BT-Drucksache 16/14034

Rolle des Bundesversicherungsamtes bei der Einlagensicherheit der Vermögensanlagen von Sozialversicherungsträgern

Vom 10. September 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/14034
16. Wahlperiode 10. 09. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst,
Dr. Martina Bunge, Katja Kipping, Kornelia Möller, Elke Reinke, Frank Spieth,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Rolle des Bundesversicherungsamtes bei der Einlagensicherheit der
Vermögensanlagen von Sozialversicherungsträgern

Im Zuge der weltweiten Finanzmarktkrise und der damit einhergehenden Insol-
venz von Lehman Brothers Bankhaus AG sowie der Beinahepleite der Hypo
Real Estate Gruppe (HRE) wurde bekannt, dass auch Teile des Anlagevermö-
gens der deutschen Sozialversicherungsträger betroffen waren bzw. sind (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
„Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf die Einlagensicherheit bei
den Sozialversicherungsträgern sowie auf die private Altersvorsorge“, Bundes-
tagsdrucksache 16/10988).

Mit ihrem Rundschreiben vom 25. November 2008 informierte das Bundesver-
sicherungsamt (BVA) die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger über
die Einlagensicherung und Vermögensanlagen gemäß §§ 80, 83 des Vierten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) im Zuge der internationalen Finanzmarkt-
krise.

Die Träger der Sozialversicherung unterstehen bei ihrer Aufgabenerfüllung als
Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung den gemeinsamen
Vorschriften für die Sozialversicherung des SGB IV. So legt § 80 Absatz 1 fest,
„dass die Vermögensanlagen bzw. Kapitalreserven der Sozialversicherungsträ-
ger so angelegt werden müssen, dass ein Verlust ausgeschlossen erscheint, ein
angemessener Ertrag erzielt wird sowie eine ausreichende Liquidität gewähr-
leistet ist“ (sog. magisches Dreieck der Vermögensanlage).

Dagegen schreibt § 83 SGB IV neben den zulässigen Finanzinstrumenten allge-
meine Anlagegrundsätze auch vor, welche Vorgaben bei allen Rücklage-Inves-
titionen zu beachten sind. Hier spielen vor allem geographische, währungspoli-
tische sowie soziale Aspekte eine wichtige Rolle. Von Interesse ist hier vor
allem die Frage der Anlageninstrumente.

So hat die BVA bereits mit ihrem Rundschreiben vom 10. September 2004 und
damit lange vor der gegenwärtigen Finanzkrise die Sozialversicherungsträger
darauf hingewiesen, dass von Anlagen in Sondervermögen, welche riskante
Finanzinnovationen (z. B. Asset Backed Securities – ABS) enthalten, Abstand
genommen werden soll. Die BVA hat allerdings erst im Oktober 2008 bzw.
Ende April 2009 gemeinsam mit dem Bundesverband Investment und Asset
Management e. V. „Allgemeine Vertragsbedingungen“ abgestimmt und diese
durch entsprechende Mustervertragsverbindungen ergänzt.

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Darüber hinaus warnt das BVA in seinem Schreiben vom 25. November 2008
vor Anlagen in Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR-Staaten) in
Hinblick auf die Anlagensicherheit. Die aktuellen Ereignisse seien zu berück-
sichtigen und die weitere Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. So erschienen
bereits aus damaliger Sicht Kapitaleinlagen bei isländischen Emittenten unter
der Berücksichtigung der extremen Finanzschwäche des Landes als äußerst
problematisch. Mittlerweile dürfte dies auch für andere Emittenten in weiteren
EWR-Staaten gelten.

Nicht zuletzt hatte das BVA in seinem Rundschreiben vom 1. Dezember 2000
empfohlen, „auf ein gutes Rating der nicht gesicherten aber zum amtlichen
Handel zugelassenen Schuldverschreibungen zu achten“. Mit dem Schreiben
vom 25. November 2008 teilt sie den Sozialversicherungsträger allerdings mit,
dass „die aktuelle Situation nun aber zeigt, dass die Bewertungskategorien bzw.
Bewertungsmodelle der Rating-Agenturen nur eine begrenzte Aussage über die
Leistungsfähigkeit des Schuldners treffen können. An der dargelegten Bewer-
tung haltern wir daher nicht fest“. Den Sozialversicherungsträgern rät das BVA
in diesem Zusammenhang deshalb „vom Erwerb ungesicherter Inhaberschuld-
verschreibungen oder anderer ungesicherter Schuldverschreibung gemäß § 83
Absatz 1 Nummer 1 SGB IV ab“. (…) „Bereits erworbene ungesicherte Schuld-
verschreibungen sollten veräußert werden, sobald der Markt eine Veräußerung
ohne Verlust ermöglicht.“

