BT-Drucksache 16/14014

a) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16/13923, 16/13985, 16/13994- Entwurf eines Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union b) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/13924, 16/13985, 16/13994- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon c) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP -16/13926, 16/13987, 16/13996- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union d) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -13928, 16/13988, 16/13997- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93)

Vom 8. September 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/14014
16. Wahlperiode 08. 09. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich,
Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke,
Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Norman Paech,
Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

a) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 16/13923, 16/13985, 16/13994 –

Entwurf eines Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des
Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 16/13924, 16/13985, 16/13994 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die
Ratifizierung des Vertrags von Lissabon

c) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und FDP
– Drucksachen 16/13926, 16/13987, 16/13996 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zusammen-
arbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union

d) zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Abgeordneten Wolfgang
Neskovic, Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 16/13928, 16/13988, 16/13997 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 23, 45 und 93)

Drucksache 16/14014 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Mit den gesetzlichen Veränderungen und Neuerungen sind die einzelnen
konkreten Beanstandungen des verfassungsgerichtlichen Urteils den Buch-
staben nach weitgehend, aber nicht vollständig umgesetzt. Dem Geist des
Urteils jedoch werden die verabschiedeten Gesetze in zentralen Fragen nicht
gerecht:

a) In der gesetzlichen Definition von „Vorhaben“ der Europäischen Union
werden die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausdrücklich
ausgenommen. Damit werden die Informations- und Entscheidungsrechte
des Deutschen Bundestages in einer Weise eingeschränkt, die vordemo-
kratischen Vorstellungen von Gewaltenteilung entspricht, nicht aber den
Prinzipien einer modernen parlamentarischen Demokratie.

b) Im Bereich der Rechtsetzung der Europäischen Union wird der Bundes-
regierung die Möglichkeit eingeräumt, sich unter Berufung auf behaup-
tete wichtige außen- und integrationspolitische Gründe über Stellung-
nahmen des Deutschen Bundestages hinwegzusetzen. Auch das läuft den
Prinzipien der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes zuwider.
Die Handlungsfähigkeit einer vom Parlament getragenen Regierung ist
auch ohne – für Missbrauch anfällige – Ausnahmen vom Prinzip der par-
lamentarischen Kontrolle gewährleistet. Das zeigen die Erfahrungen in
den EU-Staaten Dänemark, Finnland und Österreich.

c) Das Bundesverfassungsgericht hält die verfassungsgerichtliche Überprü-
fung von Rechtsakten der Europäischen Union auf etwaige Überschrei-
tungen der übertragenen Befugnisse und auf etwaige Verletzungen der
Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland für geboten. Es
weist ausdrücklich auf die Möglichkeit einer gesetzlichen Ausgestaltung
entsprechender Rechtsbehelfe hin. In dem jetzt beschlossenen Gesetzes-
paket wird eine solche Regelung ohne Begründung vermieden.

d) Die Einführung von Volksentscheiden bei Änderungen der vertraglichen
Grundlagen der Europäischen Union hat das Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich für zulässig erklärt. Trotz der Befürwortung von Volksent-
scheidungen durch einen Teil der antragstellenden Fraktionen wird das in
dem Gesetzespaket nicht in Angriff genommen. Dabei wäre eine unmit-
telbare Beteiligung der Bevölkerung an EU-Angelegenheiten eine Mög-
lichkeit, vorhandene Distanz und Ablehnung gegenüber der EU zu ver-
ringern.

e) Die Sicherung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung über
Einwirkungsrechte der Bundesländer ist unzureichend ausgestaltet. Das
betrifft insbesondere den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge.

2. Die von den vier antragstellenden Fraktionen praktizierte Gesetzestechnik,
vor allem die Aufteilung der zu regelnden Vorgänge auf mehrere Gesetze,
widerspricht geradezu beispielhaft den Grundsätzen von Klarheit und Trans-
parenz. Vor allem das Integrationsverantwortungsgesetz ist aus sich selbst
heraus nicht verständlich, sein Sinn nur bei paralleler Lektüre des Lissa-
bon-Vertrags zu erfassen.

