschuldung verzichtete und seine derzeitige
Tilgungsleistung beibehielte?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der Staatsverschul-
dung auf Wachstum und Beschäftigung?

16. In welchem Umfang werden die Kredite des Bundes getilgt, und in
welchem Umfang werden sie durch Anschlusskredite prolongiert?

17. Wie hoch dürfte die staatliche Kreditaufnahme sein, wenn der Wertever-
zehr im Wege von Abschreibungen gegen gerechnet würde?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1465

18. Wie hoch wäre die Kreditgrenze seit dem Haushaltsjahr 1999 gewesen,
wenn nur die Sachinvestitionen als Investitionen berücksichtigt worden
wären?

19. Welche Kreditobergrenzen gibt es in den anderen EU-Mitgliedsländern,
und wie beurteilt die Bundesregierung deren Wirkung?

20. Ist die Bundesregierung bereit, noch vor Verabschiedung des Haushalts
2006 die Einschätzungen von Bundesbank und Sachverständigenrat zu der
Frage einzuholen, ob eine konjunkturelle Störung des gesamtwirtschaft-
lichen Gleichgewichts besteht, die einen kreditfinanzierten Ausgleich der
damit verbundenen Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben nachvoll-
ziehbar und vertretbar macht?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Präsidenten des Bun-
desrechnungshofes zur Nettoneuverschuldung des Bundes, das Grundgesetz
sei in der jetzigen Form nicht geeignet, die Staatsverschuldung wirkungs-
voll einzudämmen; die Regeln seien an dieser Stelle zu diffus und ließen
der Politik zu viele Hintertürchen offen (Wirtschaftswoche vom 13. April
2006)?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Präsidenten des Bun-
desrechnungshofes, wenn der Staat Vermögen abgebe, etwa durch Privati-
sierung, müsse er eigentlich seine Schuldenaufnahme um diesen Betrag
reduzieren. (Wirtschaftswoche 13. April 2006)?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag des Präsidenten des Bun-
desrechnungshofes, verbindliche Tilgungspläne vorzusehen (Wirtschafts-
woche 13. April 2006)?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, im Wege der Förderalis-
musreform und einer Neuausrichtung der Finanzbeziehungen zwischen
Bund und Ländern ein Neuverschuldungsverbot im Grundgesetz zu veran-
kern?

Berlin, den 10. Mai 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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