Die Rundschreiben des BVA aus den Jahren 2000 bis 2009 werfen deshalb
weitere Fragen zur Sicherheit und Anlagenstrategie, den bestehenden gesetz-
lichen Regelungen der § 80 ff. SGB IV sowie die Verwaltungspraxis der Ver-
mögensanlagen der Sozialversicherungsträger im Kontext der Finanzmarkt-
krise auf und bedürfen deshalb der Aufklärung. Denn die Sozialversicherungs-
träger sind verpflichtet, den Versicherten ihre Leistungen auch dann zur Verfü-
gung zu stellen, wenn die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung stagniert und
demzufolge die Beitragseinnahmen nur geringfügig oder überhaupt nicht stei-
gen. Haben die Sozialversicherungsträger dann ihre Finanzreserven nicht sicher
angelegt, besteht die Gefahr höherer Beiträge für die gesamte Versicherten-
gemeinschaft.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welcher Begründung wurde in den Rundschreiben vom 1. Dezember
2000 bzw. vom 10. September 2004 vom BVA empfohlen, sich bei der Be-
urteilung der Papiere auf die Bewertung von Rating-Agenturen zu verlassen?

2. Wieso hat das BVA an der Praxis des Ratings bei Anlagen nach § 83 Absatz 1
Nummer 1 SGB IV überhaupt festgehalten, wenn es selbst in den Rundschrei-
ben vom 1. Dezember 2000 bzw. vom 10. September 2004 auf die Proble-
matik von Ratings bzw. der Rolle von Rating-Agenturen in der Kreditwirt-
schaft hingewiesen hat?

3. Welche Gründe haben dazu geführt, dass die Empfehlungen des BVA mit
dem Rundschreiben vom 25. November 2008 zurückgezogen wurden und
die beiden Rundschreiben vom 1. Dezember 2000 bzw. vom 10. September
2004 aufgehoben wurden?

4. Wie viele und welche Sozialversicherungsträger haben seit dem Jahr 2000
beim BVA prüfen lassen, ob ein bestimmtes Anlageprodukt nach den sozial-
versicherungsrechtlichen Vermögensvorschriften zulässig ist (vgl. Presse-
mitteilung des BVA vom 29. Oktober 2008), und in wie vielen Fällen wurde
bei welchen Sozialversicherungsträgern das geprüfte Anlageprodukt vom
BVA als nicht zulässig erachtet?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/14034

5. Wie viele Kreditinstitute haben seit dem Jahr 2000 beim BVA prüfen las-
sen, ob ein bestimmtes Anlageprodukt nach den sozialversicherungsrecht-
lichen Vermögensvorschriften zulässig ist?

6. Wie erklärt sich, dass trotz der Rundschreiben des BVA und den gesetz-
lichen Regelungen neun von zehn Produkten abgelehnt werden (vgl.
Pressemitteilung des BVA vom 29. Oktober 2008)?

7. Welche Gründe sprechen für die enge Zusammenarbeit des BVA mit dem
Bundesverband der Investmentgesellschaften (BVI) bei der Erarbeitung
von Mustervertragsbedingungen (vgl. Pressemitteilung des BVA vom
29. Oktober 2008)?

8. Erfolgt die Zusammenarbeit des BVA mit dem BVI unentgeltlich, und
wenn nein, wie hoch ist das Honorar pro vom BVI ausgearbeiteten Muster-
vertrag?

9. Welche Fachabteilungen mit wie vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
sind beim BVA mit der Überprüfung der Zulässigkeit von Vermögensan-
lagen nach den sozialversicherungsrechtlichen Vermögensvorschriften
betraut?

10. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den zuständigen Fach-
abteilungen beim BVA waren vor ihrer Tätigkeit beim BVI oder anderen
Kreditinstituten beschäftigt?

11. In wie weit unterscheiden sich die zu leistenden Sicherheiten in börsenno-
tierten Schuldverschreibungen von jenen Schuldverschreibungen und sons-
tige Gläubigerrechte verbriefende Wertpapiere mit besonderer Bonität?

12. Hält die Bundesregierung die Absicherung ungesicherter Inhaberschuld-
verschreibungen oder anderer ungesicherter Schuldverschreibungen gemäß
§ 83 Absatz 1 Nummer 1 SGB IV durch den Einlagensicherungsfonds im
Bundesverband deutscher Banken sowie für öffentliche Banken durch den
Bundesverband öffentlicher Banken in Deutschland angesichts der gemein-
sam abgegebenen Garantieerklärung im Oktober 2008 von Bundesfinanz-
minister Peer Steinbrück und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel für aus-
reichend, und wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht?

13. Wie hoch schätzt die Bundesregierung allgemein die bei ungesicherten
Papieren nach § 83 Absatz 1 Nummer 1 durch die Krise eingetretenen Ver-
luste?

14. Wieso rät das BVA in seinem Rundschreiben vom 25. November 2008 vom
Erwerb ungesicherter Inhaberschuldverschreibungen oder anderer unge-
sicherter Schuldverschreibungen gemäß § 83 Absatz 1 Nummer 1 SGB IV
ab?