3. Fehler und Mängel der vorliegenden Gesetzgebung sind trotz der intensiven
Inanspruchnahme der Bundestagsverwaltung und ohne deren Verantwortung
entstanden. Sie sind vor allem der unwürdigen Hast geschuldet, mit der die
vier Fraktionen vorgingen. Die Ergebnisse der Anhörung konnten schon
zeitlich nicht umfassend in die Gesetzesformulierungen Eingang finden.
Erst unmittelbar vor der Sitzung des federführenden Ausschusses für die

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/14014

Angelegenheiten der Europäischen Union wurde von den antragstellenden
Fraktionen noch eine Vielzahl von Änderungen vorgelegt. Eine wirkliche
parlamentarische Beratung fand nicht statt. Eine Willensbildung in den mit-
beratenden Ausschüssen über Gesetzentwürfe und Änderungsanträge war
noch weniger möglich. Die unangemessene Hast wurde weder durch das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch durch irgendwelche Fristen im
Rahmen des Ratifizierungsverfahrens erzwungen. Es ging allein darum,
durch eine vorherige Ratifikation des Vertrags von Lissabon die Anfang
Oktober stattfindende Volksabstimmung in Irland zu beeinflussen. Das er-
scheint besonders fragwürdig, weil der deutschen Bevölkerung eine solche
Abstimmung verwehrt wird.

4. Die Möglichkeit, Kompetenzen der Europäischen Union unter Berufung auf
die Erforderlichkeit des Tätigwerdens ohne ausdrückliche vertragliche
Regelung und ohne Mitwirkung des Deutschen Bundestages auszudehnen
(Flexibilitätsklausel), wird nur für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags
von Lissabon unterbunden, nicht aber für den Fall seines Scheiterns und des
Fortgeltens von Artikel 308 des EG-Vertrags.

5. Die Bundesregierung und die vier Fraktionen beabsichtigen offenbar nicht,
den anderen Mitgliedstaaten und den Organen der Europäischen Union den
Inhalt und die Bedeutung des verfassungsgerichtlichen Urteils in angemes-
sener Weise zur Kenntnis zu bringen. Eine entsprechende Kenntnisgabe ist
aber unter dem Gesichtspunkt der Verfassungstreue gegenüber dem Grund-
gesetz, aber auch nach dem Grundsatz der Unionsfreundlichkeit entspre-
chend dem EU-Vertrag geboten. Dort heißt es schon jetzt in Artikel 6 Ab-
satz 3: „Die Union achtet die nationale Identität der Mitgliedstaaten.“ In
dem Vertrag von Lissabon, um dessen Ratifizierung es geht, wird das in
Artikel 4 Absatz 2 weiter ausgeführt: „Die Union achtet die Gleichheit der
Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die
in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen ein-
schließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck
kommt.“ Wie aber die anderen Mitgliedstaaten und die Organe der Euro-
päischen Union die verbindlich ausgelegten verfassungsgemäßen Strukturen
achten sollen, wenn sie ihnen nicht offiziell bekannt gemacht werden, ist
nicht nachvollziehbar. Konflikte zwischen den verschiedenen rechtlichen
Ebenen und Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen
Deutschland werden damit leichtfertig heraufbeschworen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert:

1. Die Bundesregierung soll zeitgleich mit der Übergabe der Ratifikations-
urkunde zum Vertrag von Lissabon unter Berufung auf Artikel 4 Absatz 2
des EU-Vertrags in der Fassung des Vertrags von Lissabon den anderen Mit-
gliedstaaten und den Organen der Europäischen Union gegenüber die Erklä-
rung abgeben, dass der Vertrag von Lissabon in Deutschland nur nach Maß-
gabe der Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni
2009 Anwendung findet. Dabei soll insbesondere darauf hingewiesen wer-
den, dass

a) die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland im Wesent-
lichen durch die Grundsätze bestimmt wird, die gemäß Artikel 79 Absatz 3
des Grundgesetzes einer Verfassungsänderung nicht unterliegen,

b) trotz der Erklärung Nummer 17 zum Vertrag von Lissabon das von der
Europäischen Union gesetzte Recht keinen Geltungsvorrang vor dem
Recht der Bundesrepublik Deutschland hat und ein Anwendungsvorrang
nur kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung im Rahmen übertragener
Befugnisse besteht,

Drucksache 16/14014 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
c) die Regelungen des Grundgesetzes zum Verbot von Angriffskriegen und
zur alleinigen Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Einsatz
deutscher Streitkräfte durch Recht der Europäischen Union nicht aufge-
hoben, eingeschränkt oder modifiziert werden können.

2. Die Bundesregierung soll eine hochrangige Arbeitgruppe aus Sachverständi-
gen unterschiedlicher politischer Grundrichtungen einsetzen, die nach Maß-
gabe dieser Entschließung Vorschläge für eine Novellierung der jetzt verab-
schiedeten Gesetze vorbereitet. Dabei sind die Regelungen in einem
einheitlichen „Mitwirkungsgesetz“ zusammenzufassen und möglichst ver-
ständlich zu formulieren. Die Vorschläge, die auch mögliche Alternativen
enthalten sollen, sind bis zum 1. Juli 2010 vorzulegen.

Berlin, den 8. September 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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