15. Wie erklärt die Bundesregierung, dass „unter Berücksichtigung des Sicher-
heitsgebotes nach § 80 Absatz 1 SGB IV der Sozialversicherungsträger
weitere Bonitätskriterien zu beachten hat und eine Risikoüberwachung zur
frühzeitigen Erkennung von Bonitätsverschlechterungen sicherzustellen
ist“, wobei sich die Qualitätsüberwachung neben offiziellen Ratings nicht
nur „auf die jährlichen Geschäftsberichte beschränken, sondern aktuelle In-
formationen wie die Quartalsberichte sowie die laufende Berichterstattung
der Wirtschaftspresse umfassen“ muss (vgl. Rundschreiben vom 1. Dezem-
ber 2000), vor dem Hintergrund, dass mehrere Sozialversicherungsträger
Teile ihres Vermögens bei der HRE bzw. bei Lehmann Brothers Bankhaus
AG angelegt haben bzw. hatten, und sieht das BVA bzw. die Bundesregie-
rung darin eine Pflichtverletzung oder einen Verstoß gegen die Anlagen-
richtlinien nach § 80 Absatz 1 SGB IV der betroffenen Sozialversiche-
rungsträger?

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16. Wie begründet die Bundesregierung die laut § 83 Absatz 1 Nummer 1 ge-
gebene Zulassung der Anlage in ungesicherten Schuldverschreibungen
bzw. ungesicherte Inhaberschuldverschreibungen?

17. In wie weit sieht die Bundesregierung in Auswertung der Erfahrungen mit
der jüngsten Finanzkrise durch die Anlagepraxis der Sozialversicherungs-
träger drei der in § 80 SGB IV geforderten Grundsätze der Vermeidung von
Verlusten verletzt?

18. Wie viele Verstöße der in § 80 ff. SGB IV normierten Vermögensrechte
sind dem BVA bzw. der Bundesregierung seit dem Jahr 2008 durch die So-
zialversicherungsträger bekannt geworden, und wie viele Gerichtsverfah-
ren wurden von Seiten des BVA gegen Verstöße der Sozialversicherungs-
träger angestrengt?

19. In welchem Ausmaß haben bzw. hatten welche Sozialversicherungsträger
Versichertenbeiträge in ungesicherte Schuldverschreibungen bzw. unge-
sicherten Inhaberschuldverschreibungen angelegt?

20. Wie groß war das Anlagevermögen bei welchen Sozialversicherungsträ-
gern zum 31. Dezember 2008 in ungesicherte Papiere nach § 83 Absatz 1
Nummer 1 (z. B. ungesicherte Schuldverschreibungen bzw. ungesicherte
Inhaberschuldverschreibungen angelegt)?

21. Wie viele und welche Sozialversicherungsträger haben bis zum 31. Juli
2008 ungesicherte Schuldverschreibungen bzw. ungesicherte Inhaber-
schuldverschreibungen nach § 83 Absatz 1 Nummer 1 SGB IV in welcher
Größenordnung veräußert?

22. Bei welchen Sozialversicherungsträgern ist es in welcher Größenordnung
bei der Veräußerung von Papieren nach § 83 Absatz 1 Nummer 1 SGB IV
zu Verlusten gekommen?

23. Aus welchen Gründen sollen die Sozialversicherungsträger mit Rund-
schreiben vom 25. November 2008 prüfen, ob eine ggf. notwendige Veräu-
ßerung des Wertpapiers ohne Verluste gedeckter Schuldverschreibungen
nach § 83 Absatz 1 Nummer 2 und 3 auf dem Finanzmarkt möglich ist, und
welche Rolle spielte dabei die Beinahepleite der HRE?

24. Wie viele und welche Sozialversicherungsträger haben in welcher Größen-
ordnung in ungesicherte Inhaberschuldverschreibungen bzw. Schuldver-
schreibungen der Insolventen Arcandor AG und ihrer Töchter investiert,
bzw. gehören diese zu den Gläubigern des Konzerns?

25. Wie viele und welche Sozialversicherungsträger haben in welcher Größen-
ordnung in so genannte Geldmarktfonds investiert (vgl. Rundschreiben des
BVA vom 25. November 2008)?

26. Wie erklärt sich, dass der Präsident des BVA, Josef Hecken, in der Presse-
mitteilung vom 29. Oktober 2008 erklärt, dass eine „Änderung von Anla-
gevorschriften in der Sozialversicherung infolge der aktuellen Finanzkrise
deshalb aus Sicht des Bundesversicherungsamtes als Aufsichtsbehörde
nicht angezeigt sind“, obwohl aus dem Muster für besondere Vertragsbe-
dingungen für ein Spezial-Sondervermögen für Sozialversicherungsträger
mit allen Anlagemöglichkeiten mit Stand vom 27. April 2009 hervorgeht,
dass „das BVA beabsichtigt nach eigenen Angaben, auf eine entsprechende
gesetzliche Änderung des § 83 Absatz 1 SGB IV hinzuwirken“?

27. In welchen Punkten sieht die Bundesregierung nach Auswertung der Erfah-
rungen mit der jüngsten Finanzkrise die Notwendigkeit, die Anlagevor-
schriften im SGB IV zu verschärfen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/14034

28. In welcher Form gedenkt die Bundesregierung die Öffentlichkeit über die
Gründe und Hintergründe für die Änderung der Anlageempfehlungen zu
informieren?

Berlin, den 10. September 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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